Einst war sie als Postbote der Lüfte beliebt, jetzt gilt sie als Gefahr für Mensch und Bausubstanzen: Die Taube ist aus unserem Stadtbild nicht wegzudenken. Woher kommt sie? Und ist sie wirklich so schlecht wie ihr Ruf? Viele Fans jedenfalls hat die Stadttaube nicht: Die einen fürchten um ihre frisch gewaschenen Autos, den anderen vergeht der Appetit, wenn sie im Café den Nebentisch belagert. Übertragen sie nicht schlimme Krankheiten?
Leiden die Denkmäler und Straßen unserer Stadt nicht unter ihren ätzenden Hinterlassenschaften?
Die Ablehnung der Stadttaube ist ähnlich weit verbreitet wie Halbwissen und Mythen um unseren gefiederten Nachbarn. In den folgenden Absätzen erfahren Sie, wie viele Stadttauben überhaupt durch unsere Straßen flattern und welche Maßnahmen dazu beitragen, ihren Bestand nicht weiter anwachsen zu lassen. Es geht um die Risiken für unsere Gesundheit und um die Frage, welche Bausubstanzen unter ihrem Kot leiden. Doch zuallererst: Wo nimmt die Geschichte von Taube und Mensch eigentlich ihren Anfang?
Woher kommen die Stadttauben?
Die Geschichte beginnt an steilen Klippen, felsigen Küsten und Höhlen: Dort nämlich lebt die Felsentaube (Columbia livia livia), die Großmutter aller Stadt- und Straßentauben, noch heute – in Europa, Nordafrika und Südwestasien. Bereits vor 4000 Jahren wusste man den Orientierungssinn der standorttreuen Tiere zu nutzen: Die Felsentaube wurde domestiziert und zur Brieftaube erzogen – hoch geschätzt in der Zeit des Alten Ägypten bis zum Beginn der motorisierten Luftpost.
Im 20. Jahrhundert hatten die gefiederten Boten ausgedient
Einige wurden freigelassen, andere hatten sich schon Generationen zuvor in den Straßen und Gassen verirrt. Und reichte dort das Essen für Mensch und Tier, wurde sie zum Massenphänomen: Die Stadttaube – auch Straßentaube – war gekommen, um zu bleiben. Nicht als Wildtier, sondern als Haus- und Brieftaube von einst, die die Nähe zum Menschen nicht scheut.
Wie viele Stadttauben gibt es weltweit und in Deutschland?
Forscher gehen davon aus, dass weltweit zwischen 165 und 330 Millionen Stadttauben existieren. Bis zu etwa 600.000 davon leben in Deutschland. Zum Vergleich: Rund zwölf Millionen Haussperlinge („Spatzen“) fliegen durch Deutschlands Gärten und 630 Millionen Hühner werden bei uns jährlich geschlachtet.
Blickt man in die Straßen unserer Großstädte, zeigt sich folgendes Bild: Mindestens 10.000 Stadttauben leben schätzungsweise in Berlin, also kommt rund eine Taube auf 380 Einwohner. Deutlich mehr sind es in Hamburg mit rund 25.000 Vögeln, also circa eine Taube auf 76 Einwohner. Doch auch das ist weit entfernt vom Taubenhotspot Paris: Dort herrscht ein Verhältnis von rund einer Taube auf 25 Menschen.
Wo halten sich die Tauben am liebsten auf?
Derweil die meisten unserer Gartenvögel ihre Nester in Baumkronen errichten, ist das den Stadttauben in der Regel nicht möglich – schließlich brüteten ihre Vorfahren an felsigen Vorsprüngen und in Höhlen. Demnach sucht die Stadttaube Plätze auf, die diesem natürlichen Bedürfnis am nächsten kommen: Fenstersimse, Dächer, kleine, höher gelegene Räume, die zum Beispiel durch Fenster erreichbar sind.
Welchen Schaden richten die Tauben an?
Stadttauben sind berüchtigt für den Dreck, den sie hinterlassen. Genauer gesagt: ihren Kot, der Häuserfassaden und Denkmäler nicht nur beschmiert, sondern durch verätzende Säure zerstören würde. Die ästhetische Beeinträchtigung ist Konsens, doch bei der nachhaltigen Beschädigung der Bausubstanz mahnen wissenschaftliche Studien zur Vorsicht.
Zwei Untersuchungen sind hier zu nennen: Das australische Team um Maggie J. Watson von der Charles Sturt University zweifelt nicht an der Beschädigung öffentlicher Gebäude durch säurehaltige Vogelexkremente. Die Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass die Ausscheidungen einen erheblich größeren Schaden anrichten können, wenn die Tauben mit artfremder Nahrung wie Brot oder Kuchen gefüttert werden – im Vergleich etwa zu Körnern. Erschienen sind ihre Ergebnisse 2017 im Fachblatt „International Journal of Building Patholoy and Adaptation“.
14 Jahre zuvor war ein Prüfungsbericht
der Technischen Universität Darmstadt erschienen
Der Bericht stellte die schädlichen Auswirkungen des Kots auf viele Materialien grundsätzlich infrage. Die Forscher brachten zwölf verschiedene Bausubstanzen aus Stein, Holz und Blech mit den Taubenexkrementen in Kontakt und stellten fest: Weder Granit noch Zementmörtel, weder Buntsandstein noch Vollklinker, Nadelholz oder Travertin nehmen sichtbaren Schaden. Einzig das Blech hatte sichtbar darunter gelitten, und zwar sowohl Kupfer als auch Stahl- und Bronzeblech.
Pardon, hier nicht: Zu den häufigsten Maßnahmen der „Vergrämung“ gehört das Anbringen von Dornen, die es Tauben nur unter Schmerzen ermöglichen, auf Oberflächen zu sitzen oder zu brüten.
Können Tauben Krankheiten an den Menschen übertragen?
Verhasst als „Ratten der Lüfte“ stehen Tauben oft im Verdacht, für Menschen ein beachtliches Gesundheitsrisiko darzustellen. Und tatsächlich können sie Krankheiten auf den Menschen übertragen – wie nahezu jedes andere Tier auch. „Da theoretisch jedes mit Krankheitserregern infizierte oder kontaminierte Tier diese Erreger auch auf den Menschen übertragen kann“, schreibt das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) 2001 in einer Stellungnahme, „können Maßnahmen gegen Gesundheitsschädlinge vernünftigerweise nur dann erlassen werden, wenn besondere Voraussetzungen vorliegen.“
Für sich genommen seien Stadttauben nicht gefährlicher als „Nutz- und Liebhabertiere wie Katzen, Hunde und Ziervögel“, vermeldete das Institut. Das heißt aber gleichzeitig, dass dort, wo höhere Hygienekriterien gelten, Stadttauben – wie jedes andere Tier – zum Problem werden können – etwa, wenn ihre Ausscheidungen mit dem Essen auf der Restaurantterrasse in Kontakt treten. Eine Pilzinfektion kann auch über die Atemwege geschehen, wie ein Fall aus dem schottischen Glasgow 2019 zeigt: Durch feine Risse in der Decke eines Krankenhauses drangen Pilzsporen, die im Taubenkot nachgewiesen werden konnten, unsichtbar in die Klinik. Zwei Patienten infizierten sich mit dem Erreger. Ein Kind starb, begünstigt durch den Pilz.
Die meisten Krankheiten, die die Tauben in sich tragen, sind wirtsspezifisch, können dem Menschen also eher nicht gefährden. Doch von bakteriellen Erregern zu viralen Infekten, von Zecken über Milben bis Würmer, kann ein enger Kontakt durchaus zur Übertragung mit Folgen führen – vor allem in geschlossenen Räumen und bei eingeschränkter Immunabwehr, wie das Beispiel des Krankenhauses unterstreicht.
Wie werden Tauben meist bekämpft?
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Mensch kaum ein Mittel unversucht gelassen, die Stadttaube zu bekämpfen, sie zu töten oder es ihr zumindest möglichst unbequem zu machen. Einbuchtungen an Kirchen werden mit Gittern verhangen, Fenster mit Netzen bedeckt. An vielen Vorsprüngen oder auf Anzeigetafeln ragen „Taubenspikes“ in die Höhe, dünne Nägel, die die Tauben entweder vertreiben oder ihnen – bei Platzmangel – oft große Verletzungen zufügen.
Andere setzen auf Klebepasten, die – wie etwa der Nabu Leipzig berichtet – auch Turmfalke und Kohlmeise das Gefieder und die Krallen verklebt. Im Hauptbahnhof der Hansestadt Lübeck installierte die Stadt 2021 ein Klebeband, das – einem Weidezaun gleich – mit elektrischen Impulsen arbeitet. Die erhoffte Wirkung blieb bislang aus.
Auch andere Ideen, die weniger martialisch als Stromschlag und Spieß anmuten, bleiben oft größtenteils erfolglos. Die Verabreichung von Hormonpräparaten an die Tiere zwecks Verhütung kann sich negativ auf Fressfeinde wie Silbermöwe oder Greifvögel auswirken. Die gezielte Jagd von Tauben durch den Einsatz dressierter Greifvögel ist zu kleinteilig. Wieder andere Methoden rufen in der Gesellschaft große Empörung hervor. Zuletzt gelangte das hessische Limburg in die Schlagzeilen: Man wollte der „Taubenplage“ per Genickbruch Herr werden.
Limburg will Tauben per Genickbruch töten lassen
Limburg wählt für sein Taubenproblem eine rabiate Lösung und gerät so in einen bundesweiten Proteststurm. Nun soll ein Bürgerentscheid den Ausschlag geben. Darf der Mensch unliebsame Tiere einfach beseitigen?
Privatleute, die ihren Fenstersims nicht mit einem gurrenden Untermieter teilen wollen, können kleine Windmühlen, flatternde Bänder, Windspiele oder Krähenattrappen installieren. Auch blendende Lichtreflexionen durch alte CDs oder spezielle Abwehrbänder könnten helfen. In der Stadt dagegen, wo sich zahlreiche Tauben auf geringen Platz verteilen, braucht es andere Mittel – und auch dort gibt es Maßnahmen, die den Tieren kein Leid zufügen.
In immer mehr deutschen Städten werden Taubenschläge, auch Taubenhäuser aufgestellt: Bauten in verschiedenen Größen, in denen die Tiere eine kontrollierte Bleibe finden. Städte wie Regensburg und Augsburg haben mit dieser Methode – trotz lokaler Rückschläge – seit Langem Erfolg. Um die Population zu reduzieren – oder zumindest nicht noch weiter ansteigen zu lassen, – werden viele der dort gelegten Taubeneier durch Attrappen ersetzt. Wichtig ist dabei aber auch, dass ausreichend Küken schlüpfen. Sonst suchen sich die Tauben einen erfolgreicheren Nistplatz.
Und nicht nur beim Nistplatz sollten die Alternativen nicht zu attraktiv sein: Damit die Tauben ihre überwachten Behausungen überhaupt annehmen, dürfen sie außerhalb des Taubenschlags nicht mehr gefüttert werden. In vielen Städten drohen Taubenfütterern hohe Bußgelder – in Hamburg, Braunschweig und Stuttgart sogar bis zu 5000 Euro. So verlockend es also sein kann, dem gefiederten Stadtbewohner ein Stück vom Franzbrötchen abzugeben: Schlussendlich kommt das weder dem Tierwohl zugute noch der Bausubstanz – oder dem eigenen Portemonnaie.