Derweil die Europäische Union angesichts der russischen Invasion in der Ukraine den Import von russischem Öl auf dem Seeweg längst gestoppt hat, darf LNG weiterhin aus Russland in die EU verschifft werden. Zwar hält das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) einen vollständigen Verzicht auf russisches Gas für möglich, manche EU-Staaten sehen das jedoch anders. Das jüngste Sanktionspaket verbietet im nächsten Jahr aber immerhin den Weitertransport von Flüssiggas aus Russland von europäischen Häfen aus in Drittländer. Das Umladeverbot soll dazu führen, dass Russland wegen mangelnder Transportkapazitäten weniger LNG verkaufen kann.
Bislang bringen oft russische Tanker, die für den Einsatz in eisbedeckten Gewässern geeignet sind, Flüssiggas von der Jamal-Halbinsel in Sibirien in EU-Häfen. Dort wird das LNG auf normale Tanker umgeladen, die in weiter entfernte Weltregionen fahren. So können die „Eisbrecher“-Tanker deutlich mehr Einsätze fahren. Nach Angaben der EU-Kommission wurden im vergangenen Jahr vier bis sechs Milliarden Kubikmeter russisches LNG über EU-Staaten in andere Länder weitergeleitet. Betroffen sein könnten damit Geschäfte im Wert von mehreren Milliarden Euro.
„Eisbrecher“-Tanker für Dubai
Beim Öl hatte die EU auch den Transport von russischem Öl durch EU-Schiffe in Drittländer verboten. Finanzielle Hilfen wie Versicherungen für solche Tankerfahrten sind ebenfalls untersagt, zumindest wenn das verschiffte Öl über einer Preisgrenze, dem sogenannten Ölpreisdeckel von 60 Dollar pro Barrel, liegt. Es dauerte nicht lange, bis eine Schattenflotte diesen Preisdeckel umschiffte: ohne westlichen Versicherungsschutz oder sogar mit – dank gefälschter Positionsdaten.
Bei Tankern für den Transport von LNG mehren sich nun Hinweise, dass Russland auch hierfür eine Schattenflotte bereitstellt. Laut der Schifffahrtsdatenbank Equasis wurden in den vergangenen drei Monaten die Eigentumsrechte an mindestens acht Schiffen an wenig bekannte Unternehmen in Dubai übertragen, wie die Finanznachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Vier der Schiffe gehören demnach zur Eisklasse, sind also für eisbedeckte Gewässer konzipiert, und haben aus Moskau bereits die Genehmigung erhalten, in diesem Sommer durch Russlands arktische Gewässer zu fahren.
Die Tanker lassen sich nicht eindeutig russischen Unternehmen zuordnen
Auffällig sind allerdings der Einsatz undurchsichtiger Unternehmen sowie alter Schiffe, die normalerweise schon ausgemustert worden wären. In der LNG-Industrie ist es höchst ungewöhnlich, dass unbekannte Käufer bis zu Hunderte Millionen teure Spezialschiffe beschaffen, wie es in dem Bericht heißt. Bei mindestens drei der acht Tanker sind demnach die Versicherer laut der International Maritime Organization unbekannt. Auffällig ist auch die Rekordzahl von Genehmigungen für den nördlichen Seeweg von Russland nach Asien, wie Malte Humpert von der US-Denkfabrik Arctic Institute zitiert wird.
Umladen auf hoher See schwieriger als bei Öl
Für Aufsehen in der Branche sorgte Bloomberg zufolge auch die Asya Energy. Trotz der Huthi-Angriffe fuhr das Schiff demnach im Juni als erster LNG-Tanker seit Januar unbeschadet durch das Rote Meer. Verwaltet werde das 22 Jahre alte Schiff, das unter der Flagge von Palau, einem Inselstaat im Pazifik, fährt, von Nur Global Shipping. Dieses in der Branche unbekannte Unternehmen operiert laut dem Bericht von einem Luxushotel in einer Freihandelszone der Vereinigten Arabischen Emirate aus. Ein Versicherer sei nicht bekannt. Einer Daten-Analyse von Bloomberg zufolge war das Schiff auf dem Weg ins Mittelmeer, offenbar unbeladen und ohne angegebenes Ziel.
So einfach wie bei der Schattenflotte für Öltransporte ist eine Verschleierung der russischen Herkunft bei Flüssiggas demnach allerdings nicht. Zum einen muss die Besatzung für die extrem gekühlte Fracht technisch besser ausgebildet sein, zum anderen sind dafür weniger Schiffe geeignet, was wiederum die Nachverfolgung per Satellitendaten erleichtert. Außerdem lässt sich LNG auf hoher See schwerer auf ein anderes Schiff umladen als Öl.
„Endloses Katz-und-Maus-Spiel“
Mit ihrem neuesten Sanktionspaket versucht die EU auch, die Umgehung bereits verhängter Sanktionen zu unterbinden. Unter anderem Schiffe aus Putins Öl-Schattenflotte stehen nun auf der Liste. Die Hinweise auf eine LNG-Schattenflotte zeigen, dass es nicht die letzten Sanktionen gegen Russland gewesen sein dürften. Agathe Demarais von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations fasste es gegenüber Bloomberg so zusammen: „Sobald ein Netzwerk zur Umgehung von Sanktionen aufgebaut ist, wird es von westlichen Behörden ins Visier genommen und dann in einem endlosen Katz- und-Maus-Spiel durch ein anderes ersetzt.
Russische Analysten hatten mit Blick auf das aktuelle Sanktionspaket von einem Schlag gegen LNG-Produzenten gesprochen. Allerdings seien die Sanktionen vergleichsweise weich. Und es gebe eine Übergangszeit – die es russischen Unternehmen ermögliche, wie etwa beim Ölembargo neue Abnehmer und alternative Routen zu finden.