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Endkampf gegen die Realität

Er lebt in einer anderen Welt – das soll Angela Merkel wenige Tage nach der Angliederung der Krim 2014 in einem Telefonat mit Barack Obama über Wladimir Putin gesagt haben. Acht Jahre später führt letzterer einen offenen Krieg gegen die gesamte Ukraine, der bereits jetzt tausende Menschen in den Tod und über eine Million in die Flucht getrieben hat.

In einem wütenden und zugleich selbstkritischen Meinungsstück auf Meduza schreibt der Journalist Maxim Trudoljubow über eine Welt der Lüge, mit der Putin sich selbst und sein Land vergiftet habe und nun die Ukraine in eine Katastrophe stürzt.

Quelle

Meduza

Während all der Jahre unter Putin hat die russische Regierung einen erbitterten, aggressiven Kampf gegen die gesellschaftliche Realität geführt. Die politischen Verwaltungsbeamten (Verwalter, nicht Politiker, denn niemand hat sie gewählt) sind gegen jegliche Unabhängigkeit und jeglichen Aktivismus vorgegangen und haben Politiker und Journalisten mit einem eigenen Standpunkt aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Ihre Plätze wurden von Figuren eingenommen, deren Aufgabe darin bestand, Aktivität zu heucheln und den Schein zu wahren. Die Manager der Präsidialadministration haben dafür gesorgt, jede selbstorganisierte Partei, Gruppe und Struktur in künstliche, kontrollierte Zellen umzuwandeln.

Wie die Zerstörung der Gesellschaft zum Krieg führt

Alles Echte ist für andersartig, ausländisch, fremd, extremistisch und sogar „terroristisch“ erklärt worden. Erinnern wir uns an das Netzwerk, das Alexej Nawalny erschaffen hat – eine Organisation, die einen politischen, gewaltlosen Kampf gegen das Regime führte und aus diesem Grund für kriminell erklärt wurde.

Was die Zerstörung betrifft, waren die Erfolge der Manager beeindruckend. Zugegeben, doch wir sollten nicht vergessen, dass diese „Erfolge“ mithilfe von gezielten Morden, Repressionen und der Vertreibung von Menschen aus dem Land erzielt wurden. Gesichtslose Verwaltungsbeamte, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten unter der jeweiligen politischen Leitung im Kreml – Wladislaw Surkow, Wjatscheslaw Wolodin, Sergej Kirijenko – tätig waren, haben das Feld in enger Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten gesäubert. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind in der Tat erschreckend.

Denken wir an die inhaftierten Aktivisten. Denken wir an all jene, die das Land verlassen mussten, und an die, die ihre öffentliche Tätigkeit eingestellt haben, nachdem sie sämtliche mit ihr verbundenen Risiken nüchtern abgewägt hatten. Vergessen wir auch nicht die ermordeten Politiker, Journalisten und Bürgerrechtler, wer auch immer für ihren Tod unmittelbar verantwortlich sein mag.

Putins Verwalter wollten nicht nur die Zivilgesellschaft kontrollieren, sondern auch die Ergebnisse im Sport. Die Logik des fairen Wettbewerbs wurde untergraben: Der Leader glaubte offensichtlich nicht daran. Russische Sportler mussten um jeden Preis besser sein als alle anderen. Deshalb wurde der Wettkampf durch ein Dopingprogramm ersetzt, das dem Leader ein Bild von durchschlagendem Erfolg malen sollte. Bei den Olympischen Winterspielen 2014 ging es um das Projekt, garantiert zum Sieg zu gelangen. Die Steuerung der Spiele wurde schließlich von einem Überläufer aufgedeckt, von dem Ex-Leiter des Moskauer Antidopinglabors Grigori Rodtschenko. Dank ihm verfügen wir über ein detailliertes Bild dieser beschämenden Geschichte.

Etwas zu erschaffen ist mit kriminellen Methoden deutlich schwieriger als etwas zu zerstören

Etwas zu erschaffen ist mit kriminellen Methoden deutlich schwieriger als etwas zu zerstören. Deshalb wirkte das Putinsche Theater beim Versuch, eine tote Alternative zu einer lebendigen Gesellschaft aufzubauen, wie ein offensichtlicher Reinfall. Diejenigen, die uns zu den „Anderen“ (den „Ausländischen“, „Unerwünschten“) gemacht haben, haben im Grunde nie selbst etwas erschaffen, aus eigener Initiative, aus Inspiration oder dem Ruf ihres Herzens folgend. Und deshalb ist es ihnen auch nicht gelungen, ihren eigenen öffentlichen Bereich zu erschaffen – ihren eigenen offenen Raum für Diskussionen, ihre eigene Politik, eine glaubwürdige Meinungsforschung, Soziologie und Politikwissenschaft, ihre eigene Opposition und Presse.

Alternative Wirklichkeit

Ihre alternative Wirklichkeit wirkt wie das Zerrbild einer lebendigen Öffentlichkeit: Clowns anstelle von Politikern, Imitationen anstelle von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Propagandisten anstelle von Journalisten und Analytikern. Man konnte leicht damit leben: Die Clowns musste man nicht wählen, die Pseudoanalytiker nicht lesen, Kisseljow und Solowjow nicht anhören – denn diese Figuren entbehrten jeden eigenständigen Denkens. Sie waren schlechte Schauspieler, die einen fremden Text herunterbeten, Instrumente in einem grobschlächtigen politischen Spiel. Alles war dermaßen grob zusammengeschustert, dass man fest überzeugt war: Das Kartenhaus fällt in sich zusammen, sobald sich der Klammergriff der Sicherheitsorgane lockert. Der Grund für eine solche Lockerung hätte, wie auch ich annahm, ein natürlicher Prozess sein können – eine ökonomische Krise, die sinkende Popularität des Leaders, ein Generationenwechsel in den Machtstrukturen.

So eine Krise hätte die künstlichen Figuren vom Feld gefegt: Die sogenannten „Politiker“ und „Journalisten“ (ja, genau, in Anführungszeichen) wären einfach von der Bildfläche verschwunden, denn sie funktionieren wie Maschinen, nur so lange, wie sie vom Staat gespeist werden. Die Bürger Russlands wären aus ihrer Verblendung erwacht und hätten mitangesehen, wie die Kulisse in sich zusammenstürzt. Wie geht doch gleich das Ende von Alice im Wunderland: Der König, die Königin, die Ritter und Richter verwandeln sich mit einem Schlag in Spielkarten. Oder das Finale von Nabokovs Einladung zur Enthauptung: „Ein Wirbelwind packte und ließ kreiseln: Staub, Lumpen, Splitter aus bemaltem Holz, Stücke vergoldeten Stucks, Pappziegel …“

Putins alternative Wirklichkeit nicht ernstzunehmen, war ein weitverbreiteter, tragischer Fehler, ein Fehler, den auch ich begangen habe

Doch heute bringen Raketen, Granaten und Bomben den Ukrainern und Russen den ganz realen Tod. Der Wirbelwind, der heute über das Territorium der Ukraine fegt, ist echt, die Splitter und Ziegel sind echte Splitter und Ziegel. Putins alternative Wirklichkeit nicht ernstzunehmen, war ein weit verbreiteter, tragischer Fehler, ein Fehler, den auch ich begangen habe. Diese Politik als virtuell wahrzunehmen war trügerisch. Das Bühnenbild entpuppte sich nicht als vergoldeter Stuck, die Ziegel nicht als Pappziegel. Im Gegenteil: Die von billig angeheuerten Malern bemalten groben Bühnenbilder erwachen zum Leben und werden zu Tod und Leid.

Ich bekenne mich zutiefst der eigenen Unfähigkeit bei dem Versuch, die Kulisse herunterzureißen, als es noch möglich war – vor dem Krieg. Ich war überzeugt, dass sie von alleine fallen würde.

Wie eine Weltanschauung die Welt zerstören kann

Zu glauben, dass Leben, Gewissen, Talent und Anerkennung käuflich sind, ist eine minderwertige, verachtenswerte Sicht auf die Welt. Aber sie ist kein unschuldiger Fehler. Der Mann, der einst zu der Überzeugung gelangt war, dass alles käuflich und verkäuflich ist, dass man eine Gesellschaft okkupieren, unterwerfen und an ihrer Stelle seine eigene, mit Geld erkaufte Realität erschaffen kann, hat nicht nur sein Land, sondern die ganze Welt in eine Katastrophe gestürzt.

Er hat nicht nur an seine, von ihm bezahlte Realität geglaubt, sondern sie zur Grundlage seines Handelns in der wirklichen Welt gemacht. Es ist nun klar, dass sein Plan einer kurzen Militäroperation im Bruderland auf dieser von ihm selbst geschaffenen Fiktion basierte. Offensichtlich hatte er erwartet, dass die Anwendung von Gewalt durch den „echten“ – also „seinen“ – Staat zum sofortigen Zusammenbruch des „unechten“ ukrainischen Staates führen würde. Er dachte, er hätte es mit einer Kulisse zu tun, errichtet im Auftrag von irgendwelchen feindlichen Kräften – Amerikanern, Europäern, denen er Verhalten nach seiner Manier unterstellt. Er hatte offenbar geglaubt, dass sich seine künstlich geschaffenen „Umfragewerte“ in eine echte Zustimmung seitens der russischen Gesellschaft verwandeln würden. Dass alle an die Mär von den ukrainischen „Faschisten“ und seine Mission als Befreier glauben würden. Offenbar hat er den ihn umgebenden Speichelleckern Glauben geschenkt und angenommen, Russland wäre bereit für Krieg und Sanktionen.

Putin hat sich eingeredet, die ukrainische Gesellschaft wäre genau so ein Theater wie das, zu dem er die eigene russische Gesellschaft gemacht hat

Putin hat sich eingeredet, die ukrainische Gesellschaft wäre genau so ein Theater wie das, zu dem er die eigene russische Gesellschaft mithilfe von Morden und Einschüchterungen gemacht hat. Er hat geglaubt, die Ukrainer – von den einfachen Soldaten auf dem Schlachtfeld bis zur ihm verhassten obersten Staatsführung – würden sich in Spielkarten verwandeln und seine Macht anerkennen. Der ukrainische Präsident – ein Comedian, der Bürgermeister von Kiew – ein Boxer. Wer sind die überhaupt? Offenbar hat er ernsthaft daran geglaubt, er sei der heutigen Ukraine und der ganzen demokratischen Welt psychologisch und moralisch überlegen. Sein defektes Bild von der Welt hat ihm die Sicht darauf verstellt, dass seine ganze „Überlegenheit“ eine Erfindung seiner eigenen Hofnarren ist. Sein Fernsehprogramm und seine Presse hatte jahrelang nur einen Auftraggeber und einen einzigen wirklichen Zuschauer – ihn selbst. Er hat sich selbst mit seiner eigenen Lüge vergiftet.

Möglicherweise steht er vor der Entscheidung, ob er alle Zerstörungswaffen einsetzt. Das würde zu mehr Leid und Tod führen. Aber im Kern nichts verändern

Er ist moralisch kein bisschen überlegen, niemandem. Die einzige Überlegenheit besteht in seiner militärischen Stärke. Aber um diese Überlegenheit auszuspielen, braucht es eine klare Mission, Zusammenhalt und das Bewusstsein, im Recht zu sein. Eine klare Mission, Zusammenhalt und das Bewusstsein, im Recht zu sein, haben in diesem Krieg jedoch nur die Ukrainer. Möglicherweise steht er gerade vor der Entscheidung, ob er alle Zerstörungswaffen, die ihm zur Verfügung stehen, einsetzt oder nicht. Das würde zu noch mehr Leid und Tod führen. Aber im Kern nichts verändern.

Sein Krieg gegen die Realität hätte seine Privatsache bleiben müssen. Wenn du in Groll und Zorn auf die ganze Welt leben willst, dann tu das, so lange du willst. Doch er hat dem russischen Volk seine Anwesenheit mit Gewalt, Manipulation und Lüge  aufgedrängt. Jahrelang hat er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seine „Umfragewerte“ hoch gehalten. Indem er mit Gewalt und Drohungen die russische Gesellschaft an sich band, hat er die Identität des eigenen Volkes entwertet, das einst Seite an Seite mit den Ukrainern in einem gemeinsamen und gerechten Krieg gekämpft hat.

Russland hat diesen Krieg moralisch verloren, indem es ihn begann

Er hat nicht nur sich selbst vergiftet, sondern auch Russland. Er hat den Weg geebnet für jene Verachtung, mit der die Welt nicht nur auf ihn schauen wird, sondern auch auf uns, die russischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Noch viele Jahre werden wir die Welt nicht davon überzeugen können, dass „wir nicht so sind“, dass „wir das nicht waren“. Noch viele Jahre – nach Putin – werden wir in Russland eine Gesellschaft aufbauen müssen, die frei ist von politischen Kulissen und Fiktionen.

Russland hat diesen Krieg moralisch verloren, indem es ihn begann. Ganz unabhängig vom Kampfgeschehen: Russland hat diesen Krieg verloren, als politische, ökonomische und gesellschaftliche Einheit, als Land, als Teil der Welt. Es war immer ganz normal, das Wort „Krieg“, ohne es genauer zu bestimmen, mit dem Großen Vaterländischen Krieg zu assoziieren. Jetzt hat dieses Wort eine neue Bedeutung bekommen. Es ist ein Krieg ohne genauere Bestimmung, ohne Adjektive. Es ist der Krieg, den er entfacht hat, mit dem er mich und alle Russen verantwortlich gemacht hat für die von ihm geschaffene Katastrophe.

März 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Fest jedenfalls steht, dass Putin immer mehr unter Druck gerät. Die Invasion in der Ukraine ist mit viel höheren Kosten verbunden, als Russland offenbar eingerechnet hatte. Es gibt mehr tote russische Soldaten, mehr zerstörtes militärisches Gerät, scharfe Sanktionen und es ist auch noch keine Strategie in Sicht, wie Russland die Ukraine kontrollieren will, selbst wenn die Eroberung irgendwann erfolgreich sein sollte.

Trotz alledem finden in der Ukraine weiterhin schwere Kämpfe statt, die Zivilbevölkerung leidet unter dem russischen Bombenhagel.

Russland hat angekündigt, die ukrainische Regierung nicht stürzen zu wollen, womit sich der Kreml einen Weg zu offiziellen Gesprächen auf Ministerebene zu begeben versucht. Zuvor war immer gesagt worden, dass die ukrainische Regierung kein Ansprechpartner wäre – Putin rückt also mittlerweile von einer seiner Maximalforderungen abrückt.

Putin hat sich den Realitäten in der Ukraine ergeben

Was fraglos einen wichtigen Schritt zu gehen bedeutet, jedoch muss abgewartet werden, ob und wie weitere Gespräche in der Substanz laufen – viele Schweinereien passieren im Detail.

Mittlerweile diskutiert man wahrscheinlich in Moskau, unrealistische Kriegsziele – etwa eine Einnahme der ganzen Ukraine – eher runter zuschrauben. Man wollte eine Marionettenregierung einsetzen, aber selbst die Opposition in der Ukraine hat den Krieg verurteilt. Die Amerikaner haben im Irak immerhin die Kurden und schiitische Gruppen gehabt, die ihnen zugejubelt haben, die Russen aber haben in der Ukraine keine Klaqueure. Mit wem sollten sie mithin das Land beherrschen?

Stattdessen protestiert auch die ukrainische Zivilbevölkerung vernehmlich und wider eine russische Herrschaft. In Cherson und anderen Gebieten mehren sich die Berichte, dass der russische Geheimdienst FSB die Organisatoren der Demonstrationen verhaften und erschießen lässt. Aber das wird die Menschen auch nicht ruhiger stimmen. Man kann den Terror bis zum Äußersten treiben, aber dann herrscht Putin über einen Friedhof.

Russische Soldaten in Donezk: Im Donbass gab es bislang keine großen Geländegewinne der russischen Armee. (Quelle: imago images/Itar-Tass)

 

März 2022 | In Arbeit | Kommentieren
Noch in die Überschrift – und die kürzen

Die Meerwalnuss ist ein Tier ohne Herz und Hirn, sie besteht zu 99 Prozent aus Wasser. Lange galten Quallen als primitiv – völlig zu Unrecht, findet Marie Gamillscheg. Die Meerwalnuss ist eine der Hauptfiguren in ihrem neuen Roman „Aufruhr der Meerestiere“.

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März 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Ukrainischer Soldat vor einem ausgebrannten russischen Militärlaster

Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine fordert hohe Opfer auf beiden Seiten. Auf Telegram, Twitter, Youtube sind Tausende von verwackelten Videos zu sehen, selten ist ein Krieg so akribisch dokumentiert worden: Russische Kampfjets und Hubschrauber feuern auf Flughäfen, Treibstofftanks und Wohnhäuser. In der Nacht sind Truppen auf Kiew vorgerückt, darunter kampferprobte Tschetschenen. Mehr als 200 ukrainische Zivilisten sollen schon getötet worden sein. Frauen und Kinder kauern verängstigt in Metrostationen. Viele Ihrer Männer und Söhne greifen zu den Waffen, Präsident Wolodymyr Selenskyj und Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko haben eilig Freiwilligenverbände aufgestellt.

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Feb. 2022 | In Arbeit | Kommentieren
Plastikmüll: Jeden Tag das Gewicht von 100 Eiffeltürmen

Das ist bitter nötig, zeigt ein aktueller Bericht der OECD: Die Müllflut ist ungebrochen.

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Feb. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Der Biologe Ludwig Huber leitet die Abteilung für vergleichende Kognitionsforschung an der Universität Wien. Dabei hat er sich auf Fragen nach den kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Tieren spezialisiert. In seinem neuen Buch, einer Bestandsaufnahme des Gebiets, stellt er Befunde aus kontrollierten wissenschaftlichen Untersuchungen vor, die sich deutlich von zufälligen Alltagsbeobachtungen abheben.

Knapp 1200 Referenzen

In dem umfangreichen Text beschreibt der Autor ausführlich, wie Fachleute aus der Biologie, Verhaltensforschung und Psychologie vorgehen, um die kognitiven Fähigkeiten von Tieren zu untersuchen. In einem anschließenden Literaturverzeichnis finden sich fast 1200 Referenzen, die es erlauben, Details hierzu in der Originalliteratur nachzulesen.

Die Frage, ob Tiere rational handeln können, teilt Huber in sechs Themengruppen auf: die kreative Herstellung und der Gebrauch von Werkzeugen; die technische Intelligenz und das Kausalverständnis; die Vorbereitung und Planung von Handlungen; das episodische Gedächtnis, in dem Ereignisse in der Vergangenheit abgespeichert sind; die Metakognition, das Nachdenken über den eigenen Wissensstand; und zuletzt das »Sich-in-andere-hineinversetzen-Können« und die Perspektivenübernahme. Diese Fähigkeiten definieren laut Huber rationales Denken.

Der Autor stellt anschaulich dar, wie man die komplexen Vorgänge bei Tieren untersuchen kann, um zu eindeutigen und verlässlichen Ergebnissen zu gelangen. Dabei gelingt es ihm, seine Grundgedanken ausführlich und nachvollziehbar zu schildern. Detailliert erklärt er die meist aufwändigen Experimente. Durch mehrere Abbildungen veranschaulicht Huber die wichtigsten Beobachtungen und vermittelt, welche Leistungen Affen, Krähen, Delfine und Hunde oder auch Bienen, Pfeilgiftfrösche, Schildkröten sowie Kraken vollbringen. Manche dieser Fähigkeiten entsprechen denen von Kleinkindern, so dass auch Kinderpsychologen wie Piaget zitiert werden.

Zudem ordnet Huber die Ergebnisse in einen größeren Zusammenhang ein. Schließlich ist die Frage, ob Tiere ein Bewusstsein haben, eine der umstrittensten und spannendsten Fragen der Biologie und der vergleichenden Psychologie. Die Thematik wurde in der Vergangenheit oft als etwas abgetan, über das man eigentlich nichts wissen könne. Viele Fachleute befürchteten, damit sei die Besonderheit des Menschen als Homo habilis gefährdet, denn vor allem die Herstellung und Verwendung von Werkzeugen wurde häufig als abgrenzendes Merkmal vom Tierreich angesehen. Nach dieser Ansicht stellt der Nachweis des tierischen Bewusstseins die Sonderrolle des Menschen in Frage.

Allerdings hatte der US-amerikanische Biologe Donald R. Griffin bereits vor mehr als 50 Jahren argumentiert, das menschenähnliche Bewusstsein bei Tieren sei als evolutionärer Vorteil zu sehen: Es wäre nicht entstanden, wenn es keine überlebensfördernden Funktionen hätte. Ursprünglich diente es wahrscheinlich dazu, sich bewusst zu bewegen, seine Aufmerksamkeit besser auf die Umwelt besser auszurichten und zu fokussieren, was eben wichtig für das Überleben ist.

Selbst wenn manche Tiere einige der zentralen Funktionen des menschlichen Bewusstseins haben, besitzen Menschen darüber hinaus weitere Fähigkeiten. Diese Punkte diskutiert Huber auch unter Aspekten der menschlichen Psychologie und philosophischen erkenntnistheoretischen Gedanken. Er schlussfolgert, dass wir unseren Umgang mit Tieren überdenken müssen: »Erkenntnis und Moral sollten Hand in Hand gehen, und wir sollten neben dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt auch den moralischen fördern.« Dies ist im Sinne der Aussage von Mahatma Gandhi: »Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt.«

Zusammenfassend hat Huber einen anspruchsvollen und gut lesbaren Text geliefert, der den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Befunde über die kognitiven Fähigkeiten von Tieren ausführlich darstellt und angemessen diskutiert.

Feb. 2022 | In Arbeit | Kommentieren
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Angesichts dieser Bilder versteht man, warum die Venus als Zwilling der Erde gilt.

Bisher zeigten Bilder die Venus als weiße Scheibe, denn die Atmosphäre lässt keinen tieferen Blick zu. Doch nun gelingen Aufnahmen von der Oberfläche des Planeten. Sie überraschen, weil der Planet darauf der Erde so ähnlich ist.
Die Venus ist auf der Erde je nach Jahreszeit als Morgen- oder Abendstern bekannt. Doch ein genauerer Blick auf den Planeten ist gar nicht so einfach, denn normalerweise ist die Oberfläche der Venus von dicken Wolken verhüllt. Bilder des Planeten zeigten bisher meist eine strukturlose weiße Scheibe. Das ist das Ergebnis von gestreutem Sonnenlicht aus der undurchdringlichen Atmosphäre. Die US-Weltraumbehörde NASA hat nun jedoch Bilder veröffentlicht, die die Oberfläche des Planeten zeigen.

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Feb. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Im Themenjahr 2022 der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg „Liebe, Lust, Leidenschaft. Leben in Schlösser und Klöstern“ ist Schloss Heidelberg ein Highlight-Monument: Gäste erkunden die Liebe und ihre Facetten im Wandel der Zeit ‒ wie Victor Hugo auf seiner Rheinreise im Jahr 1840. In seinem Reisebericht schwärmt der Dichter von dem Monument, das er, einer der berühmtesten Autoren der Romantik, als einer der ersten Touristen besucht. Am 26. Februar 1802, vor 200 Jahren, wurde der französische Schriftsteller Victor Hugo in Besançon in Frankreich geboren.

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Feb. 2022 | In Arbeit | Kommentieren
Feb. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Das bekannteste – und nach Meinung der meisten Kenner: schönste – Gedicht über Heidelberg stammt vom Lyriker Friedrich Hölderlin (* 20. März 1770 Lauffen am Neckar, † 7. Juni 1843 Tübingen).

Der Lyriker war nachgewiesenermaßen zwei Mal i Heidelberg. Erstmals im Juni 1788 und danach noch einmal im Jahr 1795. Seinen ersten Eindruck von der Stadt beschrieb der 18-jährige in einem Brief an seine Mutter wie folgt: „Ungefär um Mittag kamen wir in Heidelberg an. Die Stadt gefiel mir außerordentlich wohl. Die Lage ist so schön, als man sich je eine denken kan. Auf beiden Seiten und am Rüken der Stadt steigen steile waldichte Berge empor, und auf diesen steht das alte, ehrwürdige Schloß. … Merkwürdig ist auch die neue Brüke daselbst.“

Das Heidelberg-Gedicht schrieb Hölderlin 1798, drei Jahre nach seinem zweiten Besuch in Heidelberg, und es erschien erstmals gedruckt 1801 in einem „Jahrbuch für gebildete Damen“. Der Originalentwurf zu Friedrich Hölderlins Heidelberg Gedichte befindet sich seit 1895 im Bestand des Kurpfälzischen Museums. Dieses Heidelberger Exemplar von Hölderlins Handschrift (er hat das Gedicht später noch überarbeitet) ist eine mehrfach redigierte Fassung. Die erste Strophe des Gedichts findet sich auch auf einem Gedenkstein in der sogenannten Hölderlin-Anlage am Heidelberger Philosophenweg.

Friedrich Rottmann (um 1800)

HEIDELBERG von Friedrich Hölderlin

Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied,
Du, der Vaterlandsstädte
Ländlichschönste, so viel ich sah.

Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,
Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
Leicht und kräftig die Brücke,
Die von Wagen und Menschen tönt.

Wie von Göttern gesandt, fesselt‘ ein Zauber einst
Auf die Brücke mich an, da ich vorüber ging
Und herein in die Berge
Mir die reizende Ferne schien,

Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog,
Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön,
Liebend unterzugehen,
In die Fluten der Zeit sich wirft.

Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen
Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn
All’ ihm nach, und es bebte
Aus den Wellen ihr lieblich Bild.

Aber schwer in das Tal hing die gigantische,
Schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund,
Von den Wettern zerrissen;
Doch die ewige Sonne goß

Ihr verjüngendes Licht über das alternde
Riesenbild, und umher grünte lebendiger
Efeu; freundliche Wälder
Rauschten über die Burg herab.

Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Tal,
An den Hügel gelehnt oder dem Ufer hold,
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn.

Feb. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

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