Vor der Frankfurter Buchmesse: Die Branche fragt nach der Zukunft des Buchs. Die Leser sind weiter: Sie machen keinen Unterschied mehr zwischen digitalen Inhalten. Die wichtigsten Trends.Spannend an eBooks ist nicht die Frage, wie viele verkaufte Titel tatsächlich auf Lesegeräten mit kleinem Schirm landen – die Zahlen widersprechen sich – spannd ist viel mehr, wie umfassend das Geschäft mit den Büchern über den Hebel eBooks vor unseren Augen umgekrempelt wird. Ein paar Beispiele aus Zahlen, Trends und Szenarien.
Bei neuer Belletristik machen eBooks in Deutschland mittlerweile gut und gerne zehn Prozent vom Gesamtumsatz für Verlage aus. Da aber Neuerscheinungen in Papierform – als großteils teure gebundene Ausgaben -mehr als zwei Drittel im Geschäft mit Büchern einspielen, geht es hier rasch ans Eingemachte. Deshalb tun die Verlage alles, um den Preis der eBook-Ausgaben hoch zu halten – mit Abschlägen von nur 20 bis bestenfalls 30 Prozent gegenüber der gedruckten Ausgabe. In England, aber auch in Spanien oder Italien kosten neue Spitzentitel als eBook gerade einmal die Hälfte von denen in Deutschland. Gerade im krisengeschüttelten Spanien ist die digitale Nische indessen höchst lebendig – das ist seltsam, denn traditionell gilt Spanien als wenig lesefreudig und hat eine der geringsten Reichweiten in Sachen Internet in Europa. Es lässt sich absehen, wie auch in Deutschland rasch und massiv der Druck auf die Preise steigen wird.
Der größte spanische Verlagskonzern Planeta hat sich gerade mit dem Telekommunikationsriesen Telefonica zusammengetan und bietet ab sofort digitales Lesen im Abo an, ab 8,99 Euro im Monat – Werbeslogan „Lesen ohne Grenzen“. Ähnliche Experimente drängeln eben auch in den USA in die Aufmerksamkeit der Lesenden. Das Spotify für Bücher kann rasch zum Sprengstoff für den Buchhandel werden. Schon jetzt knirscht es arg im Gebälk insbesondere der großen Ketten. Die unlängst noch als das Böse an sich für die Vielfalt der Buchkultur galten, werden heute als große Wackelkandidaten betrachtet. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Lage drastisch verändert: Ein gut platzierter Münchner Traditionsbuchhändler, Lehmkuhl, sagte mir unlängst, vor ein paar Jahren wäre es noch ein Todesurteil gewesen, hätte Thalia beschlossen im Schwabinger Stadtteil eine neue Filiale aufzumachen. „Heute haben die dazu nicht mehr die Kraft“, lautete der lakonische Nachsatz. In Berlin gibt es sogar anspruchsvolle Neugründungen wie etwa Ocelot in Mitte.
Bei Weltbild wollte man lieber den Umbruch selbst gestalten, und vom Kettenladen zum Onliner mutieren, nicht zuletzt durch Gründung einer Branchenallianz, die neben Thalia auch die Deutsche Telekom an Bord hat. Allerdings ist das Konzept viel weniger radikal als in Spanien. Doch offenbar haben der Eigentümer, die katholischen Bischöfe, wenig Lust auf Aufbruch und Veränderung. Das könnte nun rasch zum Existenzproblem führen.
Unterdessen starren alle – Buchhändler wie Verlage – gebannt auf den einen Gewinner: Amazon. Seit Jahren wandern die Umsätze der Branche an diese eine Web-Adresse ab. Deren Steuern aus den Erlösen wandern hingegen großteils nicht nach Berlin oder München, sondern im Schongang nach Luxembourg. Die Arbeitsbedingungen in den mitteldeutschen Logistikzentren haben unterdessen die Gewerkschaft auf den Plan gerufen, es gab Serienstreiks. Und nun gibt es Vermutungen, wonach Amazon seine Auslieferung überhaupt zu großen Teilen über die Grenze nach Polen und Tschechien verlegen könnte – so dass neben den Steuern auch die Arbeitsplätze für Deutschland verloren gingen. Und im weitgehend ortsungebundenen Wachstumssegment eBook hält Amazon mit dem Kindle ohnedies schon jetzt die Mehrheit am Markt. Um Druck auf die Preislandschaft zu machen, mixt Amazon in den hauseigenen Kindle-Bestsellerlisten hochpreisige Verlagsangebote mit niedrigpreisigen Selbstverlags-eBooks. Zur Abrundung offeriert der Weltkonzern seine Dienste nun auch noch als Verlag, als Selbstverlagsplattform für Autoren, als Partner im Antiquariat, beim Hörbuch, und als Provider für Speicherplatz.
Mit „Buy Local“ Aktivitäten alleine – wie sie recht erfolgreich von schwäbischen Buchhändlern ausgerufen wurden – wird dieses Momentum jedoch nicht aufzuheben sein.
Dieses Grundmuster, diese Konfrontation zwischen lokal und global, ist im Augenblick keine deutsche Besonderheit, sondern weltweit sichtbar. In Schweden – aber auch, in anderen Dimensionen, in Indien und China – versuchen lokale Akteure, oft in Konsortien, und immer häufiger angeführt von den jeweils größten Akteuren am lokalen Markt, alternative eBook Strukturen gegenüber Amazon aufzuziehen. In Deutschland stünde zwar mit Skoobe (Website) ein Gemeinschaftsportal der beiden größten Konzerne Bertelsmann (Random House) und Holtzbrinck (S. Fischer, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch, Droemer) bereit als Abo- und Leihdienst. Der jüngste Abgang des Gründungs-Chefs aber deutet nicht auf selbstbewussten Aufbruch hin. Und bei Tolino ist eben nicht klar, wie weit hier mit Thalia und Weltbild nicht zwei große Angeschlagene ein Rückzugsgefecht führen, an dem die Telekom nur als Technikdienstleister, nicht als dringend benötigter Innovator teilhat.
Doch – und hier ist der abgedroschene Innovations-Klassiker unvermeidbar – auch die Automobilindustrie wurde vor hundert Jahren nicht von den führenden Droschkenbauern und Pferdezüchtern auf den Weg gebracht, sondern von neuen Herausforderern.
Nach längerem Stillhalten könnte 2013 als Jahreszahl für viele interessante Neugründungen in Erinnerung bleiben. Initiativen, die vorhaben, es in Sachen Buch und Lesen schlicht anders zu machen, Neues auszuprobieren, auch erst einmal ins Risiko zu gehen – als Verlag, als Selbstverlagsplattform, als Buch-Data-Mining und „Discovery“-Idee (ja, da wird erst einmal viel auf Englisch parliert). Und diese Gründerzeit ist nicht nur in Berlin zu spüren, sondern ebenso in Italien und Spanien, in Frankreich sogar, und England und vielleicht auch Schottland. In den Schwellenländern, also Brasilien, Indien, China ohnedies. Die vernetzte Welt hat es dabei an sich, dass geografische Distanzen heute einfach zu überbrücken sind – aber dass auch jeder lokale Akteur in direkter Konkurrenz zu den globalen Giganten steht, zu Amazon, Apple oder Google.
Ebooks sind ein Hebel, der tief ansetzt, an jenen Wurzeln, in denen der digitale Umbruch pulsiert. Wenn gerade die stärksten kulturellen Publikumsgruppen ihre Musik über das Handy empfangen, und Filme – auch legal – aus dem Netz ziehen, lieber 10 Euro im Monat für ein Abo bezahlen als jede auch noch so flüchtige Neuerwerbung der großen privaten Sammlung einverleiben, sondern eine Weile nebenher konsumieren, und dann sich Neuem zuwenden, dann wird dieses Publikum auch den nächsten Schwedenkrimi oder das modische Ratgeberbuch für besseres Kochen und neueste Reisepläne eher bequem auf den tragbaren Schirm laden, als dafür ins Kulturkaufhaus zu pilgern. Und auch die Produktion der Ratgeber und der schnellen Lektüre wird sich dem anpassen, in Format, Umfang, Convenience, in einem Ausmaß und einer Geschwindigkeit, welche das Gesamtsystem, nun ja, umkrempelt.
Auf der Frankfurter Buchmesse wird diese Verschiebung fraglos eines der Hauptthemen sein. Einen Überblick über Entwicklungen und Trends bietet der eben erschienene „Global eBook“ Report (Offenlegung: Das ist nun eine Werbeeinschaltung in eigener Sache), ein Bogen, der sich von Amerika bis Indien spannt, von eBook Preisen bis Piraterie. Bis Ende Oktober zum Nulltarif.
Details auf global-ebook.com.