7.7.1869: Kunstbegeisterte Bürger gründen den Heidelberger Kunstverein. Die Mitglieder und ihre Leidenschaft für die bildende Kunst tragen auch heute noch den Verein, ihr Engagement für die Kunst steht im Mittelpunkt der Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum. Mit der Eröffnung der ersten großen Mitgliederausstellung des Heidelberger Kunstvereins feiern wir unser Jubiläumsfest. Alle Bürgerinnen und Bürger sind herzlich eingeladen!
Samstag, 6.7. / 19 Uhr
Jubiläumsfest + Eröffnung der Mitgliederausstellung
Begrüßung: Julia Philippi MDL, Erste Vorsitzende
Grußwort: Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner, Schirmherr
Grußwort: Meike Behm, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine
Festrede: Prof. Thomas Wagner, Akademie der Bildenden Künste Nürnberg
Einführung: Ursula Schöndeling, Direktorin
Vorstellung der neuen Chronik zum 150 Jubiläum – analog und digital – und der digitalen Stadtkarte zur Kunst in Heidelberg.Musik: KlangForum Heidelberg e.V.
sowie Reunion der Neckartown Jazz Babies, Lukas Ley und Hector Hiss (Soft Hill Foundation) mit Lisa Konnerth (Fat Tea), Heidelberger HardChor
Genießen Sie prickelnde Getränke aus Heidelberg und der Kurpfalz, frische Cocktails an der Bar Blau und kulinarische Leckereien im Garten.
Sonntag, 7.7. / ab 12 Uhr
Festgespräche zum Brunch
Die ehemaligen Direktor*innen Hans Gercke, Johan Holten, Susanne Weiß und die amtierende Direktorin Ursula Schöndeling diskutieren mit geladenen Gästen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kunstvereine. Sie beleuchten einzelne Aspekte im Dialog mit dem Publikum.
Begrüßung: Julia Philippi MdL, Erste Vorsitzende
Grußwort: Theresia Bauer, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
Mit: Wolfgang Suttner, Vorstand Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine; Prof. Thomas Wagner, Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, ehem. Beirat des Heidelberger Kunstvereins; Pascal Storz & Jakob Kirch, Grafikdesigner; Prof. Konrad Renner & Prof. Christoph Knoth, Klasse für Digitale Grafik an der Hochschule für bildende Künste Hamburg; Regina Barunke, Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen; Michael Arzt, Halle 14 Leipzig
Mitgliederausstellung
7.7.–25.8.2019
Erstmals präsentieren die Mitglieder in einer großen Ausstellung Lieblingswerke aus ihren eigenen Sammlungen. Die Ausstellung macht öffentlich, was sonst meist privat bleibt – Sie gibt Einblick, welche Kunstrichtungen die Mitglieder präferieren. In der Überschau wird eines deutlich: auch wenn unterschiedliche Kunststile bevorzugt werden, gemeinsam ist allen die Begeisterung für die Kunst und der Wunsch, sie gut in Heidelberg vertreten zu wissen.
Günther Nosch: ›Verabredete Zeichen 1‹, 2018, Kabel, Acrylglas, Holzrahmen, 72 x 52 cm
Dienstag, 2.7. // 19 Uhr
Tafelrunde
›Das Wissen der Einwohner‹, Gespräch mit Carl Zillich, Kurator der IBA Heidelberg und Ahmad Khairudin, Hysteria, in englischer Sprache,
im Hof vor dem Kurpfälzischen MuseumDie indonesische Künstlergruppe Hysteria arbeitet in Semarang vorwiegend mit Bewohner*innen von Armutsvierteln, die stark von Überschwmmungen bedroht sind. Ihre Arbeit setzt beim Wissen der Bewohner*innen an und sucht neue Wege, dieses Expert*innenwissen weiter zu entwickeln, sichtbar zu machen und zu teilen. In Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen entstanden unkonventionelle Karten der Wohngebiete, die Möglichkeiten zur Umnutzung von Arealen, u ä. vorsahen. Damit wurden den Bewohner*innen und den zuständigen Planungsstellen erstmals Möglichkeiten der Selbsthilfe in die Hand gegeben.
Affenmütter, die ihr totes Kind tragen, Krähen, die sich um verblichene Artgenossen scharen. Ist das wirklich Trauer – oder steckt etwas anderes hinter diesem Verhalten?
Kaeli Swift trägt eine tote präparierte Krähe in den Händen. Die Krähenforscherin läuft an die Stelle, an der sie seit einigen Wochen eine Gruppe Amerikanischer Krähen (Corvus brachyrhynchos) mit Erdnüssen anlockt. Sobald sie sich nähert, wird es laut im Geäst. Die Vögel rufen und krakeelen, sammeln sich im nächsten Baum und beobachten den starren Körper aus gewisser Distanz. Swift ist sich sicher: Sie reagieren auf den toten Artgenossen.
Peter Jackson wurde durch die „Der Herr der Ringe“-Trilogie weltberühmt. Jetzt kommt sein erster Dokumentarfilm in die Kinos: So real wie in „They Shall Not Grow Old“ hat man den Ersten Weltkrieg noch nie gesehen.
Der Krieg, er kann so harmlos wirken wie in dieser Filmszene. Da stehen drei Soldaten nebeneinander vor der Kamera, sie tragen britische Uniformen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Der Soldat links hat eine zu große Pickelhaube auf dem Kopf, offenbar eine Trophäe, erbeutet von den „bloody krauts“, den Deutschen, sie rutscht ihm fast auf die Nase. Sein Kamerad in der Mitte fuchtelt mit einem Revolver herum. Erst klopft er damit gegen den eigenen Stahlhelm, dann gegen den des Mannes auf der rechten Seite.
Alle drei Soldaten haben gute Laune, sie lachen, feixen. Auf den ersten Blick könnte das Ganze eine Szene aus „Blackadder Goes Forth“ sein, der Comedyserie aus den Achtzigerjahren mit Rowan Atkinson.
Doch die Bilder sind dokumentarisch, es sind über 100 Jahre alte Archivaufnahmen – auch wenn man ihnen das wegen ihrer technischen Perfektion nicht sofort ansieht. Der neuseeländische Regisseur Peter Jackson hat die Szene eingebaut in „They Shall Not Grow Old“, seinen überwältigenden Dokumentarfilm über den Ersten Weltkrieg.
Am 27. Juni kommt der Film in einige deutsche Kinos. Der Starttermin hat Symbolkraft: Vor 100 Jahren, am 28. Juni 1919, wurde der Vertrag von Versailles unterzeichnet. Nach den Verheerungen des Ersten Weltkriegs sollte er Europa befrieden, erfolglos.
Peter Jackson hat „They Shall Not Grow Old“ im Auftrag des Imperial War Museum in London produziert. „Ich konnte machen, was ich wollte“, sagte der Regisseur in einem Interview, „die einzige Bedingung war, ausschließlich Material aus dem Museumsarchiv zu verwenden.“
Horrorbilderaus dem Schützengraben
Jackson, dreifacher Oscar-Preisträger, ist eine überraschende Wahl für einen Dokumentarfilm über den Ersten Weltkrieg. Weltberühmt wurde er mit fantastischen Materialschlachten. Wie ein Feldherr dirigierte Jackson bei den Dreharbeiten zur Tolkien-Trilogie „Der Herr der Ringe“ eine Crew von 2500 Mitarbeitern und inszenierte Kampfszenen mit Tausenden Statisten.
Der bekannte Name des Regisseurs könnte aber auch Jüngere dazu bringen, sich eine Historiendoku anzusehen. Er wolle die Neugier der Zuschauer wecken, sagte Jackson, Fragen auslösen: Haben vielleicht auch Vorfahren aus der eigenen Familie im Ersten Weltkrieg gekämpft? „They Shall Not Grow Old“ zeigt den Krieg ausschließlich aus der Perspektive britischer Soldaten – Szenen von lachenden Freiwilligen bei der Ausbildung ebenso wie Horrorbilder aus dem Schützengraben.
„They Shall Not Grow Old“
Großbritannien, Neuseeland 2018 Buch und Regie: Peter Jackson Produktion: House Productions, Trustees of the Imperial War Museum (London), WingNut Films Verleih: Warner Bros. Länge: 99 Minuten FSK: ab 16 Jahren Start: 27. Juni 2019
Bei Kampfhandlungen selbst konnte zwar nicht gedreht werden, zu gefährlich, dafür sieht man die Folgen: Leichen hängen im Stacheldraht, Verwundete blicken apathisch in die Kamera. So furchtbar echt hat man den Ersten Weltkrieg noch nie gesehen.
Der Überwältigungseffekt entsteht durch die Bearbeitung: Die historischen Aufnahmen wurden mit modernster Computertechnik restauriert, teilweise koloriert und in 3D konvertiert. Auch das unregelmäßige Geruckel der Originalbilder – die Kameraleute von damals kurbelten mal langsamer, mal schneller – wurde am Rechner ausgeglichen.
Überraschend an der Dokumentation ist auch der Sound. Das Archivmaterial besteht naturgemäß nur aus Stummfilmen, denn der Tonfilm war damals noch nicht erfunden. Deshalb machten Jacksons Tontechniker neue Aufnahmen vom Rumpeln alter Panzern oder vom Donner historischer Geschütze. Manchmal hört man die Soldaten sogar sprechen. „We’re in the pictures!“, ruft einer begeistert, wir werden gefilmt! Jackson hat die Männer scheinbar zum Leben erweckt.
Sein „persönlichster Film“
Wie das? Lippenleser guckten sich die Szenen an und entschlüsselten, was die Menschen vor der Kamera wohl gesagt haben; Schauspieler sprachen ihre Sätze nach.
Doch vor allem hört man aus dem Off die Erinnerungen von mehr als 100 Veteranen. „Es war ein ziemlich großer Spaß, an der Front zu sein“, behauptet einer von ihnen. Die O-Töne stammen aus Interviews für eine BBC-Dokumentation aus den Sechzigerjahren. Im Abspann werden die Interviewpartner alle genannt, Name, Dienstgrad, Regiment.
Im Video: Der Trailer zu „They Shall Not Grow Old“
Vorfreude ist die schönste Freude – auch im Sommer. Aber freuen wir uns nur auf den lang ersehnten Strandurlaub? Oder sind es die vielen kleine Dinge, die den Reiz dieser Zeit ausmachen? Hier geben wir Tipps für besondere Sommermomente und wie man diese erfrischend und leicht genießen kann.
Auf Erläuterungen von Historikern hat der Regisseur dagegen verzichtet. Wer Details erwartet über den Verlauf des Ersten Weltkriegs, über seine Ursachen und Folgen oder über die Perspektive zum Beispiel der Deutschen, für den ist Jacksons Dokumentation der falsche Film. Alle anderen dürften das Kino tief berührt verlassen.
Peter Jackson hält „They Shall Not Grow Old“ übrigens für seinen „persönlichsten Film“: Sein Großvater, ein Berufssoldat, kämpfte vier Jahre lang im Ersten Weltkrieg.
… aber unser Verfassungsschutz fahndet doch nach ihm.
Wird das Recht nicht konsequent durchgesetzt? Gegen knapp 500 Neonazis liegen Haftbefehle vor. Einige werden seit Monaten gesucht. In Deutschland sind 497 Rechtsextreme auf freiem Fuß, obwohl nach ihnen gefahndet wird. 657 Haftbefehle konnten – Stand Ende März – nicht vollstreckt werden. Gegen einige von ihnen liegen mehrere Haftbefehle vor.
Diese Zahlen gehen aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke-Fraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Sie sind im März 2019 im Vergleich zur vorhergehenden Zählung im September 2018 gestiegen: von 605 auf 657 Haftbefehle, von 467 auf 497 Gesuchte.
44 gesuchte oder verurteilte Straftäter sind im Ausland
Indes waren die Sicherheitsbehörden nicht etwa untätig. Im selben Zeitraum hatten sie vielmehr 305 Haftbefehle vollstreckt. Und trotzdem nahm die Gesamtzahl weiter zu. Der Fahndungsdruck zeige „ganz offensichtlich wenig abschreckende Wirkung“, beklagt Linken-Politikerin Ulla Jelpke im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die Innenpolitikerin spricht von „alarmierenden Zahlen“. Vor fünf Jahren waren „nur“ 253 Neonazis zur Fahndung ausgeschrieben. Die plausibelste Erklärung für den rasanten Anstieg seither sind die zahlreichen Angriffe auf Asylbewerber und Flüchtlingsunterkünfte gerade nach dem Jahr 2015.
Unabhängig davon steigt seit Jahren die gesamte Zahl der „offenen Haftbefehle“. Im März 2019 waren es bundesweit 185.736 – 10.000 mehr als im Vorjahr. Ein Höchststand. Ist das eine Gefahr für die innere Sicherheit?
Erfolglosigkeit weckt Erinnerungen an NSU-Morde
Beunruhigend und im Allgemeinen nicht zu fassen ist, dass der Staat das Recht nicht durchsetzt. Außerdem weckt die Erfolglosigkeit Erinnerungen an Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die drei Neonazis waren untergetaucht und hatten als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) Anschläge verübt.
Warum Haftbefehle im rechten Milieu nicht vollstreckt werden, geht aus Jelpkes Parlamentsanfrage nicht hervor, insbesondere nicht, ob die Personen sich bewusst abgesetzt haben, also untergetaucht sind. 44 Verdächtige oder verurteilte Straftäter hielten sich im Ausland auf, überwiegend in Europa, von Russland bis Portugal, am häufigsten beim Nachbarn Österreich.
Die übrigen Fälle ordnet die Bundesregierung nach eigenen Angaben dem Bereich der Allgemeinkriminalität zu: Diebstahl, Betrug, Erschleichen von Sozialleistungen und Verkehrsdelikte.
Jeder Polizeikontakt führt normalerweise – eigentlich – zu sofortiger Festnahme
In der Praxis werden die Haftbefehle in den Fahndungsdateien gespeichert. Jeder Polizeikontakt, zum Beispiel bei Grenz- und Verkehrskontrollen, führt zur sofortigen Festnahme. Nicht wenige erledigen sich allerdings schlicht durch die Zahlung einer Geldbuße.
Stufe 1: Terrordelikte. Stufe 2: Gewaltdelikte (115 Fahndungen). Alle sonstigen Delikte kommen auf der Prioritätenliste an dritter Stelle, unabhängig davon, ob sie politisch motiviert sind oder nicht. Sie machen bei den Rechtsextremisten den Großteil der Haftbefehle aus, genau 529 Fahndungen. Dazu kamen 13 Haftbefehle ausländischer Behörden.
Wegen eines „Hitlergrußes“ wird man in der Regel keine groß angelegte Razzia unternehmen oder gar Zielfahnder einsetzen. Letztlich muss man jeden Einzelfall bewerten. Besteht Fluchtgefahr? Ist es vielleicht taktisch geboten, einen Zugriff hinauszuschieben?
Aufklärungsquote bei politisch motivierter Kriminalität ist ungenügend
Und so kommt es, dass 226 Rechtsextremisten seit einem halben Jahr und länger mit Haftbefehl gesucht werden. Im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) sind sie längst Routine, in den Arbeitsgruppen kommen die offenen Haftbefehle nur kurz zur Sprache. „Im Schnitt standen vier Minuten pro Person zur Verfügung“, rechnete Jelpke vor.
In regelmäßigen Abständen startet die Linken-Politikerin parlamentarische Anfragen zum Rechtsextremismus. Dass Neonazis nicht vorrangig gesucht, nach ihnen nicht mit Nachdruck gefahndet wird, ist für Jelpke schwer erträglich und nährt ihren Argwohn.
Die Sicherheitsbehörden könnten noch nicht einmal selbst angeben, „wie effektiv die Fahndung eigentlich ist“, kritisiert sie. Die Aufklärungsquote bei politisch motivierter Kriminalität, ganz gleich, ob rechts oder links, ist nicht gerade beeindruckend. Sie lag 2018 bei 45,3 Prozent, war zuletzt gestiegen.
Die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic, eine ehemalige Polizistin, weiß natürlich, dass sich hinter der Statistik der offenen Haftbefehle viele weniger relevante Delikte verbergen. Ein typisches Beispiel ist, dass gerade Rechtsextreme nicht selten Geldstrafen nicht zahlen – mit der Konsequenz, dass dann eine Haftstrafe fällig wird, der sie sich dann wiederum entziehen.
Dessen ungeachtet kommt Mihalic zu einer vernichtenden Fundamentalkritik: „Es fehlt derzeit jegliche Anstrengung seitens der Innenminister, das Problem koordiniert anzugehen, damit man den seit 2014 weiter anwachsenden Berg der offenen Haftbefehle Stück für Stück abtragen kann“, sagte sie unserer Redaktion.
Die Innenminister, die am Donnerstag und Freitag in Kiel tagen, „müssen unbedingt eine Strategie vorlegen, wie sie dieses Vollstreckungsdefizit überwinden wollen“, forderte die Grünen-Innenpolitikerin. Im Kern verfolgen Mihalic wie Jelpke das gleiche Anliegen: eine neue Priorisierung, sodass bei politisch motivierter Kriminalität „deutlich schneller vollstreckt wird“.
„Der Coarelli“ gilt als die „Bibel“ des antiken Roms und ist jetzt in der 6. Auflage wieder verfügbar! »Rom. Der archäologische Führer« ist auch weiterhin ein unverzichtbarer Reiseführer für jeden archäologisch interessierten Romreisenden. Der emeritierte Professor für römische Geschichte und Archäologe Filippo Coarelli kennt die „Ewige Stadt“ wie kaum ein anderer: Fachkundig präsentiert er jeden einzelnen Stein, der aus dem antiken Rom übriggeblieben ist und lässt die Stadt so wieder lebendig werden. Die Neuauflage erscheint am 1. Juli bei wbg Philipp von Zabern und besticht weiterhin durch ihren Charakter als präzise informierendes und üppig illustriertes Sachbuch.
»Rom« von Filippo Coarelli
Der italienische Archäologe und Historiker Filippo Coarelli haucht den antiken Bauten neues Leben ein. Historisch fundierte Texte werden durch farbige Abbildungen und Detailzeichnungen ergänzt. So bleibt dem Leser nicht nur die eigene Vorstellungskraft, sondern er kann auf realitätsgetreue Darstellungen zurückgreifen, die es dem Betrachter ermöglichen, leicht Zugang zur beschriebenen Thematik zu finden. Genauer unter die Lupe genommen werden die großen öffentlichen Bauten, wie die Servianische und die Aurelianische Stadtmauer. Auch augusteische Regionen werden neben den politischen und religiösen Zentren der Stadt, wie sie jeder kennt, betrachtet. So gelingt ein weiter Bogen vom Kolosseum über das Forum Romanum bis hin zur Tiber-Insel und der Via Appia.
Das alte Rom zu neuem Glanz erweckt!
Über das Buch
Filippo Coarelli Rom. Der archäologische Führer
wbg Philipp von Zabern
400 Seiten mit 120 Illustrationen
Hardcover
Preis: € 35,00 [D]
ISBN 978-3-8053-5219-2
Erscheint am: 1. Juli 2019
Über den Autor
Filippo Coarelli, geboren 1936 in Rom, war bis zu seiner Emeritierung Professor für Römische Geschichte an der Universität von Perugia. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der römischen Frühgeschichte sowie der Geschichte und Topographie der Stadt Rom.
Nachfolgender Beitrag des Historikers und Gründungsdirektors des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam Julius H. Schoeps widmet sich diesem komplexen Bereich und den damit verbundenen Fragen, wie die Verstrickung einzelner jüdischer Verantwortlicher in die NS-Vernichtungsmaßnahmen zu bewerten sind. Zu diesem Zweck geht er nicht nur beispielhaft auf das Verhalten einiger prominenter Verantwortlicher der „Judenräte“ ein, sondern befasst sich auch mit dem Phänomen der sogenannten jüdischen „Greifer“, also jener zwielichtigen Gestalten, die in den Ghettos um irgendwelcher Vorteile willen sich als Gestapoagenten hatten anwerben lassen und beispielsweise versteckte Juden denunzierten.
Schoeps Beitrag unter dem Titel „Zwischen Kollaboration, Verrat und Handlungszwängen. Ein beklemmendes Kapitel europäisch-jüdischer Beziehungsgeschichte in der Zeit der Nazi-Herrschaft“ geht auf einen Vortrag zurück, den er am 8. Mai 2019 in Rom auf einer vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum und der Sapienza Universita di Roma organisierten Konferenz zum Thema „Collaboration with Nazi Germany. A European Controversy“ gehalten hat.
Zwischen Kollaboration, Verrat und Handlungszwängen
Ein beklemmendes Kapitel europäisch-jüdischer Beziehungsgeschichte
in der Zeit der Nazi-Herrschaft
JULIUS H. SCHOEPS
In ihrem 1963 erschienenem und bis in unsere Tage kontrovers debattierten Buch „Eichmann in Jerusalem“1 stellte die Publizistin und Schriftstellerin Hannah Arendt die Behauptung auf, die europäischen Juden hätten sich der Mithilfe an der eigenen Vernichtung schuldig gemacht. Wenn die jüdischen Gemeindeführer, die Leiter der internationalen Partei- und Wohlfahrtsorganisationen sich geweigert hätten, mit den NS-Behörden zusammenzuarbeiten, dann wäre es nach Hannah Arendt zwar zu einem Chaos und sehr viel Elend unter der jüdischen Bevölkerung Europas gekommen, die Gesamtzahl der Opfer aber hätte kaum zwischen viereinhalb und sechs Millionen gelegen. Arendts Behauptung schlug ein wie eine Bombe in ein Munitionsdepot – und bis heute ist die Debatte über diese Behauptung nicht verstummt. (mehr …)
Sind die sogenannten „Judenräte“, also die von den Nazis zwangseingerichteten jüdischen Selbstverwaltungsorgane in den Ghettos, mitschuldig am reibungslosen Ablauf der Deportationen in die Todeslager? Hätten sie nicht die Anweisungen, etwa Transportlisten zu erstellen und mithin zu entscheiden, wer in den Tod geht und wer (zunächst) bleiben und somit überleben darf, hätten sie nicht diese Anweisungen verweigern müssen? Und stattdessen etwa zum offenen Widerstand aufrufen müssen? Gibt es also eine jüdische Mitverantwortung, ja, gar „Kollaboration“ und letztlich Mitschuld im Blick auf den weitgehend reibungslosen Ablauf des nationalsozialistischen Vernichtungsprozesses?
Die ungeheure Sprengkraft solcher Fragen für die politische, historische und schließlich auch moralische Bewertung der Rolle der Judenräte im Kontext der Vernichtung der europäischen Juden während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft liegt unmittelbar auf der Hand. Seit die Phiolosophin und Publizistin Hannah Arendt – ganz ohne Fragezeichen – eine solche Mitverantwortung der Juden an ihrer eigenen systematischen Ermordung in ihrem 1963 erschienenen Buch über den Eichmann-Prozess in Jerusalem erstmals formulierte, gehört diese Problematik bis in die jüngste Gegenwart zu den meistdiskutierten und gewiss schmerzlichsten Aspekten einer historischen Aufarbeitung des Holocaust.
Nachfolgender Beitrag des Historikers und Gründungsdirektors des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam Julius H. Schoeps widmet sich diesem komplexen Bereich und den damit verbundenen Fragen, wie die Verstrickung einzelner jüdischer Verantwortlicher in die NS-Vernichtungsmaßnahmen zu bewerten sind. Zu diesem Zweck geht er nicht nur beispielhaft auf das Verhalten einiger prominenter Verantwortlicher der „Judenräte“ ein, sondern befasst sich auch mit dem Phänomen der sogenannten jüdischen „Greifer“, also jener zwielichtigen Gestalten, die in den Ghettos um irgendwelcher Vorteile willen sich als Gestapoagenten hatten anwerben lassen und beispielsweise versteckte Juden denunzierten.
Schoeps Beitrag unter dem Titel „Zwischen Kollaboration, Verrat und Handlungszwängen. Ein beklemmendes Kapitel europäisch-jüdischer Beziehungsgeschichte in der Zeit der Nazi-Herrschaft“ geht auf einen Vortrag zurück, den er am 8. Mai 2019 in Rom auf einer vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum und der Sapienza Universita di Roma organisierten Konferenz zum Thema „Collaboration with Nazi Germany. A European Controversy“ gehalten hat.
COMPASS dankt dem Autor herzlichst für die Genehmigung zur Wiedergabe seines Textes an dieser Stelle!
Zwischen Kollaboration, Verrat und Handlungszwängen
Ein beklemmendes Kapitel europäisch-jüdischer Beziehungsgeschichte
in der Zeit der Nazi-Herrschaft
JULIUS H. SCHOEPS
In ihrem 1963 erschienenem und bis in unsere Tage kontrovers debattierten Buch „Eichmann in Jerusalem“1 stellte die Publizistin und Schriftstellerin Hannah Arendt die Behauptung auf, die europäischen Juden hätten sich der Mithilfe an der eigenen Vernichtung schuldig gemacht. Wenn die jüdischen Gemeindeführer, die Leiter der internationalen Partei- und Wohlfahrtsorganisationen sich geweigert hätten, mit den NS-Behörden zusammenzuarbeiten, dann wäre es nach Hannah Arendt zwar zu einem Chaos und sehr viel Elend unter der jüdischen Bevölkerung Europas gekommen, die Gesamtzahl der Opfer aber hätte kaum zwischen viereinhalb und sechs Millionen gelegen. Arendts Behauptung schlug ein wie eine Bombe in ein Munitionsdepot – und bis heute ist die Debatte über diese Behauptung nicht verstummt.
Mehr oder weniger direkt und unumwunden hatte Hannah Arendt in ihrem Buch die „Judenräte“2 und ihre Vertreter beschuldigt, bei der Planung und Durchführung der „Endlösung“ mitgewirkt zu haben. Gegen diese aufsehenerregende These hagelte es heftige Proteste und Freundschaften gingen darüber in die Brüche.3 Zahlreiche Kritiker insistierten und wiesen damals Arendts Behauptungen zurück. Arendt und den Historikern, die ähnlich wie sie argumentierten, wurde vorgeworfen, sie würden die damalige Zwangssituation nicht verstehen. Durch die von ihnen vertretenen Ansichten würden die Juden nicht nur ein zweites Mal getötet, sondern darüber hinaus auch noch das Andenken der Ermordeten geschändet.
Der schärfste und in der Angelegenheit wohl unnachsichtigste Kritiker von Hannah Arendts vorgetragenen Ansichten war wohl der Jerusalemer Gelehrte Gershom Scholem, der Arendts These heftig widersprach. Er warf ihr nicht nur historisches Unverständnis, sondern auch mangelnde Liebe zum jüdischen Volk („Ahabat Israel“) vor.4 „Wer von uns“, so Scholem damals, „kann heute sagen, welche Entschlüsse jene ‚Ältesten‘ der Juden oder wie man sie nennen will, unter den damaligen Umständen hätten fassen müssen“?5
Hannah Arendt verwahrte sich gegen die Vorwürfe Scholems, die sie als beleidigend und herabwürdigend empfand, vor allem ärgerte sie dessen Unterstellung, es mangele ihr an Liebe zum jüdischen Volk. Sie warf Scholem vor, sie missverstanden zu haben beziehungsweise sie nicht verstehen zu wollen. Keinesfalls sei die von ihr in ihren Überlegungen geäußerte Kritik eine Kritik am jüdischen Volk in seiner Gesamtheit. Es ginge ihr, so betonte sie, in ihrem Buch einzig und allein um das Verhalten einzelner Mitglieder der Judenräte in der Zeit der NS-Okkupation. „Die Frage, die ich aufgeworfen habe“, schrieb sie an Scholem, „ist die der Kooperation jüdischer Funktionäre, von denen man nicht sagen kann, dass sie einfach Verräter waren ….“6
Die Debatte, die durch Hannah Arendts im Grenzbereich von Philosophie und Journalismus angelegten Buch angestoßen wurde7, fand und findet nach wie vor auf zwei Ebenen statt. Einmal geht es zentral um die Frage, wie das Verhalten der Judenräte historisch einzuordnen ist und wie man dieses Verhalten moralisch bewerten sollte. Zum anderen geht es aber auch um das jüdische Selbstverständnis in der Zeit nach den Erfahrungen der Shoa. Wenn, so die Meinung mancher Überlebender, die Judenräte für das damalige Geschehen als mitverantwortlich angesehen würden, dann, so wurde und wird eingewandt, verwische man die Scheidelinie zwischen Opfern und Tätern.8
Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ)
Das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ), im Jahre 1992 gegründet und nach dem Philosophen und Aufklärer Moses Mendelssohn (1729-1786) benannt, ist ein interdisziplinär arbeitendes wissenschaftliches Forschungszentrum, das historische, philosophische, religions-, literatur- und sozialwissenschaftliche Grundlagenforschung betreibt.
Als An-Institut der Universität Potsdam ist es maßgeblich am Studiengang „Jüdische Studien/Jewish Studies“ beteiligt. Die Mitarbeiter, Fellows und Lehrbeauftragten des MMZ bringen die gesamte Breite ihrer wissenschaftlichen Fragestellungen und Kenntnisse in die Lehre dieses Studiengangs ein.
Wir kommen damit zum eigentlichen Thema, der Frage, wie die Verstrickung einzelner jüdischer Verantwortlicher in die NS-Vernichtungsmaßnahmen eigentlich ausgesehen hat. Die unter die Lupe genommenen Judenräte hätten, so Hannah Arendts Vorwurf, in den besetzten Gebieten Osteuropas teilweise gemeinsame Sache mit den Nazis gemacht, vielfach, so räumt sie ein, nicht absichtlich, aber doch de facto. Für manche Überlebende der Shoa, die sich die quälende Frage stellen, warum gerade sie überlebt haben, und andere nicht, ist Hannah Arendts Behauptung eine Unterstellung, die verständlicherweise nur schwer zu ertragen ist. Die Brisanz dieses Vorwurfs ist durch den Tonfall verstärkt worden, den Hannah Arendt seiner Zeit anschlug. Gershom Scholem hat diesen als „herzlos, ja geradezu hämisch“ empfunden.
Judenräte gab es allerdings nicht nur im sogenannten Generalgouvernement in Polen. Vergleichbares existierte auch in anderen Ländern. In Hitlers „Drittem Reich“ etwa hatte der Judenrat den Namen „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“. In den Niederlanden wiederum firmierte der Judenrat unter der Bezeichnung „Joodse Raad“. Es war ein doppelter Zweck, den man in den NS-Führungsetagen mit der Einsetzung dieser Judenräte verfolgte. Einmal glaubte man, zumindest meinte man das, dass die Weltöffentlichkeit durch die Existenz von Judenräten beschwichtigt werden könnte. Gleichzeitig wollte man sich mit der Schaffung solcher Judenräte aber auch ein gefügiges Instrument schaffen, antijüdische Maßnahmen in Zukunft leichter durchzusetzen.
Im Osten Europas waren die Judenräte nach den Weisungen des SS-Obergruppenführer und Leiters des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard Heydrich zunächst nur verantwortlich für den Transport von Juden in einige dafür vorgesehenen „Konzentrierungsstädte“, jüdische Wohnbezirke, die bald darauf auch als Ghettos bezeichnet wurden. Im Lauf der Zeit erweiterte sich der von den NS-Behörden den Judenräten aufgezwungene Aufgabenbereich erheblich. In den Ghettos, in denen sie das Sagen hatten, bekamen sie die Verantwortung für nahezu alles übertragen, was in deren Mauern von Wichtigkeit war.
Die Vorsitzenden der Judenräte im Generalgouvernement kontrollierten nicht nur die Ghettopolizei, die Feuerwehr, die Rechtsprechung, sie waren auch zuständig für die Arbeitsvermittlung, die Lebensmittelbeschaffung, die Wohnraumverteilung, sowie für die Bereiche Gesundheit, Erziehung und Kultur. In einzelnen Ghettos beschäftigte man für diese Aufgaben einen Mitarbeiterstab, der in der Regel größer ausfiel, als es eigentlich für diese Zwecke notwendig war. Man hoffte, dadurch Personen schützen und vor dem Abtransport in die Arbeitscamps oder Todeslager bewahren zu können. Es zeigte sich jedoch sehr bald, dass dies die Ghettobewohner nur in einigen Ausnahmenfällen schützen konnte.
Als 1972 das Buch „Judenrat“ des New Yorker YIVO-Archivars Isaiah Trunk erschien, glaubte man, die von Hannah Arendt angestoßene Debatte um die Judenräte würde sich nun abkühlen. In seiner mit dem „National Book Award“ ausgezeichneten Studie behandelte Trunk ausführlich die Geschichte und Politik der Judenräte9, deren Einrichtung als jüdische „Selbstverwaltungsorgane“ von den NS-Behörden verfügt worden war. Die Studie von Trunk versachlichte zwar für eine Weile die Debatte, konnte aber den von Hannah Arendt erhobenen Vorwurf nicht entkräften, einzelne Mitglieder der Judenräte hätten mit den Nazis kollaboriert und an den Deportationen mitgewirkt.
Strittig in der Debatte sind nicht die von den Judenräten übernommenen allgemeinen Verwaltungsaufgaben. Trunk hat zu Recht die Ansicht vertreten, die Judenräte hätten diese Aufgaben und die damit verbundene Verantwortung übernehmen müssen, sonst hätte bald ein gesetzloses Chaos geherrscht. Strittig ist heute einzig und allein die Rolle der Judenräte bei den Deportationen. Trugen sie dadurch, so fragt man nach wie vor nicht doch ein Stück Verantwortung für den reibungslosen Ablauf der Transporte in den sicheren Tod? Hätten sie sich nicht, so wird gefragt, verweigern und die Anweisungen zurückweisen müssen, Transportlisten für die Nazis zusammenzustellen?
In ihrem Eichmann-Buch bemerkte Hannah Arendt zum Verhalten der Judenräte: „In Amsterdam wie in Warschau, in Berlin wie in Budapest konnten sich die Nazis darauf verlassen, dass jüdische Funktionäre, Personal- und Vermögenslisten anfertigten, die Kosten für Deportation und Vernichtung bei den zu Deportierenden aufbringen, frei gewordene Wohnungen im Auge behalten und Polizeikräfte zur Verfügung stellen würden, um die Juden ergreifen und auf die Züge bringen zu helfen – bis zum bitteren Ende, der Übergabe des jüdischen Gemeinde-Besitzes zwecks ordnungsgemäßer Konfiskation“.10
Der Historiker Isaiah Trunk war in seinem Urteil, was die Frage der angeblichen Kollaboration beziehungsweise der Zusammenarbeit der Judenräte mit den Nazis angeht, weit weniger rigide als die stark moralisierende Publizistin Hannah Arendt. Nach seiner Ansicht sei es letzten Endes gleichgültig gewesen, ob die Judenräte an den Deportationsmaßnahmen mittelbar oder unmittelbar beteiligt gewesen sind. Am Ergebnis, der vorsätzlichen und grausamen Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden, hätte auch, so Trunk, die Verweigerung der Mit- beziehungsweise der Zusammenarbeit mit den Nazis nichts vermocht oder geändert.
So weit so gut. Umgekehrt sollte man sich allerdings die Frage stellen, ob man überhaupt von einer „Kollaboration“ oder sagen wir besser von einer Zusammenarbeit der Judenräte mit den Besatzungsbehörden und der Gestapo sprechen kann? Trunk war seinerzeit, als er sein Buch über die Judenräte im besetzten Polen schrieb, der festen Überzeugung, dass dies nicht beziehungsweise nur bedingt der Fall gewesen sei. Die Judenräte hätten, so meinte er, schließlich nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen mit den NS-Behörden zusammengearbeitet.
Dieser Feststellung von Isaiah Trunk ist eigentlich auch heute nur noch wenig hinzuzufügen. Allerdings sollte das, was vollmundig und in der Regel meist abschätzig als Kollaboration mit der Besatzungsmacht beziehungsweise als Zusammenarbeit mit den NS-Behörden bezeichnet wird, nicht pauschal, sondern einzeln von Fall zu Fall untersucht und bewertet werden. Jeder Fall, das wird dabei deutlich, hat seine spezifischen Eigentümlichkeiten und Charakteristika und ist dadurch anders und unterschiedlich zu betrachten und einzuordnen.
Anpassung und widerständiges Verhalten müssen nicht sich gegenseitig ausschließende Positionen sein. Man konnte, wie das Trunk anschaulich beschreibt, auf subtile Art Widerstand leisten, gleichzeitig sich aber auch angepasst verhalten und sich den Anordnungen der Besatzungsmacht fügen. Ein Widerspruch, wie das im ersten Moment erscheinen mag, war das nicht. Das devote Verhalten mancher Judenräte gegenüber der Besatzungsmacht, war zweifellos, das sei eingeräumt, der damaligen Situation geschuldet. Den Verdacht der Kollaboration hat das anbiedernde Verhalten allerdings nicht entkräftet. Im Gegengenteil vielfach wurde dieser Verdacht durch dieses Verhalten noch erhärtet.
Geht man dieser Frage weiter nach, so müsste man, wie seiner Zeit Hannah Arendt das forderte, die Verhaltens- und Handlungsweisen mancher Judenratsmitglieder auf den Prüfstand stellen. Sie lassen sich im Prinzip verschiedenen Kategorien zuordnen, die darüber Auskunft geben. Da gab es zum einen, wie in einem Artikel in der „Enzyklopädie des Holocaust“11 nachzulesen ist, diejenigen, die sich strikt weigerten, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten. Dann gab es wiederum solche, die ihre Einwilligung zu Maßnahmen materieller Art gaben, wie etwa die Konfiskation von Vermögenswerten. Und es gab schließlich diejenigen Judenratsmitglieder, und das sind die Fälle, die uns hier besonders interessieren, die den Befehlen folgten und sich den Anordnungen der Besatzungsmacht ohne Wenn und Aber unterwarfen. In dem einen oder anderen Fall spielten dabei persönliche Interessen eine Rolle.
Die von Isaiah Trunk genannten Zahlen belegen, dass fast 80 Prozent der Judenratsmitglieder ermordet wurden, zumeist kamen sie in der Deportationsphase ums Leben. Aufschlussreich ist die in der „Enzyklopädie des Holocaust“ unter dem Stichwort „Judenrat“ abgedruckte Tabelle, die belegt, dass von den 146 Judenratsvorsitzenden im Generalgouvernement 45 der Gemeinde halfen und vor bevorstehenden Aktionen warnten. 26 wurden von den Deutschen entlassen, weil sie Befehle nicht befolgten, 18 wurden ermordet, als sie sich weigerten, Mitglieder der Gemeinde auszuliefern, 5 begingen Selbstmord – und 11 fügten sich den deutschen Befehlen.
Die letztere Einschätzung, ob die Judenräte sich den deutschen Befehlen gefügt hätten beziehungsweise gezwungenermaßen oder aus eigenem Antrieb mit den Nazis zusammengearbeitet haben, löst nach wie vor heftige Kontroversen und Emotionen aus. In den Niederlanden kam es nach dem Krieg und nach der Befreiung dazu, dass die zwei von der deutschen Besatzungsmacht ernannten Vorsitzenden des ehemaligen „Joodse Raad“, der Althistoriker David Cohen und der Diamantenhändler Abraham Asscher, vor ein jüdisches Ehrengericht gestellt wurden, das sie der Kollaboration mit den Deutschen schuldig sprach. Die Debatte kreist bis heute um die Frage, ob der „Joodse Raad“ willfähriger Helfer der Deutschen wurde, und zwar dadurch, dass von ihm im Sommer 1942 eine Liste mit Namen und Adressen von Juden den Besatzungsbehörden übergeben wurde.
Bis heute wird in den Niederlanden die Rolle des Schriftstellers und Gelehrten Friedrich Weinreb, der informeller Mitarbeiter der Gestapo gewesen sein soll, kontrovers diskutiert. Weinreb soll, so heißt es, eine Reihe holländischer Juden denunziert und an die Deutschen ausgeliefert haben. 1947 wurde er deshalb in den Niederlanden vor Gericht gestellt und der Kollaboration mit der Besatzungsmacht bezichtigt. Er hätte, so hieß es, Landesverrat begangen und wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In seinem 1965 erschienenen Buch über die Ermordung der holländischen Juden erklärte der Historiker Jacques Presser allerdings, dass es sich bei dem Weinreb-Urteil um ein eklatantes Fehlurteil12 gehandelt habe. Friedrich Weinreb sei Unrecht widerfahren. Bis heute erregt die „Affäre Weinreb“ in den Niederlanden die Gemüter.
Kontrovers diskutiert wird in den Niederlanden nach wie vor auch noch ein anderer spektakulärer Fall von Kollaboration, und zwar derjenige einer jungen Frau namens Anna (Ans) van Dijk (1905-1948). Anna van Dijk, die einer jüdischen Familie entstammte, hatte keinerlei Skrupel, unter dem Namen Ans de Jong vom Bureau Joodsche Zaken (Büro 11 der politischen Polizei) tätig zu werden. Sie wurde zwar, was zu ihrer Entlastung angeführt werden könnte, zur Zusammenarbeit mit den NS-Behörden gezwungen, aber das entschuldigt nicht ihr damaliges Verhalten. Nachgewiesenermaßen half sie mit, untergetauchte Jüdinnen und Juden aufzuspüren.13 Es heißt, sie hätte mindestens 145 Menschen an die Besatzungsmacht ausgeliefert, von denen mehr als 60 in Konzentrationslagern ihr Leben ließen.
Selbst die Familie ihres eigenen Bruders soll Anna (Ans) van Dijk alias Jong den Besatzern verraten haben. Nach Kriegsende wurde sie wegen Landesverrates vor Gericht gestellt und am 14. Januar 1948 durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Am Abend vor ihrer Hinrichtung trat sie, was nach wie vor zu Spekulationen Anlass gibt, zum römisch-katholischen Glauben über und ließ sich taufen. Vermutlich versprach sie sich durch ihren Übertritt Trost und Vergebung.
Bis heute fällt es schwer, nachzuvollziehen, warum Ans van Dijk hingerichtet wurde, während SS-Männer wie Ferdinand aus der Fünten und Willy Lages, die die Deportationen der Juden in den Niederlanden organisiert hatten, zwar nach 1945 verurteilt wurden, die verhängte Todesstrafe aber in eine Haftstrafe umgewandelt wurde. Bis heute rätselt man, warum das bei Ans van Dijk anders war und sie hingerichtet wurde. Manche erklären es mit dem antijüdischen Klima, das nach der Befreiung in den Niederlanden herrschte. Es kann aber auch sein, so wird vermutet, dass man an ihr ein Exempel statuieren wollte. Sie war nicht nur eine Frau, sie war darüber hinaus auch lesbisch und hätte, wie es heißt, ein nicht sonderlich einnehmendes Wesen gehabt, was ihre Person betraf.
Ähnlich wie der Verdachtsfall Friedrich Weinreb in den Niederlanden geriet auch Rabbiner Leo Baeck14, der einstige Vorsitzende der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ nach 1945 in den Verdacht, zum Nachteil seiner Glaubensbrüder und -schwestern mit den Nazis kooperiert zu haben15. Hannah Arendt und in ihrem Gefolge der Historiker Raul Hilberg waren nach 1945 diejenigen, die das behauptet haben. Leo Baeck und die Verantwortlichen in der „Reichsvereinigung“, so meinten sie, hätten mit den NS-Behörden kooperiert und hätten deshalb ein gut Teil Mitschuld an der Deportation und Vernichtung der deutschen Juden.
Diese Unterstellung, die als bösartig angesehen wurde, hat Eva G. Reichmann, eine Vertraute Leo Baecks, die bis 1938 für den CV, den „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, gearbeitet hatte, heftig widersprochen. Es hätte, so ihre Überzeugung, für die Verantwortlichen, die über das Wohl und Wehe ihrer Schutzbefohlenen zu entscheiden hatten, nur „die Wahl zwischen Schrecken und Schrecken“16 bestanden.
Die Debatte um die Rolle Leo Baecks, des „Judenführers“ wie Hannah Arendt diesen abschätzig genannt hat, kochte noch einmal hoch, als vor nicht allzu langer Zeit eine von Baeck in den Jahren 1941 und 1942 verfasste Arbeit mit dem Titel „Die Entwicklung der Rechtsstellung der Juden in Europa, vornehmlich in Deutschland“ auftauchte.17 Diese 1600-seitige Schrift, von der nur wenige Exemplare erhalten sind,18 ist angeblich im Auftrag und unter Kontrolle der Gestapo von Baeck angefertigt worden. Inwieweit die Vorwürfe zutreffen, Baeck sei dadurch, dass er sich dazu herbeiließ, diese Arbeit zu übernehmen, ein willfähriges Werkzeug der Gestapo gewesen, ist eine Debatte, die nach wie vor die Gemüter erregt.19
Die beschriebenen Fälle zeigen, dass die Grenzen zwischen willfähriger Kooperation und den Bemühungen, Widerstand zu leisten, oft fließend waren. Hannah Arendt weist in ihrem Eichmann-Buch auf das unterschiedliche Verhalten mancher Judenältester hin wie etwa auf dasjenige von Mordechai Chaim Rumkowski in Lodz/Lietzmannstadt, der von den Zeitgenossen spöttisch König Chaim I. genannt wurde, Geldscheine mit seiner Unterschrift und Briefmarken mit seinem Porträt drucken und sich in einer Art Karosse durch die Straßen des Ghetto kutschieren ließ.
In der Debatte über die Kollaboration der Judenräte wird auch der Name von Adam Czerniaków genannt, dem Vorsitzenden des Judenrates im Warschauer Ghetto. Czerniaków, der vor der Wahl stand, Juden zur Deportation auszuwählen, setzte, weil er das nicht über sich brachte, am 23. Juli 1942 mit Zyankali seinem Leben ein Ende. In Abschiedsbriefen an seine Frau und seine Mitarbeiter erklärte er: „Sie verlangen von mir, mit eigenen Händen die Kinder meines Volkes umzubringen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als zu sterben“.20
Die Fälle der Judenältesten im Generalgouvernement, im Deutschen Reich beziehungsweise in den Niederlanden sind zweifellos unterschiedlich zu bewerten. Mordechai Chaim Rumkowski, von Haus aus ein Textilunternehmer und Versicherungsagent, der sich wie ein Diktator, wie ein „Führer“ im Ghetto gebärdete und Angst bei denen verbreitete, die es wagten, ihm zu widersprechen.21 Gegenüber den Besatzungsbehörden im Ghetto Lodz verhielt Rumkowski, der den Spitznamen „Chaim der Schreckliche“ trug, sich willfährig und tat das, was von ihm erwartet wurde. „Gegenüber den Tätern“, beschreibt ihn der Ghetto-Überlebende Yehuda Leib Gerst, „war er sanft wie ein Lamm und es gab keine Grenzen seines Gehorsams bei all ihren Befehlen, selbst wenn ihr Ziel war, uns alle auszulöschen.“22
Rumkowski, der als ehrgeizig galt und bemüht war, sich gegenüber der Ghetto-Verwaltung unentbehrlich zu machen, ist in seinem Verhalten sicherlich anders zu bewerten, als Adam Czerniaków, der Vorsitzende des Warschauer Judenrates. Letzterer, eine beeindruckende Gestalt, einst Mitglied des Warschauer Stadtrats und des Polnischen Senats, war von Haus aus ein bürgerlicher Intellektueller, der bemüht war, dort zu helfen, wo er helfen konnte. Sein Tagebuch, ein „Dokument der Machtlosigkeit“ spiegelt die begrenzten Möglichkeiten, die er hatte, aber auch seine Ohnmacht, die ihn quälte. Letztere ist u.a. von dem Überlebenden des Warschauer Ghetto, dem späteren Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, in seinen Erinnerungen eindrucksvoll beschrieben worden.23
Ein aussagekräftiger Indikator zur Unterscheidung der Fälle von Kollaboration dürfte sein, wo und auf welcher Seite ein Verantwortlicher zu verorten war und ob jemand von der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht persönlich profitierte hat – oder nicht. Das war bei den Mitgliedern der Judenräte, mit der Ausnahme einiger spektakulärer Ausnahmefälle wie etwa derjenige des Chaim Rumkowski und einiger anderer Mitglieder von Judenräten, die ihre Stellung zum eigenen Vorteil ausnutzten, normaler Weise nicht der Fall. Sein anbiederndes Verhalten hat Rumkowski, dem Vorsitzenden des Judenrates im Ghetto Lodz, allerdings nicht geholfen. Auch er, dessen Verhalten von den Historikern unterschiedlich bewertet wird24, überlebte die Zeit der Besatzung nicht. Im August 1944 wurden er, seine Ehefrau und beider Adoptivsohn deportiert und in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Der Kollaboration und des Verrates direkt und unmittelbar schuldig gemacht hat sich indes nur eine kleine Personengruppe, die in den letzten Jahren zunehmend ins Blickfeld des Interesses gerückt ist. Gemeint sind einmal zwielichtige Gestalten, die in den Ghettos um irgendwelcher Vorteile sich als Gestapoagenten hatten anwerben lassen, zum anderen „Fahnder“ oder „Greifer“, wie etwa in Berlin Stella Goldschlag, das „blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“ und die Römerin Celeste Di Porto, die „schwarze Pantherin“25, wie man sie nannte. Celeste di Porto im Ghetto in Rom geboren, pflegte, so wird berichtet, enge Kontakte zu den italienischen Faschisten und somit auch zur deutschen Besatzungsmacht. Beide Frauen, damals jung an Jahren, stammten aus jüdischen Familien, beide waren außergewöhnlich attraktiv, beide wurden von den Männern umschwärmt. In der Deportationsphase haben sie der Gestapo als Spitzel und Denunzianten zugearbeitet.
Stella Kübler in Berlin, geborene Goldschlag, die bis heute die Phantasie der Menschen anstachelt und Schriftstellern sogar mittlerweile als Romanvorlage dient26, arbeitete als „Fahnderin“ seit dem Frühjahr 1943. Anfänglich ging es ihr nur darum, die eigene Familie zu schützen, dann als sie immer mehr unter Druck gesetzt wurde, zog sie für den „Jüdischen Fahndungsdienst“, wie der Publizist Peter Wyden recherchiert hat27, in männlicher Begleitung durch die Caféhäuser der Stadt, suchte Kinos und Theater auf, wo sie meinte, Untergetauchte antreffen zu können. Die Angaben über die Zahl der von ihr denunzierten und an die Gestapo ausgelieferten Opfer schwanken zwischen 600 und 3000 Personen.
Auch Celeste Di Porto verriet nach der berüchtigten Judenrazzia in Rom am 16. Oktober 1943 Dutzende von Untergetauchten – darunter solche, die sie persönlich kannte und die ihr nahe standen.28 Im Ghetto und in den Gassen rund um den Campo di Fiori machte sie Jagd auf Juden und Jüdinnen, die sie an die Nazis und deren italienische Unterstützer auslieferte. Der Grund dafür dürfte gewesen sein, dass sie für jeden an die Behörden Verratenen Kopfgeld erhielt: 5000 Lire für einen Mann, 3000 Lire für eine Frau und 1000 Lire für ein Kind.
Die Motive und Gründe der von der Gestapo angeworbenen „Fahnder“ und „Fahnderinnen“ waren ähnlich gelagert. Stella Goldschlag-Kübler etwa hatte zu diesem Zeitpunkt und auch später kein irgendwie geartetes Unrechtsbewusstsein. Sie sah sich nicht als Täterin, sondern als Opfer des NS-Regimes an und verstand nicht, weshalb, man sie nicht nach 1945 als „Opfer des Faschismus“ anerkennen wollte. Peter Wyden, der sie Anfang der 1990er Jahre in einer süddeutschen Kleinstadt aufspürte, wo sie unter einem anderen Namen lebte, war bemüht, etwas über ihre damaligen Motive als „Greiferin“ zu erfahren. Das, was er aus ihr herauslocken konnte, war ernüchternd und keinesfalls erhellend.
In dem Gespräch mit Peter Wyden sah sich Stella Goldschlag-Kübler nicht in der Lage, eine Begründung für ihr Handeln abzugeben, warum sie sich von der Gestapo als „Greiferin“ hatte anwerben lassen. Ein irgendwie geartetes Unrechtsbewusstsein hatte sie nicht. In dem Portrait, das Wyden zunächst in einer spektakulär aufgemachten Artikel-Serie zunächst im Magazin „Der Spiegel“ 199229 und dann in Buchform veröffentlichte, wird Stella Goldschlag-Kübler als ein bemitleidens- und bedauernswertes Geschöpf dargestellt. Sie sei, so meinte Wyden, eben das Opfer der Umstände gewesen und habe sich deshalb nicht anders verhalten können, als sie es getan hat.
So gesehen gilt das auch für Celeste Di Porto, die wie Stella Goldschlag-Kübler zweifelsfrei ein Opfer der damaligen Umstände war.30 Rom war zwar nicht Berlin, aber Celeste Di Porto verhielt sich nicht viel anders wie Stella Goldschlag-Kübler in Berlin. „Es war nicht allein das Geld, das sie antrieb“, resümierte die italienische Historikerin Anna Foà in einer Sendung des Geschichtskanals Rai Storia. Sie wollte sich, so Foà, „rächen an der Welt, von der sie sich ungerecht behandelt fühlte“. Es war, so gesehen, eine tragische Verstrickung, die dem Verhalten von Celeste Di Porto zugrunde gelegen hat.
Es fragt sich allerdings in wieweit mit dem begangenen Verrat auch der Verlust jüdischer Identität einherging? Denn wir haben es hier offensichtlich mit zwei Extremfällen zu tun, mit zwei jungen Frauen, denen ihr Judentum ganz offensichtlich nichts mehr bedeutete. Einiges spricht dafür, dass beide Frauen im Zuge der historischen Geschehnisse im Hitler-Deutschland beziehungsweise im Italien Mussolinis ihrer jüdischen Identität verlustig gegangen sind. Bei Stella Goldschlag-Kübler wirkte sich das so aus, dass sie alle ihre einstigen Bindungen verloren und keine Bedenken hatte, Untergetauchte an die Gestapo auszuliefern.
Im Nachkriegsdeutschland war Stella Goldschlag, die mehrfach auf ihre einstigen „Greifer“- Aktivitäten angesprochen wurde, sich keiner irgendwie gearteten Schuld bewusst. Sie mauserte sich sogar, wie es heißt, zu einer bekennenden Antisemitin. Warum das so war, und wie es dazu kam, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Auch Celeste Di Porto hat sich wie Stella Goldschlag-Kübler aus ihrem Judentum anscheinend nicht mehr viel gemacht. Sonst hätte sie vermutlich sich anders verhalten und sich nicht zur Gehilfin der Besatzungsmacht machen lassen. Ob sie sich bewusst war, vor welchen Wagen sie sich spannen ließ, das lassen ihre späteren Aussagen vor Gericht nicht erkennen.
Fest steht, dass ihre Herkunft aus jüdischen Familien für beide Frauen kaum noch irgendeine Bedeutung gehabt hat. Später, also nach Kriegsende und nach Beendigung der deutschen Besatzungszeit in Italien, so wird berichtet, sei Celeste di Porto, die bei den von ihr Denunzierten und Verratenen mit einem Kopfnicken über Leben oder Tod entschied, zum katholischen Glauben übergetreten. Sie wurde zwar, ebenso wie Stella Goldschlag-Kübler, vor Gericht gestellt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, aber dann begnadigt und kam halbwegs ungeschoren davon. Konfrontiert mit ihren Aktivitäten in der Vergangenheit, mit dem Verrat, den sie begangen hatte, führte bei Celeste di Porto jedenfalls nicht zu dem Eingeständnis, dass sie falsch gehandelt hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte sie nicht.
Kommen wir aber noch einmal kurz zurück zu den Judenräten, zu deren Mitglieder und Vorsitzende im Generalgouvernement, zu den Verantwortlichen in der „Reichsvereinigung“ im Deutschland Adolf Hitlers und im „Joodse Raad“ in den Niederlanden. Im Rückblick drängt sich immer noch die Frage auf, ob sie sich anders hätten verhalten können, als sie es getan haben. Hätten sie sich nicht verweigern und zum offenen Widerstand aufrufen müssen? Dagegen ist zu Recht eingewandt worden, dass unter den damals gegebenen Umständen ein solcher Aufruf wohl ein selbstmörderisches Unterfangen gewesen wäre und vermutlich kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
Bedenkt man, dass in den besetzten Ostgebieten neben regulären Wehrmachtseinheiten ganze Regimenter von Ordnungspolizei (1943 gab es allein im Generalgouvernement Polen 30 000 Mann) sowie von Gestapo und SD (etwa 35 000 bis 40 000 Mann) stationiert waren, dann ist es müßig über die Chancen eines solchen Unternehmens zu spekulieren. Es kam hinzu, dass die jüdische Bevölkerung, so sie bereit war, Widerstand zu leisten, ohnehin nur in den seltensten Fällen mit Unterstützung der Umgebungsgesellschaft rechnen konnte. Die nichtjüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten war selbst verängstigt, paralysiert oder tendenziell selbst antisemitisch eingestellt.
Es gab für die Verantwortlichen, für die Mitglieder und Vorsitzenden der Judenräte in den Ghettos im Generalgouvernement, kaum Möglichkeiten, sich der Mordmaschinerie entgegenzustemmen oder sich ihr gar zu entziehen. Die Transporte in die Vernichtungslager konnten nicht gestoppt, allenfalls zeitweilig durch Blockaden behindert und abgebremst werden. Man arrangierte sich deshalb, so gut es eben ging. Das Dilemma und die Qual, denen die jüdischen Entscheidungsträger oftmals ausgesetzt waren, machen Passagen der Rede deutlich, die der später von der Gestapo erschossene Jacob Gens, der Leiter der Ghettoverwaltung in Wilna, vor Schriftstellern und Künstlern im Oktober 1942 hielt.
„Viele von ihnen halten mich für einen Verräter,“, hieß es in dieser vielzitierten und berühmt gewordenen Rede. „Viele von ihnen“, hieß es dann weiter, „sind erstaunt, mich auf einem literarischen Abend im Ghetto zu treffen. Ich, Gens, führe euch in den Tod, und ich, Gens, versuche Juden vom Tod zu erretten … Ich rechne in jüdischem Blut, nicht in jüdischer Ehre. Wenn man“, so Gens, „von mir verlangt, tausend Juden zu liefern, so tue ich es, denn wenn wir, wir Juden, nicht liefern, werden die Deutschen kommen und mit Gewalt nicht tausend, sondern Tausende und Abertausende wegschleppen … Ich, Jacob Gens, wenn ich überlebe, werde das Ghetto beschmutzt verlassen, mit blutigen Händen, aber ich werde mich einem jüdischen Gericht stellen und ihm sagen: Ich habe alles getan, um mehr und mehr Juden aus dem Ghetto zu retten und sie in die Freiheit zu führen. Um einen Rest das Überleben zu ermöglichen … musste ich mich beschmutzen und gewissenlos handeln“.31
Hat Jacob Gens sich tatsächlich die Hände schmutzig gemacht und mit Blut besudelt? Das letzte Wort ist darüber noch nicht gesprochen worden. Ans van der Dijk, Stella Goldschlag und Celeste Di Porto waren zweifellos Verräterinnen, die selbstsüchtig handelten, und darüber hinaus auch kriminelle Naturen, die aus ihrer Zusammenarbeit mit den Nazi-Behörden Vorteile für sich persönlich herausschlugen. Anders Jacob Gens, der helfen wollte, aber durch die Position und Funktion, die er einnahm, jedoch keine Vorteile für sich ableitete. Andererseits war er gezwungen, Befehlen zu folgen. Dadurch geriet er in den Verdacht, ein Kollaborateur und Verräter zu sein.
Jacob Gens, der ganz offensichtlich zunächst nicht begriff, „daß er“, wie der Dichter Abraham Suzkever rückblickend bemerkt hat, „nur ein Werkzeug in den Händen der Gestapo war“32, ist zugegebenermaßen ein tragischer Fall, in gewisser Weise ähnlich demjenigen von Czerniaków, der ebenfalls vor der Wahl gestellt wurde, Transportlisten zusammenzustellen und somit zwischen Tod und Leben zu entscheiden hatte. Wer sollte auf den Transport gehen, wer nicht? Im Fall Gens war es sogar so, dass er gezwungenermaßen Exekutionen mit zu verantworten hatte.
Es waren Entscheidungen, die für diejenigen, die sie trafen, unendliche Qualen bereiteten. Gens war es durchaus bewusst, wie er vor sich selbst und vor anderen bekannte, dass er, sollte er überleben, das Ghetto befleckt verlassen würde, und zwar mit „blutigen Händen“. Czerniaków, der ebenfalls wie Gens vor ähnlichen schwerwiegenden Entscheidungen stand, war derart bedrückt von dem, was von ihm verlangt und erwartet wurde, dass er für sich, wie schon erwähnt, keinen anderen Ausweg sah, als Hand an sich zu legen und den Freitod zu wählen.
In einer letzten Notiz von Czerniaków, die in der Gemeindeverwaltung aufgefunden wurde, hieß es, der „Umsiedlungsstab“ habe von ihm verlangt, einen Kindertransport vorzubereiten. „Damit“, so Czerniakóv, „ist mein bitterer Kelch bis zum Rand gefüllt, denn ich kann doch nicht wehrlose Kinder dem Tod ausliefern. Ich habe beschlossen abzutreten. Betrachtet dies nicht als einen Akt der Feigheit oder eine Flucht. Ich bin machtlos, mir bricht das Herz vor Trauer und Mitleid. Länger kann ich das nicht ertragen. Meine Tat wird alle die Wahrheit erkennen lassen und vielleicht auf den rechten Weg des Handelns bringen. Ich bin mir bewußt, dass ich Euch ein schweres Erbe hinterlasse“.33
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Wie sind aber nun die verschiedenen Beispiele von Kollaboration oder sagen wir besser der Zusammenarbeit mit den NS-Behörden zu bewerten? Die Fälle Cerniaków und Gens unterscheiden sich vom Treiben der beiden Frauen Stella Goldschlag-Kübler und Celeste Di Ponto im Wesentlichen dadurch, dass Cerniaków und Gens zwar ebenfalls mit der Besatzungsmacht, mit der SS und der Gestapo, zusammenarbeiteten, aber sie taten es nicht, um sich persönlich zu bereichern oder um irgendwelche Vorteile für die eigene Person aus dieser Tätigkeit zu ziehen. Wohlgemerkt im Unterschied zu Chaim Rumkowski, dem Judenältesten von Lodz, und einiger anderer zwielichtiger Vertreter in den Judenräten, die keine Skrupel hatten, das zu tun.
Dessen ungeachtet, zeigt jeder dieser Fälle exemplarisch, dass Menschen in Ausnahmesituationen sich sehr unterschiedlich verhalten können. Menschlichkeit oder Humanität in dem Sinne, dass sie die Würde anderer akzeptieren, kann nicht jeder für sich beanspruchen. Das aber ist ein Umstand, der dazu führen kann, dass jemand genau das Gegenteil von dem tut, was man von ihm erwartet. Der langjährige Freund mutiert plötzlich zum Feind, und der Feind zum (angeblichen) Freund. Der Verrat, einen anderen bloßzustellen und zu denunzieren, kann dabei zum reinen Selbstzweck werden, wie die Fälle Stella Goldschlag-Kübler, Ans van Dijk und Celeste Di Ponto deutlich erkennen lassen.
Die Publizistin Margret Boveri hat 1956 den Verrat, den Treuebruch beziehungsweise das Hintergehen des Mitmenschen, in ihrem Buch „Der Verrat im 20. Jahrhundert“ ein allgegenwärtiges Phänomen genannt. „Der Inhalt des Verrats“, bemerkte sie, „wechselt, indem sich das Rad der Geschichte dreht. Heute werden Helden als Märtyrer gefeiert, die gestern als Verräter gehenkt wurden, und umgekehrt. Aber der Verrat bleibt bei uns, als sei er der dauernd sich wandelnde Schatten, […] der unserer Epoche zugehört“.34
Der Wilnaer Ghetto-Vorsitzende Jacob Gens war zweifellos ein solcher Fall, wie er wohl Margret Boveri in ihren Überlegungen vorgeschwebt haben könnte. War Gens, so müssen wir uns fragen, demnach nichts anderes als ein Verräter, der aus Niedertracht und Eigennutz seine Glaubensbrüder und –schwestern im Stich ließ? Oder war er, um eine Formulierung Gershom Scholems zu gebrauchen, schlicht ein „Lump“, der alles getan hat, um der deutschen Besatzungsmacht zu Gefallen und zu Diensten zu sein? Darüber gehen die Ansichten bis heute auseinander.
Der israelische Dramatiker Joshua Sobol hat in seinem erfolgreichen Theaterstück „Ghetto“ sich bemüht, diesen Sachverhalt künstlerisch zu verarbeiten. Eine Antwort auf diese auch ihn quälende Frage fand er nicht. In einem Interview, das er mit sich selbst führte, bekannte er, dass es ihm äußerst schwerfalle, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Die Figur des Jacob Gens, der gezwungen war, Leben gegen Leben auszuhandeln, flöße ihm im Rückblick, so erklärte er, Angst und Schrecken ein.
Vor Augen hatte Sobol die im Wiln(a)er Ghetto zusammengepferchten Menschen, Frauen, Männer und Kinder, die unter extrem schwierigen Bedingungen ihr Leben fristeten und sich darauf einstellten, dass noch Schrecklicheres auf sie zukommen würde. Konnten die im Ghetto ihr Leben Fristenden, so fragt Sobol sich, einem Mann wie Jacob Gens vertrauen? War er tatsächlich der Judenretter, als den ihn heute viele ansehen, oder war er vielleicht doch nur ein Schuft wie Chaim Rumkowski, der, wie behauptet wird, hauptsächlich sich selbst und sein Wohlergehen im Blick hatte? Sobols Stück lässt den Zuschauer mit diesen Fragen am Ende allein. Es sei auch für ihn selbst, so erklärte Sobol seiner Zeit, schwierig, geradezu unmöglich, „sich auf die komplexen Fragen des physischen und moralischen Überlebens des Menschen einzulassen“.35
Jacob Gens war nicht irgendwer, er war kein x-beliebiger jüdischer Funktionär, sondern eine allseits respektierte Respektsperson, zu der man im Ghetto aufsah und zu dem man eine Art instinktives Vertrauen entwickelte. Als Vorsitzender des Wilnaer Judenrates war er derjenige, der nicht nur die Abläufe im Ghettoalltag durch die ihm übertragenen Machtbefugnisse regelte und bestimmte. Er war auch derjenige, das sei an dieser Stelle ausdrücklich vermerkt, der in der Deportationsphase durch die ihm übertragene Funktion über Leben und Tod der Ghettobewohner mitzuentscheiden hatte.
Der Philologe, Übersetzer und Gemeindearchivar Zelig Kalmanowicz war sich der Probleme, des Drucks und der Umstände, denen Gens und die Ghettoverantwortlichen sich zu stellen hatten, durchaus bewusst. Im November 1942 notierte er in sein Tagebuch: „In Wahrheit sind wir in jedem Fall nicht unschuldig. Wir haben unser Leben und unsere Zukunft mit dem Tod Zehntausender erkauft. Wenn wir beschlossen haben, daß wir mit diesem Leben trotz allem weitermachen müssen, dann müssen wir bis zum Ende gehen. Möge uns der barmherzige Gott vergeben“.36
Jacob Gens, was immer man heute gegen ihn und sein damaliges Verhalten vorbringen kann, war sicherlich kein Judas, kein Verräter in dem Sinne, dass er seine Schutzbefohlenen in der Zeit höchster Not im Stich gelassen hat. Er war jemand, man kann es drehen und wenden, wie man will, der trotz des Druckes, der seitens der Besatzungsmacht auf ihn ausgeübt wurde, bemüht war, im Rahmen seiner Möglichkeiten verantwortlich zu handeln. Als er damit konfrontiert wurde, Entscheidungen zu treffen, wer leben und wer auf den Transport in den Tod gehen sollte, fällte er notgedrungenermaßen diese Entscheidungen. Er tat es, auch wenn es ihm, wie er bekannte, schwerfiel.
Als Verantwortlicher im Wilnaer Ghetto hat Jacob Gens, das ist unbestritten, mit manchen seiner Entscheidungen Juden in den Tod geführt37, aber er war auch derjenige, der geholfen hat, und dem es verschiedentlich gelang, Einzelne durch gewagte Aktionen vor dem Abtransport in die Vernichtungslager zu retten. Was war er also? War er schlicht nur ein Verräter, ein Kollaborateur, wie manche meinen? Oder war er, wie Marcel Reich-Ranicki im Fall von Adam Czerniaków urteilte, ein Verräter, der aber zugleich auch ein Held war? Im Fall Jacob Gens dürfte beides zutreffen. Er war, wenn man so will, nicht nur ein Verräter, sondern er war auch ein Märtyrer und ein Held. Die Frage, wie das Verhalten von Gens und Czerniaków und deren Verhalten im Rückblick zu bewerten sind, ist bis heute nicht eindeutig und abschließend zu beantworten. Voreilig sollte man den Stab über Jacob Gens, Adam Czerniaków und andere Vertreter der Judenräte deshalb nicht brechen.
ANMERKUNGEN
1 Hannah Arendts Bericht über den Eichmann-Prozess erschien zunächst im „New Yorker“ als fünfteilige Artikelserie, anschließend folgte 1963 eine Buchausgabe bei Viking Press, die deutsche Übersetzung erschien ein Jahr später unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“, München 1964 2 Mit den „Judenräten“ sind die Zwangskörperschaften gemeint, die in Deutschland, den Niederlanden, vor allem aber in den von der SS und der Gestapo in den besetzten Gebieten Europas eingesetzt wurden. 3 So zerbrach beispielsweise die Freundschaft zwischen dem Philosophen Hans Jonas und Hannah Arendt vgl. Hans Jonas. Erinnerungen. Nach Gesprächen mit Rachel Salamander, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Christian Wiese, Frankfurt am Main und Leipzig 2003, S.292 f. 4 Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Gershom Scholem über Arendts Eichmann-Buch besteht aus fünf Briefen. Drei davon sind von Scholem an Arendt, zwei von Arendt an Scholem gerichtet. Vgl. Stépane Mosès, Das Recht zu urteilen: Hannah Arendt, Gershom Scholem und der Eichmannprozess, in: in: Gary Smith (Hrsg.), Hannah Arendt Revisited. „Eichmann in Jerusalem“ und die Folgen, Frankfurt am Main 2000, S. 78 ff. 5 Gershom Scholem an Hannah Arendt, 23. Juni 1963, in: Gershom Scholem, Briefe II: 1948-1970, hrsg. von Thomas Sparr, München 1995, S. 95-100, hier S. 98 6 Hannah Arendt an Gershom Scholem, 20. Juli 1963, in: Ebenda, S. 162 f. 7 Hierzu vgl. u.a. die Beiträge von Friedrich S. Brodnitz, Eva G. Reichmann, Jacob Robinson und Adolf Leschnitzer, in: Die Kontroverse Hannah Arendt. Eichmann und die Juden, München 1964 8 Vgl. die Beiträge von Amos Elon und Anson G. Rabinbach, in: Gary Smith (Hrsg.), Hannah Arendt Revisited, S. 17 ff. und 33 ff. 9 Vgl. Julius H. Schoeps, Doch nicht mitschuldig? Die Judenräte im historischen Urteil der Nachwelt. Isaiah Trunk, Judenrat. The Jewish Councils in Eastern Europe under Nazi Occupation, New York 1977, in: Die Zeit, 24. November 1978 10 Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 154 11 Vgl. Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, hrsg. von Eberhard Jäckel, Peter Longerich, Julius H. Schoeps, Bd. II, Berlin 1993, S. 694 f. 12 Hierzu Jacques Presser, Ondergang. De vervolging en verdelging van het Nederlandse Jodendom 1940–1945 [Untergang. Die Verfolgung
und Vernichtung des niederländischen Judentums 1940–1945], 2 Bände, Den Haag 1965 13 Vgl. Sytze van der Zee, Vogelvrij. De Jacht op den joodse onderduiker, Amsterdam 2010 14 Vgl. Julius H. Schoeps, Preuße in dunkler Zeit. Rabbiner Leo Baeck und die Nationalsozialisten, in: Über Juden und Deutsche.
Historisch-politische Betrachtungen (= Deutsch-jüdische Geschichte durch drei Jahrhundert, Bd. 4), Hildesheim 2010, S. 261 ff. 15 Vgl. Beate Meyer, Tödliche Gratwanderung. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zwischen Hoffnung, Zwang, Selbstbehauptung und Verstrickung (1939-1945), Göttingen 2011 16 Eva G. Reichmann, Antwort an Hannah Arendt, in: Die Kontroverse, S. 215 17 Vgl. Hermann Simon, Bislang unbekannte Quellen zur Entstehungsgeschichte des Werkes „Die Entwicklung der Rechtsstellung der Juden Europas, vornehmlich in Deutschland, in: Rachel Heuberger/ Fritz Backhaus (Hrsg.). Leo Baeck 1873–1956. Aus dem Stamme von Rabbinern, Frankfurt am Main 2001, S.103-110 und Fritz Backhaus, Martin Liepach, Leo Baecks Manuskript über die „Rechtsstellung der Juden in Europa“. Neue Funde und ungeklärte Fragen, in: ZfG 1/2002, S. 55-70 18 Eine Kopie dieser Arbeit wird im Leo Baeck-Institute in New York aufbewahrt 19 Vgl. Volker Resing, Der Streit um die K-Akten. Neue Quellen lösen Debatte über ein ungewöhnliches Werk von Leo Baeck aus, in: Aufbau, Nr. 15, 19. Juli 2001 20 Das Tagebuch des Adam Czerniakóv. Im Warschauer Getto 1939-1942, München 2013, S. 285 21 Vgl. Michal Unger, Reassessment of the Image of Mordechai Chaim Rumkowski (= Search and Research, Bd. 6), Göttingen 2004, S. 4 ff. 22 Ebenda, S. 8 23 Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben, Stuttgart 1999, S. 243 ff. 24 Vgl. Saul Friedländer, Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945, Bd. 2: 1939-1945, München 2006, S. 89 25 Vgl. Corina Kolbe, Die schwarze Pantherin. Jüdische Nazi-Kollaborateure in Rom, SPIEGEL Online, 3. August 2017 26 So zum Beispiel Takis Würger, Stella. Roman, München 2019 27 Peter Wyden, Stella, Göttingen 1995 28 Vgl. Corinna Kolbe. Die schwarze Panterin. Jüdische Kollaborateure in Rom, in: SPIEGEL online, 3. August 2017 29 Peter Wyden, „Sonst kommst du nach Auschwitz“, in: Der Spiegel Nr. 43- 45, 1992 30 Zu Celeste Di Porto vgl. Guiseppe Pederiali, Stella di Piazza Giudia, Roma 1995 und Anna Foà, Portico d’Ottavia 13. Una casa del ghetto nel lungo inverno del 1943, Roma/Bari 2013 31 Die Rede ist in verschiedenen Varianten überliefert. Hierzu insbesondere Yitzhak Arad, Ghetto in Flames, The Struggle and Destruction of the Jews in Vilna in the Holocaust, published in Jerusalem in 1980, S. 342-346. Das Original der Rede in jiddischer Sprache befindet sich in den Moreshet Archives, D.1.357 [The Mordechai Anielevich Memorial Holocaust Studies and Research Center, Givat Haviva]. Bei dem Dokument handelt es sich um acht mit der Schreibmaschine heruntergetippte Seiten. Den Hinweis darauf erhielt der Verfasser von seiner Kollegin Dina Porat in Tel Aviv, die für ihn diesen Sachverhalt recherchiert hat. Ihr sei an dieser Stelle für ihre Bemühungen gedankt. 32 Abraham Suzkever, Wilnaer Getto 1941 -1944, Zürich 2009, S. 55 33 Das Tagebuch des Adam Czerniakóv, S. 285 34 Margret Boveri, Der Verrat im 20. Jahrhundert [= Rowohlts deutsche Enzyklopädie, Bd. 23), Bd. 1: Für und gegen die Nation: Das sichtbare Geschehen, Hamburg 1956, S. 7 35 Joshua Sobol, Ein Interview mit mir selbst, in: Harro Schweizer (Hrsg.), Ghetto. Schauspiel in drei Akten. Mit Dokumenten und Beiträgen zur zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung, Berlin 1984, S. 193 36 Y. Rudashevski, The Diary of the Vilna Ghetto, June 1941-April 1943, Tel Aviv 1973, S. 31 37 Hierzu vgl. Friedländer, Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden 1939-1945, Bd. 2: 1939-1945, S. 464 ff.
Der Autor
JULIUS H. SCHOEPS
Prof. Dr., geb. 1942 in Djursholm (Schweden); studierte Geschichte, Geistesgeschichte, Politik- und Theaterwissenschaft in Erlangen und Berlin. 1969 Promotion; 1973 Habilitation. Von 1974 bis 1991 Professor für Politische Wissenschaft und Direktor des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg. 1993-1997 Nebenamtlich Gründungsdirektor des Jüdischen Museums der Stadt Wien. Von 1991 bis 2007 Professor für Neuere Geschichte (Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte). 1991-2015 Gf. Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam.
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Gleichwie viele Wege nach Rom führen, gibt es viele Gründe, WhatsApp abzulehen. Die richtige Messaging-Alternative zu finden, ist aber alles andere als leicht: Es gibt kaum eine App, die im Leben so vieler Menschen eine Rolle spielt wie Whatsapp. 2009 von Jan Koum und Brian Acton gegründet, entwickelte sich der Dienst rasant zu einer Konkurrenz für SMS und andere Messenger, die auf veraltete Protokolle setzten. Zu Beginn war die Anwendung nicht mehr als eine Art schwarzes Brett für Statusmeldungen. Nutzer konnten ihre Gedanken posten, Freunde hatten die Möglichkeit, diese Meldungen zu lesen. Mit der Zeit verwandelten die Entwickler ihre Erfindung in einen Kurznachrichtendienst.
Wo auch die Unterstützer von „Combat 18“ feiern: In Ostsachsen hat das Neonazi-Festival „Schild und Schwert“ begonnen. Kurz: „SS“. Eine Reportage.
Das Hakenkreuz-Tattoo muss mit Pflastern überklebt werden, das T-Shirt „Adolf war der Beste“ ist okay. Die Neonazis haben gewusst, dass die Kontrollen vor dem Festivalgelände streng sein würden, der Veranstalter hat sie vorab per Videobotschaft gewarnt: Baseballschläger und Messer mit zu langer Klinge unbedingt zu Hause lassen. Und sich vergewissern, ob die Sprüche auf ihrer Kleidung gegen kein Gesetz verstoßen. Dass die Kontrollen an diesem Wochenende aber derart drakonisch ausfallen würden, damit haben viele nicht gerechnet. Sachsens Polizei hat die einzige Zufahrtsstraße abgesperrt, die anreisenden Neonazis sitzen stundenlang in ihren Wagen, es geht nur alle 20 Minuten im Schritttempo vier, fünf Meter voran.
Auf dem Festivalgelände dann die nächste Überraschung: Alkoholverbot. Polizisten überbringen die Nachricht am Freitagnachmittag, lassen anschließend 4200 Liter Bier mit einem Laster abtransportieren. Alkoholkonsum würde die Gefahr von gewaltsamen Auseinandersetzungen erhöhen, heißt es zur Begründung.
Leider seien viele Deutsche zu dick
Vorm Eingang steht ein großgewachsener Mann in hellem Lacoste-Hemd. Grauer Bart, Nacken ausrasiert. Es ist Thorsten Heise, geboren am 23. Juni 1969 in Göttingen, der Veranstalter des Festivals. Heise ist stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, nach eigener Aussage Stimme und Gesicht des „völkischen Flügels“ der Partei, laut Verfassungsschutz „exponierter Vertreter der neonationalsozialistischen Strömung in der NPD“. Ein Radikaler unter den Radikalen.
An diesem Freitagnachmittag begrüßt Heise gut gelaunt Journalisten und sagt, bei seinem Festival gehe es dieses Mal um gesunde Ernährung. Er selbst ernähre sich seit langem bio. „Ich weiß, ein kleines Bäuchlein habe ich trotzdem.“ Leider seien viele Deutsche zu dick. Bewegung und das richtige Essen könnten da helfen.
Ostritz hat 2400 Einwohner, ist idyllisch an der Neiße gelegen. Drei Gaststätten, zwei Pensionen, eine Brücke nach Polen. Bürgermeisterin Marion Prange ist parteilos, die CDU sonst weit vorn, die örtliche Politik will stärker regenerative Energiequellen nutzen. Zu den Sehenswürdigkeiten von Ostritz zählt das Frauenkloster St. Marienthal.
Das Festival findet auf dem Gelände des früheren Hotels „Neißeblick“ statt. Die meisten Besucher schlafen in Zelten auf dem Areal, andere mieten in der Umgebung ein Pensionszimmer.
„Schwarze Sonnen“ und Piercings
Vorm Eingang Absperrgitter, Kameras auf den Polizeiwagen, uniformierte und zivil gekleidete Beamte laufen vor und hinter dem Festivalzaun durch die Reihen. Die Umgebung überfliegt ein Polizeihubschrauber. Beamte durchsuchen jede Tüte, öffnen Reisenecessaires, Neonazis müssen ihre Schuhe ausziehen. Ein Multifunktionsmesser mit integriertem Schraubenzieher für den Zeltaufbau? Könnte als Waffe verwendet werden, also vorläufig konfisziert.
Auch Teppichmesser werden einbehalten. Ein ranghoher Beamter sagt, das sei keine Schikane. Man verhalte sich „korrekt“, „sicherheitsbewusst“ – und das „nicht ohne Grund“. Unter den Besuchern seien die „reinen Musikliebhaber“ ja nicht unbedingt in der Mehrheit.
Etwa 80 Prozent der Gäste – 750 werden insgesamt erwartet –, die sich am Abend vor der Konzertbühne versammeln, sind männlich. Die meisten kräftig, oft in kurzer Hose und großflächig tätowiert. Man sieht tätowierte „Schwarze Sonnen“, ein Kreis aus drei übereinander gelegten Hakenkreuzen. Da es sich um kein offizielles Symbol einer verbotenen Organisation handelt, ist es nicht strafbar. Die wenigen Frauen auf dem Gelände tragen Piercings, sie verhalten sich, das fällt auf, stiller als die Männer.
Die Polizei setzt auch durch, dass Journalisten das Gelände betreten und sich ein Bild von den Verkaufsständen und der Musikbühne machen dürfen. Ein Journalist berichtet später, Kollegen und er seien mit dem Spruch „Hier kommen die schmierigen Juden“ begrüßt worden.
Ein „Combat 18“-Tattoo. Die Zahlen übermalt
Die T-Shirts, die es durch die Polizeikontrollen geschafft haben, sind deutlich genug. „Ich habe Bock auf Nazis“ steht auf einem, „NS – national sozial“ auf einem anderen. Ein Kahlgeschorener präsentiert stolz sein Shirt, auf dem ein einziges Wort steht: „Rassist“.
Das Festival dient den Netzwerkern, die die rechtsextreme Szene zusammenbringen wollen. Heise, der Veranstalter, ist genau dafür bekannt. In seinem Heimatdorf Fretterode im thüringischen Eichsfeld empfängt er regelmäßig Kader anderer Parteien. Enge Kontakte hat er zu „Combat 18“. Auf den Kasseler Mordverdächtigen Stephan E. angesprochen sagt Heise: „Ich kenne den nicht, der flog auch schon aus der Partei, bevor ich eintrat.“
Klar ist, dass Unterstützer von „Combat 18“ dem „Schwert und Schild“-Festival zugeneigt sind. Mehrere traten hier als Musiker auf. Zum Beispiel Marko Gottschalk, Sänger der Dortmunder „Combat 18“-Band Oidoxie. An diesem Wochenende läuft ein Besucher über das Gelände, der sich den Schriftzug „Combat 18“ auf den Unterarm hat tätowieren lassen. Die Zahlen hat er mit Filzstift übermalt.
Das Spiel mit Symbolen und Codes ist dieser Szene wichtig. Allein der Name des Festivals: „Schwert und Schild“, kurz „SS“. Als Heise vergangenes Jahr auf der Bühne die Initialen aussprach, johlte das Publikum. Oder der Zeitpunkt: 2018 fand das Fest am 20. April statt, Hitlers Geburtstag. Dieses Mal zum Jahrestag der Kriegserklärung an die Sowjetunion.
Körperverletzung, Nötigung, Landfriedensbruch
Den Sicherheitsdienst übernimmt eine Gruppe, die sich „Arische Bruderschaft“ nennt. Es existieren Dokumente, die belegen sollen, dass die Bruderschaft von Thorsten Heise geführt wird. Voriges Jahr mussten ihre Mitglieder auf Anweisung der Polizei ihre Banner abnehmen und alle Shirts auf links drehen, weil ihr Logo aus zwei gekreuzten Stielhandgranaten dem Wappen einer Division der Waffen-SS entsprach. Ein Verfahren wegen Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen wurde später jedoch eingestellt, das Gericht konnte keinen Bezug zum Nationalsozialismus erkennen. Nun tragen die Securitys der „ Bruderschaft“ ihre Stielhandgranaten-Logos wieder offen.
Veranstalter Heise ist mehrfach vorbestraft wegen schwerer Körperverletzung, Nötigung, Landfriedensbruch und Volksverhetzung. Seine Mutter äußerte einmal öffentlich: „Es wäre besser gewesen, wenn er nicht geboren wäre.“ An diesem Wochenende, unter Beobachtung der Journalisten, wirkt er moderat. Dass ihm die Ordnungsbehörden das Bier nicht gönnen, störe ihn nicht, sagt er, seine Stimme ist freundlich, aber bestimmt. „Wir können auch ohne Alkohol feiern.“ Müssen sie auch. Ostritzer und Gäste von Gegenveranstaltern kaufen am Samstag mehr als 100 Kästen Bier im einzigen Supermarkt der Stadt auf.
„Rechts rockt nicht“
Heise ist mit Björn Höcke bekannt, Thüringens AfD-Rechtsaußen. Die beiden wohnen nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ hat Höcke mutmaßlich mehrfach in einer NPD-Zeitung geschrieben, die Heise betreute – auch wenn der AfDler das bis heute bestreitet. Der Verfassungsschutz hält die These, hinter Landolf Ladig stecke Höcke, für „nahezu unbestreitbar“. Sein Versprechen, jeden zu verklagen, der ihn mit Landolf Ladig in Verbindung bringt, hat Höcke nie wahr gemacht. Wäre Höcke tatsächlich Ladig, würde Heise sein Geheimnis kennen. Er hätte ihn in der Hand.
Im Ostritzer Ortskern läuft am Samstag eine Gegenveranstaltung: „Rechts rockt nicht“. Die Veranstalter wollten eigentlich in Hör- und Sichtweite des Nazitreffens protestieren, ein Gericht hat es verboten.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die sich intensiv mit den Festivals in Ostritz beschäftigt hat, sagt: „Das sind nicht nur Konzerte, um Anhänger zu radikalisieren, Bands zu promoten und Geld zu machen. Wir wissen: Am Rande solcher Veranstaltungen kommt es zu Vernetzungstreffen auf der Führungsebene, auch zur Planung von Aktivitäten, Zellenbildungen, Waffenbeschaffungen.“ Derartige Festivals seien Kristallisationspunkte einer neuen militanten Radikalisierung: „Hier treffen sich die Paten des Rechtsterrors.“
Ostritz hat keine Lust
Im vergangenen Jahr fand in Sachsen fast wöchentlich ein Rechtsrockkonzert statt. Beobachter sprechen von 49 solcher Events, dreimal mehr als vor fünf Jahren. Der sächsische Verfassungsschutz kommt auf 24 Konzerte, weil er Veranstaltungen, bei denen nicht ausschließlich Rechtsrock gespielt wird, nicht dazuzählt.
Es gibt an diesem Wochenende noch eine dritte Versammlung in Ostritz. Ein Friedensfest, der örtliche Fußballverein feiert Jubiläum. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ist gekommen, warnt vor rechten Diktaturen. Nicht ohne den Hinweis, dass es auch linke Diktaturen gab.
Und das Gros der Bewohner? Es ist deutlich zu spüren: Ostritz hat keine Lust. Auf die Nazis nicht, auf den Presserummel nicht, auch nicht auf das grün-linke Milieu, das aus den großen Städten, Dresden und Leipzig, auch aus Berlin, angereist ist. Viele Jalousien bleiben unten, Gaststätten leer.
Im Rahmen von „Schwert und Schild“ sollte auch eine Ausgabe des „Kampfs der Nibelungen“ stattfinden. Ein Kampfsportturnier, bei dem ausschließlich Rechtsextreme gegeneinander antreten. Es musste abgesagt werden. Es gab zu wenig Freiwillige, die bereit waren, auf Kameraden einzuschlagen. Stattdessen haben sich ein paar Kampfsporttrainer bereit erklärt, einen Infostand zu besetzen und Fragen zum Thema „Gesunder Geist im gesunden Körper“ zu beantworten.