Die menschliche Welt ist ohne Algorithmen nicht mehr zu denken. Zugleich aber überhöht der Mensch mit dem Mythos „künstliche Welt“ seine eigenen Erfindungen – und verzweifelt beinhe darüber. Die Digitalisierung erobert die Welt – und das beruht zwar zum einen auf ihren unbestritten erstaunlichen Leistungen – zum anderen aber auch auf ihren Weggefährten: den sie machtvoll begleitenden Mythen.

Die Kölner Südbrücke: Die Konstruktion aus Stahl und Beton, die Fassade wie eine Ritterburg – ein Sinnbild für die Ambivalenz des Kaiserreichs
Es war eine Kriegsgeburt, die schließlich zu radikalem Nationalismus führte: Das Deutsche Kaiserreich, in dem der Adel regierte, das Bürgertum die Wirtschaft dominierte, die Wissenschaft prosperierte.
Seit mehr als hundert Jahren rattern Güterzüge über die Südbrücke in Köln. Der Bau der gewaltigen Stahlbögen begann 1906, in der großen Zeit des Deutschen Kaiserreichs. Man musste die Brücke am Kölner Dom entlasten, denn die Wirtschaft boomte: Züge rollten, Hochöfen glühten und entlang des Rheins schossen Chemie-Fabriken aus dem Boden. Zugleich war es eine Epoche zahlloser Innovationen: Ingenieure konstruierten mit den neuen Baustoffen Stahl und Beton, Wissenschaftler entwickelten neue Chemieprodukte und optische Geräte. Das Kaiserreich hatte seine Idealform gefunden: ein führender Industriestaat im Gewand der Vergangenheit.