schwarzer_vsLesen wir den dreisten Unfug, der auf Twitter zum #ausnahmslos-Aufruf veröffentlicht wurde, möcht mann den Autorinnen ja beinahe zustimmen. Einzig  dies. Aber, und das in der Tat ist das Einzigartige an dieser Debatte: Von vielen Sprechverboten und Drohgebärden eingegrenzt, ist es – und das kann garnicht nicht gewollt sein – kaum noch möglich, Position zu beziehen. Der Selberdenkende  fühlt sich  angetanzt von allen Seiten. Der Aufruf verdient nicht den Dreck, mit dem er beworfen wird, aber sehr wohl eine differenzierte Gegenposition. Vor allem deshalb, weil er selbst zu jenen Dokumenten gehört, die den freien Blick auf Geschehnisse einschränken wollen.

 

 

 

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Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Die üblichen Verdächtigen streiten sich immer mal wieder darum, wie man den deutschen, den autochthonen Antisemitismus gegen den importierten wie und ob ausspielen könne – und umgekehrt. Kritik am islamischen oder wenigstens islamistischen Antisemitismus wird in der deutschen linken Öffentlichkeit gern als „Rassismus“ abqualifiziert, etwa wenn derzeit die ekelhaften Unterstützerdemos von Palästinensern auf deutschen Straßen kritisiert werden. Zugleich wird mit der Betonung des importierten Antisemitismus von der eigenen judenfeindlichen Tradition abgelenkt, die erheblich lebendiger ist, als viele es wahrhaben wollen.

In dieser Lesart bestand die größte Verfehlung des assimilierten Juden darin, dass man ihn letztlich nicht mehr vom Nichtjuden unterscheiden konnte, was ihn erst recht zu einem Monster werden ließ. Richard Wagner sagt es in seinem Pamphlet über Das Judenthum in der Musik geradezu zeitlos: „Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden, heißt für den Juden aber zu allernächst so viel als: aufhören, Jude zu sein“ – will heißen: endlich aufhören, einerseits etwas Besonderes sein zu wollen, andererseits ein universalistisches, übernationales Merkmal zu tragen. Hier ging es noch um eine bloß semantische Vernichtungsfantasie.

Die ganze Diskussion, ob der Antisemitismus von hier stammt oder aber von Migranten eingeführt wird, ist dummes Gerede. Die Wurzeln beider sind sich logisch sehr ähnlich – man kann es vor allem an jenen studieren, die den postkolonialen, sich für universalistisch haltenden „Befreiungskampf“ der Hamas wenn nicht für sympathisch, so zumindest für legitim halten. Denn die Denkfigur ist ganz ähnlich dem Judenhass der Wagners und wie sie alle heißen. Manche geraten, akademisch verbrämt, in einen irrationalen Judenhass, weil sie in Israel die Ununterscheidbarkeit zu dem wahrnehmen, was sie selbst verachten: die marktwirtschaftliche Offenheit, die pluralistische Offenheit der liberalen westlichen Lebensweise, nicht zuletzt die Koalition mit Amerika. Mit Israel müsste man eine Staatlichkeit und Gesellschaftlichkeit verteidigen, die der eigenen Lebensform, die stets und wohlfeil Gegenstand von Kritik ist, allzu ähnlich ist.

Nur vor diesem Hintergrund konnten Terrororganisationen wie die Hamas und die Hisbollah, vorher die PLO und andere, für linke Befreiungsbewegungen gehalten werden – und nur vor diesem Hintergrund ist womöglich zu erklären, warum in vielen Medienberichten die Terroristen als „Kämpfer“ auf Augenhöhe markiert werden oder eine ominöse „Spirale der Gewalt“ beklagt wird. Ein Zeitungskommentar einer süddeutschen Zeitung konnte sich kaum der klammheimlichen Freude enthalten, dass es nun die Regierung Netanjahu getroffen hat.

In der Kritik am jüdischen Israel schwingt der antikapitalistische Reflex gegen das internationale Finanzjudentum mit und ebenso ein eher ungeklärtes Verhältnis zu einer wehrhaften Frontstellung gegenüber autoritären und autokratischen Formen. Die Rahmung des Ganzen als rassistisch ist am Ende nur eine ironische Brechung der historischen Rassifizierung des Jüdischen in unserer eigenen Geschichte.

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

 

Ein Trauernder legt an der Synagoge in Halle Blumen nieder.

Ein Trauernder legt an der Synagoge in Halle Blumen nieder.

Es sind Zahlen, die erschrecken lassen. Als im Jahr 1952 das Allensbacher Institut für Demoskopie eine Umfrage zu Antisemitismus in Deutschland durchführte, war der industrielle Massenmord an den Juden in Europa durch die Nazis erst sieben Jahre her. Dennoch war der Eindruck des Holocaust offenbar schon verblasst. Auf die Frage, ob es „für Deutschland besser wäre, keine Juden im Land zu haben“, antworteten damals 37 Prozent mit „Ja“, nur 19 mit „Nein“ und fast der Hälfte (44 Prozent) war das „egal“. Das ist zweifelsohne lange her. Doch der rechtsextreme Terroranschlag in Halle wirft die Frage erneut auf: Wie antisemitisch ist Deutschland eigentlich?

Der Soziologe Werner Bergmann dokumentiert, wie sich Antisemitismus in den jungen Jahren der Bundesrepublik entwickelt hat. Sein Werk zeigt, dass in der jungen Bundesrepublik kurz nach dem Ende des Nazi-Regimes eine antisemitische Grundhaltung weit verbreitet war. Wie überhaupt „Ihre Einstellung gegenüber Juden“ sei, fragten die Allensbach-Demoskopen 1952. 34 Prozent der Antworten lagen im Bereich „demonstrativ ablehnend“ bis „gefühlsmäßig ablehnend“. Eine „demonstrativ freundliche“ Einstellung hatten demnach nur 7 Prozent. Eine Wiedergutmachung an Israel lehnten mehr als die Hälfte ab.

„Es waren besonders die junge, im Nationalsozialismus groß gewordene Generation und die Bildungsschicht, die (…) massiv antijüdische Einstellungen zeigten“, schrieb Bergmann über diese Jahre. Ein „selbstkritischer Dialog“ über die antijüdischen Gräuel der Vergangenheit sei „massiv abgelehnt“ worden. Positionen, die den Holocaust leugneten und relativierten, waren bis in die Spitzenpolitik verbreitet. Der Bundestagsabgeordnete der „Deutschen Partei“, Wolfgang Hedler, sagte etwa 1949 in einer Rede, man könne „geteilter Meinung“ darüber sein, ob die „Judenvernichtung das richtige Mittel zur Lösung der Judenfrage“ gewesen sei. Die unmittelbaren Nachkriegsjahre sind der Ausgangspunkt einer schwierigen und langen Aufarbeitung dessen, was jahrzehntelanger, möglicherweise jahrhundertelanger Antisemitismus im Gebiet der heutigen Bundesrepublik angerichtet hatte.

Linke und NPD in einem Boot

In den Folgejahren nahm der in Umfragen ermittelte Antisemitismus ab. Teile der Gesellschaft forderten zwar bereits Mitte der 50er-Jahre einen „Schlussstrich“ unter die NS-Zeit. Doch immer wieder rückten Ereignisse die deutsche Schuld in den Mittelpunkt der Debatte, etwa die Veröffentlichung der Tagebücher von Anne Frank, die Debatte um den KZ-Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ von 1955 oder der aufsehenerregende Prozess gegen den Organisator der Judenvernichtung, Adolf Eichmann, der 1962 in Israel hingerichtet wurde. Während dieser Jahre führte das Allensbacher Institut seine Umfragen weiter. 1963 glaubten dann „nur“ noch 18 Prozent der Bundesbürger, es sei besser für Deutschland, wenn keine Juden im Land lebten.

Eine Veränderung in der Wahrnehmung Israels verursachte laut Bergmann der Sechstagekrieg 1967, nach dem Israel als „siegreiche Militär- und Besatzungsmacht“ galt. Kommunistische Staaten und die radikale Linke im Westen hätten eine Wendung zum Antizionismus vollzogen, „der von antisemitischen Tönen nicht frei war“. Einst pro-israelische linke Intellektuelle nahmen zum Teil israelfeindliche Positionen ein und standen plötzlich auf einer Seite mit der geschichtsrevisionistischen NPD, die in den 60er Jahren in zahlreiche Landesparlamente eingezogen war.

In diesen Jahren ereigneten sich auch die ersten antisemitischen Terrorakte auf deutschem Boden seit dem Ende des Krieges. 1969 wurde die israelische Botschaft in Bonn mit Handgranaten angegriffen. Am Jahrestag der November-Pogrome 1969 deponierte eine linksradikale Gruppe eine Brandbombe im jüdischen Gemeindehaus in Berlin-Charlottenburg, die allerdings nicht zündete. Unbekannte Täter legten 1970 ein Feuer im jüdischen Gemeindezentrum in München, bei dem Anschlag starben sechs Überlebende des Holocaust. Bei der Geiselnahme israelischer Athleten während der Olympischen Spiele 1972 durch ein palästinensisches Terrorkommando kamen 17 Menschen ums Leben. 1979 versuchte eine rechtsextreme Gruppe die Ausstrahlung des Films „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ zu verhindern, indem sie Sprengsätze an Sendeanlagen zündete. Einer der Täter, Peter Naumann, arbeitete Jahrzehnte später für die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag.

Weniger Antisemitismus im Osten

Dafür, dass der Antisemitismus insgesamt seit den 50er Jahren dennoch zurückging, macht Bergmann „nur zu einem kleinen Teil“ ein „Umdenken in der älteren Generation“ verantwortlich. Vielmehr habe die nachwachsende, in der Bundesrepublik sozialisierte Generation die Vorurteile ihrer Eltern nicht übernommen. Laut Bergmann ein Trend, „der sich bis heute fortsetzt“. Generations- und Bildungseffekte bewirkten im Unterschied zur NS-Zeit eine Ablehnung antijüdischer Vorurteile. „Je jünger und besser ausgebildet jemand ist, desto häufiger lehnt er diese ab.“ Während sich in der Allensbach-Umfrage 1949 noch mehr als 25 Prozent der Unter-30-Jährigen als „antisemitisch“ bezeichneten, beantworteten diese Frage 1987 nur noch rund 5 Prozent der jüngsten Gruppe (18-44-Jährige) mit „Ja“.

Bei einer ersten Befragung im wiedervereinten Deutschland, die das American Jewish Committee 1991 durchführte, zeigte sich, dass antisemitische Vorurteile in Ostdeutschland (vier bis sechs Prozent) deutlich weniger verbreitet waren als im Westen (12 bis 16 Prozent). Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage (Allbus) 1996 offenbarte ein ähnliches Bild. Demnach unterstützten 28 Prozent der West-Bürger die These, Juden hätten zu viel Einfluss auf der Welt. Im Osten waren es nur 15 Prozent. 48 Prozent der Westdeutschen antworteten auf die Frage mit „Ja“, die Juden versuchten aus der Geschichte des Nationalsozialismus einen eigenen Vorteil zu ziehen. Im Osten waren es nur 35 Prozent. In den frühen Neunzigerjahren hatte das Land mit einer Welle rechtsextremer Straftaten zu kämpfen. Zwischen 1990 und 1993 verneunfachte sich die Zahl rassistischer Übergriffe. Auch die Zahl antisemitischer Vorfälle stieg in diesen Jahren von 339 gemeldeten Vorfällen auf 1366 im Jahr 1994.

Es deutet nicht wenig darauf hin, dass Antisemitismus in Deutschland seit der Jahrtausendwende wieder zunimmt. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 1998 gaben 21 Prozent der Befragten an, dass sie der Meinung sind, Juden hätten „zu viel Einfluss in der Welt“. 2002 fragten Sigmund-Freud-Institut und Uni Leipzig noch einmal. 40 Prozent der Befragten antworteten, Juden hätten „einen zu großen Einfluss auf das Weltgeschehen“. 65 Prozent bezeichneten demnach Israel als eine „große Bedrohung für den Frieden in der Welt“. Europaweit ermittelte die Studie bei dieser Frage einen Zustimmungswert von 59 Prozent. Die polizeilich registrierten antisemitischen Straftaten haben 2006 ein Allzeithoch erreicht, danach fiel die Kurve einige Jahre. 2018 erreichte sie wieder beinahe das Niveau von 2006. Unter den 1799 Delikten im vergangenen Jahr waren allerdings 69 Gewaltstraftaten – 60 Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Gewalt gegen Juden nimmt zu

Die Allensbach-Demoskopen, die Antisemitismus in Deutschland seit der Gründung des Staates untersuchen, kommen in ihrer Studie von 2018 zu einem differenzierten Bild. Von Stimmungen wie in den 50er-Jahren hat sich das Land inzwischen weit entfernt. Nur noch sechs Prozent glauben, in der Berichterstattung über Konzentrationslager würde vieles „übertrieben“ dargestellt, eine etwa in der Nachkriegszeit weit verbreitete Legende. Einen „Schlussstrich“ unter die Nazi-Zeit zu ziehen, fordern immerhin noch 45 Prozent. Dieser Wert ist in den vergangenen Jahren allerdings beständig gesunken: von 66 Prozent im Jahr 1986 über 59 im Jahr 1995 und 54 Prozent im Jahr 2005. Die Studie zeigt allerdings auch, dass nur eine Minderheit (23 Prozent) glaubt, Antisemitismus sei ein „großes Problem“ in Deutschland. Der Großteil glaubt, Judenhass sei ein auf Einzelfälle beschränktes Phänomen.

Der These, dass Juden in der Welt „zu viel Einfluss“ hätten, stimmten in der Allensbach-Studie von 2018 22 Prozent der Befragten parteiübergreifend zu. Ein, verglichen mit der Studie der Sigmund-Freud-Stiftung von 2002, gesunkener Wert. Allerdings hält sich das antisemitische Klischee vor allem in einem politischen Lager hartnäckig. In der Anhängerschaft keiner im Bundestag vertretenen Partei lag der Wert über 20 Prozent. Bei den Anhängern der AfD allerdings glauben 55 Prozent an einen zu großen Einfluss der Juden in der Welt.

Bei der Frage nach dem Ursprung von Antisemitismus gehen die Fakten jedoch auseinander. Laut polizeilicher Statistik waren 1603 der 1799 Übergriffe gegen Juden oder jüdische Einrichtungen im Jahr 2018 dem rechten Spektrum zuzordnen. Bei der 2017 von der Uni Bielefeld angefertigten Studie „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus“ gaben Opfer von antisemitischen Gewalttaten zu 81 Prozent an, die mutmaßlichen Täter hätten einer „muslimischen Gruppe“ angehört. Die Datenbasis von 16 Befragten war bei dieser Untersuchung allerdings sehr klein. Die Recherche- und Informationsstelle (Rias) in Berlin kommt wiederum zu anderen Zahlen. In ihrem Bericht für 2018 ist von 1083 Delikten die Rede. Dabei sei das politische Spektrum, dem die meisten Taten zugeordnet werden konnte, der Rechtsextremismus (18 Prozent), gefolgt vom „israelfeindlichen Aktivismus“ (neun Prozent).

Quelle: ntv.de

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Im letzten Oktober kündigte Salman Rushdie an, ein Buch über den Mordanschlag auf ihn zu publizieren. Nun verlangt die Verteidigung Einblick in die Aufzeichnungen.

Der Schriftsteller Salman Rushdie ist seit der Messerattacke im August 2022 auf einem Auge blind.

 

Am Montag hätte der Prozess gegen Hadi Matar beginnen sollen, der im August 2022 während einer Veranstaltung mehr als ein Dutzend Mal mit einem Messer auf Salman Rushdie eingestochen und den Schriftsteller lebensgefährlich verletzt hatte. Rushdie überlebte den Mordanschlag, er hat aber das rechte Auge verloren, ausserdem wurden die Leber und eine Sehne am linken Arm verletzt. Er leidet bis heute unter den Folgen des Angriffs.

Matars Verteidiger hat diese Woche Einsicht verlangt in das neue Buch von Salman Rushdie, das am 16. April unter dem Titel «The Knife» (Das Messer) erscheinen wird und im Untertitel «Erinnerungen nach einem versuchten Mord» verspricht. Die Verteidigung erkennt darin mögliches Beweismaterial und beantragt darum, dass dem Angeklagten Einblick gewährt werde. Der zuständige Richter am Bezirksgericht in Chautauqua im US-Bundesstaat New York, wo die Attacke stattgefunden hatte und dem Attentäter der Prozess gemacht wird, gab dem Gesuch statt. Rushdies Anwälte verweigerten unter Verweis auf das Urheberrecht umgehend die Einsichtnahme.

Zahlreiche Zeugen des Angriffs

Der Prozess wurde einstweilen sistiert, und auf Anweisung des Richters müssen der Anwalt und der Angeklagte entscheiden, ob das Verfahren erst nach Erscheinen des Buches im April wiederaufgenommen werden soll. Matars Anwalt stellt sich auf den Standpunkt, dass es nicht nur um das Buch gehe, vielmehr sei er berechtigt, alles Material einzusehen, das im Zusammenhang mit «The Knife» entstanden sei, jede kleinste Notiz, die Rushdie aufgeschrieben habe, jedes Gespräch, das er dazu geführt habe.

Der Bezirksanwalt hält das Material allerdings für wenig relevant. Es gebe hinreichende Zeugenaussagen, da die Attacke vor Publikum geschah. Ausserdem könne Salman Rushdie als Zeuge vor Gericht geladen werden. Ob Rushdie am Prozess teilnehmen wird, hat er im vergangenen Sommer noch offengelassen. Er sei in der Frage gespalten, zitiert ihn der britische «Guardian»: «Ein Teil von mir möchte tatsächlich im Gerichtssaal anwesend sein und den Attentäter sehen, ein anderer Teil in mir hat schlicht keine Lust dazu.»

Rushdie verdankt sein Überleben einem Freund, dem es gelungen war, den Attentäter an den Füssen zu packen und von seinem Opfer wegzuziehen. Hadi Matar wurde noch am Tatort festgenommen und ist seither in Haft. In einem Interview mit der «New York Post» äusserte er sich nur wenige Tage nach dem Angriff überrascht, dass Rushdie überlebt hat. Zu seinen Motiven für die Tat sagte er, der Schriftsteller habe den Islam und die gläubigen Muslime angegriffen. Zugleich gestand er, lediglich ein paar Seiten der «Satanischen Verse» gelesen zu haben.

Nicht das einfachste Buch

Im Februar 2023, ein halbes Jahr nach dem Angriff, sprach Salman Rushdie in einem langen Interview mit dem «New Yorker» erstmals davon, über den Mordanschlag ein Buch schreiben zu wollen. Es schwebe ihm eine Art Fortsetzung seiner Autobiografie «Joseph Anton» vor. Joseph Anton war sein Pseudonym, mit dem er sich in den Jahren nach der von Irans Revolutionsführer Ayatollah Khomeiny erlassenen Fatwa von 1989 schützte.

Die Geschichte über den Messerangriff müsse er allerdings in der ersten Person schreiben. «Wenn jemand mit einem Messer in dich hineinsticht, dann ist das eine Ich-Geschichte.» Es sei nicht das einfachste Buch auf der Welt, aber er müsse es schreiben und sich mit dem Anschlag auseinandersetzen, damit er sich wieder anderem zuwenden könne. «Ich kann nicht einfach einen Roman schreiben, der nichts damit zu tun hat.»

Danach kündigte Salman Rushdie bereits im vergangenen Oktober an, dass seine Erinnerungen an den Mordanschlag im April unter dem Titel «The Knife» erscheinen würden. «Es war für mich eine Notwendigkeit, dieses Buch zu schreiben», sagte er während einer öffentlichen Veranstaltung, «eine Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten und der Gewalt mit Kunst zu begegnen.»

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Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Die Musik schwillt an, als der Vater das Kind nimmt, Richtung Fenster läuft und Anstalten macht, es hinauszuwerfen. Die Kamera nun in einer Totale, das am Abgrund schwebende Kind oben, die wuselnden Leute da unten, dann die Perspektive aus dem Fenster, verzweifelte Menschen dort unten, die anbieten, den Jungen aufzufangen, aber so richtig wohl ist ihnen dabei nicht. Schließlich entscheidet sich der Vater gegen den Wurf, drückt das Kind an sich, es muss einen anderen Weg geben; er sieht vielleicht auch in diesem Moment ein, dass die katholische Kirche zu mächtig ist, als dass sein Sohn eine Chance hätte, selbst wenn einer der Verbündeten dort unten ihn auffangen könnte.

Ein bisschen Brainwashing-Narrativ

Die Bologna Entführung heißt der neue Film von Marco Bellocchio, und der Kidnapper ist niemand Geringeres als der Papst. Dem katholischen Establishment ist im Jahre 1857 zu Ohren gekommen, dass eines von sieben Kindern einer jüdischen Familie in Bologna einst getauft wurde, und so sieht es sich legitimiert, den sechsjährigen Edgardo seiner Familie zu entreißen, in die Obhut der Kirche zu nehmen und das Christentum zu lehren.

Die kaltherzige Macht auf der einen, die ohnmächtige Verzweiflung auf der anderen Seite: Fortan ist Die Bologna Entführung ein zweigeteilter Film, folgt einerseits Edgardos Missionierung in Rom, direkt beim Papst und gemeinsam mit anderen jüdischen Kindern, andererseits dem Kampf seiner Familie, den verlorenen Sohn zurückzubekommen, inklusive Mobilisierung des internationalen jüdischen Establishments und einiger von ganz oben autorisierter elterlicher Besuche bei Edgardo selbst, der zwischen der Akzeptanz seines neuen und der Sehnsucht nach seinem alten Heim sichtlich zerrissen ist. Was in ihm vorgeht, wie weit er schon bekehrt ist, wie lange er noch seine Familie vermisst, ab wann er verloren ist – ein bisschen Brainwashing-Narrativ ist Die Bologna Entführung schon auch, so richtig hinter die Fassade Edgardos, ein unschuldiges Kindergesicht if there ever was one, können wir nicht blicken. Doch haben wir durch die Augen des Jungen die furchteinflößende christliche Symbolik gesehen, als würden wir sie auch gerade erst kennenlernen, und das ist nicht wenig.

Ein Albtraum jüdischer Rache

Ein weiterer Historienfilm in Cannes, vielleicht der beste. Nicht nur, dass Bellocchios Klassizismus ein ungemein dynamischer ist, der sorgsam die statischen Dialogszenen mit den beschleunigten Actionszenen austariert und für jede Entwicklung seiner konzentrierten Erzählung ein Bild findet, das stimmig ist, ohne sich selbst als eigenes Kunstwerk ausstellen zu wollen. Die Bologna Entführung ist eine große Historienoper und steht dabei zugleich, wie seine Anfangssequenz, stetig unter Spannung, hält seine kleine Geschichte in der Schwebe wie der Vater das Kind am Fenster, während die große voranschreitet.

Denn mit dem Privatkrieg Pius’ XI. gegen die Juden, für den er selbst innerhalb der katholischen Kirche in der Kritik stand, ist es längst nicht getan: Die italienische Nationalbewegung tritt auf den Plan, nimmt erst Bologna, irgendwann Rom ein, die Kirche verliert an Macht, der Papst, einführend noch an seinem Schreibtisch vor einer riesigen Weltkarte inszeniert, stürzt verzweifelt eine Treppe hinunter, und Edgardo sieht sich irgendwann einem seiner Brüder gegenüber, als der mit den Nationalisten die heiligen Hallen stürmt.

 

 

Zugleich findet Die Bologna Entführung allerlei Raum für Details und sogar für Ausflüge ins Surreale, wenn Edgardo in seiner Fantasie Jesus entkreuzigt oder wenn das päpstliche Unbewusste aus einem Gerücht einen Albtraum jüdischer Rache spinnt, in dem sich eine Schar an Rabbinern eines Nachts über ihn hermacht, um ihn zu beschneiden.

Von der Geschichte gemeißelte Körper

Überhaut habe ich lange keinen Film mehr gesehen, in dem sich die große Geschichte so überzeugend im Kleinen spiegelt wie hier: Mit dem Machtwechsel ist die Entführung, die einst als heiliger Akt aus Rom begründet werden konnte, auf einmal eine Straftat, der katholische Richter, der sie im Auftrag des Papstes durchführte, auf einmal Angeklagter vor einem Gericht in Bologna. Und Edgardo, der verlorene Sohn, der Fluchtpunkt aller Mühen einer jüdischen Familie, ist auf einmal deren schwarzes Schaf, das am Totenbett der Mutter erst beseelt begrüßt, dann wütend abgewiesen wird.

Denn es gibt kein Happy End, kein Rückmissionierung, weil wir alle von der Geschichte gemeißelte Körper mit von allen möglichen Umständen gefärbten Biografien sind. Edgardo ist keine souveräne Figur, sondern Spielball der Geschichte, trotz alledem oder gerade deshalb trauern wir um ihn.

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren

Aus dem Englischen von Bernhard Jendricke, Christa
Prummer-Lehmair und Thomas Wollermann
C.H.Beck
Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel
«A little History of Art» bei Yale University Press
© 2022 by Charlotte Mullins

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Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren
Sieben berühmte Rechenfehler der Geschichte

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Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren
Die Kämpfe in Gaza sind die blutigsten in der Geschichte der autonomen Palästinensergebiete. Nach Palästinenser-Angaben wurden mindestens 520 Menschen getötet. Israel meldete seinen ersten toten Soldaten. Trotz der Flut der Bilder und Nachrichten bleiben viele Fragen offen.

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Dez. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Die meisten Menschen haben eine Haltung. Sie wählen etwa die SPD oder die CDU. Sie essen Fleisch oder Gemüse. Sie mögen die Berge oder das Meer. Die interessantere Frage ist, ob Journalisten eine Haltung haben dürfen. Beziehungsweise, ob diese Haltung sich auf ihre Arbeit auswirken darf. Oder muss?

Die konventionelle These dazu lautet: Nein. In den vergangenen Jahren sind gerade in konservativen und rechten Medien unzählige Texte erschienen, in denen der „Haltungsjournalismus“ und das „Gutmenschentum“ der Bewohner  eines „Elfenbeinturms“ als Ursache für den Vertrauensverlust der Medien identifiziert wurden. Die Aufgabe der Berichterstattung ist demnach die kühl-distanzierte Beschreibung „dessen, was ist“. Egal, worum es sich handelt. Wer Partei ergreift, ist nicht länger Journalist, sondern „Aktivist“  und hat (pardon, gleich wie das Bier, das nicht getrunken wird) den Beruf verfehlt. Ab in die Parteizentrale, Genosse.

Was an der Berichterstattung über den Krieg im Nahen Osten auffällt:

Auf einmal haben alle eine Haltung. Vor allem diejenigen, die genau ebendies zuvor kritisiert haben. Man muss sich nur einmal anschauen, was das Leitmedium der Haltungskritik – die Welt aus dem Springer-Verlag – so veröffentlicht. Interviews mit dem Sprecher der israelischen Armee, Kritik an der mangelnden Israelunterstützung deutscher Künstler und Intellektueller, Solidaritätsbekundungen. „Am Israel Chai“, das Volk Israel lebt, schrieb Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt auf X (the platform formely known as Twitter) und macht damit klar, wo er seinen Platz sieht: an der Seite Israels.

Damit keine Missverständnisse aufkommen:

Es spricht viel dafür, auf der Seite Israels zu stehen. Da stünde im Zweifel auch ich. Das Land wurde Opfer eines barbarischen Angriffs und setzt sich dagegen zur Wehr. Das ist – solange der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird – legitim, auch wenn das bedeutet, dass in Gaza sehr viele unschuldige Menschen getötet werden. Es sind auch viele unschuldige Deutsche getötet worden, als die Alliierten die Nazis besiegten. So kann man argumentieren.

Aber wer in einem Krieg Partei ergreift,
ist kein neutraler Berichterstatter mehr.
Sondern nimmt eine Haltung ein.

Das Ergebnis wäre dann Haltungsjournalismus. Es ist aber jedenfalls ein ein wenig mehr als  merkwürdig, dass sich ausgerechnet diejenigen über die Enthaltung Deutschlands bei der jüngsten Abstimmung über eine Gaza-Resolution der UN empört haben, die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sonst einen Überschuss an Gesinnung und eine Mangel an Realismus vorwerfen. Was war diese Enthaltung, wenn nicht Realpolitik?

Wenn das zutrifft, dann gibt es jetzt zwei mögliche Schlussfolgerungen.

Erstens: Die Moralisierung der Nahostdebatte ist ein Problem. Dann wäre ein großer Teil der deutschen und gerade der konservativen Israelberichterstattung ein Problem.

Oder zweitens: Es geht manchmal einfach nicht ohne Haltung. Weder im Nahen Osten noch bei anderen Themen. Auch der Klimawandel ist für einen Teil der Menschheit ein existenzielles Problem. Oder die Ungleichheit.

Manchmal geht es nicht ohne eine Haltung

Es spricht viel dafür, dass die zweite Schlussfolgerung näher an der Realität ist als die erste. Denn so wichtig Fakten sind: Sie müssen interpretiert werden. Und das geht oft nicht ohne Rückgriff auf weltanschauliche Grundüberzeugungen. Jedenfalls bei den wirklich wichtigen Fragen: Mehr Sozialstaat oder weniger? Flüchtlinge rein oder raus? Steuern rauf oder runter? Kohlekraftwerke anschalten oder ausschalten?
Die Wissenschaft kann dabei helfen, Entscheidungen zu strukturieren. Sie kann Zielkonflikte aufzeigen und mögliche Folgen aufzeigen. Aber in den seltensten Fällen ist der Sachstand so eindeutig, dass es eigentlich nichts mehr zu entscheiden gibt. Und dann kommt die Moral ins Spiel. Ob man will oder nicht.

Deshalb ist die Kritik am Haltungsjournalismus in Wahrheit häufig keine Kritik an zu viel Haltung im Journalismus – sondern an der vermeintlich falschen Haltung. Dazu passt, dass der Vorwurf der Moralisierung selten aus dem eigenen Lager kommt. Vielmehr werfen das die Rechten den Linken vor. Und (seltener) die Linken den Rechten. Oder anders formuliert: Haltungsjournalisten sind diejenigen, die meine Meinung nicht teilen. Alle anderen reden Klartext. Um noch einen Kampfbegriff einzuführen.

Ein Vorschlag zur Versachlichung der Debatte:

Es führt nicht weiter, der Gegenseite Haltung zu unterstellen und gleichzeitig die eigene Haltung zu verleugnen. Menschen haben unterschiedliche Vorlieben. Deshalb gibt es Kleinwagen und Geländewagen. Beziehungsweise liberale Zeitungen und konservative Zeitungen. Man kann über alles streiten – aber nicht, wenn man dem Gegner unlautere Motive unterstellt. Wir sind alle Bewohner des Elfenbeinturms.

Groß ist die Empörung, weil Deutschland sich bei einer UN-Resolution zu Gaza enthalten hat. Doch möglicherweise war es einfach die richtige Reaktion.
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Schande, Verrat – vielleicht aber auch nur solidarisch
Was sich vor einigen Tagen bei den UN in New York abspielte, war ein Vorgeschmack auf das, was Israel und seinen Partnern in den kommenden Wochen, Monaten, ach was: Jahren bevorsteht. Der größte Teil der Welt steht nicht an der Seite der Israelis und die von Jordanien eingebrachte Resolution A/ES-10/L.25 zeigt das ziemlich deutlich. Von den 193 Mitgliedsstaaten stimmten 121 für die Resolution, die eigentlich eine Waffenruhe in Gaza fordert, aber, freundlich gesagt, hochumstritten formuliert ist und die jüngsten Massaker an den Israelis nicht erwähnt. Nur 14 Länder stimmten dagegen. 44 enthielten sich, darunter die Deutschen (die übrigen waren nicht anwesend).

Ausgerechnet Deutschland, das Israels Sicherheit zur Staatsräson erklärt hat! Schnell war denn gleich nach der Abstimmung die Rede davon, Deutschland habe Israel im Stich gelassen, der israelische Botschafter in Deutschland drückte seine Enttäuschung über das Verhalten aus. Kommentar: „Diese Enthaltung ist eine Schande“.
Schande ist ein großes Wort, das keinen zweiten Blick zulässt. Und doch lohnt es sich, hinter die Kulissen zu schauen. Die Deutschen haben nämlich durchaus nachvollziehbare Gründe für ihr Abstimmungsverhalten gehabt.
Man könnte das, was in der UN passiert, leicht abtun – ist doch ohnehin alles unbedeutend! Auch die verabschiedete Resolution zu Gaza ist ja rechtlich nicht bindend. Und auch moralisch hat die UN in der Vergangenheit durchaus danebengegriffen, als sie zum Beispiel in der Resolution 3379 den Zionismus als eine Form des Rassismus bezeichnete und damit indirekt Israels Gründungsakt infrage stellte. Bei schwergewichtigen politischen Fragen ist der Sicherheitsrat ohnehin schon lange handlungsunfähig. Entschieden wird also wenig in der UN, was also scheren Israel irgendwelche Beschlüsse?
Kalt und geschichtsvergessen

UN-Vollversammlung: Diese Enthaltung ist eine Schande
Doch so einfach ist es nicht. Die UN mag mehr Bühne als Politik sein, aber auf dieser Bühne wird um die Deutungshoheit der Weltereignisse gerungen, vor allem dieser Tage, da Russland und China recht aggressiv die Weltordnung zu verändern suchen. Wäre die UN unbedeutend, dann hätte die deutsche Außenministerin nicht die vergangenen anderthalb Jahre damit verbracht, bei jeder ihrer Reisen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu erwähnen. Ob in Addis Abeba, in Neu-Delhi oder Astana: Jedes Mal ließ Annalena Baerbock einfließen, welch ein Verbrechen dieser Krieg sei. Sie hat auf diese Weise Stimmen gesammelt.

Denn so läuft es hinter den UN-Kulissen: Als über die UN-Resolutionen abgestimmt wurde, die den Angriff auf die Ukraine verurteilten, hatten Diplomaten zuvor schon monatelang um jede einzelne Stimme gerungen. Wer gilt als Unterstützer, wer als Wackelkandidat? Sie telefonierten, überzeugten oder auch nicht. Als die Ukrainer im vergangenen Winter eine scharfe Resolution einbringen wollten, waren es die Verbündeten und Partner, die ihnen hinter den Kulissen davon abrieten: Viele Staaten würden da nicht mitziehen. Und eine gescheiterte Resolution wäre am Ende ein diplomatischer Erfolg der Russen gewesen. Also wurde der Text deutlich verändert und sowohl im Ton als auch in den Forderungen abgemildert – und der Beschluss mit 141 Stimmen angenommen, ein diplomatischer Erfolg.
Dieser Tage hat sich in New York ein globales Stimmungsbild offenbart, das für Israel verheerend ist. Vor allem (aber nicht nur!) jene Staaten, die als Globaler Süden gelten, sehen in Israel eine repressive Kolonialmacht. Selbst jetzt wird das Land nicht als Opfer anerkannt, sondern ausschließlich als Täter. Als Besatzungsmacht, die Zivilisten tötet.

Diese Außenwahrnehmung Israels ist nicht neu, aber in seiner geschichtsvergessenen Kälte dann doch, angesichts des Leids, das dem Land seit dem 7. Oktober widerfährt. Nicht nur sind 1400 Israelis umgebracht worden, noch immer werden Raketen auf Israel geschossen, droht die Hisbollah an der Nordgrenze Israels, werden über 200 Geiseln von der Hamas gefangen gehalten. Die Resolution A/ES-10/L.25, die Jordanien für die Palästinenser eingebracht, steht für diese Kälte.
Manchmal ist entscheidend, was nicht gesagt wird
Der Text dieser letztlich verabschiedeten Resolution ist in der Tat beschämend. Nicht so sehr aufgrund dessen, was drinsteht – es ist richtig, an das Leid der Zivilisten in Gaza zu erinnern und für die Einhaltung des internationalen humanitären Rechts einzutreten. Es ist allerdings auf eine schreckliche Art falsch, auszulassen, was am 7. Oktober 2023 in Israel geschehen ist. Der Tag wird beiläufig erwähnt und nicht als die Zäsur vorgestellt, die jener Tag für Israel markiert: Mindestens 1400 Juden wurden an diesem Datum massakriert; Babys, Frauen, Kinder und Alte wurden verstümmelt, verbrannt, niedergemetzelt, hingerichtet oder entführt – überwiegend Zivilisten wohlgemerkt und nicht israelische Soldatinnen und Soldaten. Sie werden nicht erwähnt in der Resolution. Genauso wenig wie die Hamas, die diese Verbrechen begangen hat.
Auch wenn es dieser Tage nicht einfach ist, sich auf grundlegende Dinge zu einigen – darauf sollte man sich doch verständigen können: Eine Resolution, die von der Hamas ausdrücklich gelobt wurde, kann keine gute Resolution sein.

Nahost-Glossar: Den Nahostkonflikt verstehen

Und damit zurück zur Rolle Deutschlands: Wenn es nicht möglich ist, von palästinensischen Opfern zu sprechen, ohne die israelischen zu erwähnen; wenn die verabschiedete Resolution in ihrer Kälte so beschämend ist, ist es die deutsche Enthaltung dann nicht zwangsläufig auch?

Deutschland hat für Kanadas Ergänzungsvorschlag gestimmt (?)

Eben nicht. Denn die Jordanier hatten zunächst einen anderen, noch viel inakzeptableren Text eingebracht. Darin war nicht von der „Sorge über die jüngste Eskalation“ die Rede, sondern lediglich von der Eskalation, die so gesehen seit vielen Jahren andauert. Das größte nationale Trauma Israels seit seiner Gründung, der 7. Oktober 2023, wurde nicht erwähnt. Das Wort Terror fehlte. Eine sofortige Waffenruhe wurde gefordert.
Deutschland hat – zusammen mit anderen Staaten – darauf gedrungen, dass diese Formulierungen überarbeitet wurden. Aus der Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe wurde die nach einer nachhaltigen humanitären Waffenruhe, die zu einer Beilegung der Feindseligkeiten führen soll. Es gelang zwar nicht, das Wort „Geiseln“ zu platzieren – noch immer sind mehr als 200 Menschen in den Händen der Hamas – aber immerhin wurde der Zusatz eingefügt, dass alle illegal festgehaltenen Zivilisten bedingungslos freigelassen werden müssten. Und auch der Ruf nach Frieden innerhalb einer Zweistaatenlösung taucht nun auf, in dem ersten Entwurf fehlte er noch.

Man muss sich keine Illusionen machen:

Auch der ursprüngliche Text, in dem die israelischen Opfer genauso wenig auftauchen wie eine Zweistaatenlösung, hätte in den UN seine Mehrheit gefunden. Aber nicht zuletzt wegen der deutschen Intervention konnten einige Verbesserungen durchgesetzt werden, die auch im Sinne Israels sind. Wie glaubwürdig hätte es da gewirkt, wenn die Deutschen sich gegen das, was man im Kleinen erreicht hat, öffentlich mit einem Nein gestellt hätten? Für einen kanadischen Ergänzungsvorschlag, der eiligst eingebracht wurde, um doch noch sehr klar den Terror der Hamas zu verurteilen, hatte nämlich auch die deutsche Delegation gestimmt – aber der scheiterte bei der UN-Abstimmung.
Manchmal ist nicht entscheidend, was gesagt wird, sondern was nicht gesagt wird. Manchmal bedeuten Solidarität und Unterstützung, Schlimmeres verhindert zu haben. Und das, das ist keine Schande.

Dez. 2023 | In Arbeit | Kommentieren
Healthy Happy Rich – Dialog mit einer künstlichen Intelligenz von Dany Lyons erschien im Jenior Verlag. Wie im Untertitel bereits angesagt ist es kein Roman, sondern tatsächlich ein Dialog zwischen dem Autor und der künstlichen Intelligenz in Form von ChatGPT. Die Fragen richten sich an drei große Bereiche des Lebens: Gesundheit, Selbstfindung und finanziellen Wohlstand. Ich habe mich beim Lesen vor allem auf den ersten Teil konzentriert, da der mich als PTA am meisten ansprach.

Der Autor der KI stellt im folgenden erst einmal nur noch Fragen zu aktuellen Gesundheitsthemen, wobei aktuell dem Mikrobiom des Darms eine Menge Fragen gestellt werden, wobei die Antworten der KI sehr aufschlussreich waren. Jede spezifische Antwort endete mit dem Hinweis auf einen Arzt bzw. eine Fachkraft, welche wohl im Hinblich auf eine mögliche Haftung konkret immer darauf hinweist- dass im Zweifelsfall – natürlich – einen Arzt zu konsultieren (Haftung der KI – was Wunder – ausgeschlossen).

Was ich schade fand, dass die Fragen nicht nochmal auf die Leseschaft konkretisiert wurden. So gab es eine Linkliste zur Darmanalyse, allerdings nicht unbedingt für den deutschen Anwender. Hier hätte ich mir ein Nachfragen des Autors auf deutsche Links gewünscht. Ich nehme an, dass die KI diese auch gefunden hätte. Denn nicht ein bekanntes deutsches Labor für die Stuhlanalysen wurde hier genannt. Ein Schwachpunkt der KI, da diese vornehmlich den englischen Markt bisher bedient. Aber dennoch auch ein Zeichen dafür, dass man die Antworten mit seinem eigenen Verstand hinterfragen muss.

Im Prinzip habe ich in diesem ersten Abschnitt nichts neues gelernt. Für ein langes und gesundes Leben sind Ernährung und Bewegung die Grundpfeiler. Wie ich mein Leben lebe spielt natürlich auch eine Rolle und meine Umgebung ist die große Unbekannte, die sich sowohl negativ als auch positiv auf ein langes Leben auswirken kann. Weiterhin kommen noch Anregungen zur Meditation, Sporteinheiten und Schlafroutine. Schau am besten einmal selbst ins Buch, was die KI alles zum langen Leben herausgefunden hat.

Den Gesundheitsabschnitt fand ich zum größten Teil ansprechend und vor allem mit dem Hinweis zum Arzt gut durch die KI beantwortet. Allerdings fehlt den Antworten die nötige Emotion. Ein Punkt, den die KI einfach nicht abdecken kann. Sie sammelt ganz nüchtern Fakten und gibt diese wider.

Die weiteren Abschnitte lassen sich ganz nüchtern lesen. Am Ende lässt die KI noch ein paar bekannte Persönlichkeiten zu Wort kommen, in dem sie in dessen Stil antwortet. Zum Schluss gibt es eine kurze Anleitung zur Nutzung von ChatGPT. Wobei ich finde, man kann ChatGPT ganz intuitiv nutzen. Im Zweifel fragt man die KI selbst, wie sie zu nutzen ist.

Es ist eine interessante Zusammenstellung von Antworten der KI zu den Themen: Gesundheit, Selbstfindung und finanziellem Wohlstand. Für mich allerdings ein wenig an der Zielgruppe des deutschen Marktes vorbei, da die vernehmlichen Links alle für das englischsprachige Publikum bestimmt sind. Hier hätte ich mir nachfragen Seitens des Autors gewünscht. Um das Frage Antwort Spiel an die Leserschaft anzupassen. Wer sich mit dem Thema KI auseinandersetzen möchte und erfahren möchte in welcher Form sie antworten kann. Findet in diesem Buch einen ersten Ansatz. Ich habe inzwischen selbst ein paar Fragen mit ChatGPT erörtert. Wobei ich anmerken möchte, dass man auch weiterhin den Wahrheitsgehalt hinterfragen sollte. Wie haben meine Lehrer und Dozenten früher so oft gepredigt: Nicht alles was im Internet steht entspricht der Wahrheit. Es ist immer sinnvoll eine seriöse Quelle anzugeben. Ich bin gespannt, ob im Laufe der Zeit die KI als Quelle angegeben werden kann oder ob sie zu ihren Erkenntnissen die Quellen auch direkt mitliefert. Ich denke im Laufe der nächsten Jahre werden wir viele weitere Erkenntnisse dazu sammeln.

Healthy Happy Rich: Dialog mit einer künstlichen Intelligenz

Dany Lyons

2.67
3 ratings1 review
Der mit zahlreichen Kreativ Awards ausgezeichnete Kommunikationsexperte und Unternehmer, Dany Lyons führt in diesem Buch einen Dialog mit einer künstliche Intelligenz zu den Themen Gesundheit, Selbstfindung und finanziellem Wohlstand. Hierbei fordert er die KI auf, zu wirklich spannenden Fragen Stellung zu beziehen und auch praxisorientierte Empfehlungen zu geben. Das Buch zeigt auf interessante Art und Weise, wie man im Jahr 2023 mit einer künstlichen Intelligenz in einen Dialog eintaucht und wie man ein breites Spektrum an Informationen erhält. Man bekommt einen faszinierenden Einblick in die Welt der KI und eine unterhaltsame Anleitung, wie man diese neue Technologie handhaben kann. PRESSESTIMMENHamburger „Hochspannend“Berliner „Verblüffende Antworten“ „Erschreckend plausibel“ „Zeigt wie man der KI kluge Antworten entlockt“ INSPIRATIONStell dir vor du kannst dich ein ganzes Wochenende lang mit den besten Ärzten, Coaches und Beratern der gesamten Welt aus dem Bereich Gesundheit, Selbstfindung und finanziellem Wohlstand zusammensetzen und sie alles fragen, was du schon immer wissen wolltest.Du kannst dein eigenes Wissen vertiefen, auf den Prüfstand stellen, Behauptungen in den Raum werfen, sie fragen, wer denn die besten Experten sind, wo du potente Investoren triffst, welche Nahrungsmittel wirklich gut für dich sind, was deine Nahrung mit deinem Glück zu tun hat und wie das alles zusammenhängt.Sie werden dir antworten und immer freundlich sein, selbst bei der dümmsten Frage. Wenn dir eine Antwort nicht ausführlich genug ist, wiederholen sie die Antwort so oft du willst und du entscheidest, ob diese Antwort humorvoll, satirisch, aggressiv oder wie auch immer formuliert werden soll.Ein Arzt hat nur eine sehr begrenzte Zeit für dich, Ernährungsberater rechnen nach Stunden ab und der so genannte Finanzoptimierer hat nur seine Provision vor Augen. Ich wollte einfach schon immer mal mit zahlreichen Experten an einem Tisch sitzen und so viel fragen wie ich will, ohne dass einer auf die Uhr schaut oder irgendein finanzielles Interesse hat.

Und auf einmal geht das!

Der Autor des ersten KI-Ratgebers “Healthy Happy Rich” Dany Lyons hat sich hingesetzt und der künstlichen Intelligenz wichtige Fragen zu den drei Kernthemen Gesundheit (inklusive Anti-Aging und Biohacking), Glück und Finanzen gestellt. Und die KI hat geantwortet.å

Dez. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

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