Das Urteil ist auch für ein mögliches AfD-Verbot relevant, erklärt Christian Rath in der taz, denn: „Erstens ist das Instrument des Ausschlusses einer verfassungsfeindlichen Partei von der staatlichen Finanzierung jetzt voll einsetzbar. Letzte Zweifel an der Zulässigkeit hat das Bundesverfassungsgericht beseitigt. Zweitens hat das Gericht klargestellt, dass die Voraussetzungen für ein Parteiverbot und einen Finanzierungsausschluss fast identisch sind. Einziger Unterschied: Beim Parteiverbot ist eine gewisse Stärke/Potenzialität erforderlich. Drittens kommt es für die Verfassungsfeindlichkeit nicht nur auf die Partei- und Wahlprogramme einer Partei an, sondern auf die ‚wirklichen Ziele‘ der Partei. Hier muss die Partei sich auch Äußerungen der Parteiführung zurechnen lassen. Auch das Verhalten führender Funktionäre von Teilorganisationen wie Landesverbänden sind der Partei zuzurechnen.“

Gerade die Demos in kleineren ostdeutschen Ortschaften sind bemerkenswert, erkennt der Chemnitzer Protestforscher Piotr Kocyba im Spiegel-Interview an, denn: „In mancher dieser kleineren Ortschaften bedarf es sehr viel Mut, öffentlich gegen die AfD Gesicht zu zeigen. Da haben die Rechten die Vorherrschaft. In diesen Orten kennt man sich persönlich. Da ist schnell klar, wer bei der Demo gegen die extreme Rechte war und wer öffentlich Kritik an der AfD geäußert hat.“ Und: „Da geht es nicht nur um Beleidigungen, sondern tatsächlich auch ans Eingemachte. Es sind nicht immer physische Übergriffe, es sind manchmal Angriffe auf das Wohneigentum. Es kann Stress bei der Arbeit geben. Ich kenne Aktivisten aus der prodemokratischen Zivilgesellschaft, die nicht mehr ins Restaurant gehen, weil sie angespuckt werden von anderen Gästen.“

Als „historisch“ sieht Nils Minkmar in der SZ die Rede an, die Emmanuel Macron anlässlich des Trauerstaatsakts für Wolfgang Schäuble gehalten hat. Macron plädierte für eine intensivere Kooperation mit Deutschland (an der, bedauert Minkmar, die Bundesregierung in den letzten Jahren kein großes Interesse gezeigt habe). Auch weil Macron die Rede in weiten Teilen auf Deutsch gehalten habe, sei der französische Präsident das Risiko eingegangen, vor seinen französischen Wählern als „Agent deutscher Interessen“ dazustehen. Gesprächsbedarf gebe es reichlich: „In den vergangenen Wochen mehrten sich die Frust-Signale aus Paris bezüglich der zögerlichen deutschen Haltung bei der Taurus-Lieferung für die Ukraine. Und man könnte es verstehen, wenn auch das allzu hanseatisch-lauwarme Engagement für die deutsch-französische Sache allmählich zu einer Gereiztheit bei Macron führen würde. Zwar soll es auf der Arbeitsebene zwischen den Ministern wieder besser funktionieren, aber niemand wird die Jahre der Ampel als Blütezeit der exekutiven Verbrüderung zwischen Paris und Berlin beschreiben. Von deutscher Seite verzeichnet die Chronik das Fischbrötchen von Hamburg und die von der grünen Außenministerin angestoßene Schließung gleich dreier Goethe-Institute in Frankreich.“

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren
 
Als Pionierchor mit ordentlich gebundenen Halstüchern steht der Kinder- und Jugendchor des Evangelischen Gymnasiums Meiningen auf der Theaterbühne. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Als Kinofilm war „Good Bye, Lenin“ ein großer Erfolg. Nun ist eine Theaterversion erstmals auf einer ostdeutschen Bühne zu sehen, der Westen war hier schneller. Unser Kritiker zeigt sich von der Inszenierung nur mäßig begeistert. Neben handwerklichen Mängeln stellt sich auch die Frage, ob der Stoff 20 Jahren nach der Filmpremiere noch zeitgemäß ist.

Wenn das kein Timing ist, heute – am 21. Januar 2024 – jährt sich der Todestag von Wladimir Iljitsch Lenin zum 100. Mal. Passgenau dazu heißt es in Meiningen nun „Good Bye, Lenin“.

Die erfolgreiche Kinokomödie mit Katrin Saß und Daniel Brühl aus dem Jahr 2003 hat den Weg auf die Bühne gefunden. Nicht zum ersten Mal. Das Stück, vom Drehbuchautor des Films, Bernd Lichtenberg, geschrieben, wurde im vergangenen Jahr schon in Dinslaken und Esslingen inszeniert. Nun zieht also auch ein Theater aus dem Osten nach – und dabei alle ostalgischen Register.

Vor dem Theater werden die Besucherinnen und Besucher von Volkspolizisten im Barkas empfangen. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Hammer, Sichel, Mummenschanz

Vor dem Theater wurde eine riesige DDR-Fahne gehisst, am Portal feiert man mit einem Banner „75 Jahre DDR“. Aus den quäkenden Lautsprechern eines Volkspolizei-Barkas werden die Besucher mit kämpferischen Liedgut beschallt.

Drinnen im Theater gibt es nicht die übliche Karten-, sondern eine stilechte Grenzkontrolle. Im Gegensatz zum echten antifaschistischen Schutzwall, lässt sich diese Eingangsbarriere allerdings von allen, die das nicht so mögen, relativ leicht umgehen.

Lenins eiskaltes Händchen

Der Einstieg auf der Bühne weiß dann aber zu überzeugen. Im prächtig restaurierten neoklassizistischen Meininger Theatersaal erklingt Henry Purcell. Sein „Cold Song“, diese stakkatohaft sich steigernde hymnische Musik voller Emotionen. In der linken Proszeniumsloge singt ein Pionierchor mit. Aus der Rechten winken huldvoll schwarz gekleidete Gestalten. Sind’s die Honeckers oder das Ehepaar Ceausescu mit ihrer Entourage?

Lenin zieht den Bühnenvorhang zur Seite und singt dabei Purcells „Cold Song“. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Egal, die Leiche, die dazu aus dem Theaterkeller hochfährt, ist ganz eindeutig Lenin. So wie er in seinem Mausoleum liegt. Doch hier in Meiningen bewegt er plötzlich sein eiskaltes Händchen. Richtet sich auf und singt: „Let me, let me, let me freeze again to death“. Doch bevor er sich zu Tode friert, zieht er noch den roten Bühnenvorhang zur Seite und wir blicken in ein ramponiertes, völlig runtergekommenes Theater. Willkommen in einem untergehenden Land namens DDR. Auf das die Meininger des Jahres 2024, fein angezogen, aus ihrem bequemen Gestühl in den nächsten zweidreiviertel Stunden schauen dürfen.

Film ab auf dem Theater

Wir erleben die originale Handlung des Films, seine Figuren, Szenen, Dialoge. Diesen verzweifelten Versuch, ein falsches Leben im richtigen zu erhalten. Sich gegen die Zeit zu stemmen.

Der Film konnte dabei mit seiner herrlichen Ironie überzeugen. Mit Schauspielern, die dieses Jonglieren mit den Elementen Komik und Tragik, Unsinn und Wahrhaftigkeit beherrschten.

Auch im Film sorgte das Auftauchen des Coca-Cola-Schriftzuges für Verwirrung. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Doch die Ruhe und Sorgfalt, schauspielerisch so etwas zu entwickeln, wird von Regisseur Thomas Dannemann hier kaum jemandem zugestanden. Das ist eine allzu wilde Hatz durch Texte und Situationen, bei der sich der Eindruck aufdrängt, dass Regie und Darsteller nicht immer beieinander waren.

Ein echtes handwerkliches Problem ist die Textverständlichkeit. Was meiner Meinung nach nicht nur daran lag, dass man hier locker nuschlig berlinern sollte, sondern dem einen oder der anderen irgendwie die Haltung zur Rolle fehlte.

Unwillkürlich steht die Frage im Raum, ob die Zeit über diesen Stoff nicht hinweggegangen ist. Dem versucht man beizukommen, in dem die ganze Entwicklung aus heutiger Sicht hinterfragt wird. Hätte das mit der Wiedervereinigung nicht besser laufen können?

Und da erfindet man dann eine kabarettistische Birgit Breuel dazu, die den jammernden Ossis die marktwirtschaftlichen Leviten liest. Da kommt Beifall aus der Kurve der ewig Gekränkten, die umso mehr klatschen, wenn das Ensemble zu „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ eine bekloppte Choreografie hinlegen darf.

Wenn schon Ostalgie, dann darf auch das Sandmännchen nicht fehlen. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Da kamen bei mir dann erste Momente des Fremdschämens auf – und dann wurde mir ganz mulmig, als das Publikum aufgefordert wurde, jetzt doch mal die vielleicht bessere Nationalhymne mitzusingen, die man sich 1990 ja hätte geben können – Brechts Kinderhymne. „Der Text steht auf Seite 26 im Programmheft, fordert der Vorsänger auf der Bühne auf, und dann singen sie. Oben auf der Bühne, was die Chance zum Mitsingen gewesen wäre. Für alle, die das wirklich besser finden.

Aber keiner tat’s und sitzen sind auch alle geblieben. Soweit hat die beseelende Kraft dieses Theaterabends dann doch nicht gereicht.

Lenins letzte Frage

Nachdem auch die vom Stück beschworene Illusion, dass Erich Honecker am 7. Oktober 1989 ein Einsehen gehabt hätte, um Sigmund Jähn, den Mann mit dem kosmischen Weitblick die Amtsgeschäfte im Sinne eines menschlichen Sozialismus zu überlassen, von einem Unwetter hinweggefegt wurde, herrscht schlussendlich gähnende Leer auf der Bühne.

Der Kosmonaut Sigmund Jähn als vermeintlicher DDR-Hoffnungsträger. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Nur einer schaut sich das Chaos sprachlos, schulterzuckend an und fragt mit Lenin: Was tun? Meine Antwort ans Meininger Theater: Bitte mit den wirklichen Problemen unserer Tage beschäftigen.

Quelle: MDR KULTUR

Die Aufführung Good Bye, Lenin!
Stück von Wolfgang Becker, Bernd Lichtenberg
nach dem Film von Wolfgang Becker und Bernd Lichtenberg

Regie: Thomas Dannemann
Bühne: Justus Saretz
Kostüme: Cornelia Kraske/Ariana Moll
Musik: Matthias Flake

Mit
Jan Wenglarz als Alexander Kerner
Pauline Gloger als Ariane Kerner
Evelyn Fuchs als Christiane Kerner
Gunnar Blume als Robert Kerner, Birgit Breuel, Sandmann
u.a.

Staatstheater Meiningen
Bernhardstraße 5, 98617 Meiningen

Termine:
Sonntag, 21.01.2024 | 18:00 Uhr | Großes Haus
Samstag, 27.01.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Mittwoch, 07.02.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Donnerstag, 29.02.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Samstag, 09.03.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Sonntag, 24.03.2024 | 15:00 Uhr | Großes Haus
Sonntag, 31.03.2024 | 15:00 Uhr | Großes Haus

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren
Eine Petition gegen den AfD-Politiker Björn Höcke findet hohen Zuspruch, es geht um die sogenannte Grundrechtsverwirkung. Einen Antrag könnte die Bundesregierung stellen.

Artikel hören
Grundrechtsverwirkung: Björn Höcke, AfD-Fraktionschef, während der Sitzung des Thüringer Landtags im Dezember 2023
Björn Höcke, AfD-Fraktionschef, während der Sitzung des Thüringer Landtags im Dezember 2023 © Martin Schutt/​dpa

Von vielen Seiten wird ein Verbotsverfahren gegen die AfD gefordert. Hohen Zuspruch findet derzeit aber auch eine andere Möglichkeit, das Erstarken der Partei, wenn möglich, zu verhindern: ein Antrag auf Entzug der Grundrechte für herausragende Verfassungsfeinde. Eine entsprechende Petition, die sich namentlich gegen den Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke richtet, wurde bereits von mehr als 830.000 Menschen unterzeichnet.

Höckes Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft. Die Petition appelliert an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen, FDP sowie den Oppositionsfraktionen CDU/CSU und Linke, die Bundesregierung zu einem entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht zu bewegen.

Auf der Petitionsplattform des Kampagnen-Netzwerks Campact sind bereits mehr als 830.000 Unterschriften eingegangen für den Vorstoß unter dem Titel „Stoppen Sie den Faschisten Björn Höcke: Veranlassen Sie, dass die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz stellt“. Damit ist das Quorum weit übererfüllt: Ab 50.000 Unterstützern muss sich der Petitionsausschuss des Bundestags mit einer öffentlichen Petition befassen und Gelegenheit zur Anhörung geben.

AfD liegt in Umfragen vorn

In Thüringen steht im September eine Landtagswahl an. Höckes AfD liegt in den Umfragen mit großem Abstand vorn. Sie kommt derzeit auf 34 bis 36 Prozent.

Die Möglichkeit des Grundrechteentzugs ist im Grundgesetz geregelt. In Artikel 18 heißt es: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. (…) Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“ Dafür ist ein Antrag des Bundestags, der Bundesregierung oder einer Landesregierung nötig.

In der Geschichte der Bundesrepublik wurde so ein Antrag erst wenige Male gestellt ­– jedoch nie erfolgreich. 1974 etwa stellte die Bundesregierung einen entsprechenden Antrag gegen den Herausgeber der National-Zeitung, Gerhard Frey. In den Neunzigerjahren wurden Anträge gegen die Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz gestellt. Alle wurden abgelehnt, die letzten sogar ohne Begründung. Zudem wurden die Anträge bisher stets erst nach einer Dauer von mehreren Jahren entschieden. Es ist also davon auszugehen, dass eine Entscheidung über einen potenziellen Antrag gegen Höcke nicht vor den Landtagswahlen getroffen werden würde.

Dietmar Bartsch ruft zur Unterzeichnung auf

Im Falle einer Grundrechtsverwirkung besteht die Möglichkeit, jemandem das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter abzuerkennen. Dabei können die Richter in Karlsruhe auch nur einzelne Grundrechte entziehen und dies außerdem zeitlich befristen, jedoch auf mindestens ein Jahr.

Die Petition wurde bereits vor zwei Monaten gestartet. Nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens von Rechtsextremisten mit einigen AfD-Funktionären und auch CDU-Mitgliedern hat der Zuspruch in den vergangenen Tagen stark zugenommen.

Der Linkenpolitiker Dietmar Bartsch rief zur Unterzeichnung der Petition auf, verlangte von den Parteien aber eine politische Auseinandersetzung. „Diese Petition aus der Mitte der Gesellschaft ist begrüßens- und unterstützenswert, und ich wünsche mir, dass viele Bürger diese unterzeichnen“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er habe sie aber nicht unterschrieben, denn: „Wir Politiker müssen die politische Auseinandersetzung führen.“

736 Kommentare

?
ED

Eddie_Dean

Sofort Unterschrieben!

d

deLinhuberin

Es führt kein Weg an einem Verbotsantrag gegen die AfD gesamt vorbei. Selbst wenn Höcke das passive Wahlrecht entzogen würde – er darf weiter Reden schwingen und wird weiter die AfD maßgeblich beeinflussen. Dann stellt er sich halt hin und empfiehlt einen Strohmann zur Wahl, von dem alle wissen, dass er (vermutlich keine sie …) tut was Höcke will.

Die wehrhafte Demokratie muss den Antidemokraten gesamt entgegentreten und aufhören, sie mit staatlicher Finanzierung, Abgeordnetenrechten und Reichweite zu alimentieren.

Und zwar bald, bevor das braune Pack in die Situation kommt, die Justiz zu beeinflussen. Ging bis jetzt deutlich schneller als alle noch vor ein oder zwei Jahren befürchtet hätten.

Z

Zantoris

Nach den landesweiten Protesten gegen die AfD stimmt bis das wirklich positiv. Die Zivilgesellschaft muss ein klares Signal an die AfD senden. Rechtsextreme Umtriebe finden in diesem Land keine Mehrheit.

MO

Machet Otze

Das ist richtig und wichtig und ich erwarte von der Bundesregierung, dass ein entsprechender Antrag gestellt wird, anstatt aus Angst vor der Reaktion den Schwanz einzuziehen. Das Risiko ist ungleich geringer als ein Parteiverbotsverfahren. Der Rechtsstaat muss sich gegenüber den Verfassungsfeinden endlich als wehrhaft erweisen, anstatt es zuzulassen, dass diese den Staat auf legalem Wege kapern.

Avatarbild von Haliflor

Haliflor

Bürgerrechtlich bedenklich, verfassungsstaatsrechtlich widersprüchlich. Und wie wirkt es sich aus, wenn, was nicht unwahrscheinlich ist, das Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Grundrechtsverwirkung ablehnt?

2

21mal2

Art 20 Absatz 4 GG

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Programmbeschwerde gegen die Sendung „ZDF Magazin Royale“ vom 08.09.2023
Sehr geehrte Damen und Herren,
als „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“
Mitglieder:
Frau Bundesministerin a.D. Christine Bergmann
Frau Prof.in Dr. Silke Birgitta Gahleitner
Frau Prof.in Dr. Julia Gebrande
Frau Prof.in Dr. Barbara Kavemann
Herr Matthias Katsch
Herr Prof. Dr. Heiner Keupp
Herr Prof. Dr. Stephan Rixen
erheben wir
Programmbeschwerde
gegen die Sendung
„Rituelle Gewalt“ im „ZDF Magazin Royale“ mit Herrn Jan Böhmermann am 08.09.2023

 

(mehr …)

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Das Jahr, das genau da weitermacht, wo das alte aufgehört hat: Elend, Missstand, Jahrhundertprobleme. Wen das nicht zerrüttet, der ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ein in Japan sogenannter „Geistesjapaner“. Diese Menschen haben sich die Letztfrage ans Dasein mithilfe einer gerade wieder entdeckten, uralten japanischen Technik beantwortet und werden – wovon sie ausgehen – voraussichtlich hundert Jahre alt. Zumindest- Mit Ikigai (生き甲斐).
Was nun aber verbirgt sich hinter diesem – leicht eckigen, aber alles ins Reine bringenden Wort Ikigai (生き甲斐)?
«Iki» steht für Leben, «gai» für Wert. Zusammen ergibt Ikigai «wofür es sich zu leben lohnt», «wofür du morgens aufstehst», kurz: den Sinn des Lebens. Dass ausgerechnet Japan uns helfen kann, dieses Excalibur-Schwert aller Fragen zur menschlichen Existenz aus dem Stein zu ziehen, verwundert nicht. In der Vergangenheit griff Nippon uns schliesslich schon in zahlreichen anderen Lebensbereichen unter die Arme.

Bogenschiessen und Beten hat uns erst Zen richtig gelehrt, Aufräumen Marie Kondo, kaputtes Porzellan mithilfe von Pulvergold kleben Kintsugi. Vintage schätzen wir erst seit Wabisabi auf korrekte Art und Weise, und wie man richtig im Wald spazieren und baden geht, lehrte uns Shinrin Yoku. Wenn sich nun herausstellt, dass die Japaner die ganze Zeit über auch noch den Sinn des Lebens gekannt haben, überrascht das auf Anhieb erst einmal nicht.

Die genaue Anleitung zum Ikigai werden einige seit Weihnachten auf dem Nachttisch liegen haben. Von Ikigai-Büchern gibt es mittlerweile Wagenladungen: «How to Ikigai», «How to Find Your Ikigai», «The Most Practical Way of Ikigai». Die 2016 erschienene, millionenfach verkaufte und in 63 Sprachen übersetzte Urlektüre heisst «Ikigai. The Japanese Secret to a Long and Happy Life». Dieses Traktat stammt nun nicht aus der Feder eines berühmten Sensei. Vielmehr hatten Francesc Miralles, ein katalanischer Journalist, und Héctor García, ein spanischer Software-Entwickler, die Idee zum Buch in einer Kneipe. Schon reiste man auf der Suche nach dem «existenziellen Kraftstoff des Lebens» nach Okinawa, jener Insel, auf der – wie gesagt wird –  die meisten Hundertjährigen der Welt leben.
Im Dörfchen Ogimi stiessen sie auf «lachende und scherzende Menschen, die am Fusse dicht bewaldeter, üppig grüner Berghänge leben», «eine ganz eigene, uralte Sprache» sprechen und Sanpincha-Tee trinken. Das Geheimnis ihrer Hundertjährigkeit lüften sie auf 122 Seiten: Gärtnern, Freunde, Enkel. Damit unterscheiden sich die japanischen Senioren eigentlich nicht von allen anderen weltweit. Kompliziert macht die Sache jedoch ein Schaubild, das sogar die Regierung von Japan auf ihrer Website präsentiert.

Es zeigt die olympischen Ringe als Origami, allerhand Kreise, die Schnittmengen bilden zwischen «Was du liebst», «Worin du gut bist», «Was die Welt braucht» und «Wofür man dich bezahlen kann». Überschneiden sich nur zwei oder drei Kreise, hat derjenige sein Ikigai noch nicht entdeckt. Dann gilt es beispielsweise, das Hobby zum Beruf zu machen. «Geld spielt keine Rolle, es muss nur zum Leben reichen.» Reicht Kraniche falten nicht zum Leben, soll man «Meisterschaft darin erlangen» und erst einmal in Teilzeit anfangen. Am wichtigsten sei sowieso «Zeitwohlstand». Erst wenn alle vier Kreise sich mittig treffen, ist der Sinn des Lebens hergestellt, das Ikigai erlangt und mit ihm «alles Notwendige für einen langen, glücklichen Lebensweg».

2020 legte erstmals – und singulär bis heute – ein echter Japaner nach: Ken Mogis Bestseller «Ikigai. Die japanische Lebenskunst» steht auf Amazon immer noch auf Platz 1 in der Sparte Selbstmanagement. Der Neurowissenschafter erläutert darin die «fünf Säulen des Ikigai»: 1. Fange klein an, mit einem guten Moment pro Tag, etwa einer Tasse Tee. 2. Lerne loszulassen, vergiss Status und Geld. 3. Lebe in Harmonie und Nachhaltigkeit! 4. Freue dich an den kleinen Dingen, etwa an Vögeln. 5. Sei ganz im Hier und Jetzt. Als Vorbilder nennt er Obstbauern und über neunzigjährige Sushi-Meister.

Mogis fünf Säulen sind von derart offensichtlicher, fast an Niederträchtigkeit grenzender Allgemeinheit, dass jeder halbwegs kritische Geist sich fragt: Ist das alles, was die berühmte japanische Lebensweisheit kann? Rückzug ins Unpolitische, Spatzen füttern, arm werden und Tee trinken? Mit solcher Meisterschaft sollte es nicht einmal für Teilzeit reichen!

Es ist ja nicht so, als hätte unsere griechisch-humanistische Tradition zum Sinn des Lebens gar nichts zu sagen. Wir haben Eudaimonia, Nietzsche, Sartre, sogar Inseln, die behaupten, die meisten Hundertjährigen am Leben zu erhalten, Ikaria in Griechenland, Sardinien in Italien, die kalifornische Stadt Loma Linda in den USA. Deren Geheimnisse interessieren im Westen aber niemanden. Lieber lässt man sich in TEDx-Talks den Sinn des Lebens von japanophilen Tech-Esoterikern erklären und stellt einen ganzen Berufszweig triefend lebenszufriedener Ikigia-Coaches in Lohn und Brot. Und das nicht erst seit Ikigai. Denn die kritiklose Aneignung angeblich uralter japanischer Traditionen ist tatsächlich unsere eigene, ganz und gar europäische Tradition.

Von dem Augenblick an, als Japan sich der Welt 1853 nach 200 Jahren Abschottung während der Shogun-Herrschaft öffnete, waren wir da – und entzückt. Von den Geishas mit den kleinen Füsschen, dem niedlichen Puppen-Essen, Botanik und Kunsthandwerk, das seinen Weg sogleich in die Pariser Weltausstellung fand. Angeheizt von Reiseberichten eines Pierre Loti, der seine gequälte Fin-de-Siècle-Seele an Japan erlabte, verfestigte sich der Eindruck des Landes als einzige «Madame Butterfly»-Oper.

Als die Inselgruppe in Lichtgeschwindigkeit den technologischen Fortschritt des Westens adaptierte und plötzlich Wirtschaftsmacht war, war das Japanbild perfekt: Eine Nation, die geschlossen Derartiges vermag, ohne seine Traditionen aufzugeben, galt und gilt in den Industrieländern der nördlichen Welthalbkugel als «aufsteigender Stern der menschlichen Selbstbeherrschung und Erleuchtung» (Beatrice Wenn, 1904 über Japan).

Ikigai ist keineswegs uralt – die erste Ratgeberschwemme kam erst in den Sechzigerjahren auf.

Seitdem ist Nippon ein Bildnis mit Kirschzweig für uns, eine Traumfigur, ein europäisches Trostbild. Und darauf beharren wir. Empirische Realität perlt vollständig ab. Etwa die Tatsache, dass Japan mit seinen Hundertjährigen in einem Ausmass vergreist, dass alles auf eine Katastrophe zuläuft. Die Altersarmut führt zu Seniorenkriminalität, die bereits 16 Prozent der polizeilichen Ermittlungen ausmacht. Die Selbstmordrate schon unter Kindern und Jugendlichen ist eine der höchsten weltweit. Niemand wagt es noch, sich fortzupflanzen.

Für «Zeitwohlstand» gibt es in der Arbeitsgesellschaft Japans wahrscheinlich kein Wort, dafür für den Tod durch Überarbeitung (Karoshi). Die Regierung ist korrupt, die Mittelschicht bricht zusammen, Ken Mogi ist kein Neurowissenschafter, er hat Physik und Jura studiert, laut der «Japan Times» hinterzog er 2009 eine Million Dollar Steuern, und Ikigai ist nicht uralt. Laut dem Japanologen Christian Tagsold von der Uni Düsseldorf kam der Begriff erst in den 1960er Jahren auf. Eine entsprechende Ratgeberschwemme sollte damals jene trösten, die nach der Abwanderung vom Land in die Städte keinen Sinn mehr im Leben sahen.

Ans Äusserste geht der Wille zur Japanverklärung bei der Insel der Hundertjährigen Okinawa. Am Fusse dicht bewaldeter Berghänge befindet sich hier gegen den Willen grosser Teile der Bevölkerung der grösste US-Militärstützpunkt Asiens mit 30000 Mann und 70000 Starts und Landungen pro Jahr. Zuvor hatten die USA 1945 hier 94000 Insulaner niedergemetzelt. Anschliessend die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. «Statt Groll zu hegen», so die Ikigai-Autoren García und Miralles, hielten es die Insulaner aber mit dem Sprichwort «Ichariba chode» – behandle alle Menschen wie Brüder, selbst wenn du ihnen zum ersten Mal begegnest.

Japanische Lebensweisheit ist, dem nicht zu widersprechen. Wenigstens eins läuft von allein: die Imagepflege …

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Maximilian Krah Mitglied des Bundesvorstands der AfD und Spitzenkandidat für die Europawahl 2024 macht sich Sorgen um Deutschland:  Die Einführung der Homo-Ehe, die Erosion der Geschlechterrollen, die Infragestellung der traditionellen Familie und ein seit Jahrzehnten sinkender Testosteronspiegel haben seiner Einschätzung nach dazu geführt, „dass ein knappes Drittel der jungen Männer vom Sexualleben ausgeschlossen ist“. Das schreibt er in seinem Buch „Politik von rechts“.

Rechte Politik, so ist der Titel des in Götz Kubitscheks Verlag Antaios erschienenen Werkes zu verstehen, soll sich von konservativer Politik unterscheiden. Dicht gestreute philosophische und historische Verweise machen den Ehrgeiz des Verfassers deutlich, Alexander Gauland als Chefintellektuellen der Partei zu beerben. Gauland hat zu Krahs Buch das Vorwort beigesteuert, in dem er dem 1977 geborenen Rechtsanwalt bescheinigt, nichts weniger ausformuliert zu haben als „eine Raison d’être“ der AfD, auch wenn er zugleich Vorbehalte gegen den Begriff „rechts“ anmeldet. Aber genau auf dieser Richtungsangabe beharrt Krah, der von 1996 bis 2016 Mitglied der CDU war. Er grenzt sich nicht nur vom „Mainstream-Konservatismus“ eines Armin Laschet ab, sondern auch von den „Liberal-Konservativen“, die aus seiner Sicht einem absoluten Freiheitsbegriff anhängen und die individuelle Freiheit verabsolutieren.

„Politik von rechts“ dagegen geht von der „Idee eines großen Ganzen“, von einer „natürlichen Ordnung“ und von den Kräften der Natur, der Biologie, der Gemeinschaft, von Volk, Familie und Mutterschaft aus und misst – in Fortschreibung eines Schlagwort-Platonismus, den der Sloterdijk-Schüler Marc Jongen in der AfD eingeführt hat – auch „Thymos“ und „Mythos“, also dem Gemüts- und Seelenleben sowie identitätsstiftenden Narrativen eine große Bedeutung zu. Das klingt nach werteorientierter Politik unter anderen Vorzeichen.

Assoziationen mit nationalsozialistischen Denkern 

Familie, Volk und Gemeinschaft stehen bei Krah für Homogenität, Kollektivität, Vertrauen, Ehrlichkeit und Rechtstreue. „Volk ist Schicksal“, behauptet Krah, und „der Kampf um die Familie entscheidet alles“. Die Begrifflichkeit erinnert an das 1932 erschienene Buch „Volk als Schicksal und Aufgabe“ von Ernst Krieck, einem der Hauptvertreter nationalsozialistischer Pädagogik. Wie Krieck Gemeinschaft und Volk gegen Liberalismus, Individualismus und Pazifismus ins Feld führte, so ist für Krah die „liberale Entgrenzung durch Partikularinteressen“ der Gegenpol zum „Volk als Schicksalsgemeinschaft“. Der Fortbestand des Volkes in Krahs Verstande wird nicht nur durch kulturelle Tendenzen ­bedroht wie die „Verneinung von Männlichkeit“ bei Gegnern der traditionellen Familie, sondern auch durch eine fatale Naturtatsachenentwicklung: eben den beständig sinkenden Testosteronspiegel.

Nun ist Krahs Buch ein politisches „Manifest“, wie der Untertitel verkündet, und keine wissenschaftliche Abhandlung. Aber es beruht auf explizit philosophischen und implizit historischen Annahmen, denen mit den Verweisen auf „natürliche Ordnungen“ und auf biologische Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklung zeitlose Allgemeingültigkeit unterstellt wird. Und man kann Krahs Narrativ am historischen Wissen überprüfen. Denn tatsächlich lässt sich über einen langen Zeitraum – bereits seit dem Mittelalter – ein Sinken des Testosteronspiegels bei Männern beobachten. Das aber ist, so zeigte jüngst Joseph Henrich, Professor am Department of Human Evolutionary Biology der Harvard-Universität, in seinem fast gleichzeitig mit Krahs Kampfschrift bei Suhrkamp erschienenen Buch „Die seltsamsten Menschen der Welt“, nicht zuletzt das Ergebnis der christlich motivierten Stärkung der monogamen Ehe im lateinischen Westen, dessen Besonderheit Henrich mit seiner evolutionsbiologisch informierten Kulturgeschichte erklären will.

Mit der Predigt der Monogamie verbanden sich die Ablehnung des Inzests und der Vetternehe, die Erschwerung der Scheidung und die Unterbindung von Sex außerhalb der Ehe. Der sinkende Testosteronspiegel, so Henrichs Pointe, führte zu einer unbeabsichtigten Zähmung der Männer, zu geringerer Impulsivität und Risikofreudigkeit, aber auch zu größerer Kooperationsbereitschaft und zu geringerer Kriminalität und damit zu Charaktereigenschaften oder Sozialprofilmerkmalen, die man auch als Zivilisationsfortschritte bezeichnen kann. Möchte die AfD diese Entwicklungen rückgängig machen?

Wachsender Individualismus durch Aufbrechen traditioneller Muster

Auch was Krahs überschwängliche Betonung der Familie anbelangt, an der sich vermeintlich „alles entscheidet“, liefern die Daten und Argumente Henrichs Gründe für abweichende Wertungen. Nicht die traditionelle Familie, deren Übereinstimmung und Zusammenhalt stellten in langfristiger Betrachtung des europäischen oder westlichen Weges die Grundlagen für ein produktives gesellschaftliches Zusammenleben bereit. Ganz im Gegenteil förderte die Auflösung der engen verwandtschaftsbasierten Beziehungen, die Befreiung von familiären Pflichten und Abhängigkeiten, eine größere Beziehungsfreiheit, die Ausbreitung freiwilliger Vereinigungen und Institutionen wie der Städte, Zünfte, Vereine, Gilden, Universitäten und später auch Unternehmen. Die Kehrseite der Medaille, das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, bildeten im weiteren historischen Verlauf der Kolonialismus und Imperialismus mit den bekannten Folgen.

Henrich spricht ausdrücklich von einer „Zerstörung der auf Verwandtschaft basierenden Institutionen“ als Voraussetzung für den Aufstieg des Westens. Und man könnte in Anlehnung an den österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter von einer kreativen kulturellen Zerstörung sprechen. An die Stelle verwandtschaftsbasierter Beziehungen und Netzwerke traten neue Verbindungen, Kontakte und Institutionen, wie sie auch in dem einflussreichen Buch der Ökonomen Daron Acemoğlu und James A. Robinson „Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut“ (deutsch 2013 bei Fischer) analysiert werden. Die „neuen Kombinationen“, um in der Sprache Schumpeters zu bleiben, zeichneten sich durch ein hohes Maß an Individualismus, durch Wettbewerb, aber auch durch Vertrauen und Fairness aus, auch und gerade gegenüber Dritten und Fremden.

Krah ignoriert historische Erkenntnisse 

Der Verfall der Familie setzte lange vor der Abwendung der CDU von der Familienpolitik Helmut Kohls ein, in der alteuropäischen Vorvergangenheit, die Politiker von rechts verklären, wenn die AfD ihre Parteistiftung unter das Patronat des Humanisten Erasmus von Rotterdam stellen. Jenseits der Familie entwickelten sich neue, auf unpersönlichen Verträgen und Vereinbarungen beruhende Marktkooperationen, die den Wohlstand des Westens dauerhaft vermehrten – ganz im Unterschied zu familien- oder clanorientierten Gemeinschaften, die auf traditionellen Sitten, Gebräuchen und engen zwischenmenschlichen Bindungen basierten, wie man sie in China noch bis ins neunzehnte Jahrhundert oder auch in Sizilien bis weit ins zwanzigste Jahrhundert beobachten kann. Hier liegen die Ursachen für die „Great Diver­gence“, die wirtschaftliche Auseinanderentwicklung zwischen Europa und anderen Teilen der Welt wie etwa China und Indien, welche im Zeitalter der Industrialisierung den Anschluss verloren, wie der amerikanische Wirtschaftshistoriker Kenneth Pomeranz eindrücklich aufgezeigt hat. Diesen Vorsprung des Westens erklärt die koloniale Ausbeutung eben nicht allein.

Man kann diese ökonomischen, wirtschaftshistorischen, soziologischen und anthropologischen Erkenntnisse ignorieren und stattdessen ein Idealbild „lokaler Gemeinschaften“ und „na­türlicher Solidaritätsmodelle der Familie“ zeichnen, und man kann daraus auch wirtschafts- und sozialpolitische Schlussfolgerungen ziehen und etwa den modernen Sozialstaat infrage stellen und stattdessen ein stärker familienorientiertes „natürliches Solidaritätsmodell“ fordern und dabei die „Familie als Solidargemeinschaft“ stärker in die Pflicht nehmen, wie Krah dies tut. Aber abgesehen davon, dass das Subsidiaritätsprinzip als Grundlage des bundesdeutschen Sozialstaats sowohl die Stärke als auch die Bedürftigkeit der Familien heute schon berücksichtigt, ist eine Politik von rechts, die sich gegen ein historisches Wissen über die in langen Prozessen gewachsenen Bedingungen sozialer Stabilität und Produktivität abschottet, nicht konservativ, sondern atavistisch – und vielleicht auch testosterongesteuert.

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Politikern und – mehr oder weniger  prominenten Menschen werden gerne erfundene Zitate in den Mund gelegt, die sich dann über Jahre im Netz verbreiten. Mit diesen Kniffen kommen Sie  – meist zumindest – den angeblichen Aussagen auf die Schliche.

 

(mehr …)

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren
„Konservative Revolution“ – dieser Sammelbegriff steht für die antiliberalen und antidemokratischen Strömungen in der Weimarer Republik. Diese Ideologien greift heute die „Neue Rechte“ wieder auf. Welche Köpfe nimmt sie sich zum Vorbild? Und wie ist das zu bewerten?
„Schnellroda ist längst zur Chiffre für diesen Geist geworden. Schnellroda ist der Knotenpunkt eines konservativ revolutionären Milieus, einer rechtsintellektuellen Szene. Schnellroda ist ein Beispiel, für das, was möglich ist…“
Konservativ revolutionär? Selbststilisierung in einem Werbevideo des Instituts für Staatspolitik in Schnellroda, Sachsen-Anhalt. Ein Art Schulungszentrum der „Neuen Rechte“, deren Kopf Götz Kubitschek hier von konservativ revolutionärem Milieu spricht. „Konservative Revolution“, ein Schlüsselbegriff der sogenannten Neuen Rechten. Er beschreibt, kurz gefasst, den Kanon radikalnationalistischer Intellektueller der Zwischenkriegszeit in Deutschland, auf die sich die Neue Rechte bezieht.
Weiß: „Die ‚Konservative Revolution‘ als solche gab es aber gar nicht. Sie ist eine Konstruktion, die der Schweizer Autor Armin Mohler direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen hat, um gewissermaßen den Theoriekanon der deutschen Rechten wiederzubeleben, unter Umgehung – zumindest vorgeblicher Umgehung – des Nationalsozialismus.“
Die „Konservative Revolution“ ist erfunden worden, um eine rechte Theorielinie jenseits des Nationalsozialismus in die heutige Bundesrepublik zu retten? Klingt steil, diese These. Doch selbst, wenn man in den Schriften der Neuen Rechten selbst nachliest, findet man diese Erklärung. Wenn auch etwas hübscher verpackt: Ein „Syntagma“ von Armin Mohler, also ein Art zusammengesetzter Sammelbegriff, nennt etwa Karlheinz Weißmann die „Konservative Revolution“ in einem Sammelband zum Thema. Weißmann ist Mitbegründer des Instituts für Staatspolitik, Autor rechter Publikationen wie der „Jungen Freiheit“ und „Sezession.
Zitator: Mohler wollte die Konservative Revolution dabei deutlich von der älteren ‚Reaktion‘ getrennt wissen. Das heißt, als konservativ-revolutionär konnten nur solche einzelnen oder Gruppen gelten, die nicht daran dachten, irgendein Ancien régime wiederherzustellen. Ihnen gemeinsam war das Wissen, dass es kein Zurück gibt, und der Widerwille gegen die sentimentale Bindung an das Vergangene.
Weiß: „Konservative Revolution ist insofern ein Widerspruch. Das Konservative wird ja immer mit dem Bewahrenden verbunden, was bleiben soll. Die Revolution ist immer das Dynamische, Verändernde. Das war ein bewusstes Spiel von Armin Mohler, weil er tatsächlich Autoren gesucht hat, die in den 20er Jahren versucht haben, die rechte Debatte zu beschleunigen, mit einer größeren Dynamik zu versehen, sie wirklich revolutionär zu machen.“

„Konservative Revolution“ als Widerspruch und Konstrukt

Auch wenn die konservative Revolution ein nachträgliches Konstrukt ist: Es gibt diese Intellektuellen, auf die sich die „Neue Rechte“ bezieht. Der Schriftsteller Ernst Jünger, der Geschichtsphilosoph Oswald Spengler und der Staatsrechtler Carl Schmitt sind die bekanntesten, daneben der Publizist Arthur Moeller van den Bruck und der Politiker Edgar Julius Jung. Obwohl es innerhalb des konservativ-revolutionären Kanons große inhaltliche Unterschiede gibt, lässt sich ein gemeinsamer Kern erkennen.
Weiß: „Verbindend ist das strikt Antidemokratische, Antirepublikanische, das Antiliberale. Die berüchtigte Parole Arthur Moeller van den Brucks lautete: ‚An Liberalismus gehen die Völker zu Grunde.‘
Der Liberalismus wird immer verbunden mit Gleichmacherei, mit Dekadenz. Es gibt natürlich einen sehr, sehr starken nationalen Impuls, in den meisten Fällen: völkisch-nationalistisch. Die Nation wird also ethnisch aus Blut, Boden und Geist extrahiert, also ein völkisch aufgeladener Begriff der Kulturnation. Es gibt immer wieder Rückbesinnung auf das Mythische, auf das Überhistorische, auf das Anti-Rationale – und das sind ganz zentrale Elemente.“
Radikal antiliberal, antiunversalistisch, gegen den Westen, die Werte von 1789.
Was aber machten diese Reaktionäre
und Nationalisten anders als „die alte Rechte“?
Zum einen ihre Radikalität. Zum anderen die Tatsache, dass sie die Moderne akzeptierten, teilweise auch – in Technik, Wissenschaft und Industrie – bejahten, im Wissen, dass es kein einfaches Zurück geben kann. Ihre Vorstellungen eine radikal anderen Gesellschaft, einer antiliberalen, völkisch-nationalistischen Gesellschaft können sie nur erreichen, indem sie die bestehende moderne Gesellschaft verändern.
Der Schweizer Publizist Armin Mohler schrieb, dass „heute die Konservativen die unzufriedene, auf Veränderung bedachte politische Schicht sind“.
Das klingt schon fast nach einem klassischen Vorwurf einer von den 68ern geprägten, links-liberal dominierten Gesellschaft. Auf rebellisches Opponententum können sich offenbar auch Konservative zurückziehen.

Eindeutige Linie personeller Kontinuität

Die „Neue Rechte“ von heute bezieht sich auf die „konservative Revolution“ von damals – und erstaunlich eindeutig lässt sich eine Linie personeller Kontinuität ziehen.
Weiß: „Armin Mohler war Privatsekretär von Ernst Jünger und Ernst Jünger gehörte eben genau in jenen Kanon den Armin Mohler da zusammenstellte und er ist natürlich eine Schlüsselfigur im ‚heroischen Nationalismus‘. Und dieser Armin Mohler ist wiederum der persönliche Lehrer von Karlheinz Weißmann, einem sehr zentralen Autor der Jungen Freiheit, und andrerseits von Götz Kubitschek, der das Institut für Staatspolitik betreibt, das er mit Karlheinz Weißmann begründet hat. Tja, und der jetzt tatsächlich bei PEGIDA, LEGIDA auf der Bühne aufgetaucht ist, sondern auch direkten Umgang pflegt mit Björn Höcke von der AfD beispielsweise.“
Der AfD-Politiker Alexander Gauland ist bekennender Leser der „Sezession“,
einer Zeitschrift des Instituts für Staatspolitik
Die Angst vor einer Entfremdung des Volkes von seinen kulturellen Wurzeln, Gemeinschaft statt Gesellschaft, eine ursprüngliche, homogene Kultur statt künstlicher, vielfältiger Zivilisation, Ablehnung von Individualismus und Liberalismus, Antiamerikanismus, ein überhistorisches Staatsverständnis – das sind die Denkfiguren, die die Neuen Rechten bei den Radikalnationalisten der 1920er Jahre suchten . und gefunden haben.
Hinzu kommen zwei weitere Elemente: die Vorstellung von „Metapolitik“. Die Kultur wird als „vorpolitischer Raum“ schon als Kampffeld um die politische Vorherrschaft verstanden. Außerdem spielt, mit Begriffen wie „Tat“ und „Entscheidung“ das Heroische und Militärische nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle, mein der Historiker Volker Weiß. Trotzdem solle man die selbsternannte „Neuer Rechte“ nicht überschätzen.
Weiß: „Man darf jetzt nicht den Fehler machen zu glauben, Pegida sei ein Produkt der Neuen Rechten. Es ist umgedreht. Strömungen wie die Sezession, das Institut für Staatspolitik, die Junge Freiheit sind auf die Massenbewegung Pegida und teilweise AfD aufgesprungen, man hat sich angedient. Ich denke der wesentliche Punkt sind da nicht die Arbeit des Instituts für Staatspolitik oder die Junge Freiheit gewesen, der wesentliche Katalysator dafür war Thilo Sarazzin.“
Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Als die DDR das „Kennzeichen D“ abschaffte

Hin und wiedrig schauen wir auf Schlagzeilen, die von den beiden deutschen Ataaten produziert worden waren  und berichtet, was weiter geschah. Heute: Wie die SED am 1. Januar 1974 eine der letzten staatlichen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland West und Deutschland Ost kappte.

(mehr …)

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht ist gerade die jüngste Partei Deutschlands geworden. Viele Parteigründungen hat die Bundesrepublik in ihrer 75‑jährigen Geschichte (über)erlebt. Jenseits der etablierten Parteien verschwanden die meisten wieder. Nur ein gutes Dutzend Kleinstparteien sorgte zumindest vorübergehend für Aufsehen. Jenseits einer richtungspolitischen Bewertung sind Parteigründungen zunächst einmal Symptome einer funktionierenden Demokratie, denn diese lebt von Veränderungen und von der politischen Teilhabe breiter gesellschaftlicher Schichten.

 

(mehr …)

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

« Vorherige SeiteNächste Seite »