
durch? Warum? Wem nützen sie, was hat das mit Macht zu tun, warum profitiert eine gewisse Mehrheit von gewissen Erzählungen mehr als von anderen?“
Sprache schafft Realitäten
Aber ließen sich diese alten Deutungshoheiten nicht auch aufbrechen, ohne eine Menge Sonderzeichen in den alltäglichen Sprachgebrauch einzuführen? So gibt es zum Beispiel auch Menschen, die zwar sagen: Ja, es ist wichtig, Deutungshoheiten aufzubrechen und eine größere Vielfalt sichtbar zu machen. Dies solle sich aber nicht so in der Sprache widerspiegeln, wie das jetzt mit Gendersternchen geschieht oder indem ich die weibliche und männliche Form nutze. Weil, so das Argument, man auch das generische Maskulinum für alle nehmen könne, denn jeder wisse, dass alle damit gemeint seien.
Das hält Horst Simon, Professor für Historische Sprachwissenschaft, für einen Trugschluss:
„Leute glauben, dass sie irgendetwas denken, aber vielleicht stimmt das gar nicht. Es gibt ne Menge Studien im Bereich der Psycholinguistik, die gezeigt haben, dass es doch subtil Unterschiede gibt, ob jemand sagt: Da sitzen zwei Lehrer*innen oder das sitzen zwei Lehrer. In der Art, was dabei konzeptualisiert wird. Und ich glaube, das kann man mittlerweile nach 35 Jahre empirischer Forschung in dem Bereich auch nicht mehr abstreiten, dass es Konzeptualisierungsunterschiede gibt.“
„Unsere Sprache ist ja immer normiert“
Es wäre gut, wenn sich Institutionen wie etwa auch die Medien klare Regeln geben, dass und wie gegendert wird. Sprachnormen seien doch auch in anderen Bereichen etwas völlig Übliches.
„Unsere Sprache ist ja immer normiert“, betont sie. „Wenn ich an die Universität gehe, weiß ich auch, dass gewisse Dinge von mir erwartet werden. Aber ich finde es doch bezeichnend, dass gerade der Bereich des Genderns oder gendersensibler Sprache so aufgefasst wird, als sei das der einzige Bereich, wo Sprache normiert wird. Das stimmt einfach nicht.“
Eine andere Möglichkeit wäre es, gendergerechtes Sprechen einfach über Vorbildwirkung attraktiver zu machen. Denn, so Horst Simon:
„So funktioniert das bei Sprachwandel häufig, dass wir Wörter aufgreifen, verwenden, weil sie irgendeinen Vorteil haben auf der Ebene der Bezeichnungen und auf der Ebene des sozialen Erfolgs. Und manchmal klappt’s und manchmal klappt’s nicht.“
https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvL2QyZWQ0NTkwLTQ5MWQtNDQ3Zi04MTEyLWQ1YmYzMzc5Mjc4Yg
„Liebe Freunde“ oder doch besser „Liebe Freund:innen“: Wer fühlt sich wann angesprochen? Wir sammeln Argumente:
Auf einen Blick: Gendern – Ja oder nein?
Gendern bedeutet, so zu sprechen und zu schreiben, dass alle Geschlechter gleichberechtigt nebeneinander vorkommen und sichtbar werden.
Die Mehrheit der Deutschen ist gegen das Gendern. Die Debatte um eine gendergerechte Ausdrucksweise wird sehr emotional geführt: Während die einen denken, Gendern würde Frauen und Menschen mit einer divers geschlechtliche Identität sichtbarer machen, fürchten die anderen, dass die deutsche Sprache mutwillig verunstaltet würde.
Über die Nutzung des Gendersternchens gibt es auch innerhalb der Linguistik heftige Debatten.
Die gute Nachricht: Geschlechtersensible Sprech- und Schreibweisen kann man üben, und dabei kommt man oft auch ganz ohne * aus …
Geschlechtersensible Sprache
Definition
Seit einigen Jahren können in Deutschland Menschen, die sich selbst weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen, im Geburtsregister die Option „divers“ eintragen lassen. Das Gendern, also die Verwendung gendergerechter Sprache, soll sprachlich eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern schaffen. Alle, die gemeint sind, sollen auch sichtbar gemacht werden. Dazu wird entweder eine neutrale Form verwendet, zum Beispiel „Lehrende“ statt „Lehrer“. Oder eine Sprech- oder Schreibweise, bei der in einem Wort alle Geschlechter mitgemeint sind: Zwischen männlicher und weiblicher Endung wird ein Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich eingefügt und beim Sprechen eine kurze Pause gemacht: Lehrer:in. Man kann aber auch auf die Nennung beider Geschlechter zurückgreifen: Lehrerinnen und Lehrer.
In der Sprache sichtbar sein
Für Menschen, die sich nicht in die „klassische“ Einteilung Frau oder Mann einfügen, hat die geschlechtersensible Sprache eine große Bedeutung. Für Louie Läuger, Illustrator:in und Autor:in, die sich als nicht-binär positioniert, ist es eine Erleichterung, dass es heute Worte gibt, mit denen Identitäten beschrieben werden können, wie eben zum Beispiel „nicht-binär“. Gendergerechte Sprache sorgt in Louies Augen dafür, dass nicht-binäre Menschen mitgesprochen und damit sichtbar werden. Damit ändert die Sprache auch die Wahrnehmung der Realität.
Louie Läuger
„Wenn jemand gendergerechte Sprache verwendet, signalisiert die Person mir ja sofort: ‚Ich weiß Bescheid, ich versuche, einen sicheren Raum für dich zu gestalten.‘ Und natürlich macht das was mit mir.“
Louie Läuger, Illustrator:in und Autor:in
Alte Debatte, schwierig zu lösen
Die Diskussion über gendergerechte Sprache ist keineswegs neu. Bereits in den 1970er-Jahren gab es fachwissenschaftliche Studien zu bestimmten Sprachformen. Die gesellschaftliche Debatte stammt mindestens aus den 60er-Jahren und kam über die USA nach Deutschland.
Gabriele Diewald, Professorin für Germanistische Linguistik, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Genderlinguistik. Im Interview erklärt sie, warum die Debatte übers Gendern so aufgeregt geführt wird, ob das Gendersternchen dazu geeignet ist, Benennungslücken zu schließen und warum das Sternchen auch innerhalb der Linguistik zu heftigen Debatten führt.
Professorin Gabriele Diewald: Sprache verändert unser Denken
„Gender-Hochdeutsch“ für die „Elite“?
In jüngeren und queer-feministischen Kreisen wird häufiger gegendert. Aber längst nicht alle jungen Menschen finden das Gendern gut. BR-Journalistin Julia Ruhs hat sich im ARD-Mittagsmagazin gegen das Gendern ausgesprochen. Ihrer Meinung nach macht es die Sprache unnötig kompliziert und spaltet letztendlich die Gesellschaft. Außerdem nervt es sie, dass manche glauben, man müsse nur die Sprache ändern und schon wäre die Welt eine bessere. Eigentlich müsse man an der Realität etwas ändern. Auch wenn sie persönlich nichts vom Gendern hält, wäre es für sie etwas Anderes, wenn jemand sie direkt um eine andere Ansprache bitten würde.
Julia Ruhs
„Ich verwende ja auch keinen Spitznamen, den jemand doof findet. Also wenn mir jemand sagt, dass ich den bitte nicht mehr so nennen soll, dann mache ich das nicht.“
Julia Ruhs, Journalistin
Zahlen und Fakten
Video (4:06): Welche Länder gendern wie?
Wie gendern andere Länder?
In Frankreich akzeptierte die Académie française, die oberste Hüterin der französischen Sprache, im Jahr 2019 neue Wortformen wie feminisierte Berufsbezeichnungen, die es vorher so nicht gab.
Die englische Sprache ist in vielen Fällen ohnehin geschlechtsneutral. Das Pronomen „they“ wird inzwischen häufiger als Ersatz für „he“ oder „she“ benutzt.
Im Spanischen gibt es neue Pluralformen, die neben männlich und weiblich auch das Geschlecht „divers“ berücksichtigen, zum Beispiel „amigues“ anstelle von „amigos“ (Freunde) und „amigas“ (Freundinnen).
Zahlen und Fakten: Quellen (pdf)
Quellen „Welche Länder gendern wie?“ Format: PDF Größe: 125,02 KB
Eine Sprache, die alle verstehen können
Genderinklusive Sprache, die also alle Geschlechtsidentitäten miteinschließt, sollte im Idealfall auch eine „inklusive Sprache“, also möglichst verständlich für alle sein: Menschen mit geistigen Einschränkungen, Menschen, die gerade anfangen, Deutsch zu lernen, Menschen mit Sehbehinderung müssen sie ebenfalls verstehen und anwenden können.
Auf genderleicht.de, ein Projekt des Journalistinnenbund e.V., gibt es viele Tipps, wie man elegant, verständlich und dabei gendersensibel spricht und schreibt. Für eine Sprache, die auch Menschen verstehen, die in „leichter Sprache“ kommunizieren, lautet die Empfehlung von Christine Olderdissen, Projektleiterin von genderleicht.de: so wenig Sternchen wie möglich. Ein Ärgernis für viele ist außerdem die Sprechpause, die man für das Sternchen bzw. den Doppelpunkt macht – vor allem, wenn man darin nicht geübt ist und es sehr übertrieben spricht. Auch dafür hat Christine Olderdissen einen Tipp.
Christine Olderdissen
„Sagen Sie das Wort Bäckerinnung und dann Bäcker:innen. Es ist genau die gleiche Betonung. Und wenn wir das so ein bisschen nach hinten runterfallen lassen, dann ist das so klein und so fein, dass es nicht mehr so auffällt. […] Und trotzdem hören wir in Mini-Sekunden die Botschaft.“
Christine Olderdissen, Genderexpertin
Mehr zum Thema
zum Video Söders Angst vorm Zwang zum Gendern
zum Artikel Gendern – Modeerscheinung oder Sprach(r)evolution?
zum Video Zukunft der Sprache – was bringt Gendern wirklich?
zum Video PULS Reportage: Was bringt Gendern?
zum Audio Gendern = Sprachplanung? Zur Kritik am ÖRR
zum Audio Linguistik vs. Gendern? Geht auch differenzierter!
Mehr RESPEKT
zur Übersicht Political Correctness
Gendersternchen, Gendergap, die Verwendung von Sprache, die niemanden diskriminiert – wie wichtig ist Political Correctness? Warum löst sie immer wieder hitzige Diskussionen aus? [mehr – zur Übersicht: Political Correctness ]
zur Übersicht Gendergerechtigkeit
Gender bezeichnet das soziale Geschlecht: Was wird in einer Gesellschaft als „männlich“, was als „weiblich“ gesehen? Warum fällt es so schwer, vom Schwarz-Weiß-Mann-Frau-Denken wegzukommen? [mehr – zur Übersicht: Gendergerechtigkeit ]
28.07. | 09:30 Uhr ARD alpha zur Übersicht Sexuelle Identität – LGBTQI*
LGBTQI*: Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer, intersexuell sind – was wünschen sie sich? Wie sieht es aus mit ihrer Integration in die Gesellschaft? [mehr – zur Übersicht: Sexuelle Identität – LGBTQI* ]
zur Übersicht Feminismus
In Deutschland sind wir mit der Gleichberechtigung von Frauen noch nicht so weit, wie Feministinnen sich das wünschen. Noch immer werden zu Hause und in der Öffentlichkeit Frauen abgewertet und bedroht. [mehr – zur Übersicht: Feminismus ]
Gendern im Grundgesetz: Das Parlament darf gendern
Annalena Baerbock hat Gesetzestexte mit Gendersternchen angeregt. Der Widerstand dagegen ist politisch, denn in der Verfassung spricht nichts dagegen.
Ein Gastbeitrag von Volker Boehme-Neßler
3. August 2021, 14:54 Uhr 365 Kommentare
Ob Mann oder Frau oder Sternchen in Gesetzestexten stehen, ist verfassungsrechtlich unproblematisch. © Myriam Tirler/ plainpicture
Volker Boehme-Neßler lehrt öffentliches Recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Gesetze mit Gendersternchen – ist das denkbar? Grünenspitzenkandidatin Annalena Baerbock jedenfalls hat das kürzlich in einem Interview angeregt. Und ganz neu ist die Idee nicht. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) wollte Gendern im Gesetz schon im September vergangenen Jahres durchsetzen. Was sagt die Verfassung dazu? Nichts, könnte man bei einem flüchtigen Blick meinen. Das Grundgesetz beschäftigt sich doch nicht mit Sprache! Das täuscht allerdings sehr. Je genauer man hinschaut, desto klarere Aussagen zum Gendern von Gesetzen findet man dort.
Gleichheit und Gleichberechtigung sind wichtige Grundwerte der Verfassung. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, heißt es klar und unmissverständlich schon am Anfang des Grundgesetzes. Und: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Auch das findet sich so in der Verfassung. Das ist offensichtlich keine Zustandsbeschreibung, sondern ein Ziel. Die Verfassung ist nicht naiv, natürlich sieht sie, dass diese Idealvorstellung noch nicht der Wirklichkeit entspricht. Deshalb verlangt sie vom Staat ausdrücklich, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern durch aktive Politik voranzutreiben. Die Politik darf sich nicht auf dem Status quo ausruhen.
Das Beste aus Z+:
Landflucht : Hilfe, die Berliner kommen!
Allerdings gibt es Spielräume. In der Demokratie macht die konkrete Politik der Gesetzgeber, also das Parlament, und nicht die Verfassung. Letztere wird jedoch an einer Stelle bereits selbst ganz konkret. Sie verbietet eine Diskriminierung oder Privilegierung wegen des Geschlechts ausdrücklich. Die europäische Grundrechtecharta erweitert dieses Verbot auf die sexuelle Orientierung.
Die Freiheit des Parlaments ist nicht grenzenlos
Das bedeutet in aller Kürze: Wer das Gendern der Sprache als Tool ansieht, Gleichberechtigung voranzutreiben, kann sich auf die Verfassung und die europäischen Grundrechte berufen. Und so haben sich die Bundesministerien grundsätzlich verpflichtet, die Gleichstellung von Männern und Frauen in Gesetzesentwürfen auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Gender-Mainstreaming ist auch in der Normsetzung erlaubt. Ist der Gesetzgeber dazu vielleicht sogar verpflichtet? Das ist eine andere Frage.
Auch das Demokratieprinzip erlaubt dem Parlament, seine Gesetze in geschlechtergerechter Sprache abzufassen. Alle Macht geht vom Volk aus, heißt es in der Verfassung. In der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes ist deshalb das von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Parlament die oberste politische Instanz. Gesetze, über die gestritten wird und die mit Mehrheiten verabschiedet werden, sind das wichtigste Instrument, um die Gesellschaft zu gestalten und das Verhalten der Menschen zu steuern. Was der Bundestag in die Gesetze schreibt, entscheidet er selbst. Die einzige, aber entscheidende Grenze für den Inhalt von Gesetzen ist die Verfassung. Das gilt nicht nur für den Inhalt, sondern auch für die Sprache der Gesetze. Natürlich darf ein Parlament entscheiden, wie es formuliert und welche Sprache es benutzt. Allerdings ist die Freiheit des Parlaments nicht völlig grenzenlos.
Gendern ist unproblematisch, solange es eindeutig ist
Die Grenze zieht dem Parlament das Rechtsstaatsprinzip. Darin ist verankert, dass Gesetze klar, eindeutig und möglichst verständlich sein müssen. Ein schönes Ziel, aber schon ein flüchtiger Blick in die Gesetzbücher zeigt, dass die Wirklichkeit der Gesetzestexte diesem Anspruch oft nicht gerecht wird. Dann ist es die Aufgabe der Gerichte, durch ihre Auslegung der Gesetze und ihre Rechtsprechung für Klarheit zu sorgen.
Dabei geht es um die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Sehr deutlich wird das am Beispiel des Strafgesetzbuchs, das ein besonders harter Eingriff in die Freiheit ist. Die Menschen müssen wissen, was genau verboten ist und welche konkrete Strafe auf einen Gesetzesverstoß steht. Dann können sie sich entsprechend verhalten. Ein Gesetzgeber, der unklar und schwammig formuliert, verunsichert die Bürgerinnen und Bürger, macht sie ängstlich und übervorsichtig. Sie wissen ja nicht genau, was verboten ist. Vielleicht verstoßen sie gegen ein Strafgesetz, ohne es zu wollen oder zu wissen. Um nichts zu riskieren, nutzen sie ihre Freiheit im Zweifel dann lieber nicht. Das widerspricht dem freiheitlichen Ansatz des Grundgesetzes völlig.
Newsletter
Jetzt neu: Der Geld-Newsletter
Geld oder Leben? Warum nicht beides! Jeden Dienstag bringt unser Newsletter Finanzwelt und Familie, Börse und Beziehung in Ihrem Postfach zusammen.
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis.
Für das Gendern von Gesetzen bedeutet das: Geschlechtergerechte Sprache ist verfassungsrechtlich völlig unproblematisch, solange sie klar und eindeutig ist und dem Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes genügt.
Die Justizministerin und das generische Femininum
Im September vergangenen Jahres startete Justizministerin Lambrecht einen Versuch. Sie legte den Referentenentwurf eines Gesetzes zum Insolvenzrecht vor, der nicht im sonst üblichen generischen Maskulinum formuliert war. Er benutzte durchgehend die weibliche Form. Es ging um Geschäftsleiterinnen, Schuldnerinnen und Inhaberinnen. Also: generisches Femininum statt des generischen Maskulinums. Der politische Widerstand war groß. Die Justizministerin konnte sich damit nicht durchsetzen. Besonders aus dem Innenministerium kam scharfe Kritik. Das Gesetz sei verfassungswidrig, weil es im generischen Femininum formuliert sei. Dadurch seien Männer von der Regelung ausgeschlossen.
Ob das ein stichhaltiges Argument ist, scheint zweifelhaft. Zwar ist das generische Femininum tatsächlich in der Rechtssprache völlig ungebräuchlich. Gesetze, die ungewöhnlich, unklar oder irritierend sind, kommen allerdings in der Praxis immer wieder vor. In diesen Fällen hilft die juristische Methode der Auslegung, den wirklichen Inhalt des Gesetzes zu ermitteln. Das hätte auch hier geholfen. Eine realitätsnahe Auslegung ergibt, dass das Insolvenz- und Sanierungsgesetz für alle Betroffenen gelten soll, unabhängig vom Geschlecht. Welchen Sinn hätte ein Insolvenzgesetz nur für Frauen? Vor diesem Hintergrund wirkt das Argument des Innenministeriums doch vorgeschoben. Nicht alles, was man politisch nicht will, ist auch verfassungswidrig.
Ob Gesetze gegendert werden sollen oder nicht, ist keine Frage des Verfassungsrechts. Es ist eine politische Entscheidung.
……………………………….
Streit ums Gendern: Nein, die deutsche Sprache diskriminiert Frauen nicht
Bevorzugt unsere Sprache Männer? Studien sollen das angeblich zeigen. Doch Wissenschaftler weisen die These zurück. Eine Analyse.
Gendern mit Sternchen, Doppelpunkten – oder gar nicht? Bei einem Wort wie Bürger würden wir „eher an Männer denken“. Studien hätten das belegt. Wer die Debatte um das Gendern der Sprache verfolgt, hat Aussagen wie diese wahrscheinlich oft gehört. Bislang weniger bekannt ist, dass Sprachwissenschaftler und Germanisten diese These als unhaltbar zurückweisen.
An den besagten Studien kritisieren sie gravierende wissenschaftliche Mängel; die Interpretation der Ergebnisse betrachten sie als falsch und irreführend. Was also geht uns beim Lesen und Hören wirklich durch den Kopf?
Um die Aussagekraft und Relevanz der Studien beurteilen zu können, ist es sinnvoll, sich zunächst eine empirische Tatsache vor Augen zu führen. Wörter wie Bürger, Lehrer, Freunde oder Demonstranten werden von den meisten Menschen als Bezeichnungen für Frauen und Männer benutzt und korrekt geschlechtsneutral verstanden. Gäbe es Verständnisprobleme (wie manche Genderbefürworter behaupten), wäre das längst aufgefallen: Wir müssten uns dauernd erklären, ständig nachfragen.
Lässt das generische Maskulinum an Männer denken?
Unter den meisten Sprachwissenschaftlern ist diese Tatsache auch anerkannt: Das generische Maskulinum werde von den Menschen ganz selbstverständlich verwendet und verstanden, sagt die Linguistin Ewa Trutkowski in der Berliner Zeitung. Dieselbe Position vertreten beispielsweise Heide Wegener und Peter Eisenberg. Und der Linguist Nikolaus Lohse schrieb jüngst: Die Unterscheidung zwischen der neutralen generischen und der spezifisch männlichen Lesart eines Wortes wie Lehrer mache im aktiven Sprachgebrauch „überhaupt keine Probleme“.
Dass dem so ist, wenigsten im alltäglichen Sprachgebrauch, bestätigt eine Studie von 2012 (De Backer, De Cuypere): In gängigen Zeitungssätzen wurden Pluralformen wie Schüler, Mieter, Leser etc. von den Probanden zu 99 Prozent geschlechtsneutral interpretiert. Berufsbezeichnungen wie Ärzte, Apotheker, Politiker usw. zu 94 Prozent. Der empirische Sachverhalt ist eindeutig.
Kommen wir zur Behauptung, wir würden bei den generischen Maskulina „eher an Männer denken“. Was damit gemeint ist, wird in den besagten Studien oft nicht eindeutig definiert. Man kann aber sagen, es geht im Grunde (fast) immer um Gedanken oder bestimmte Vorstellungen, die Wörter auslösen können: die berühmten „Bilder im Kopf“. Dass eine Fokussierung auf solche psychologischen Phänomene ziemlich fragwürdig ist, liegt eigentlich auf der Hand.
Denn zunächst einmal widerspricht es der Erfahrung, dass wir beim Hören oder Lesen von Texten bzw. Sätzen mit Personenbezeichnungen stets „Bilder im Kopf“ hätten, also Vorstellungen von den bezeichneten Personen. Es existieren auch keine wissenschaftlichen Belege für solche Effekte. Ob Texte Bilder im Kopf entstehen lassen, hängt, wie Profi-Schreiber wissen, unter anderem von der sprachlichen Gestaltung ab: Lebhafte Schilderungen und anschauliche Beschreibungen rufen leichter bildhafte Vorstellungen hervor als nüchtern berichtete Fakten und Sachinformationen.
Ferner gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass die Bilder im Kopf, wenn sie denn entstehen, stets konkret und ausdifferenziert sind. Wieder zeigt die Erfahrung etwas anderes: Unsere inneren Bilder sind oftmals ziemlich vage.
Was wir mit einem Wort verbinden, ist subjektiv
Oder wie konkret sind Ihre Vorstellungen der bezeichneten Personen bei folgenden Sätzen? „Berlin hat 3,6 Millionen Einwohner.“ „Die Steuerzahler werden wieder kräftig zur Kasse gebeten.“ „Bundesweit starben vergangenes Jahr 376 Fußgänger bei Verkehrsunfällen.“
Die Bilder im Kopf können aber nicht nur unspezifisch sein, sondern auch ziemlich divers. Lesen wir einen Satz wie „Die Zuschauer klatschten“, so denken die meisten von uns wohl eher an eine buntgemischte Menge. Das gilt mit Sicherheit auch bei: „Die Demonstranten hatten sich vor dem Reichstag versammelt.“
Gegen die Mehr-Männer-These spricht ein weiterer Punkt. „Wortassoziationen sind hochgradig subjektiv. Während der eine beim Wort Musiker an einen gemischten Chor denkt, fällt dem anderen ein männlicher Gitarrist ein“, sagt Ewa Trutkowski. Einen Eindruck davon, wie verschieden innere Bilder sein können, geben Debattenbeiträge: Mit dem Wort Ärzte assoziiere er „weiße Kittel“, schreibt über das Gendern Ingo Meyer, Redakteur der Berliner Zeitung. Beim Plural Lehrer denken sie „vor allem an Frauen“, berichten User auf Twitter. „Lehrer“ löse bei ihr gar keine spezifischen Vorstellungen von Personen aus, so eine Nutzerin des Meinungsforums der Welt. Sie verstehe das Wort als Berufsbezeichnung. A propos Berufsbezeichnung: Wie wäre es mit einer Zeitungsnotiz: „ Unbekannte Einbrecher“ haben … Oder würden feministische Genderinnen auch hierbei auf – etwa „Einbrecher*innen bestehen. (Ahem …).
Fassen wir zusammen: Die Behauptung, die Personenbezeichnungen würden primär männliche Vorstellungen hervorrufen, ist offenbar so nicht haltbar. Die Bilder im Kopf können (sofern sie überhaupt ausgelöst werden) neutral, unbestimmt oder „buntgemischt“ sein. Zudem unterscheiden sie sich von Mensch zu Mensch bisweilen erheblich.
Die Vernachlässigung dieser individuellen Unterschiede ist nach Ansicht des Sprachwissenschaftlers Martin Neef eines der Hauptprobleme der Studien. Ein vielleicht noch gewichtigeres Manko: Die Tests vernachlässigen maßgebliche Faktoren bei der Entstehung von Assoziationen. Woran wir bei einem Wort denken, wie wir es verstehen, hängt, wie Sprachwissenschaftler betonen, von einer Vielzahl sprachlicher und außersprachlicher Einflussfaktoren ab.
Kontext macht klar, wie ein Wort gemeint ist
Kontext, Wortart, Numerus (Plural oder Singular), Syntax, relative Häufigkeit von Maskulina und Wortformen auf „-in“ im allgemeinen Sprachgebrauch sowie das Weltwissen sind laut Forschung nur einige der Faktoren, die mitbestimmen, was uns bei Wörtern durch den Kopf geht, wie der Linguist Franz Rainer dargelegt hat.
Besonders gewichtig ist nach Ansicht von Wissenschaftlern wie Rainer und Neef der Kontext, in dem ein Wort eingebettet ist, ein Satz steht. Ist in einem Bericht über ein Fußballspiel von den Zuschauern die Rede, so entstehen andere Vorstellungen vom Publikum als bei einem Artikel, der die Zuschauer in einem Zirkuszelt erwähnt. Und heißt es in der Zeitung, „Die Ukrainer sehnen sich nach Frieden“, so denkt (im Kontext des gegenwärtigen Krieges) mit Sicherheit niemand nur an Männer.
Doch in den Studien wird dieser Kontextfaktor übergangen oder sogar gezielt ausgeblendet: Die Forscher testen Wörter oder Sätze entweder kontextlos, oder sie untersuchen Wort-Assoziationen nur in einem einzigen Kontext, was aber Rückschlüsse auf andere Kontexte nicht zulässt, wie die genannten Beispiele hoffentlich verdeutlichen.
Philosoph Precht bei „Markus Lanz“: Das große Nörgeln
In der Regel versammelt Markus Lanz Menschen mit geopolitischer Kompetenz. Diesmal schwadronierten zwei Männer in weit geöffneten braunen Hemden über dies und jenes.
Rainer, Neef sowie der Germanist Fabian Payr („Von Menschen und Mensch*innen“, Springer-Verlag) sehen darin ein besonders gravierendes Problem der Tests. Durch den Kontext werde im normalen Sprachgebrauch in aller Regel klar, ob die geschlechtsneutrale oder die männliche Lesart gemeint sei, sagt Rainer. Falls das einmal unklar sei, würden die Sprecher des Deutschen „spontan eine Doppelform“ nutzen.
Ein weiterer Faktor bei Wortassoziationen können laut Forschung Stereotype oder Rollenbilder sein. Doch auch ihr Einfluss wird in den meisten Experimenten nicht berücksichtigt, bemängelt etwa der Sprachphilosoph Philipp Hübl. Er zweifelt die Aussagekraft der Studien daher stark an.
Doch die Kritik beschränkt sich längst nicht auf die Vernachlässigung solcher Einflussfaktoren. Linguisten und Germanisten haben in den Studien eine bemerkenswerte Menge weiterer schwerwiegender wissenschaftlicher Mängel ausgemacht. Eine der gewichtigsten Unzulänglichkeiten kritisiert etwa der Linguist Martin Neef: Durch die Fragestellung werde „in vielen Tests die männliche Lesart aktiviert“. Mit anderen Worten: Die Tests führen in die Irre.
Zu diesem Ergebnis kam auch die Sprachwissenschaftlerin Gisela Zifonun, als sie sich eine besonders viel zitierte Studie ansah (Gygax et al., 2008). In einem weiteren Experiment (Heise, 2000) fand die Grammatik-Expertin nur einen einzigen generischen Gebrauch des Maskulinums in allen acht Testsätzen. Hinzu kommt, dass die Studien laut Zifonun Wörter (wie so oft) nur in einem spezifischen Kontext untersuchen. Zifonuns Resümee: „Tests dieser Art sagen nichts aus über eine generell mit dem generischen Maskulinum assoziierte mentale Sexus-Zuweisung (…)“ Heißt: Die Aussagekraft solcher Experimente ist im Grunde gleich null.
Wer ist Ihr Lieblingsmusiker? Die Frage ist irreführend
Dass das generische Maskulinum in den Studien verwendet wird, wo es unüblich ist, bemängelt in seinem Buch zum Thema auch der Germanist Tomas Kubelik („Genug gegendert!“, Projekte Verlag 2013). Erschwerend kommt hinzu, dass bisweilen nur der Singular („ein Lehrer“) untersucht wurde. Aber das bedarf vielleicht einer kurzen Erläuterung. Wenn wir im normalen Sprachgebrauch über eine einzelne konkrete Person, ein bestimmtes Individuum sprechen, sagen wir beispielsweise mein Nachbar oder meine Nachbarin, der Schüler oder die Schülerin usw. Oder andersherum: Niemand, der nicht täuschen möchte, sagt, er besuche seinen Nachbarn, wenn es sich um eine Frau handelt.
Wird über konkrete oder imaginierte Einzel-Personen geschrieben, ist es dasselbe. Die Nachrichtenagenturen melden: „Die Fußgängerin wurde schwer verletzt“ oder „Der Radfahrer kam in ein Krankenhaus“. Und im Roman heißt es vielleicht: „Ein Zuschauer sprang von seinem Sessel auf und stürzte aus dem Saal“. Tests der Art „Wer ist Ihr Lieblingsmusiker?“ (Stahlberg, Sczesny, 2000, 2001) oder „Male einen Arzt“ (Durau, 2021) sind daher irreführend. Denn auch sie legen eine männliche Lesart nahe.
Keine Lust mehr auf hirnlose Kritik:
Die Autorin Sophie Passmann über toxische Feministinnen, Meme-Kultur und den Irrtum, dass Sprache Wirklichkeit schafft.
Auchwenn man (n) den Plural verwendet, sind solche Studien unbrauchbar. In einem Experiment sollten die Probanden unter anderem drei berühmte Politiker, Sportler und Sänger nennen (Stahlberg, Sczesny, 2000, 2001). Es dürfte einleuchten, dass solche Tests weder etwas über etwaige Assoziationen bei der Lektüre einer Zeitung noch im Gespräch aussagen. Und rein gar nichts über das Verstehen der Wörter in Zeitungen oder im Gespräch.
Denn die Einbettung in einen Kontext (der hier fehlt) macht, wie wir wissen, im normalen Sprachgebrauch klar, was mit dem Wort gemeint ist. Geht es um Politiker ganz allgemein („Politiker sind auch nur Menschen“), um eine gemischtgeschlechtliche Gruppe von Politikern („598 Politiker sitzen im Bundestag“) oder um Politiker, deren Geschlecht unbekannt ist („Drei namentlich nicht genannte Politiker aus Union und SPD …“)? Oder geht es spezifisch um männliche Politiker? („Die beiden Politiker haben sich immer wieder die Treue bekundet“ – in einem Artikel über Gerhard Schröder und Wladimir Putin.) Doch selbst in nichtssagenden Experimenten solcher Art wurden nicht nur Männer, sondern lediglich mehr Männer genannt.
Die Mängelliste ist aber noch wesentlich länger. Der Germanist Fabian Payr fand einen besonders großen Schwachpunkt in dem viel zitierten Test, den Gisela Zifonun kritisiert hat (Gygax et al., 2008).
In dieser Studie präsentierten Forscher den Probanden eine Reihe von Satzpaaren. Per Tastendruck sollten die Testpersonen entscheiden, ob der zweite Satz eine sinnvolle Fortsetzung des ersten darstelle. Das Problem laut Payr: Ein (Fortsetzungs-)Satz wie „Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke“ kann so interpretiert werden, dass hier von einer ausschließlich weiblich besetzten Gruppe die Rede ist. „Dann wundern Sie sich natürlich, warum vorher von ‚Sozialarbeitern‘ die Rede war und nicht gleich von ‚Sozialarbeiterinnen‘“, so der Germanist.
Die Studien sind meist nicht einmal repräsentativ
Wenn also die Satzfortsetzungen als „nicht sinnvoll“ oder nicht gleich als sinnvoll eingestuft werden, hat das schlicht mit dem Design der Studie zu tun, und nichts mit dem generischen Maskulinum. Dass Payr richtig liegt, zeigen Befunde aus einer Neuauflage der Studie (Körner et al., 2022). Dort bewerteten die Probanden fast ein Fünftel (18 Prozent) der Fortsetzungen als „nicht sinnvoll“, und zwar sogar dann, wenn nach einem generischen Maskulinum im zweiten Satz von „Männern“ die Rede war.
Dieses und noch ein weiteres relevantes Ergebnis der Studie thematisieren Studienautoren allerdings nicht: Die Probanden verstanden selbst in diesem irreleitenden Experiment generische Maskulina wie etwa Zuschauer, Künstler, Apotheker oder Kinderärzte in 71 Prozent der Fälle als geschlechtsneutral. So oft nämlich ergab eine weibliche Fortsetzung mit zum Beispiel „die Frauen“ für sie Sinn.
Weg aus Berlin, ab ins beschauliche Wien: Keine Misthaufen, keine teure BVG mehr
Unsere Autorin konnte es in Berlin nicht mehr aushalten. Sie zog nach Wien und schrieb bei uns über die Gründe. Nach einem Jahr zieht sie nun Bilanz.
Es ließen sich weitere Punkte nennen, die an den psycholinguistischen Tests kritisiert wurden. Der Germanist Kubelik bemängelt in seinem Buch an verschiedenen Studien, dass das biologische Geschlecht überhaupt erst durch Nachfragen ins Bewusstsein der Probanden gehoben werde. Ein weiterer großer Schwachpunkt der Labor-Experimente: An fast allen Tests nahmen nur Studenten teil, bisweilen gerade mal 20 Probanden. Oft sind nicht einmal die Geschlechter korrekt repräsentiert: Teilweise lag der Frauenanteil unter den Probanden bei über 70 Prozent. Und in einem Fall, einem Experiment von 2012, waren es sogar 100 Prozent: 36 Studentinnen der Universität Bern.
Kurz: Die Ergebnisse aus den ohnehin fragwürdigen Studien, die mit dem üblichen Sprachgebrauch oft nichts zu tun haben, sind noch nicht einmal auf die Gesamtbevölkerung übertragbar. Die Linguistin Gisela Klann-Delius hat das in „Sprache und Geschlecht“ (Metzler-Verlag) problematisiert. Rainer und Neef kritisieren die verwendeten Stichproben ausdrücklich.
Falsch zusammengefasst, fragwürdig interpretiert
Bei dieser Fülle an wissenschaftlichen Mängeln kann man schon mit Kritikern wie Kubelik oder dem Soziologen Stefan Beher zu dem Eindruck gelangen, dass hier nicht unvoreingenommen geforscht wurde. Kubelik hält den Wissenschaftlern vor, sie würden bestimmte Beweise erbringen wollen, statt objektiv und ergebnisoffen zu forschen. Besonders eindrücklich zeigt der Germanist das an Fällen, in denen die Forschungsergebnisse von den Studienautoren stark verzerrt wiedergegeben oder gar falsch zusammengefasst werden. Fragwürdig interpretiert werden sie fast immer.
Ergebnisse, die nicht ins Bild vom frauenbenachteiligenden Maskulinum passen, ignorieren Studienautoren und Genderbefürworter immer wieder. Der erwähnte Test mit den Satzfortsetzungen ist nur ein Beispiel dafür. Franz Rainer hat noch etwas anderes festgestellt, das Anhänger der Gendersprache so gut wie nie erwähnen: Die Tendenz zur männlichen Lesart der untersuchten Wörter („male bias“) ist selbst in den Studien oft „überraschend gering“. Gebe man noch den Kontext dazu, meint Rainer, bleibe „von dem ‚bias‘ meistens nicht mehr allzu viel übrig“.
Entsprechend sind in den Studien auch die Effekte des Genderns nur äußert bescheiden, teils nicht einmal messbar. Doch auch das sparen Genderbefürworter gerne aus, wenn sie sich auf diese „Studien“ berufen. Ein paar Beispiele:
In einem Experiment mit Nachrichtentexten (Blake, Klimmt, 2008) sollten die Probanden den Frauenanteil bei einer Demonstration schätzen. War von „Demonstrantinnen und Demonstranten“ die Rede, lag der angenommene Frauenanteil um nur rund drei Prozent höher als in der Version mit generischem Maskulinum. Bei einem weiteren Text („Ärztinnen und Ärzte“ vs. „Ärzte“) hatte das Gendern „keinen signifikanten Einfluss“. Die Befunde konnten nicht einmal „gegen den Zufall abgesichert“ werden.
Bei einem Test mit den bekannten Politikern, Sportlern, Sängern usw. (Stahlberg, Sczesny, 2000, 2001) waren die Gendereffekte genauso dürftig. Die Probanden sollten insgesamt zwölf Prominente nennen. War die Aufgabe mit generischem Maskulinum formuliert, nannten sie im Mittel 2,4 Frauen. Beim Gendern mit Doppelnennung lagen die Werte gerade mal 0,3 Punkte höher, bei 2,7 Frauen.
In einer weiteren Studie führt die „geschlechtergerechte Sprache“ nur dann zu Nennung von mehr Frauen, wenn Frauen in einer Kategorie (wie einer politischen Partei) in „angemessener oder relevanter Häufigkeit vertreten waren“ (ebenfalls in Stahlberg, Sczesny, 2000, 2001).
Einmal absolut winzig und einmal „statistisch nicht signifikant“ (heißt: die Werte lagen unterhalb der Zufallsschwelle) waren die Effekte von Doppelformen („Ingenieurin oder Ingenieur“ usw.) in einem Test mit Schulkindern (Vervecken, Hannover, 2015): Auf einer Skala von 1 bis 5 lagen die Werte gerade mal um 0,07 bis 0,26 höher als bei Verwendung von generischem Maskulinum.
Noch bescheidenere Resultate maßen Forscher in einer Studie mit Fernsehmoderationen (Jöckel et al., 2021). Getestet wurden unter anderem Beidnennungen und „neutrale Formen“, wie „die Polizei“. Das Gendern hatte (abgesehen von statistisch irrelevanten Abweichungen in Höhe von 0,12, 0,78 bzw. 1,7 Punkten auf einer Skala von 1 bis 21) bei den erwachsenen Versuchspersonen keinen Effekt. Heißt: Es spielte für die Getesteten keine Rolle, ob der Moderator von Polizisten, Polizistinnen und Polizisten oder von der Polizei sprach.
Wörter mit Sprechpausen werden für weibliche Form gehalten
Einzig die Gender-Sprechpause vor dem „innen“ führte zu einer etwas häufigeren Nennung von Frauen. Der Befund mag auf den ersten Blick überraschen, da diese Genderform von vielen Menschen besonders stark abgelehnt wird. Der wahrscheinlichste Grund für den – nicht sehr großen – Effekt findet sich in Rohdaten der Studie, die einer der Forscher freundlicherweise zur Verfügung stellte: Offenbar hatte eine erhebliche Zahl an Probanden die Wörter mit Sprechpause für eine weibliche Form gehalten. Statt „Polizist:innen“ verstanden sie offenbar „Polizistinnen“. Laut den Daten interpretierten mindestens 17 Prozent „Polizist:innen“ als rein weibliche Form, bei „Schüler:innen“ waren es zehn Prozent, bei „Pfleger:innen“ sieben Prozent.
Weitere Fälle winziger oder gar nicht messbarer Gendereffekte in Studien nennt der Germanist Tomas Kubelik in seinem Buch. Wie er zeigt, führte in manchen Tests das Gendern teils sogar zu einem mentalen Männerüberschuss (Kusterle, 2011; Klein, 2004).
Manch einer mag nun vielleicht einwenden, das Gendern hätte laut den Studien also wenigsten in einzelnen Fällen einen Effekt, wenn auch einen sehr kleinen. Doch das übersieht, welche Mängel die Studien schon bei der Fragestellung aufweisen. Etwa, indem sie die männliche Interpretation der Wörter von vornherein nahelegen. Über das generische Maskulinum im normalen Sprachgebrauch sagen solche Tests, wie schon dargelegt, ohnehin nichts aus.
Das ist schon fast alles, was man über die Aussagekraft und Relevanz der sogenannten Assoziationstests und ihre Deutung durch Genderbefürworter wissen muss. Außer vielleicht noch dies: Es handelt sich bei der gesamten Forschung zum Thema um lediglich eine Handvoll Untersuchungen, die wieder und wieder zitiert werden. Getestet wurden oft nur fünf, zehn oder zwölf Wörter; im Fall der TV-Moderationen waren es sogar nur drei Wörter.
Damit sollte eigentlich klar sein, dass eine Hauptthese zur Gendersprache nichts weiter ist als eine Behauptung. Es gibt schlichtweg keine wissenschaftlichen Belege, dass „wir beim generischen Maskulinum eher an Männer denken“ (und auch nicht, dass sich „die meisten beim generischen Maskulinum vor allem Männer vorstellen“). Nein, es gibt bloß eine sehr überschaubare Anzahl von Tests, die fast alle mit Studenten durchgeführt wurden und ein paar Maskulina in einem oder wenigen Kontexten untersuchten.
Eine letzte Studie sei hier noch erwähnt. Der Test von 2015 (Vervecken, Hannover) soll belegt haben, dass Gendern zu mehr Gerechtigkeit unter den Geschlechtern beitragen könne. In der Studie hätten sich Kinder „viel eher“ zugetraut, einen typischen Männerberuf wie Ingenieur zu ergreifen, wenn sie Doppelnennungen („Ingenieurinnen und Ingenieure“) statt des generischen Maskulinums hörten. So steht es unter anderem in einer Pressemitteilung der Freien Universität Berlin.
Bei der Berufswahl spielen ganz andere Faktoren eine Rolle
Diese Darstellung ist bemerkenswert. Denn in Wahrheit waren die Effekte der Benennungen, wie oben dargelegt, mal absolut winzig, mal statistisch gesehen nicht vorhanden. Zur Erinnerung: Die Werte lagen auf einer Skala von 1 bis 5 gerade mal um 0,07 bis 0,26 höher als beim generischen Maskulinum.
Das wurde getestet: In einem ersten Experiment sollten die Kinder das Einkommen in verschiedenen Berufen schätzen (1 = sehr wenig, 5 = sehr viel). Geringere Wert interpretierten die Studienautoren dann als eine höhere „Zugänglichkeit“ zum Beruf. In einem zweiten Experiment gaben die Kinder auf einer Skala von 1 bis 5 an, wie zuversichtlich sie sind, als Erwachsene eine Qualifikationsprüfung für einen Beruf wie z.B. Ingenieur oder Maurer zu bestehen.
Bemerkenswert ist neben den winzigen – oder gar nicht vorhandenen – Gendereffekten die Wahl einiger Berufsbezeichnungen. Begriffe wie „Feuerwehrmänner“ oder „Geschäftsmänner“ sind stark sexusmarkiert und keine generischen Maskulina. Das ist nicht nur wissenschaftlich unseriös bei einer Studie, die vorgibt, das generische Maskulinum untersucht zu haben. Wenn man der Logik des Tests folgt, ist es auch psychologisch relevant. Denn dass kleine Mädchen Probleme haben dürften, sich als „Feuerwehrmänner“ oder „Geschäftsmänner“ zu sehen, ist zu erwarten. Berücksichtigt man dies, fallen die gemessenen winzigen Effekte natürlich noch geringer aus.
Bluthochdruck wegen Gender-Sprache? TV-Zuschauer reicht Beschwerde ein
Ein Österreicher legte bei der Medienaufsicht Beschwerde gegen den Sender ORF ein. Weil in einer Sendung von „Kund*innen“ die Rede war, habe er Bluthochdruck bekommen.
Genderbefürworter zitieren die Studie üblicherweise so, als sei mit ihr etwas bewiesen. Dabei übersehen sie aber nicht nur die verschwindend geringen Effekte in einem einzelnen, nicht wiederholten Laborexperiment mit zweifelhaften Fragestellungen und zum Teil inadäquaten Begriffen. Sie übersehen vor allem die eigentlich relevanten Größen. Welche Faktoren bei der Berufswahl eine Rolle spielen, ist aus der Sozialforschung bekannt: Sozialer Hintergrund, Schulabschluss, Arbeitsplatzsicherheit, Verdienstaussichten, Talente, Neigungen und Interessen, der Rat der Eltern und in bestimmten Fällen auch der Beruf eines Elternteils sind einige davon. Dass ein im Laborexperiment gemessener spontaner Spracheffekt auf ein angebliches „Sich-Zutrauen“ hier noch einen nennenswerten Faktor darstellt, erscheint äußert unwahrscheinlich.
Wer diese Studie zitiert, geht üblicherweise darüber hinweg, dass die Studienautoren selbst genau diese und weitere Einschränkungen machen: Faktoren wie sozioökonomischer Hintergrund, Interesse und Intelligenz dürften nicht außer Acht gelassen werden, wenn man versuche, Berufswahlentscheidungen zu verstehen, schreiben sie. Und auch berufliche Interessen dürfe man nicht vernachlässigen. Nötig seien Wiederholungen des Tests, Langzeitstudien (sogenannte Längsschnittstudien) und so weiter.
Die Mehrheit der jungen Anwälte in Deutschland sind Frauen
Dass sich Frauen nicht davon abhalten lassen, einen Berufsweg einzuschlagen, weil generische Maskulina im allgemeinen Sprachgebrauch und in den Medien gängig sind, zeigen indes die wirklich belastbaren Daten. Von der Grundschule bis zum Gymnasium dominieren Frauen in allen Schulformen mit insgesamt 73,4 Prozent den Lehrerberuf. Etwa 70 Prozent der Medizinstudenten sind weiblich, 72 Prozent der Apotheker in Deutschland sind Frauen und ebenso die Mehrheit der junge Anwälte bei ihrer Erstzulassung.
Wie häufig generische Maskulina übrigens generell in den Medien verwendet werden, zeigt eine Auswertung des Rechtschreibrates von 2021: Auf mehr als zwei Millionen generische Maskulina kamen 15.000 Genderformen. Genderquote: 0,7 Prozent. Die immer wieder zitierten Studien liefern keinen Grund, daran etwas zu ändern.
Martin-Luther-Universität Streit ums Gendern: Professor in Halle fordert „Hochdeutsch“ ein
An der Universität Halle-Wittenberg gibt es Streit über gendergerechte Sprache. Der Politikprofessor Jürgen Plöhn am Institut für Politikwissenschaft hat in seinen Veranstaltungen die Verwendung von nach seinen Worten „ideologisch geprägter“ Gendersprache untersagt. In Arbeiten streicht er sie als sprachliche Fehler an. Gegen seine Bewertungspraxis regt sich Protest.
Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat sich zu einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch verpflichtet. Ein Professor weicht davon ab.
Einige Studierende haben Beschwerde gegen ihn eingelegt – und ihm einen Rüffel der Universität eingebracht.
Der Professor selbst sagt, er wolle keine Ideologien in seine Lehrveranstaltungen einfließen lassen.
Das Leitbild der Universität Halle-Wittenberg in Sachen „Gendern“ ist deutlich. Die Uni hat sich zu einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch verpflichtet und erklärt, dass die Verwendung einer solchen Sprache in der Lehre selbstverständlich werden soll.
Professor weicht vom Uni-Leitbild ab
Das war sie aber offensichtlich nicht, jedenfalls nicht bei Jürgen Plöhn, der seit vielen Jahren als außerplanmäßiger Professor lehrt. Er verlangte von den Studierenden eine deutsche Hochsprache: „Ich möchte nichts anderes als das, was alle Studenten, die ich irgendwo gehabt habe von 1985 bis zum Wintersemester letzten Jahres: Diese Sprache verwenden. Und möglichst korrekt.“ Fehler streiche er an, das sei auch Teil der Bewertung und das gelte auch für Gendersprache.
Und wenn da Fehler drinnen sind, dann streiche ich die an und das ist auch Teil der Bewertung. Und das gilt auch für Gendersprache.
Jürgen Plöhn Professor für Politikwissenschaften
Plöhn fühlt sich persönlich diskriminiert
Und die Gendersprache hält Plöhn für diskriminierend Männern gegenüber. Wer die männlichen Bevölkerungsteile nicht mehr für erwähnenswert hält, der drücke seine bewusste Verachtung aus, schreibt Plöhn in der Beschreibung zu einem seiner Seminare. Und wenn er der einzige Leser der so verfassten Seminararbeiten sei, dann sei das ein gezielter Affront gegen ihn.
Studierende reichen Beschwerde ein
Einige Studierende haben dagegen die Bewertungspraxis von Plöhn als Affront gegen sich gewertet – und Beschwerde bei der Stabsstelle Vielfalt und Chancengleichheit eingereicht. Und die Reaktion der Hochschule folgte prompt. Auf Nachfrage von MDR AKTUELL erklärt die Uni:
Herr Plöhn wurde aufgefordert, die einschlägigen Einträge in den elektronischen Informationen zu seinen Lehrveranstaltungen zu entfernen und den Studierenden mitzuteilen, dass sich die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache nicht nachteilig auf die Leistungsbewertung auswirken werde.
Universität Halle-Wittenberg
Zudem habe man deutlich gemacht, dass eine Diskriminierung von Studierenden nicht toleriert werden könne. Bewirkt habe das nichts. Und auch auf die wiederholte Aufforderung habe der Professor nicht reagiert. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt um ein klärendes Gespräch bemüht, erklärt die Uni weiter. Man habe ihn aber nie aufgefordert, selbst eine gendersensible Sprache zu verwenden.
Plöhn verwehrt sich gegen „Genderideologie“
Für Plöhn geht das aber zu weit. So weit, dass er diese Aufforderung in die Tradition totalitärer Regime rückt. Er sei 1992 an die Uni Halle-Wittenberg gekommen, sagt Plöhn, „weil es damals darum ging, die Prägung der Universität durch zwei Diktaturen zu überwinden und nun wissenschaftsorientiert neu aufzubauen. Gegen eine Ideologie, die wissenschaftsfremd ist.“ Diese Linie habe er verfolgt, seit er nach Halle gekommen sei. Und auch eine dritte Ideologie werde er nicht in seine Lehrveranstaltungen eindringen lassen.
Uni: Prüfungen wären rechtlich anfechtbar
Und das wird auch nicht passieren, jedenfalls nicht in diesem Semester, in dem Plöhn keine Seminare anbietet. Und dabei bleibt es wohl auch. Als Reaktion auf seine Bewertungspraxis hat die Uni beschlossen, Plöhns Lehrveranstaltungen keinen Wahlpflichtmodulen mehr zuzurechnen – so können Studierende dort keine Prüfungsleistungen mehr erbringen. Aus Sicht der Uni wären sie rechtlich anfechtbar. In den Prüfungsordnungen werde die gendersensible Sprachform nämlich nicht verboten. Darauf basierende negative Bewertungen beruhten also auf sachfremden Erwägungen, die den Spielraum des Prüfers überschreiten.
Mehr zu gendergerechter Sprache
„Weimarer Kontroversen“ Brauchen wir eine gendergerechte Sprache?
mit Video
MDRfragt – Das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland MDRfragt: Deutliche Mehrheit lehnt Gendersprache ab
mit Audio
MDR INVESTIGATIV – Hinter der Recherche (Folge 38) Podcast-Transkript: Warum gendern? Ein Streitgespräch
mit Video
Gender und Sprache Institut für Deutsche Sprache empfiehlt: Seien Sie tolerant – und kreativ
Landgericht Ingolstadt Klage gegen Gendersprache bei Audi abgewiesen
MDRfragt – Das Meinungsbarometer für Mitteldeutschland MDRfragt: Deutliche Mehrheit lehnt Gendersprache ab
von MDRfragt-Redaktionsteam
Stand: 22. Juli 2021, 05:00 Uhr
Die Debatte um die gendergerechte Sprache hält der größte Teil der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer für unwichtig und lehnt das Gendern in sämtlichen Kontexten ab, beispielsweise in den Medien oder der Werbung. Zwar stehen Frauen und die jüngere Generation der Gendersprache etwas offener gegenüber, aber auch bei diesen Gruppen überwiegt die Ablehnung. Das zeigt eine aktuelle Befragung von MDRfragt, an der sich fast 26.000 Menschen aus Mitteldeutschland beteiligt haben.
Auf dieser Seite:
Mehr als die Hälfte bevorzugt beim Lesen und Hören die männliche Mehrzahlform
Mehrheit lehnt Gendern in sämtlichen Kontexten ab
Nachrichten Sie sind noch nicht dabei? Hier mitmachen!
Wie wichtig, wie förderlich, wie erstrebenswert ist eine Sprache, die alle Geschlechter sichtbar und hörbar macht? Über die „Gendersprache“ wird seit Längerem diskutiert und mitunter auch gestritten. Für die MDRfragt-Mitglieder, die sich an unserer aktuellen Befragung beteiligt haben, ist die Debatte vor allem eins: unwichtig. 86 Prozent haben dies angegeben. Nur 14 Prozent sind der Meinung, dass das Anliegen, alle Geschlechter in der deutschen Sprache hör- und sichtbar zu machen, wichtig ist.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Viele MDRfragt-Mitglieder haben uns in ihren Kommentaren geschrieben, dass sie der Ansicht sind, es gebe wichtigere Themen, die angegangen werden müssten, als das Gendern:
Sicher haben wir in unserer Gesellschaft noch einige „Baustellen“ was tatsächliche Akzeptanz, Toleranz und Gleichberechtigung betrifft. Ich halte es für falsch, dies mit einem „aufgezwungenem/verordnetem Sprech“ und einer unmöglichen Schreibweise quasi in die Köpfe hämmern zu wollen. Mir persönlich wäre es lieber, wenn wir die Werte tatsächlich (vor)leben und an Haltungen arbeiten.
50-jährige Teilnehmerin aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt
Ich bin der Meinung, dass wir als Gesellschaft einfach wichtigere Probleme haben (Klimawandel, Corona, Integration von Flüchtlingen u.Ä.). Ich habe in meinem Umfeld bisher niemanden getroffen, der mir plausibel darlegen konnte, welche Vorteile eine (aus meiner Sicht umständliche) explizite Unterscheidung von männlichen und weiblichen Bezeichnungen bringen sollte.
31-jähriger Teilnehmer aus Leipzig
3 min
MDRfragt Große Mehrheit hält geschlechtersensible Sprache für unwichtig
Und: Viele machen sich Sorgen um die deutsche Sprache und die Verständlichkeit:
Textinhalte werden dadurch zerrissen, es wird schwieriger einen Text inhaltlich zu erfassen. Und fast jeder liest sowieso drüber weg bis zu der Stelle, wo der Text inhaltlich weiter geht. Also völlig überflüssig!
70-jährige Teilnehmerin aus Görlitz
Gendern führt auch zu Diskriminierung: Nämlich dann, wenn Menschen der Zugang zu (Schrift-)sprache erschwert wird, wo eigentlich flächendeckend Leichte Sprache gefordert wäre!
35-jährige Teilnehmerin aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt
Unsere Sprache hat sich über Jahrhunderte entwickelt und ganz bestimmt nicht mit dem Ziel, eines der Geschlechter zu unterdrücken.
71-jähriger Teilnehmer aus dem Landkreis Leipzig
„Überflüssig“, „Schwachsinn“, „nervig“ – negative Zuschreibungen überwiegen
Wir wollten von den MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern wissen, welches Wort sie mit der Genderdebatte verbinden. Die 20 am häufigsten genannten Wörter sind hier visualisiert. Es zeigt sich: Die negativen Zuschreibungen überwiegen. Allein das Wort „überflüssig“ wurde von rund einem Fünftel der MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, verwendet.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Einige Befürworter der Verwendung von gendergerechter Sprache haben uns in ihren Kommentaren weitere Argumente genannt:
Ich kann verstehen, dass das Gendern Leuten auf die Nerven geht, dennoch ist Sprache wichtig, und solange wir in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft leben, sollten wir darauf achten, dass sich alle Menschen angesprochen fühlen können.
30-jährige Teilnehmerin aus Görlitz
Ich denke wirklich, dass korrektes Gendern für mehr Gerechtigkeit sorgen könnte, wenn auch nur verbal. Auch wenn Gendern allein noch keine echte Gleichstellung herbeiführen kann, ein Schritt zu mehr Selbstverständlichkeit und Selbstbewusstsein ist es doch!
68-jährige Teilnehmerin aus dem Saale-Orla-Kreis
Grundsätzlich wirkt sich Sprache aus, wir sehen das in der Berufswahlorientierung. Sobald Berufsbezeichnungen auch weiblich benannt werden, entscheiden sich Mädchen häufiger auch für klassische männliche Berufe. Davon abgesehen sollte es nicht nur um Männer und Frauen gehen, sondern eben um die mögliche Geschlechtervielfalt. Was tut es uns weh, die Vielfalt zu auszuhalten oder auch zu genießen?
52-jähriger Teilnehmer aus Magdeburg
Etwas mehr Zustimmung zu Gendersprache bei Frauen
Grundsätzlich stehen die MDRfragt-Teilnehmerinnen der Verwendung gendergerechter Sprache offener gegenüber als die Teilnehmer: 18 Prozent der Frauen finden die Debatte wichtig, aber nur 10 Prozent der Männer.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Wenn es um die Bedeutung des Genderns für die verschiedenen Geschlechter geht, so bezweifeln viele, dass es etwas an der fehlenden Gleichberechtigung ändern könne:
Gendern löst die wirklichen Ursachen für Diskriminierungen nicht einmal im Ansatz. Es macht die Sprache nur unverständlicher, vor allem für jene, die ohnehin schon Probleme damit haben.
65-jähriger Teilnehmer aus der Sächsischen Schweiz
Frauen wäre mit Sicherheit mehr geholfen, wenn es in ähnlichem Umfang eine Diskussion gäbe bzgl. der gleichberechtigten Bezahlung und Besetzung von hochdotierten Posten in Politik und Wirtschaft.
46-jähriger Teilnehmer aus Halle
Eine gerechte Entlohnung ist für Frauen eine deutlich höhere Anerkennung als ein Sternchen an irgendwelchen Personenbezeichnungen. Sicherlich ist in vielen Fällen die Belastung von Frauen und Müttern überdurchschnittlich, aber wieviel Stunden Entlastung bringt so ein Sternchen. Ich bezweifle, dass sich das die vorreitenden Feministinnen jemals so richtig überlegt haben.
70-jähriger Teilnehmer aus dem Erzgebirgskreis
Akzeptanz bei jüngerer Altersgruppe größer
Bei den Altersgruppen lässt sich klar feststellen: Die Jüngeren stehen der Verwendung geschlechtergerechter Sprache deutlich positiver gegenüber als die Älteren. Doch auch hier überwiegt der Anteil derer, die die Diskussion für unwichtig halten.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
3 min
Nachrichten Queere Gemeinschaft und gendergerechte Sprache
Mehr als die Hälfte bevorzugt beim Lesen und Hören die männliche Mehrzahlform
Anhand des Wortes „Student/Studentin“ wollten wir herausfinden, welche Formulierung die Befragten in einem geschriebenen Text für die Mehrzahl bevorzugen.
Dabei sprachen sich mit Abstand die meisten für das generische Maskulinum („Studenten“) aus – sowohl beim Lesen als auch beim Hören.
Etwa ein Fünftel bevorzugt jeweils die Partizip-Variante („Studierende“).
Die Paarform („Studentinnen und Studenten“) finden nur bei einem kleinen Teil der Befragten Zuspruch.
Andere Varianten – wie etwa Stern, Doppelpunkt oder eine kurze hörbare Pause vor dem I – möchte kaum jemand der MDRfragt-Mitglieder lesen oder hören.
Mehrheit lehnt Gendern in sämtlichen Kontexten ab
Wir haben außerdem gefragt, ob die Befragten die Verwendung von Gendersprache in bestimmten Bereichen des Lebens befürworten oder ablehnen. Es zeigt sich: In allen Bereichen ist es einer deutlichen Mehrheit lieber, wenn nicht gegendert wird. So lehnen fast drei Viertel (74 %) die Gendersprache in den Medien ab. Die größte Zustimmung gibt es bei staatlichen Stellen, etwa Ämtern, Behörden oder Ministerien. Aber auch hier befürworten es mehr als zwei Drittel (68 %) nicht.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Mehr zum Thema Gendersprache in den Medien
Zwischen Sternchen und Ignoranz Wie deutsche Medien mit der Genderfrage umgehen
Viele MDRfragt-Mitglieder fordern, sich bei der Frage nach der Gendersprache nach dem Willen der Mehrheit zu richten:
Warum lässt man die Bevölkerung nicht darüber abstimmen, sondern folgt einer abgehobenen Elite? Manches wäre so zu vermeiden.
70-jährige Teilnehmerin aus dem Vogtlandkreis
Es ist eine von einer Minderheit dominierte Debatte, die in mein ästhetisches Empfinden massiv eingreift und bei mir nur noch Hass schürt.
35-jähriger Teilnehmer aus Dresden
Einige haben uns auch konstruktive Lösungsvorschläge für das Thema geschickt:
Machen Sie es doch wie beim Wetter, die weiblichen oder männlichen Namen der Hoch und Tiefs befinden sich ständig im Wechsel. Ich habe kein Problem damit, für eine bestimmte Zeit nur die weiblichen Nennungen zu lesen oder zu hören, wenn es dann auch die gleiche Zeit wieder das generische Maskulinum gibt.
43-jähriger Teilnehmer aus Dresden
Ich bin für die y-Variante: „Zuhörys“. Da gibt’s keine Abgrenzung, fertig.
40-jährige Teilnehmerin aus Meißen
Im eigenen Sprachgebrauch spielt Gendern kaum eine Rolle
50 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie bei ihrer eigenen Sprache nie auf gendergerechte Formulierungen achten, 24 Prozent tun es selten. Damit spielt für knapp drei Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Gendern im eigenen Sprachgebrauch so gut wie keine Rolle. Rund ein Zehntel benutzt häufig geschlechtersensible Formulierungen, 13 Prozent tun es gelegentlich.
Die Befragungsergebnisse zum Herunterladen
Befragung Ergebnisse von MDRfragt zum Thema
Mehr Ergebnisse dieser Befragung
mit Video
MDR-Meinungsbarometer Gleiche Rechte für LGBTQI – wer ist dafür, wer dagegen?
Über diese Befragung Die Befragung vom 02.07.- 12.07.2021 stand unter der Überschrift:
Gendersprache – überbewertet oder unterrepräsentiert?
Insgesamt sind bei MDRfragt 46.425 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 21.07.2021, 14.30 Uhr).
25.731 Menschen aus Mitteldeutschland haben online an dieser Befragung teilgenommen.
Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 649 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 4.590 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 10.630 Teilnehmende
65+: 9.862 Teilnehmende
Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 13.100 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 6.459 (25 Prozent)
Thüringen: 6.172 (24 Prozent)
Verteilung nach Geschlecht:
Männlich: 55 Prozent
Weiblich: 45 Prozent
Die Befragungen sind nicht repräsentativ, aber sie werden nach statistischen Merkmalen wie Geschlecht, Bildung und Alter gewichtet. Die Gewichtung ist eine Methode aus der Wissenschaft bei der es darum geht, die Befragungsergebnisse an die real existierenden Bedingungen anzupassen. Konkret heißt das, dass wir die Daten der Befragungsteilnehmer mit den statistischen Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgleichen.
Wenn also beispielsweise mehr Männer als Frauen abstimmen, werden die Antworten der Männer weniger stark, die Antworten der Frauen stärker gewichtet. Die Antworten verteilen sich dann am Ende so, wie es der tatsächlichen Verteilung von Männern und Frauen in der Bevölkerung Mitteldeutschlands entspricht.
Dabei unterstützt ein wissenschaftlicher Beirat das Team von „MDRfragt“. Mit dem MDR Meinungsbarometer soll ein möglichst breites Stimmungsbild der Menschen in Mitteldeutschland eingefangen werden – mit möglichst vielen Teilnehmenden.
Napoleon-Komplex: Psychopathen wollen größer sein
Der Napoleon-Komplex ist umstritten. Jetzt gibt es eine neue Deutung: Etwaige Kompensationsversuche hätten weniger mit der wahren Körpergröße zu tun als mit dem Wunsch nach Größe.
von Christiane Gelitz
© aluxum / Getty Images / iStock (Ausschnitt)
Wer sich groß fühlen will, kann auch einfach mal die Perspektive wechseln. (Symbolbild)
Gibt es den »Napoleon-Komplex« wirklich? Die Forschung ist uneins. Jetzt hat eine weitere Studie Hinweise darauf gefunden, dass an der Theorie etwas dran ist. Allerdings nicht in ihrem ursprünglichen Sinn, wonach Männer mit kleiner Körpergröße – wie sie dem französischen Feldherrn Napoleon zugeschrieben wird – diesen vermeintlichen Nachteil auf unangenehme Weise zu kompensieren versuchen. Typisch sei das vielmehr für jene, die gerne größer wären, selbst wenn sie gar nicht klein sind, wie die Studie in der Fachzeitschrift »Personality and Individual Differences« zeigt.
Das Forschungsteam aus Polen und Australien hatte mehr als 360 Erwachsene in den USA online befragt, darunter überwiegend weiße heterosexuelle Männer und Frauen. Erfasst wurden unter anderem Machiavellismus, Psychopathie und Narzissmus, das heißt die Neigung dazu, andere Menschen zu manipulieren, gefühllos zu reagieren und nach Bewunderung zu streben. Gemeinsam bilden diese Persönlichkeitsmerkmale die »Dunkle Triade«, eine Kombination von eher unerwünschten, sozial unverträglichen Eigenschaften.
Dieser Artikel ist enthalten in Spektrum Psychologie, Warum das Glück im Norden liegt
Noch kein Abo? Jetzt abonnieren!
Spektrum Psychologie-Archiv
Ihren eigenen Angaben zufolge neigten kleinere Männer zwar tatsächlich eher zu machiavellistischen und narzisstischen Zügen, aber der Zusammenhang war sehr schwach. Mehr als doppelt so stark hingen Machiavellismus und Narzissmus mit dem Wunsch zusammen, größer zu sein – und das Merkmal Psychopathie sogar dreimal so stark. Insgesamt ließen sich bei beiden Geschlechtern mehr als ein Fünftel der Unterschiede in der »Dunklen Triade« aus den Antworten zum Thema Körpergröße vorhersagen. Objektive Maße und subjektives Empfinden erwiesen sich dabei als durchaus verschieden: Die tatsächliche Körpergröße erklärte nur drei Prozent der Unterschiede im Wunsch, größer zu sein.
Der Napoleon-Komplex, neu interpretiert
Wenn sich Menschen körperlich nicht groß (genug) fühlen, wollen sie auf andere Weise »großartig« erscheinen, so die Interpretation. Die Forschenden deuten ihre Befunde aus evolutionärer Perspektive: Die »Dunkle Triade« könnte durch natürliche Selektion entstanden sein, um sich im Konkurrenzkampf zu behaupten. Die Annahme, dass es sich um ein rein männliches Phänomen handelt, sei ihren Daten zufolge jedoch falsch.
Bislang sprachen Studien eher dafür, dass der Napoleon-Komplex vorwiegend bei Männern auftritt. Beispielsweise berichtete ein Team um die Psychologin Jill Knapen, dass kleine Männer, nicht aber kleine Frauen angesichts eines deutlich größeren Mitspielers mehr Ressourcen für sich behalten. Die Gruppe interpretierte das eigennützige Verhalten als »flexiblere« Strategie im Wettbewerb um Ressourcen.