Der rechte TV-Propagandist Tucker Carlson, der selbst für Fox News zu extrem gewesen war, feierte Assange als „guten Mann“ und unkte: „Die Gezeiten wechseln!“ Von führenden Demokraten oder gar dem Weißen Haus gab es hingegen zunächst keine öffentlichen Reaktionen. Das eigenartige Stimmungsbild kommt nicht überraschend. Mehr noch als anderswo in der Welt polarisiert der schillernde Australier in den USA.
Die Regierungen von Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden sahen ihn offiziell als Spion und Verräter, weil er 2010 auf seiner Enthüllungsplattform Wikileaks eine halbe Million geheimer US-Militärdokumente vor allem über die Einsätze im Irak und in Afghanistan veröffentlichte und damit das Leben von US-Soldaten gefährdete. Rechte Verschwörungsideologen hingegen feiern ihn als Verbündeten im Kampf gegen den „Deep State“. Moderatere Stimmen werten seine Inhaftierung als Dammbruch und Gefahr für den investigativen Journalismus.
Fragwürdiges Engagement
Doch das Assange-Bild in den USA wird überlagert durch dessen fragwürdiges Engagement im Wahlkampf 2016, als Wikileaks zehntausende vertrauliche Dokumente veröffentlichte, die bei den Demokraten gestohlen wurden und deren Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton eindeutig schadeten. Nach Erkenntnissen des Sonderermittlers Robert Mueller waren die Unterlagen von russischen Hackern entwendet worden. Auch soll es Absprachen zwischen Assange und der Trump-Familie zu den Veröffentlichungen gegeben haben. „Wikileaks! Ich liebe Wikileaks!“, rief Donald Trump damals im Wahlkampf aus.
Der damalige CIA-Direktor Mike Pompeo sah dies anders. Er stufte Wikileaks als „nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst“ ein. Im Jahr 2019 eröffneten die USA die offizielle Anklage. Heute scheint nur noch der damalige Vizepräsident Mike Pence bedingungslos dahinterzustehen. „Julian Assange hat das Leben unserer Soldaten in Kriegszeiten gefährdet und hätte im vollen Umfang des Gesetzes strafrechtlich verfolgt werden müssen“, postete er am Montagabend bei X. Präsident Biden befand sich in einem Dilemma. Bei seinem Besuch im vergangenen Oktober hatte der australische Premierminister Anthony Albanese nach US-Medienberichten darauf gedrängt, den Fall des seit 2010 Inhaftierten beizulegen. Republikanische Abgeordnete machten Druck.
Kompromiss aus Kalkül
Auch namhafte Presseorgane forderten aus Sorge vor einer Gefährdung des investigativen Journalismus, die Anklage fallenzulassen. Im März berichtete das Wall Street Journal über Gespräche zwischen dem US-Justizministerium und Assanges Anwälten. Doch ein möglicher Deal, der eine bis zu 170-jährige Haftstrafe in den USA abwendet, stieß auf zwei Schwierigkeiten: Assange wollte keinesfalls US-Staatsgebiet betreten. Die Staatsanwaltschaft aber wollte sein Vergehen nicht zur Ordnungswidrigkeit herunterstufen.
Das jetzige Verfahren stellt einen Kompromiss dar: Assange bleibt die Einreise aufs US-Festland in den Bundesstaat Virginia erspart, wo sein Fall anhängig ist. Stattdessen sollte er sich im US-Außengebiet Nördliche Marianen im westlichen Pazifik – quasi auf dem Heimweg nach Australien – eines Verstoßes gegen das US-Spionagegesetz schuldig bekennen. Die vereinbarte Strafe von 62 Monaten wäre aufgrund seiner Zeit in der Untersuchungshaft abgegolten. Mit dem Deal kann die Biden-Regierung das jahrelange Justizdrama gesichtswahrend beenden. Zugleich verlieren die Herausforderer des Präsidenten im Wahlkampf ein mögliches Thema. Trump hatte in einem Interview zuletzt angedeutet, dass er Assange nach einem möglichen Wiedereinzug ins Weiße Haus begnadigen wolle. (Washington, 25.6.2024)