
„Er wird nicht lange Präsident bleiben und seine Macht verlieren. Der Prozess der Umgestaltung des politischen Systems in Russland wird definitiv beginnen, wenn Russland auf dem Schlachtfeld spürbare taktische Niederlagen erleidet
„Er wird nicht lange Präsident bleiben und seine Macht verlieren. Der Prozess der Umgestaltung des politischen Systems in Russland wird definitiv beginnen, wenn Russland auf dem Schlachtfeld spürbare taktische Niederlagen erleidet
Mehr als 26 Prozent der Wählerstimmen, in manchen Städten und Landkreisen sogar deutlich über 30 Prozent: Bei den Kommunalwahlen in Thüringen hätte die AfD ohne die Skandale der letzten Monate vielleicht sogar noch besser abgeschnitten. Aber auch so ist es ihr gelungen, auf Augenhöhe mit der CDU zu gelangen. Die großen Verlierer sind alle drei Ampelparteien. Der Historiker Michael Kurlbau jedenfalls resümiert: Die AfD hat sich fest im Parteienspektrum etabliert.
Um Grassierendem Antisemitismus entgegenzuwirken, werden vermehrte Schulfahrten zu früheren Vernichtungslagern empfohlen. Der Der Rundschau Forderung: Statt sich mit dem vernichteten Judentum Europas zu beschäftigen, sollten Schüler und Studentenlieber das lebendige Judentum in Israel erleben. Der Rundschau Forderung .
Man sollte die Reise aber rasch buchen, solange noch Geld da ist. Der Industrie- und Handelskammertag bescheinigt Deutschland den Zerfall seiner Industrie und damit der Grundlage des Wohlstands. Währenddessen offenbart der Wirtschaftsminister, dass seine Politik darin besteht, die Belastungsgrenzen der Deutschen zu testen. Wir möchte dies so auf den Punkt bringen: Die Industrie erodiert. Der Minister testet …
Dass die Politik der Grünen ein großes Gesellschaftsexperiment mit offenem Ausgang ist, wurde jetzt also von Habeck bestätigt und ist somit keine Verschwörungstheorie mehr. Ein paar andere „Verschwörungstheorien“ – etwa die zum Ursprung des Coronavirus – warten indes noch auf ihre offizielle Bestätigung. Eine Aufarbeitung der Corona-Zeit wird hierzulande leider nicht ernsthaft betrieben. In den USA und Großbritannien hingegen finden Untersuchungsausschüsse heraus, dass vieles, was die Labortheorie, Gain-of-function-Forschung oder Interessenkonflikte betrifft, eben doch keine Verschwörungstheorie war. Der Physiker Roland Wiesendanger ist vorsichtig optimistisch: Das Lügengebäude bröckelt.
Zum Schluss noch etwas Staatstragendes
Heute hat der französische Präsident Emmanuel Macron den Westfälischen Friedenspreis erhalten. Nur in der EU könne Frankreich souverän bleiben, argumentiert Macron. Doch ausgerechnet in Paris redet der Begriff der Souveränität einem erstarkenden Nationalismus das Wort. , Pofessor Dlemens Puppe – unser Frankreich-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik, meint: Die Geister, die er rief, wird Macron nicht mehr los.
Die Bundesregierung gibt den Einsatz deutscher Waffen gegen Ziele in Russland frei. Wie es dazu kam und wie gefährlich Moskaus Reaktion ist: Experten ordnen ein.
Die Ukraine darf mit deutschen Waffen begrenzt russische Stellungen in Russland angreifen. Die Entscheidung soll die brenzlige Lage in Charkiw stabilisieren. 31.05.2024 | 1:50 min
Was bedeutet die Entscheidung für die Ukraine?
Zudem könne die Ukraine unter Einsatz westlicher Waffen die Vorbereitung Russlands auf eine weitere Offensive stören sowie die Angriffsbasis, von der beispielsweise die Luftschläge auf Charkiw ausgehen, angreifen, so Gressel.
All das macht natürlich die grenznahe Verteidigung viel leichter.
Gustav Gressel, Militärexperte
Die Entscheidung, dass Deutschland seine gelieferten Waffen auch für Angriffe auf russische Gebiete freigibt, sei vor „allem für die Öffentlichkeit überraschend“, erklärt ZDF-Nato-Korrespondent Neuhann – „hinter den Kulissen ist das in der Tat länger besprochen und auch vorbereitet worden“.
Die Entscheidung aus Berlin wurde auf der NATO-Außenministertagung in Prag heiß diskutiert. Wie die NATO-Mitglieder reagiert haben, weiß ZDF-Korrespondent Florian Neuhann.31.05.2024 | 1:05 min
Die Kommunikation der deutschen Bundesregierung habe dabei auch auf internationaler Ebene für Verwirrung gesorgt. Schon am Dienstag habe der französische Präsident Emmanuel Macron für die Freigabe geworben: Dort habe Bundeskanzler Olaf Scholz vorsichtige Zustimmung signalisiert, von der man jedoch anschließend in Berlin wieder zurückgerudert sei, so Neuhann. „Diese Kommunikation ist in der Tat unglücklich.“
„Denn wie immer in der Nato geben die USA als wichtigstes Mitgliedsland, als wichtigster Waffenlieferant der Ukraine, den Ton vor. Und wenn die USA jetzt mit ihrer militärischen Stärke ihr ‚Okay‘ geben, dann ist es auch für die Deutschen ’safe‘, sich dort anzuschließen.“
Florian Neuhann, ZDF-Nato-Korrespondent
Ex-US-General zu Ukraine: Ziel sollte sein, „Russland zu besiegen“Moskau kündigt nach der Freigabe westlicher Waffen gegen russische Ziele eine asymmetrische Antwort an. Die ZDF-Korrespondenten Florian Neuhann und Armin Coerper ordnen ein.31.05.2024 | 5:30 min
Insgesamt sagt Moskau, man wolle darauf asymmetrisch antworten – das heißt, mit anderen Mitteln gegen andere Ziele als die Gegenseite. Das kann man durchaus als Nukleardrohung verstehen.
Armin Coerper, ZDF-Korrespondent in Moskau
Die Bundesregierung erlaubt der Ukraine, von Deutschland gelieferte Waffen gegen militärische Ziele in Russland einzusetzen. Armin Coerper und Daniel Pontzen berichten.31.05.2024 | 2:00 min
Insofern reagiert man betont gelassen.
Florian Neuhann, ZDF-Nato-Korrespondent
Für 300 einzelne Einstellungen wurden die originalen Farben der Uniformen, der Waffen und des militärischen Geräts bestimmt. Dazu kamen genaue Informationen etwa über Wetter, Sonnenstand und Gezeiten am 6. Juni 1944. Auch als Experte kann man nicht erkennen, dass das Ausgangsmaterial schwarz-weiß ist.
Das originale Farbmaterial, das David T. Ruley vor dem, am und nach dem D-Day drehte, spielte in der Berichterstattung über den D-Day in den Tagen und Wochen nach der Invasion keine Rolle – anders als die ikonischen Bilder von John Ford.
Dafür gab es technische Gründe: Offenbar konnten die Denham Studios die Farbfilme nicht entwickeln, und so mussten die Rollen ins Kopierwerk von Kodak nach London geschickt werden.
In Hollywood ist der 50 Jahre alte John Ford bereits eine Legende, als er am 10. April 1944 einen besonderen Auftrag übernimmt. Seit Jahren arbeitet er für den amerikanischen Geheimdienst OSS und dreht preisgekrönte Dokumentarfilme über Pearl Harbor, den Krieg im Pazifik und in Nordafrika . Jetzt soll er das größte amphibische Landungsunternehmen der Geschichte dokumentieren: die Invasion der Anti-Hitler-Koalition in der Normandie.
Für seine ARD-Dokumentation »24h D-Day« hat SPIEGEL-TV-Autor Michael Kloft alles verfügbare Filmmaterial gesichtet, das am 6. Juni 1944 entstanden ist. Die ausgewählten schwarz-weißen Filmaufnahmen von damals wurden hochauflösend abgetastet und in einem besonderen Verfahren Einstellung für Einstellung handkoloriert.
Im Frühling 1944 werden, so ist es geplant, 157.000 britische, amerikanische, kanadische, französische und Soldaten aus zwölf weiteren Ländern an der nördlichen Küste des von Nazideutschland besetzten Frankreichs landen. Der Angriff soll die deutschen Truppen überraschen und schwächen. Denn klappt die Invasion, müssen die Deutschen nicht mehr nur gegen den Vormarsch der Roten Armee im Osten kämpfen, sondern auch gegen jenen der westlichen Alliierten im Westen. So will man Hitler endlich besiegen.
Ford ist einer der wenigen Menschen, die den genauen Ort und die Planung des »D-Day« kennen, des Stichtags für die Invasion, der schließlich auf den 6. Juni fällt. Aufgrund seiner Spielfilme, Western mit John Wayne oder gesellschaftskritische Dramen mit Henry Fonda, gilt der knorrige Regisseur als Chronist des »amerikanischen Traums«. Seine wahre Größe liege in seiner Fähigkeit, sich mit guten Leuten zu umgeben, sagt Ford über sich selbst. Erst das mache seine Filme gut.
In England laufen die Planungen der Westalliierten zusammen. In den Denham Filmstudios nahe London bereitet auch Ford generalstabsmäßig den Einsatz für den D-Day vor. Er lässt 152 automatische Kameras in Landungsbooten anbringen, die den ersten Angriff festhalten sollen. Doch es fehlt ihm an qualifizierten Filmcrews und Technikern. Er bekommt 56 Kameraleute der US-Küstenwache, unter ihnen David T. Ruley, der vor allem in 16 mm Farbe dreht. In Crashkursen bringt Ford britischen und kanadischen Kameraleuten die Grundlagen der Kriegsberichterstattung bei. Das aber reicht ihm nicht – und so kontaktiert er schließlich einen zehn Jahre jüngeren Kollegen aus der Traumfabrik. Auch George Stevens ist als Regisseur erfolgreich, hat mit Katherine Hepburn, Fred Astaire und Ginger Rogers gedreht. Jetzt arbeitet er mit seinen Kamerateams für die U.S. Army und sagt auf Fords Anfrage hin sofort zu. Eigentlich wäre er am D-Day gar nicht zum Einsatz gekommen. Jetzt soll er sicherstellen, dass auch die Briten und Kanadier erfolgreich in Szene gesetzt werden.
Chaos bei Soldaten und Filmcrew
Die Invasion beginnt am 6. Juni 1944 um 6.30 Uhr. An Bord des Zerstörers USS »Plunkett« glaubt John Ford zunächst, dass alles nach Plan läuft. Doch das Gegenteil trifft zu: Vor allem am »Omaha Beach«, einem der über 70 Kilometer verteilten Strandabschnitte, an denen die alliierten Soldaten an Land gehen sollen, kommt es zu einem blutigen Gemetzel. Trotz alliierter Bombardements sind die deutschen Stellungen weitgehend intakt.
Der begnadete Geschichtenerzähler Ford schweigt zwanzig Jahre lang,
wenn er nach dem D-Day gefragt wird.
Offenbar will er sich nicht an die schrecklichen Details erinnern: Die von Kugeln und Granaten zerfetzten Körper, die Schreie der verwundeten Soldaten, das blutgetränkte Wasser. Seinen Teams, die auf 35 mm Schwarz-Weiß-Material filmen, hat er nur eine Regieanweisung gegeben: »Dreht einfach alles, was ihr seht« – und die haben die Männer offenbar befolgt. Es sind zutiefst verstörende Szenen. Am »Omaha Beach« ist das Chaos so groß, dass die Verantwortlichen nach zwei Stunden überlegen, den Angriff abzubrechen. Um 9.30 Uhr werden 3.000 Tote, Verwundete und Vermisste nach England gemeldet.
Auch Fords Operation läuft nicht glatt: Große Teile des Kameraequipments sind zerstört oder funktionieren nicht. Belichtetes Filmmaterial verbrennt, versinkt im Meer oder ist unbrauchbar, vergleichsweise wenig wird schließlich überhaupt verwertbar sein.
1964 berichtet Ford erstmals dem »American Legion Magazine« über seine Arbeit am D-Day – und bleibt vage: »Meine Erinnerungen sind wie Filmeinstellungen ohne Zusammenhang, Aufnahmen, die darauf warten, im Schneideraum zusammengesetzt zu werden.«
Konkret wird er nur selten, wenn er über die meist jungen Soldaten spricht, die am D-Day im Einsatz sind: »All diese seekranken Kids waren Helden. Ich habe zunächst wenige Tote und Verwundete gesehen und dachte noch, das ist ja seltsam. Später sah ich dann tote Körper im Wasser treiben.« Am Nachmittag geben schließlich auch die letzten deutschen Verteidiger am »Omaha Beach« auf.
Akkordarbeit am Schneidetisch
Auch der von John Ford angeworbene Kameramann der US-Küstenwache, David T. Ruley, wartet am Morgen des 6. Juni auf den Einsatz. Bei Sonnenaufgang ist er auf seiner Position am »Omaha Beach«. In seiner Kodak Cine-Special-Kamera hat er Kodachrome Filmmaterial für drei Minuten und eine zweite Rolle griffbereit, Farbfilm, der zu dieser Zeit bereits schwer zu bekommen ist.
Als der Sturm der Alliierten auf Hitlers »Festung Europa« beginnt, dreht Ruley unter Einsatz seines Lebens spektakuläre Aufnahmen im Sektor »Easy Red«, an dem die Landung in der Normandie zu scheitern droht.
In einem Interview für die Zeitschrift »Movie Makers« beschreibt er später, wie er die Invasion erlebte: »Diejenigen, die im Wasser waren, wurden von Maschinengewehren und leichter Artillerie beschossen, und viele von ihnen erreichten den Strand nicht. Ich weiß noch, dass ich gedreht habe, aber ich will mich nicht erinnern, was genau ich gedreht habe. Um die Kamera ruhigzuhalten, habe ich sie gegen einen Teil des Schiffs gelehnt, der als Deckung diente. Andere Male, wenn ich sie als Handkamera einsetzte, hielt ich meinen Atem für die Dauer der Aufnahme an. Als ich meine Kamera und meinen Kopf – oder zumindest so viel davon, wie nötig war, über das Geländer steckte, schien es mir, dass ich ein ausreichend großes Ziel für die gesamte deutsche Armee war.
Fords und Ruleys Mitstreiter George Stevens verbringt den D-Day zunächst an Bord des britischen Kreuzers HMS »Belfast«. Von hier aus drehen seine Teams alliierte Schiffe im Kampfeinsatz. Schließlich gehen sie am »Juno Beach« an Land. Auch hier sind Briten und Kanadier ins Kreuzfeuer der Deutschen geraten und haben hohe Verluste hinnehmen müssen. 800 Soldaten gelten hier als verwundet, tot oder vermisst.
Für Stevens beginnt jetzt die eigentliche Arbeit. Er wird die US-Truppen in der Normandie begleiten und schließlich die Befreiung von Paris drehen. Ford dagegen kehrt nach England zurück, um den Schnitt des Filmmaterials vom D-Day zu überwachen.
Am Nachmittag des 8. Juni 1944 erreichen die ersten Filmrollen das Kopierwerk der Denham Studios, das rund um die Uhr im Schichtbetrieb arbeitet. John Ford sitzt ständig im Schneideraum, um das Material zu sichten.
In nur drei Tagen entsteht aus dem Filmmaterial ein Zusammenschnitt von 38 Minuten. Am 12. Juni wird er in England den alliierten Militärbefehlshabern und Premierminister Winston Churchill gezeigt – unzensiert.
Auf brutale Szenen, die man dem heimischen Publikum nicht zumuten will, hat Ford in seinem Zusammenschnitt bewusst verzichtet. Seine spätere Erinnerung, die Zensur sei »gnadenlos« gewesen, lässt sich nicht bestätigen.
Es sei »die größte Schneidearbeit überhaupt gewesen«, behauptet er in seinem Interview von 1964, aufwendiger sogar als die Arbeit für den Historienfilm »Kleopatra«. Eine seiner vielen Übertreibungen. Fakt ist: Dem Hollywoodhaudegen blieb damals nicht viel Zeit. Zu groß ist der Druck von ganz oben, der Welt die ersten Aufnahmen von der erfolgreichen Landung der Alliierten zu präsentieren.
Eine Kopie des Films wird nach Washington geflogen und US-Präsident Franklin D. Roosevelt vorgeführt. Eine weitere Kopie bekommt der kanadische Premierminister. Dann verfügt die Zensur einige Kürzungen, die allerdings nur sensible Informationen über Waffensysteme betreffen.
Der in Kiew geborene Anatole Litvak, ein weiterer Hollywoodregisseur im Dienst des US-Kriegsministeriums, wird mit dieser Version zu Josef Stalin nach Moskau geschickt. Der Kremlherrscher soll mit eigenen Augen sehen, dass endlich die zweite Front in Westeuropa steht, die er schon lange gefordert hatte.
Wenig später schon zeigen Kino-Wochenschauen weltweit die von Ford ausgewählten Szenen und begründen den Mythos des D-Day.
Die schlimmsten Szenen sind wahrscheinlich vernichtet worden. Der Rest des Rohmaterials verschwand in staatlichen Archiven.
Dieses Material wurde jetzt für die Dokumentation »24 h D-Day« von SPIEGEL TV gesichtet und durch die britischen Spezialisten Eddy Strickland und William Drake aufwendig koloriert.
|
Zu rechts für die Rechten | |
![]() |
|
|
|
|
|
|
![]() |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
![]() |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
![]() |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
![]() |
|
|
|
|
|
|
|
Nur noch raus | |
![]() |
|
|
|
|
|
|
|
|
Was ist eine Meinung?Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
In dieser Woche wird unser Grundgesetz 75 Jahre alt. Unser Kolumnist widmet der Verfassung eine Festrede. Keine Sorge, es wird nicht salbungsvoll. Stattdessen gibt es Klartext zur Feierstunde.
Verehrte Damen, Herren und alle dazwischen, liebe Altdeutsche, liebe Neudeutsche, geschätzte Senioren und hallo Jugend! Unser Grundgesetz: Wir lieben es, alle loben es. Jedenfalls fast alle. Ein paar knurrige Alt-Sozis finden immer noch, wir hätten 1989/90, als die deutsche Einheit passierte, noch mal von vorne anfangen und eine ganz neue Verfassung schreiben sollen. Wahrscheinlich wäre die heute noch nicht fertig, so deutschgründlich wie wir politische Entscheidungen vorbereiten, ohne sie je zu treffen.
Aber damals haben die Ostdeutschen abgestimmt und entschieden: Wir sind dabei, genau bei diesem Grundgesetz. Das war gut so. Deshalb können wir jetzt gemeinsam den 75. feiern.
Wenn der Herr Bundespräsident, die Frau Bundestagspräsidentin und der Herr Bundeskanzler in diesen Tagen über das Grundgesetz reden, ist ganz viel von Freiheit die Rede, von Demokratie, von den Grundrechten, die jede und jeder von uns hat, weil es diese famose Verfassung gibt. Ja, das ist schön.
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die „Stuttgarter Zeitung“, die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“. Er ist Herausgeber von „Horizont“, einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei-tonline erscheint jeden Dienstag seine Kolumne „Elder Statesman“.
Aber, sehr geehrte Leser- und Userschaft, die Spitzen unseres Staates neigen auch dazu, die Sache etwas schönzureden. Lassen Sie uns deshalb hier, wo wir unter uns sind, offen reden. Sie werden sehen, es hapert an der einen oder anderen Stelle. Im Artikel 3 zum Beispiel heißt es in der unverschnörkelten Sprache von damals: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Das war 1949 eine Vision, keine Beschreibung der Realität. Ehemänner durften das Arbeitsverhältnis ihrer Frau kündigen, sie hatten die letzte Entscheidung in allen Eheangelegenheiten. Sein Name war der Familienname, basta. Erst 1996 (!) wurde die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt.
Und heute? Heute sind Frauen und Männer in rechtlicher Hinsicht gleichgestellt, insofern können wir einen Haken an den Artikel 3 machen. In rechtlicher Hinsicht! Im Alltagsleben gibt es aber noch Probleme, und zwar alte und neue.
Ein altes Problem: Frauen verdienen weniger als Männer. Auch, wenn sie denselben Job machen. Ob der „Gender Pay Gap“ nun 18 Prozent beträgt, wie das Statistische Bundesamt sagt, oder 6 Prozent, wie auch das Statistische Bundesamt sagt (einmal rechnet man so, einmal anders), spielt hier keine Rolle. Tatsache ist: Frauen werden oft schlechter bezahlt als Männer, trotz 75 Jahren Artikel 3. Wenn ich Bundespräsident von Deutschland wäre, würde ich Dax-Konzernen, den Hidden Champions im Mittelstand, unseren Handwerksbetrieben und der Start-up-Szene mal eine Ansage machen: Macht euch einen Plan, wie ihr das ändert. Fünf Jahre habt ihr noch Zeit, aber ich möchte zum 80. nicht noch mal darüber reden müssen.
Ein anderes altes Problem: Frauen leisten mehr Care-Arbeit, wie wir das familiäre Engagement neuerdings nennen. Und im Alter bekommen sie dann systematisch weniger Rente. Das passt nicht zum Grundgesetz. Ich vermute, über ein neueres Problem werden die Spitzen unseres Staates in den nächsten Tagen lieber schweigen.
Darüber zu reden könnte den festlichen Charakter des Jahrestags stören. Also, verehrte Neudeutsche, Noch-nicht-Deutsche und Menschen aller anderen Nationalitäten in unserem Land: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Sagen Sie doch bitte Ihren Jungs, dass die Lehrerin eine Respektsperson ist, deren Wort in der Schule gilt. Wenn am Krankenbett eine Ärztin erscheint, rufen Sie nicht nach einem Arzt. Bei uns sind nicht nur Männer Chefs. Ehefrauen und Töchter entscheiden selbst, was sie anziehen. Sie sind in das Land mit diesem wunderbaren Grundgesetz gekommen, das hat sicher seinen Grund. Frieden, Freiheit, Zukunft: Deutschland hat viel zu bieten.
Aber Deutschland kann auch anstrengend sein. Liebe Gläubige, liebe Ungläubige, die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Das steht im Grundgesetz, Artikel 4. So viele Länder gibt es gar nicht auf der Welt, in denen die Menschen selbst entscheiden können, ob sie in die Kirche gehen oder in die Moschee oder in die Synagoge, zu welchem Gott sie beten, ob ein Buddha sie erleuchtet oder ob spiritueller Schmuck aus dem peruanischen Hochland ihnen Kraft und Energie gibt.
Der berühmte Satz Winston Churchills wird gern bemüht, um Zweifel am Geltungsanspruch demokratischer Staaten beiseite zu wischen. Aber kein Staatswesen ist vollkommen, und eine Demokratie ist kein fester Zustand, der entweder gilt oder nicht gilt.