Alsdann: Wie steht es um die „acuity“ von Donald Trump, die intellektuelle Schärfe des 78‑Jährigen? Bei seinen Auftritten erzählt er immer seltsamere Geschichten. Macht nichts, sagen manche: Wenn er jetzt zusehends abbaue, werde er als Präsident leichter steuerbar sein. Donald Trump (78) und Joe Biden (81) haben bei allen politischen Gegensätzen eins gemeinsam: Beide machen ihre Berater nervös, wenn sie zu längeren, frei formulierten Erklärungen ansetzen. Die alten Herren verwechseln gern mal was. Zwei harmlose Fälle: Biden warnte vor laufenden Kameras die israelische Regierung davor, „in Haifa einzumarschieren“.Das ist eine Hafenstadt im Norden Israels. Biden meinte Rafah im Süden des Gazastreifens. Donald Trump wiederum warnte Biden vor einer Politik, die „am Ende in einen Zweiten Weltkrieg hineinführt“ – und den hatten wir auch schon
Was die Vereinigten Staaten bewegt
Bliebe alles immer auf der Ebene von bloßen Wörtern, genauen Bezeichnungen und Namen, könnte man immer noch sagen: geschenkt. In jüngster Zeit aber gehen bei Trump die Aussetzer über reine Versprecher hinaus. Immer häufiger erlebt man den früheren Präsidenten bei sogenannten Konfabulationen. Darunter verstehen Mediziner die plötzliche Hinwendung des Redners zu erfundenen oder hergeholten Begebenheiten oder Erwägungen, die in keinem Zusammenhang zur Realität stehen oder zum eben noch Gesagten. Es ist die Neuauflage des Präsidentschaftswahlkampfs 2020 – mit vertauschten Rollen: An zwei Terminen noch im Juni und im September liefern sich US-Präsident Joe Biden und sein republikanischer Vorgänger Donald Trump eine Debatte im US-Fernsehen. Was Sie dazu wissen müssen, fassen wir hier zusammen.
- Die Fabel vom Hai: In einer Rede in Las Vegas warnte Trump dieser Tage vor einem Zwang zum Einbau von Elektromotoren in kleine Boote – und steigerte sich dann hinein in eigenartige Phantasien über ein sinkendes Boot, das einem am Ende nur die schicksalhafte Wahl lasse, entweder einem Hai zum Opfer zu fallen oder den gefährlichen elektrischen Schlägen der Batterie. „Wisst ihr, was ich tun würde, hätte ich die Wahl zwischen einem Haifisch und einem Stromschlag? Ich würde jeden Tag den Stromschlag wählen. Ich nähere mich niemals einem Hai.“ Es war ein heißer Tag. Manche unentwegte Fans spendeten an dieser Stelle noch matten Applaus. Aber Hand aufs Herz: Was sollte diese Bemerkung eigentlich?
- Die Fabel vom Wal: Die Hai-Geschichte erscheint als Fortsetzung abwegiger Argumentationslinien gegenüber kohlendioxidfreien Technologien. Im vorigen Jahr hatte Trump bereits einen Zusammenhang zwischen der Nutzung der Windenergie und dem Tod von Walen hergestellt, die wegen rotierender Windräder nicht mehr anders können als aufzutauchen und am Strand zu sterben: „Die Windmühlen machen sie fertig.“ Der Harvard-Psychiater Lance Dodes sieht überwältigende Hinweise auf Demenz: „Im Gegensatz zum normalen Altern, das durch das Vergessen von Namen oder Wörtern gekennzeichnet ist, zeigt Trump wiederholt etwas ganz anderes: Verwirrung über die Realität.“
- Die Fabel von Nikki Haley: Als die frühere US‑Botschafterin bei den Vereinten Nationen noch parteiintern gegen ihn kandidierte, erzählte Trump seinen Fans, Nikki Haley sei, was viele gar nicht wüssten, beim Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2022 die Verantwortliche für die Sicherheit im Kongress gewesen. „Wir haben ihr zehntausend Soldaten angeboten, aber sie hat es abgelehnt.“ Dies alles werde unterschlagen, die Gegenseite habe sogar Beweise dafür systematisch vernichtet. In Wahrheit war Haley damals weder in Washington noch gehörte sie dem Kongress an. Hatte Trump sie mit Nancy Pelosi verwechselt, der damaligen Mehrheitsführerin? Trump nennt den Namen Haley viermal. Und wenn man Pelosi einsetzt, stimmt die Geschichte auch nicht.
Haley selbst stellte nach dem Vorfall Trumps Eignung, öffentliche Ämter zu bekleiden, öffentlich infrage. Allerdings hat sie inzwischen erklärt, sie werde als loyale Republikanerin eine Kandidatur Trumps unterstützen. Hegt sie die Hoffnung, trotz aller Aversionen zwischen ihr und Trump doch noch Vizepräsidentschaftskandidatin zu werden? Ist dies gar begleitet von Überlegungen, in diesem Fall schon bald die wahre Entscheidungsträgerin im Weißen Haus zu werden? Die Entscheidung über den „VP“ müsste Trump in Kürze fällen.
„Milwaukee ist eine schreckliche Stadt“
Zu jüngsten Irritationen trug Trump durch einen Hinterzimmer-Auftritt bei republikanischen Freunden in Washington bei. Dort stöhnte er nach Angaben von Teilnehmern, Milwaukee, wo sich die Republikaner zu ihrem nationalen Kongress im Juli versammeln werden, sei „eine schreckliche Stadt“.
Die Metropolregion Milwaukee mit ihren 1,7 Millionen Einwohnern dominiert den wichtigen Swing State Wisconsin. Bürgermeister Cavalier Johnson reagierte laut NBC schnell und messerscharf: „Es ist seltsam, dass Trump die größte Stadt in Wisconsin beleidigt. Wollte er nicht eigentlich Wisconsin gewinnen und Präsident werden?“ Joe Biden, nicht faul, schrieb sofort auf X: „Ich liebe übrigens Milwaukee.“
Trumps Republikaner beeilten sich nun mit dem Hinweis,
so habe Trump es gar nicht gesagt
Lediglich habe er über die wachsende Kriminalität in Milwaukee gesprochen. Dort liegt allerdings die Mordrate aktuell 39 Prozent unter Vorjahr, schon 2023 ging sie um mehr als 20 Prozent zurück. Unterm Strich bleibt es, wie man es dreht oder wendet, bei einem vom Kandidaten persönlich erzielten Eigentor für die Republikaner in einer politisch extrem umkämpften Region.
„Immer häufiger – und darin liegt das Kernproblem,
bekommen Trumps Äußerungen etwas Ungezieltes und Breiiges“.
Zwar gehen ihm zu Beginn seiner Reden seine sattsam bekannten ausländerfeindlichen Sprüche noch immer locker von der Zunge. Tag für Tag wiederholt er zum Beispiel Wort für Wort, die USA seien wegen offener Grenzen im Süden „zu einer Mülldeponie verkommen für Menschen, die man anderswo nicht gebrauchen kann, die aus Gefängnissen oder aus psychiatrischen Einrichtungen“ kommen. Kurz danach beginnen dann immer wieder variantenreiche Passagen ohne Kohärenz und ohne klare Botschaft.
„Cheap fakes“ gegen Biden sind entlarvt
Hinter verschlossenen Türen ist es offenbar nicht besser. Nach einem Treffen mit Wirtschaftsspitzen Anfang Juni wurde berichtet, Trump habe seine Anmerkungen oft „nicht richtig zu Ende geführt“. Gegenüber dem Wirtschaftskanal CNBC malten anschließend mehrere CEOs unter der Bedingung, sich vertraulich und anonym äußern zu dürfen, ein düsteres Bild von der Begegnung: Trump habe „keinen klaren Gedanken fassen können“ und Themen „quer durch den Garten“ angeschnitten. Wirtschaftsreporter Andrew Ross Sorkin fasste seine Hintergrundgespräche mit den Managern so zusammen: „Das waren Leute, die ihm gegenüber tatsächlich empfänglich waren und den Raum weniger empfänglich verließen.“
In den ersten Wahlkampfmonaten hatte der Eindruck dominiert, vor allem Biden, der als früherer Stotterer nie perfekt sprach, leide an Ausfallerscheinungen. Höhnisch weiden sich Bidens Gegner zudem daran, dass der von Arthrose geplagte 81‑Jährige sich beim Gehen langsam bewegt. Altersprobleme wurden deshalb insgesamt eher Biden zugeschrieben.
In jüngster Zeit aber dreht sich etwas in den politisch relevanten Wahrnehmungen
Immer häufiger werden Social-Media-Attacken auf Biden als Fakes entlarvt. Dabei fällt die Schnoddrigkeit der rechten Szene auf: Oft bemühen sich die Feinde des Präsidenten nicht um aufwändige „Deep Fakes“, sondern geben sich mit „Cheap Fakes“, zufrieden, etwa der manipulativen Nutzung bestimmter Kamerawinkel. Zusammenschnitte vom G7-Gipfel in Italien etwa sollten den Eindruck erzeugen, Biden sei auf unerklärliche Weise von der Gruppe der Regierungschefs weggewandert – in Wirklichkeit sprach er für einen Moment mit Soldaten, die gerade eine Fallschirmübung absolviert hatten.
Trumpisten leben in einer eigenen, einer anderen Welt
Trump hat in der Altersdebatte drei Startvorteile. Erstens wird er nicht auf so wahrheitswidrige Weise angegriffen. Zweitens kommt er mit Solarium-Gesicht, gereckter Faust und Bleaching-Lächeln äußerlich noch immer dynamischer als Biden in den Saal. Drittens hilft Trump wie ein Schutzmantel der Umstand, dass er immer schon gelegentlich zum Kopfschütteln Anlass gegeben hat. Seine Fans haben seit vielen Jahren Übung darin, ihm beschwichtigend Deckung zu geben, wie einem Onkel, der bei der Familienfeier mal wieder etwas Seltsames gesagt hat.
Trump, der neue Jesus
Amerikas religiöse Rechte stellt Donald Trump als neuen Messias dar. Evangelikale Eiferer beschreiben Justiz und Medien zunehmend wie Werkzeuge des Satans: Trumps lange Liste von Missetaten soll im Nebel eines Glaubenskriegs verschwimmen.
Politikexperten bei den Republikanern allerdings sind besorgt. Laut „Punchbowl“ – einem Insidermedium in Washington – zweifeln unter bekennenden republikanischen Politikprofis 66 Prozent an Trumps geistiger Eignung fürs Präsidentenamt.
Hilft Trumps Unschärfe am Ende –
ungewollt dem Westen?
In Nato-Kreisen zirkuliert neuerdings die Deutung, Trumps nachlassende intellektuelle Schärfe biete womöglich auch Vorteile. Der frühere und mögliche künftige Präsident werde damit im Fall seiner Wiederwahl leichter durch sein Umfeld zu steuern sein, heißt es – solange man ihn denn im Glauben lasse, er sei der große Entscheider. Einerseits ist dies eine wahrhaft albtraumhafte Vorstellung. Andererseits ist die Geschichte nicht ohne Beispiele dafür, dass es eine Weile gut gehen kann, wenn sich bei Hofe kluge Berater um die schwächelnde Majestät scharen.