Die Polizei verfolgt ihn auf Schritt und Tritt, weil er sich offen zum Anarchismus bekennt – den Dichter und Schriftsteller Erich Mühsam, den die Nazis im Juli 1934 im KZ-Oranienburg ermordeten. Zum 90. Jahrestag seines Todes hat der Bremer Donat Verlag eine von Rita Steininger verfasste Biographie publiziert, die sein Lebenswerk ebenso würdigt wie das mutige und selbstbewusste Wirken seiner Ehefrau Zenzl, geboren
vor 140 Jahren in einem Dorf in der Hallertau.
Das Buch – es greift neben bereits erschlossenen Quellen auf zahlreiche bisher unveröffentlichte Archivfunde zurück – zeichnet beider Engagement für eine bessere Welt sowie die Stationen einer ungewöhnlich starken Liebe nach, die ihn veranlasst auszurufen: „Welche Perle von Frau habe ich!“
Schon vor 1914 setzt sich Mühsam, Apothekersohn aus Lübeck, für ein von Militarismus und Nationalismus, sozialen Ungerechtigkeiten und staatlichen Bevormundungen befreites Deutschland ein. 1918 unterstützt er Kurt Eisners Protest gegen den Krieg und die Rüstungsindustrie und unterliegt fortan verschärfter Überwachung. In der Novemberrevolution proklamiert er „Bayern zur Republik, geleitet von seinen Arbeiter- und Soldatenräten“, stürzt sich in die Kämpfe um die Zukunft der Räterepublik, wofür ihn ein Münchner Standgericht im Juli 1919 zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt.
Während Mühsam in seiner Zelle den widrigen Umständen trotzt und Gedichte, ein Drama, politische Berichte schreibt sowie Tagebuch führt, scheut Zenzl keine Mühe, um seine Lage ebenso wie die der anderen politischen Gefangenen zu verbessern. Im Zuge einer Amnestie kommt er Weihnachten 1924 frei. Sofort setzt er sich für die Opfer der Klassenjustiz
ein, engagiert sich in der Gefangenenhilfsorganisation „Rote Hilfe“ (Austritt 1929 wegen deren Nähe zur KPD) und gibt die anarchistische Monatszeitschrift „Fanal“ heraus, in der er seine Ideen propagiert und die politischen Ereignisse kommentiert. „Sein Herz“, schreibt Mühsams Freund und Weggefährte Rudolf Rocker, „empörte sich gegen jeden wie immer gearteten Zwang, und seine Dichterträume gaben seinembFreiheitsgefühl eine besondere Note … Mit einer geradezu schwärmerischen Begeisterung glaubte er an das angeborene Gute und Erhabene.“
Mit großer Sorge verfolgen Erich und Zenzl
die Entwicklung der Weimarer Republik nach rechts
Seit 1928 unterstützt Mühsam insbesondere die antimilitaristisch-anarchosyndikalistische Freie Arbeiter- Union. Seine Kritik Anfang Juni 1931 an den Brüningschen „Notverordnungen“, von ihm als ein „Dokument der Gewissenlosigkeit und Ruchlosigkeit“ bezeichnet, führt zum Verbot des „Fanal“ bis zum 1. November. Vehement tritt er für ein Ende des „Bruderzwistes“ der Arbeiterparteien ein, der dem erstarkenden Nationalsozialismus in die Hände arbeitet.
Seiner Gedichte und seines Kampfes gegen den drohenden Faschismus wegen st Mühsam den Nazis seit langem
ein Dorn im Auge; sie verleumden ihn als „Geiselmörder“ und Goebbelsgeifert: „Dieses rote Judenaas muss krepieren!“ Ende Februar 1933 in „Schutzhaft“ genommen, folgen Demütigungen, Qualen undFolterungen in Gefängnissen und Konzentrationslagern. SS-Leute bringen Erich Mühsam in der Nacht zum 10. Juli 1934 um.
Zenzl gelingt es, einen großen Teil
seines Nachlasses zu retten.
Ihr weiterer Weg aber gleicht mehr einer Odyssee. Die Flucht in dieUdSSR führt zu nahezu zwanzig Jahren in sowjetischen Gefängnissen, Arbeitslagern und in der Verbannung. Erst Ende Juni 1955 trifft sie im Alter von fast 71 Jahren in Ost-Berlin ein.
Die DDR-Regierung ehrt sie mit Medaillen und versorgt sie mit einer Rente.
Mit dem Anarchisten Mühsam vermag sich die DDR jedoch nicht vollends anzufreunden. Entgegen der steten Weigerung Zenzls, die Rechte des Werkes ihres Mannes auf die Akademie der Künste zu übertragen, geschieht dies eine Woche vor ihrem Tod am 10. März 1962 unter ungeklärten Umständen.
Man legt die Biographie nicht aus der Hand, ohne darüber nachzudenken, dass wir es mit dem Schicksal eines Ehepaars zu tun haben, das die deutsche Geschichte in besonderer Weise erlitten und sich ihrem unglückseligen Verlauf entgegengestellt hat. Wie sehr die beiden miteinander verbunden gewesen sind, hat Zenzl einmal so beschrieben:
„Jeder hinterlässt einen leichten Schatten. Aber Erich, der
steht neben einem, der geht neben einem, der bleibt da.“ So ist es
Aus dem Inhalt
Vom Apothekergehilfen zum
streitbaren Schriftsteller
Aus dem Hopfenland Hallertau
in die Schwabinger Künstlerkreise
Liebe im Schatten des Krieges
Streik – Verbannung – Revolution
Die kurze Zeit der Räteherrschaft
Bedroht, gehasst, verleumdet
Verschärfte Festungshaft
Im Berlin der Zwanzigerjahre
Kampf gegen die braune Gefahr
In den Händen der NS-Schergen
Flucht in die Gefangenschaft
Zenzl und Erich Mühsam, 1924
Rita Steininger
Weil ich den Menschen spüre, den ich suche
Zenzl und Erich Mühsam
[= Schriftenreihe Geschichte & Frieden – Bd. 53]
264 Seiten, 43 Abbildungen, Hardcover,
ISBN 8-3-949116-23-0
19.80 €uro