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Apr. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Von allen Truppen geniessen die Luftlandesoldaten in Russland das höchste Prestige. In der Ukraine haben sie jedoch dramatische Niederlagen erlitten. Nun geraten sie auch noch in den Verdacht, Kriegsverbrechen begangen zu haben.

 

 

 

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Apr. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Der Russland-Ukraine-Krieg brachte ihr den Aufstieg, auf den sie schon seit Jahren hingearbeitet hat. Die 28-jährige Alina Lipp inszeniert sich als deutsche Journalistin, verbreitet aber Putins Propaganda. Für ihr Publikum in Russland wiederum malt sie das Bild eines düsteren Deutschlands.

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Apr. 2022 | In Arbeit | Kommentieren
Das Imperium der Angst. Zu Putins brutalsten Soldaten gehören tschetschenische Spezialeinheiten.
Zu Putins brutalsten Soldaten gehören tschetschenische Spezialeinheiten.
 Seit Menschengedenken wiederholt sich die Geschichte der Gewalttätigkeit: Skrupellose Herrscher schicken ihre Schergen los, um Länder zu erobern, Reichtümer zu erbeuten, ihre Habgier, ihren Machthunger oder ihre Geltungssucht zu befriedigen. Die Motive wechseln, die Taten ähneln sich. Slobodan Milošević, Saddam Hussein, George W. Bush, nun Wladimir Putin, die Liste ließe sich fortsetzen. Die Massengräber in Srebrenica, die Giftgasopfer in Kurdistan, die Häftlinge im Folterknast Abu Ghuraib, nun die ermordeten Zivilisten in der Ukraine.

Der Anblick der Bilder aus Butscha ist unerträglich
Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir bald ähnliche Bilder aus Mariupol und dem Donbass sehen könnten. Ebenso unerträglich sind die Lügen der Kreml-Clique. Ob Präsident Putin oder sein Außenminister Lawrow, ob die Propagandaröhre Peskow oder der UN-Gesandte Nebensja, ob die Generäle im Staatsfernsehen oder die Offiziere auf dem Schlachtfeld: Alle leugnen sie die russischen Verbrechen und verbreiten Lügengeschichten, ohne mit der Wimper zu zucken.
Tschetschenische Kämpfer vor ihrer Abreise: Einheiten von
Tschetschenische Kämpfer vor ihrer Abreise: Einheiten von „Putins Bluthund“ Ramsan Kadyrow sollen Massaker angerichtet haben
Damit sind sie leider erfolgreich.

Während wir nämlich in Westeuropa, wo es unabhängige Medien, rechtsstaatliche Kontrolle und demokratische Regierungen gibt, den Kopf über die Fake News aus Moskau schütteln, scheint die Mehrheit der russischen Bevölkerung den Lügen zu glauben. Was Wunder, wenn die Leute von morgens bis abends mit Propaganda beschallt werden und so gut wie alle freien Informationsquellen verboten sind. Die Mischung aus Repression, Einschüchterung und Desinformation zeigt offenbar Wirkung in Russland – Im Westen hätte wohl kaum jemand erwartet, dass eine derartige Massenmanipulation in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal möglich ist.“

Putin hat aus Russland einen Orwell-Staat gemacht

Und wie in dem dystopischen Roman radikalisiert sich der real existierende Totalitarismus immer weiter. Konnte man in Russland noch vor fünf Jahren auf der Straße seine Meinung sagen, riskiert man damit heute Kopf und Kragen. Russland ist ein Imperium der Angst geworden.

Polizisten in Moskau nehmen eine Frau fest, die gegen den Krieg demonstriert hat. (Quelle: imago images)
Polizisten in Moskau nehmen eine Frau fest, die gegen den Krieg demonstriert hat
So ein Land passt nicht in unsere Zeit

Die Menschheit hat eigentlich ganz andere, größere Aufgaben, als sich mit einem mittelalterlichen Despoten herumzuschlagen. Es geht jetzt darum, wie wir die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten erhalten und das Artensterben stoppen. Es geht darum, das Zusammenleben von acht Milliarden Menschen so zu organisieren, dass die Natur dabei nicht kollabiert. Wir haben eigentlich weder die Zeit noch die Ressourcen, uns mit Kriegen zu beschäftigen: Ein Satz, der wahlweise zynisch oder idealistisch klingen mag, in Wahrheit aber die nüchterne Realität beschreibt.

Putins Verbrechen zwingen Regierungen, sich ständigum kaum etwas anderes zu kümmern
Das können wir uns nicht leisten. Deshalb muss das Regime im Kreml so schnell wie möglich ausgetrocknet werden – durch immer härtere Wirtschaftssanktionen, politische Isolation, konsequente Bestrafung seiner Günstlinge, Unterstützung seiner Gegner. Gleichzeitig dürfen freie Länder wie Deutschland nicht den Fehler begehen, sich selbst so stark zu schwächen, dass sie manövrierunfähig werden. Ein sofortiger Stopp der russischen Gasimporte würde zentrale Teile der deutschen Industrie lahmlegen, den Mittelstand in die Knie zwingen und wohl Hunderttausende Arbeitsplätze kosten. Verarmung, soziale Konflikte und noch mehr Schulden im Corona-klammen Haushalt wären die Folge. Im Übrigen würde Putins Soldateska wohl kaum das Morden einstellen, nur weil Deutschland den Gashahn zudreht. So sehr es schmerzt: Das Runterfahren der Gaskäufe erfolgt klugerweise im selben Maße, in dem man andere Quellen erschließt.
Mariupol ist das Stalingrad unserer Zeit, in der zerstörten Stadt wird immer noch gekämpft. (Quelle: Reuters)
Mariupol ist das Stalingrad unserer Zeit, in der zerstörten Stadt wird immer noch gekämpft
Deutschland muss seine Abhängigkeit von Despoten reduzieren, dabei aber stark bleiben:

Das ist die gewaltige Aufgabe, vor der die Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitiker in den kommenden Jahren stehen. Die Kehrtwende im Verhältnis zu Russland nach dem jahrelangen Schmusekurs von Schröder/Merkel/Steinmeier ist dabei nur die erste Aufgabe.

Die nächste liegt noch weiter östlich, und sie ist noch viel größer

Deutschland hängt wirtschaftlich am Tropf Chinas, das von ebenso brutalen Typen beherrscht wird wie Russland. Die Bundesregierungen der vergangenen Jahre hat das nicht gestört; das Geschäft war immer wichtiger als die Menschenrechte der Uiguren, die Demokratie in Hongkong oder die Unversehrtheit politischer Gefangener. So kann das nicht bleiben. Nicht nur aus moralischen, sondern auch aus realpolitischen Gründen. Das Risiko ist zu groß, im Fall einer chinesischen Aggression gegen Taiwan oder einen seiner Nachbarstaaten in eine noch viel größere Bredouille zu geraten als jetzt mit Russland. Zu harten Sanktionen gegen China wären sowohl Deutschland als auch die gesamte EU gegenwärtig außerstande.

China ist längst stärker als wir

Auch die Bosse in Peking sind auf den gemeinsamen Handel angewiesen, na klar, aber sie sitzen am längeren Hebel, und ihre Bevölkerung ist widerstandsfähiger. Chinas neue Mittelschicht würde es verkraften, ein paar Jahre lang keine VW, Mercedes und BMW zu kaufen. Doch ohne das Geld für all die Autos sowie ohne Computer, Smartphones, Billigklamotten, seltene Erden, Metalle und chemische Grundstoffe aus China gingen in Deutschlands Wirtschaft schnell die Lichter aus.

Einseitige Abhängigkeit ist ein existenzielles Risiko

Sie macht uns verwundbar, sie zeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem unser Wohlstand ruht. In einer Welt, in der die Demokratien auf dem Rückzug sind und die Despoten erstarken, kann sich kein Staat so ein Risiko dauerhaft erlauben. Deshalb lautet das wichtigste Motto für die Außen- und die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre:

Wir müssen unabhängiger wrden

Das bedeutet, ausgelagerte Produktionsstätten nach Europa zurückzuholen, mehr in demokratische Länder statt in Diktaturen zu investieren. Und wo das nicht geht, weil Gas und Öl nun mal dort liegen, wo sie eben liegen, auf fünf, sechs, sieben verschiedene Lieferantenländer zu setzen statt auf ein, zwei große. Nach der Eurokrise, der Flüchtlingskrise und der Corona-Krise hätte man denken können, die größten Herausforderungen unserer Zeit lägen schon hinter uns. Leider falsch gedacht.

 

Apr. 2022 | In Arbeit | Kommentieren
Warum der Ukraine-Krieg ausweglos ist. Nichts als Zerstörung: Die Stadt Butscha nordwestlich von Kiew.
Nichts als Zerstörung: Die Stadt Butscha nordwestlich von Kiew
Seit fast sechs Wochen tobt der Ukraine-Krieg bereits. Wie sinnlos, brutal und menschenverachtend er ist, haben zuletzt die Horrorbilder aus Butscha gezeigt. Die russischen Truppen hinterließen in der Stadt nahe Kiew verbrannte Erde, sie massakrierten Menschen und zerstörten die Infrastruktur. Das ist unfassbar und unerträglich.
Diese Kriegsverbrechen haben dafür gesorgt, dass die Welt erneut aufgeschreckt ist. Denn zuvor war bereits ansatzweise eingetreten, was leider selbst bei den größten Katastrophen fast immer geschieht: Viele gewöhnen sich an die Ausnahmesituation. Das bedeutet nicht, dass sie abstumpfen und weggucken. Aber eben doch, dass sie nicht mehr jedes Bruchstück an Neuigkeiten mit der gleichen Betroffenheit aufnehmen wie zu Beginn.
Das Schrecklichste an diesem grausamen Krieg ist vermutlich, dass er schier unlösbar zu sein scheint. Vor allem drei Szenarien für den weiteren Verlauf kursieren derzeit.
Szenario 1: Russland gewinnt doch noch
Eine Demütigung vermeiden: Der Kremlherrscher Wladimir Putin. (Quelle: imago images)
Will eine Demütigung vermeiden: Der Kremlherrscher Wladimir Putin
Wladimir Putin unterlag vielen Fehleinschätzungen – von der Annahme, seine Truppen würden in der Ukraine freudig begrüßt, bis zum Glauben, über eine moderne und von hoher Moral geprägte Armee zu verfügen. Inzwischen ist völlig unklar, wie Russland die Ukraine, das flächenmäßig größte Land des europäischen Kontinents, überhaupt jemals besetzen will. Zuletzt mussten die Soldaten rund um Kiew zumindest den vorläufigen Rückzug antreten, um sich erst einmal auf die Eroberung des Ostens und Südens zu konzentrieren.
Vielleicht gelingt es Russland, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die Offensive zu kommen. Aber selbst wenn es doch noch die Kontrolle über weite Teile des fremden Territoriums erringen sollte, wäre die Besatzung wohl kaum von Dauer. Angesichts des heroischen Widerstands der Ukrainer um ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und weiterer Waffenlieferungen des Westens würde es vielmehr einen jahrelangen Zermürbungskrieg geben.
Szenario 2: Die Ukraine vertreibt die russischen Truppen
Im Angesicht des Schreckens: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht Butscha. (Quelle: dpa)
Im Angesicht des Schreckens: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht Butscha
So sehr eine Kapitulation Russlands angesichts des barbarischen Überfalls auch wünschenswert wäre, dürfte eine vollkommene Niederlage Putins nicht sehr wahrscheinlich sein. Es käme einem Wunder gleich, wenn dieser Krieg damit endete, dass sich seine Truppen komplett aus der Ukraine zurückziehen und Russland hohe Reparationszahlungen leistet.
Zwar ist es angesichts der aktuellen Dynamik des Krieges plausibler geworden, dass es den Ukrainern gelingt, ihr Land vollständig zurückzuerobern. Aber es spricht trotzdem einiges für die Annahme, dass Putin umso härter reagiert, je mehr er sich in die Ecke gedrängt fühlt.
Weil für den Autokraten im Kreml alles andere als ein rascher Triumph eine Niederlage ist, hat er diesen Krieg eigentlich bereits verloren. Für Putin geht es also längst nur noch darum, eine vollständige Demütigung zu verhindern. Je brenzliger seine Situation wird, desto eher könnte er sich deshalb zur abrupten Eskalation veranlasst sehen – und im schlimmsten Fall eben auch chemische oder sogar atomare Waffen einsetzen. Dass er zu allem bereit sein dürfte, hat er in den vergangenen Wochen bereits gezeigt.
Szenario 3: Aus einer Pattsituation entstehen Friedensverhandlungen
Das ist unser Land: Ein ukrainischer Soldat an einer Straßenblockade.  (Quelle: dpa)
Das ist unser Land: Ein ukrainischer Soldat an einer Straßenblockade.
Aber wie könnte dann überhaupt eine Lösung aussehen, die diesen Krieg beendet? Wer diese Frage zurzeit in Berlin stellt, bekommt Antworten, die von Ratlosigkeit („Das können nur die Ukrainer und Russen entscheiden“) bis Verzweiflung („Ich weiß es schlicht nicht“) reichen.
Das wichtigste politische Ziel in Berlin und anderen westlichen Hauptstädten muss angesichts des ausweglosen Krieges darin bestehen, dass in der Ukraine nicht länger gekämpft, sondern endlich über eine friedliche Lösung verhandelt wird. Hauptsache, es wird gesprochen und nicht geschossen.
So zynisch es klingt: Noch scheinen beide Seiten nicht so weit zu sein, weil sie sich durch den Verlauf der nächsten Tage oder sogar Wochen eine bessere Ausgangsposition für Verhandlungen versprechen. Denkbar ist, dass ein späterer Friedensvertrag, der sowohl für die Ukraine als auch die Russen akzeptabel ist, unter anderem folgende Elemente enthält:
  • Die sogenanntenVolksrepubliken Donezk und Luhansk (und im Zweifel auch die Krim) bekommen einen Sonderstatus, werden faktisch aber ein Teil Russlands.
  • Im Osten und Südosten der Ukraine wird eine entmilitarisierte Zonegeschaffen, die als Puffer dient. Dort gibt es womöglich UN-Friedenstruppen.
  • Der verbleibende Großteil der heutigen Ukraine verfügt über eine eigene Armee, bekommt massive Aufbauhilfen des Westens und auch Sicherheitsgarantien der Nato, die allerdings weniger eindeutig sind als Artikel 5 („Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird …“).
Käme es zu einem Waffenstillstand unter diesen oder ähnlichen Bedingungen, wäre zumindest der Krieg beendet – und damit endlich auch Tod, Leid und Elend.
Aber es wäre eben auch ein äußerst bitterer Frieden. Denn Russland hätte territoriale Gewinne erzielt – und einen vollständigen Nato-Beitritt der Ukraine verhindert, also zumindest einen Teil der ursprünglichen Ziele erreicht. So unerträglich es klingt: Dieser Krieg hätte sich für Putin gelohnt.
Apr. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Vier Monate lang infiltrierte der unabhängige Journalist Vincent Bresson die Kampagne Éric Zemmours, Kandidat für die Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Offen praktizierter Rassismus, Kollaboration mit Neo-Nazis und Web-Strategien, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren: In seinem Buch “Au coeur du Z”, zu Deutsch „Im Herzen des Z“, enthüllt der als pro-Zemmour-Aktivist getarnte Journalist, wie ein verurteilter Polemiker Wahlkampf betreibt, Anhängerïnnen mobilisiert und ein ernstzunehmener Herausforderer Emmanuel Macrons werden konnte.

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Apr. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

„Ich danke. Sehr verehrte Frau Präsidentin Göring-Eckhardt, sehr verehrter Herr Bundeskanzler Scholz. Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete, Gäste, anwesende Journalisten. Sehr verehrtes deutsches Volk. Ich wende mich an euch nach drei Wochen des unerwarteten Angriffs der russischen Truppen auf die Ukraine. Nach acht Jahren Krieg im Osten unseres Landes, im Donbass. Ich wende mich an euch.

Russland bombardiert unsere Städte und zerstört alles in der Ukraine: Wohnviertel, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen – alles. Mit Raketen, mit Bomben, mit Artillerie. In drei Wochen sind sehr viele Ukrainer gestorben, Tausende. Die Besatzer haben 108 Kinder getötet – mitten in Europa, bei uns, im Jahr 2022.

Ich wende mich an Sie nach vielen Treffen, Verhandlungen, Erklärungen und Bitten. Nach Schritten zur Unterstützung, von denen manche zu spät gekommen sind, und nach Sanktionen, die vielleicht zu gering sind, um diesen Krieg zu stoppen. Und nachdem wir gesehen haben, wie viele Ihrer Unternehmen noch in Russland geblieben sind – im Land, das euch und einige andere Länder einfach ausnutzt, um den Krieg zu finanzieren.

„Sie befinden sich wieder hinter einer Mauer“

In drei Wochen des Krieges für unser Leben, für unsere Freiheit haben wir uns davon überzeugt, was wir zuvor gespürt haben – und was Sie vielleicht nicht alle merken. Sie befinden sich wieder hinter einer Mauer. Nicht hinter der Berliner Mauer. Sondern mitten in Europa. Zwischen Freiheit und Unfreiheit. Und diese Mauer wird mit jeder Bombe stärker die auf unseren Boden fällt – auf die Ukraine. Bei jeder Entscheidung, die nicht für den Frieden getroffen wurde. Die nicht von Ihnen getroffen wurde, obwohl sie helfen könnte.

Wann ist das geschehen? Sehr verehrte Politiker.

Sehr verehrtes deutsches Volk. Warum ist das möglich? Wir haben gesagt, dass Nord Stream 2 eine Waffe und Vorbereitung auf den großen Krieg ist, und wir haben als Antwort bekommen: Das ist Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Und das war Zement für die neue Mauer.

Als wir euch gefragt haben, was die Ukraine tun soll, um Mitglied der Nato zu werden, um Sicherheitsgarantien zu bekommen – haben wir die Antwort gehört: Es ist bislang keine solche Entscheidung auf dem Tisch und auch nicht in der nächsten Zeit. Das war traurig für uns. Und auch jetzt zögern Sie beim Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. Offen gesagt: Für manche ist das Politik. In Wirklichkeit sind das Steine für die neue Mauer.

„Wir spürten den Widerstand“

Als wir um präventive Sanktionen gebeten haben, wandten wir uns an Europa, wandten wir uns an viele Länder. Wir wandten uns an euch. Damit der Aggressor spürte, dass ihr Macht habt. Aber wir spürten die Verzögerungen, den Widerstand. Wir haben kapiert, Sie wollen die Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft weiter fortführen. Und auch jetzt sind die Handelsrouten zwischen euch und dem Land, das Europa wieder einmal einen brutalen Krieg gebracht hat, Stacheldraht über der Mauer.

Und Sie sehen nicht, was sich hinter dieser Mauer verbirgt. Das ist eine Mauer zwischen den Menschen in Europa. Und deswegen verstehen nicht alle, was wir gerade erleben.

Ich wende mich an euch im Namen aller Ukrainer. Ich wende mich an euch im Namen der Einwohner von Mariupol – Zivilisten einer Stadt, die von russischen Truppen blockiert und praktisch dem Erdboden gleichgemacht wurde. Sie vernichten alles dort. Alles und alle, die dort sind. Hunderttausende Menschen stehen rund um die Uhr unter Beschuss. 24 Stunden am Tag ohne Essen, ohne Wasser, ohne Strom. 24 Stunden ohne Kommunikation. Wochenlang.

„Sie zerstören alles – rund um die Uhr“

Die russischen Truppen unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militär. Es interessiert sie nicht, wo zivile Objekte sind, sie betrachten alles als Zielscheibe. Ein Theater, das Hunderten Menschen Schutz bot und das gestern gesprengt wurde, eine Geburtsklinik, ein Kinderkrankenhaus, Wohngebiete ohne irgendwelche militärische Einrichtungen – sie zerstören alles – rund um die Uhr. Und sie lassen keine humanitären Güter in die blockierte Stadt. Fünf Tage lang haben die russischen Truppen nicht aufgehört zu bombardieren, um die Rettung unserer Menschen zu verhindern.

Sie können das alles sehen. Wenn Sie über die Mauer schauen. Wenn Sie sich daran erinnern, was die Berliner Luftbrücke damals bedeutete. Die möglich war, weil der Himmel sicher war. Sie wurden nicht wie jetzt in unserem Land vom Himmel getötet, da wir nicht einmal eine Luftbrücke einrichten können.

Vom Himmel kommen nur russische Bomben und russische Raketen. Ich spreche Sie an Der große Gescheiterte – im Namen der älteren Ukrainer, die den Zweiten Weltkrieg erfahren haben, die überlebt haben, unter Besetzung. Die vor 80 Jahren auch Babyn Jar überlebt haben. Letztes Jahr war Bundespräsident Steinmeier in Baby Jar, um dieser Tragödie zu gedenken – ich bin sehr dankbar dafür. Und dieser Ort wurde von auch von russischen Raketen getroffen – und eine Familie wurde getötet, die dort war, um der Opfer zu gedenken.

„Diese Worte sind nichts wert“

Nach 80 Jahren passiert so etwas. Ich spreche Sie an. Jedes Jahr wiederholen die Politiker „Nie wieder“. Jetzt sehen wir, dass diese Worte nichts wert sind. In Europa wird ein Volk vernichtet. Es wird versucht, alles zu vernichten, wofür wir leben. Ich spreche Sie an – im Namen unserer Armee, unserer Soldaten, die unser Land und die Werte verteidigen, von denen so oft in Europa gesprochen wird: Freiheit, Gleichheit und die Möglichkeit, frei zu leben. Und sich nicht einem anderen Land zu unterwerfen, das Ansprüche stellt auf unser Gebiet. Wir versuchen es zu verteidigen – ohne ihre tatkräftige Unterstützung.

Warum ist ein Land, das über dem Ozean liegt, etwas näher an uns, was Hilfe angeht? Weil es eine Mauer ist, die wir anscheinend noch nicht sehen. Aber wir kämpfen dafür, unser Volk zu bewahren.

„Ich bin sehr dankbar“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebes deutsches Volk, ich bin sehr dankbar für alle, die uns unterstützen: Einfache Deutsche, die den Ukrainern helfen. Die Journalisten, die ehrlich und aufrichtig das ganze Böse zeigen, was Russland über uns gebracht hat. Die deutschen Firmen, die Moral über Profit gestellt und diesen Schritt getan haben und nicht nur Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft sehen.

Wir sind auch den Politikern dankbar, die versuchen, diese Mauer zu durchbrechen, die Schritte unternehmen, die sich zwischen dem russischen Geld und den toten ukrainischen Kindern für das Leben aussprechen und für Sanktionen gegen Russland, die uns Frieden bringen können.

Wir sind die Ukraine, wir sind in Europa. Ich bin denen dankbar, die sich auch dafür ausgesprochen haben, Russland von Swift auszuschließen. Die wissen, dass ein Embargo nötig ist auf alles, was diesen Krieg finanziert. Und für diejenigen, die dafür einstehen, dass die Ukraine ein Mitglied der EU wird. Sie sind schon viele und es werden mehr.

Ich bin denen dankbar, die über Mauern schauen können und die wissen, dass die Verantwortung über allem steht, wenn es um Menschen geht. Es ist schwierig für uns, das ohne ihre Hilfe, ohne die Hilfe der Welt, zu überstehen und die Ukraine, Europa zu verteidigen. Das, was sie noch für uns tun können, damit man sich nicht hinterher fragt, nach diesem Krieg, nach den zerstörten Städten.

Nach der Zerstörung Charkiws, das zweite Mal in 80 Jahren, nach der Bombardierung von Donbass, Tschernihiw, Sumy – damit man sich nach 80 Jahren, nach so vielen gefallenen Menschen, nicht fragt: Was ist mit der historischen Verantwortung gegenüber der Ukraine, die es immer noch gibt? Damit man jetzt keine neue Mauer aufbaut und nicht etwas passiert, wofür man wieder diese lange Aufarbeitung braucht.

„Zerstören Sie diese Mauer!“

Deshalb spreche ich Sie an und sage: Wir brauchen Hilfe, auch für Europa. Europa kann nicht überleben und seine Werte bewahren. Ein ehemaliger Schauspieler, ein Präsident der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan, hat mal in Berlin gesagt: „Mister Gorbatschow, tear down this wall!“ Zerstören Sie diese Mauer!

Und das sage ich Ihnen: Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie diese Mauer. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient. Damit ihre Nachfahren stolz auf Sie sind. Unterstützen Sie den Frieden, unterstützen Sie die Ukrainer, stoppen Sie diesen Krieg. Helfen Sie uns, diesen Krieg zu stoppen. Es lebe die Ukraine!

Apr. 2022 | In Arbeit | Kommentieren

Die beiden «Erfinder» der Karte erklären, wie sie ihre Erkenntnisse gewinnen.

Ukrainer fliehen am 24. Februar aus der Hauptstadt Kiew. Am gleichen Morgen hat die russische Invasion in das Land begonnen.

Ukrainer fliehen am 24. Februar aus der Hauptstadt Kiew. Am gleichen Morgen hat die russische Invasion in das Land begonnen.

Es sollte alles so aussehen, als wollten sie in die Ferien fahren. Rodion Roschkowski, seine Partnerin und ihre beiden Kinder packten am Abend des 19. Februars gleich zwei Autos. Sie stopften alles rein, was Platz hatte. Als sie die zwölfstündige Fahrt nach Westen antraten, fragte Roschkowskis Sohn: «Warum fahren wir eigentlich nicht alle im selben Wagen, wie wir das sonst tun?» – «Weil wir dieses Mal vielleicht etwas länger verreisen», sagte Roschkowski.

Natürlich fuhr die junge Familie samt Hund nicht in die Ferien. Sie floh frühzeitig vor dem Krieg. Von Dnipro, mit einer Million Einwohnern die viertgrösste Stadt des Landes, reisten sie in den Westen der Ukraine, irgendwo in die Nähe von Lwiw. Wohin genau, verrät Roschkowski nicht – aus Sicherheitsgründen.

Die Online-Karte hat auch Feinde

Der Internet-Dienst des ukrainischen Software-Entwicklers, die «Live Universal Awareness Map», kurz Liveuamap, steht seit Wochen im besonderen Fokus. Diverse Hilfswerke und die Uno nutzen die Karte, um abzuwägen, wie gefährlich bestimmte Regionen geworden sind; Medien verwenden sie, um eine breite Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie sich der russische Feldzug entwickelt.

Screenshot von Liveuamap.com vom 21. März 2022. Hinter jedem Symbol steht ein für den Krieg relevanter, aktueller Social-Media-Inhalt – das ist der Anspruch des Webdienstes.

Screenshot von Liveuamap.com vom 21. März 2022. Hinter jedem Symbol steht ein für den Krieg relevanter, aktueller Social-Media-Inhalt – das ist der Anspruch des Webdienstes.

Liveuamap zählt allerdings nicht nur freundlich gesinnte Nutzer. Die Online-Karte hat auch Feinde. Wenige Tage nach Kriegsanfang wurde sie zwölf Stunden vom Netz gezwungen, indem millionenfach künstliche Website-Besuche generiert wurden. Die Webserver kollabierten. Nur mit der spontanen Hilfe der amerikanischen Firma Cloudflare, eines Unternehmens, das auf die Abwehr solcher Angriffe spezialisiert ist, konnte die Last von den Servern abgewendet werden. Der Software-Entwickler Roschkowski vermutet, dass die Russen dahintersteckten. Beweise dafür hat er keine.

Roschkowski möchte allerdings auch nicht, dass die ukrainischen Behörden seinen Aufenthaltsort kennen. Seit dem Beginn des Krieges gilt eine allgemeine Mobilmachung. Männern von 18 bis 60 Jahren ist es verboten, auszureisen. Mit seinen 33 Jahren befindet sich Roschkowski im besten wehrfähigen Alter.

«Wir rechneten seit acht Jahren mit dem Angriff»

Der Ukrainer sitzt beim Video-Anruf in einem gut ausgeleuchteten Zimmer, hinter ihm eine rote Backsteinwand. Er trägt einen grünen Hoodie und einen dünnen Bart. Er wirkt jugendlicher als Mitte dreissig und erstaunlich entspannt für jemanden, der in einer Kriegszone lebt.

Warum war er sich überhaupt so sicher, dass die Russen angreifen würden? «Wir haben auffällige Satellitenbilder und Meldungen von russischen Social-Media-Nutzern seit November beobachtet. Als die Russen damit begannen, ganze Zeltstädte nahe der ukrainisch-russischen Grenze zu errichten, konnte das nur bedeuten, dass sie tatsächlich einmarschieren wollten», sagt Roschkowski.

Natürlich habe er gehofft, dass er sich irre. «Aber eigentlich rechneten ich und Alexander seit acht Jahren damit, dass die Russen angreifen würden. Deshalb haben wir die Karte überhaupt gebaut», sagt Roschkowski. Mit Alexander ist der Mitgründer von Liveuamap gemeint, der 35-jährige Alexander Biltschenko.

Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass die beiden eine Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine vorausgesagt haben. Das taten sie schon Ende Februar 2014, als der damalige russlandfreundliche Präsident Wiktor Janukowitsch nach Unruhen in Kiew nach Moskau flüchtete. Das ukrainische Parlament erklärte Janukowitsch darauf für abgesetzt.

«Für uns war klar, das dies Russland nicht einfach akzeptieren würde», sagt Roschkowski, «unsere Online-Karte war auch eine Vorahnung, dass Russland die Krim besetzen würde.» Am 18. Februar 2014 gingen sie damit erstmals online. Neun Tage später besetzte das russische Militär strategisch wichtige Gebäude und Einrichtungen. Die Annexion der Krim ist minuziös auf der Karte dokumentiert.

Doch wie funktioniert das Filtersystem von Roschkowski und Biltschenko überhaupt? Gelingt es ihnen wirklich, mit der Informationsflut – auch Falschinformation – in den sozialen Netzwerken sinnvoll umzugehen?

Roschkowski und Biltschenko studierten Informatik in Dnipro und lernten sich über einen gemeinsamen Geschäfts-Freund kennen. Beide hatten unabhängig von einander mit Algorithmen zu experimentieren begonnen, die örtlich gebundene Social-Media-Inhalte sinnvoll gruppierten. Sie halfen ihnen damals zu verstehen, wo in der pulsierenden Stadt gerade etwas los war. In Grundzügen kommt die damals entwickelte Software auch für die Online-Karte zum Einsatz. Sie sucht nach lokal gehäuften Meldungen zu Kämpfen, neu besetzten Gebieten, neuer militärischer Präsenz. Dafür werden nicht nur einzelne Tweets oder Facebook-Posts berücksichtigt, sondern alle früheren Veröffentlichungen eines Nutzers, wem der Nutzer folgt oder wie oft er Social Media nutzt.

Screenshot Liveuamap: Jede Meldung wird von zwei Menschen geprüft, bevor sie in die Karte integriert wird.

Screenshot Liveuamap: Jede Meldung wird von zwei Menschen geprüft, bevor sie in die Karte integriert wird.

Sobald sich irgendwo Social-Media-Inhalte lokal eingegrenzt häufen, werden Roschkowski und Biltschenko vom System automatisch darüber informiert. Sie fällen dann einen redaktionellen Entscheid, ob der Tweet oder der Facebook-Post auf der Online-Karte fixiert wird oder ob es weitere Verifikation braucht. «Es ist wichtig zu verstehen, dass nichts automatisch veröffentlicht wird. Hinter jeder auf der Karte veröffentlichten Meldung steht der Entscheid von mindestens zwei Menschen», sagt Roschkowski. Diese Kollaboration von Mensch und Maschine macht es laut dem Ukrainer sehr schwer, dass sich Falschmeldungen auf der Karten-Plattform einschleichen können.

Gleichzeitig wird der Algorithmus immer besser. Denn auf jeden Social-Media-Post, den er vorschlägt, erhält er von Roschkowski und Biltschenko eine Rückmeldung, wie gut der Inhalt des jeweiligen Nutzers tatsächlich gewesen sei. War die Meldung wirklich neu und wichtig? War der Autor tatsächlich dort, wo er zu sein behauptete? So lernt das System stetig dazu.

Neue Karten zu Syrien, Afghanistan, Israel und Palästina

Der Algorithmus funktionierte während der Krim-Annexion 2014 und bei den Ereignissen in den Separatistengebieten im Osten des Landes so gut, dass bald einmal rund 150 000 Nutzer Liveuamap täglich besuchten. Bestärkt durch diesen Erfolg, wandten sich Roschkowski und Biltschenko anderen Konfliktregionen zu: Syrien, Afghanistan, Israel und Palästina. Sie erweiterten ihre Karten mit Darstellungen dazu, welche Konfliktpartei welche Gebiete neu kontrolliert. Durch den Abgleich mit Satellitenbildern konnten sie selbst im unübersichtlichen Syrien-Krieg die Machtbereiche der einzelnen Kriegsparteien ziemlich exakt herausarbeiten.

Screenshot von Liveuamap.com: Bei einem Klick auf das Kartensymbol wird den Nutzern der jeweilige Social-Media-Inhalt gezeigt.

Screenshot von Liveuamap.com: Bei einem Klick auf das Kartensymbol wird den Nutzern der jeweilige Social-Media-Inhalt gezeigt.

Im Ukraine-Krieg kommt eine weitere Verifikationsebene hinzu. Um beispielsweise eine russische Militärpräsenz auf bisher nicht kontrolliertem Gebiet zu überprüfen, telefoniert das Liveuamaps-Team die umliegenden Dörfer und Kleinstädte ab, um zu verstehen, ob wirklich die ganze Gegend oder nur ein einzelner Strassenzug besetzt wurde. So entstehen die vielen rot eingefärbten Flächen und Korridore auf der aktuellen Ukraine-Karte.

All das braucht Ressourcen. Aus der Zwei-Mann-Bude ist deshalb mittlerweile eine grössere Operation geworden. Heute zählt Liveuamap zehn festangestellte Personen und fünfzig weitere, die im Stundenlohn arbeiten. Finanziert wird der Dienst via Werbung und mit dem Verkauf der geografischen Daten, die bei der Bearbeitung der Karte entstehen – etwa die Fläche der russischen Gebietsgewinne oder -verluste. Am ersten Tag des Krieges besuchten 2,7 Millionen Nutzer die Karte.

Ob er seine Wohnung wiedersehen wird, weiss er nicht

«Im Moment kann ich wirklich nicht sagen, dass ich als Unternehmer denke», sagt Roschkowski, «ich beschäftige mich nur damit, diesen Krieg zu überstehen und so gut wie möglich auf unserer Karte zu dokumentieren.»

Roschkowski sagt, es sei schrecklich, tagaus, tagein Bilder und Videos davon anzuschauen, wie die Heimat zerstört werde. Ende letzten Jahres hatte er sich mit seiner Frau ein kleines Apartment in Kiew gekauft. Gelegentlich entdeckt er bei der Arbeit Bilder dieses Wohnblocks. «Im Grunde kann ich in Echtzeit verfolgen, wie die Russen mein Apartment zerstören», sagt Roschkowski. Wann er seine Wohnung das nächste Mal physisch sehen werde, wisse er nicht. Ob überhaupt.

März 2022 | In Arbeit | Kommentieren

»Die Rosen des Heliogabal« | Die Dekadenz am Hof Elagabals stellt sich hier der Maler Sir Lawrence Alma-Tadema (1836-1912) vor: Der Kaiser lässt auf seine Gäste Rosen regnen

Vor 1800 Jahren reichte es den Soldaten mit ihrem Kaiser. Elagabal, der Fanatiker, von dem es hieß, dass er in Frauenkleidern Prostitutierte spielte, war in seiner Mission grandios gescheitert. Eine üblere Nachrede hatte wohl kaum ein Kaiser. Unter all den schlechten Herrschern, die das Imperium Romanum während der Jahrhunderte seines Bestehens erdulden musste, gilt Elagabal (204–222) als einer der schlechtesten. Das zügellose – in den Augen konservativer Römer: widernatürliche – Sexualleben des Kaisers, sein Hang zu Frauenkleidern, die Vorliebe für gut gebaute Männer aus niederem Stand, die zahlreichen Freveltaten gegen gleich mehrere römische Gottheiten, vor allem aber der fanatische Eifer, mit dem er sich als Priester einer syrischen Gottheit an die Neuordnung des römischen Götterhimmels machte, erfüllten schon seine Zeitgenossen mit Abscheu.

 

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März 2022 | In Arbeit | Kommentieren
Seit 1945 wurde keine Atomwaffe mehr in einem Krieg eingesetzt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Putin zu nuklearen Waffen greift. Doch allein seine Drohung ist inakzeptabel.
Eine Reihe von Raketen mit Nuklear-Logo auf der Verkleidung.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar hat der russische Präsident Wladimir Putin befohlen, die Alarmstufe der russischen Atomstreitkräfte zu erhöhen. Außerdem droht er indirekt mit dem Einsatz solcher Waffen. Die unverhohlene Aggression gegen die Ukraine hat Europa und die Welt schockiert. Der Krieg ist eine Tragödie für die Ukraine – und er zeigt die Grenzen des Vertrauens des Westens in die nukleare Abschreckung auf.

Abschreckung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Besitz von Atomwaffen allein dadurch schützt, dass Angreifer einen verheerenden Vergeltungsschlag befürchten müssen. Dieses Konzept hat nach allgemeiner Auffassung dazu beigetragen, einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion während des Kalten Kriegs zu verhindern.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine verdeutlicht jedoch die Schattenseiten dieses Konzepts. Denn es ist offensichtlich, dass Putin die nukleare Abschreckung nicht einsetzt, um Russland zu schützen, sondern um seinen Willen in der Ukraine durchzusetzen. Russlands Atomwaffen halten den Westen davon ab, mit konventionellen Streitkräften zur Verteidigung der Ukraine einzugreifen.

Flugverbotszone könnte Dritten Weltkrieg auslösen

Trotz vereinzelter Rufe in den USA nach der Einrichtung einer Flugverbotszone über einem Teil oder der gesamten Ukraine hat sich die Regierung Biden klugerweise dagegen ausgesprochen. In der Praxis würde dies den Abschuss russischer Flugzeuge bedeuten. Das könnte zum Dritten Weltkrieg führen. Auf der anderen Seite halten die Atomwaffen der NATO Russland vermutlich davon ab, den Krieg auf NATO-Länder wie Polen, Rumänien oder die baltischen Staaten auszuweiten. Das nukleare Gleichgewicht des Schreckens verhindert also wahrscheinlich einen größeren europäischen Krieg, überlässt es aber der Ukraine, mit nur begrenzter Unterstützung weiterzukämpfen. Alles in allem scheinen die NATO-Staaten durch ihre viel gepriesene nukleare Abschreckung nicht sehr beruhigt zu sein. Sie machen sich weiterhin Sorgen über die (unwahrscheinliche) Möglichkeit eines russischen konventionellen Angriffs über die Ukraine hinaus.

Es ist nicht das erste Mal, dass Putin mit dem nuklearen Säbel rasselt. Das tat er auch 2014 während der russischen Invasion der Krim, als die russische Führung offen darüber sprach, Atomwaffen in Alarmbereitschaft zu versetzen. Im Jahr 2015 drohte Russland dänischen Kriegsschiffen mit Atomwaffen, falls Dänemark dem Raketenabwehrsystem der NATO beitreten würde. Putin verweist gerne auf seine Atomwaffen, um den Westen (und vielleicht auch sich selbst) daran zu erinnern, dass Russland immer noch eine Großmacht ist. In der gegenwärtigen Krise will Putin die USA und die NATO eindeutig wissen lassen, dass er im Fall eines militärischen Eingreifens des Westens zu Gunsten der Ukraine zu seinen so genannten taktischen (oder »nicht strategischen«) Atomwaffen greifen könnte.

In der Welt der Atomwaffen bedeutet taktisch eine sehr große Menge an explosiver Energie, und strategisch bedeutet es eine noch größere. Die meisten Kernwaffen haben heute eine variable Sprengkraft oder »dial-a-yield«, das heißt sie verfügen über eine festgelegte Menge an Sprengkraft, die von Bruchteilen einer Kilotonne bis zu einem Vielfachen einer Megatonne reichen kann. (Die neueste Version der US-Atombombe B61 kann zum Beispiel 0,3, 1,5, 10 oder 50 Kilotonnen Sprengkraft freisetzen. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Sprengkraft von etwa 15 Kilotonnen.) Russland verfügt über etwa 4500 Atomsprengköpfe in seinem Arsenal. Die Waffen mit der größten Sprengkraft – die »strategischen« Waffen – sind auf U-Booten, Bombern und Interkontinentalraketen stationiert.

Taktische Atomwaffen setzen falsche Anreize

Russland verfügt aber auch über etwa 2000 taktische Atomwaffen, die in Lagern im ganzen Land aufbewahrt werden und für kleinere, lokal begrenzte Einsätze gegen Truppen und Einrichtungen entwickelt wurden. Diese Waffen können von denselben Kurzstreckenraketen abgefeuert werden, die Russland derzeit zur Bombardierung der Ukraine einsetzt, zum Beispiel von seiner ballistischen Iskander-Rakete, die eine Reichweite von etwa 500 Kilometern hat. Das sind nicht die einzigen taktischen Waffen, die eingesetzt werden könnten; die Vereinigten Staaten haben rund 100 nukleare »Schwerkraftbomben« (mit weniger ausgefeilter Steuerung) in Europa stationiert.

Taktische Nuklearwaffen gibt es, weil es eine große Hürde ist, die großen stadtzerstörenden Waffen einzusetzen wegen ihrer massiven destruktiven Kräfte. Durch die Verkleinerung der Atomwaffen und die präzisere Ausrichtung auf das Ziel wird ihr Einsatz eher denkbar. Paradoxerweise macht dies zwar die Drohungen zur Abschreckung glaubwürdiger, aber es macht es auch verlockender, diese Waffen zuerst einzusetzen und nicht nur zur Vergeltung.

Niemand sollte sich jedoch einbilden, dass der Einsatz einer taktischen Kernwaffe sinnvoll ist. Eine thermonukleare Explosion jeder Größe besitzt eine überwältigende Zerstörungskraft. Selbst eine Kernwaffe mit »geringer Sprengkraft« (0,3 Kilotonnen) würde Schäden verursachen, die weit über die eines konventionellen Sprengstoffs hinausgehen. (Auf der vom Nuklearhistoriker Alexander Wellerstein eingerichteten interaktiven Website NUKEMAP kann man die Auswirkungen einer Nuklearexplosion beliebiger Größe überall auf der Welt simulieren.) Sie würde auch alle schrecklichen Folgen von Hiroshima nach sich ziehen, wenn auch in kleinerem Maßstab.

Gefahr der Eskalation auch durch taktische Waffen

Eine taktische Nuklearwaffe würde einen Feuerball, Stoßwellen und eine tödliche Strahlung erzeugen, die bei den Überlebenden langfristige Gesundheitsschäden hervorrufen würde. Radioaktiver Niederschlag würde die Luft, den Boden, das Wasser und die Nahrungsmittel verseuchen (in der Ukraine kennt man diese Folgen bereits von der verheerenden Kernschmelze im Kernreaktor von Tschernobyl im Jahr 1986).

Niemand weiß, ob der Einsatz einer taktischen Atomwaffe einen ausgewachsenen Atomkrieg auslösen würde. Die Gefahr einer Eskalation ist jedoch sehr real. Für diejenigen, die ein solcher Nuklearschlag trifft, wäre es egal, ob es sich um einen taktischen oder einen strategischen Schlag handelt. In seiner Aussage vor dem Ausschuss für Streitkräfte des Repräsentantenhauses am 6. Februar 2018 erklärte der damalige US-Verteidigungsminister James Mattis: »Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine taktische Atomwaffe gibt. Jede Atomwaffe, die irgendwann eingesetzt wird, ist ein strategischer Game-Changer.« Die russische Führung hat deutlich gemacht, dass sie jeden nuklearen Angriff als den Beginn eines Atomkriegs betrachten würde.

Besonders besorgniserregend ist die Möglichkeit, dass der Krieg so weit eskalieren könnte, dass Atomwaffen eingesetzt werden. Durch das Heraufsetzen der Alarmstufe der russischen Nuklearstreitkräfte erhöht Putin das Risiko eines Nuklearwaffeneinsatzes durch eine Fehlkalkulation oder einen Unfall. Im schlimmsten Fall könnte Putin aus Verzweiflung zu einer taktischen Atomwaffe greifen. Das ist zwar immer noch unwahrscheinlich, aber das Risiko ist nicht gleich null. Eine Erhöhung dieses Risikos ist inakzeptabel.

Nukleare Drohungen sind inakzeptabel

Obwohl im Lauf der Jahre unzählige Atomwaffen getestet wurden, ist seit 1945 keine einzige mehr im Krieg eingesetzt worden. Die 77 Jahre alte Tradition des Nichteinsatzes von Atomwaffen – das Atomtabu – ist die wichtigste Errungenschaft des Atomzeitalters. Es ist eine Verpflichtung der heutigen Staats- und Regierungschefs, dafür zu sorgen, dass Kernwaffen nie wieder eingesetzt werden. Putin und der russische Außenminister Sergej Lawrow sollten aufhören, mit Atomwaffen zu drohen. Andere Staats- und Regierungschefs sollten ihren Schock und ihre Empörung zum Ausdruck bringen und deutlich machen, dass nukleare Drohungen unverantwortlich und inakzeptabel sind.

Die nukleare Abschreckung ist mit enormen Risiken und enormen Kosten verbunden. Die Argumente, die für die Abschreckung sprechen, klingen zwar manchmal überzeugend, sind aber nicht immer wahr. Wir müssen anerkennen, dass die nukleare Abschreckung scheitern kann. Deshalb schläft trotz der Milliarden von Dollar, die in Atomwaffenarsenale investiert werden, niemand ruhig unter einem nuklearen Schutzschirm – vor allem nicht in einer Krise wie dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.

Dieser Krieg wird wahrscheinlich die europäische Sicherheitsordnung auf den Kopf stellen. Er zeigt auch, wie wenig echten Schutz Atomwaffen bieten. Die Welt wäre ohne diese Waffen besser dran.

März 2022 | In Arbeit | Kommentieren

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