Die üblichen Verdächtigen streiten sich immer mal wieder darum, wie man den deutschen, den autochthonen Antisemitismus gegen den importierten wie und ob ausspielen könne – und umgekehrt. Kritik am islamischen oder wenigstens islamistischen Antisemitismus wird in der deutschen linken Öffentlichkeit gern als „Rassismus“ abqualifiziert, etwa wenn derzeit die ekelhaften Unterstützerdemos von Palästinensern auf deutschen Straßen kritisiert werden. Zugleich wird mit der Betonung des importierten Antisemitismus von der eigenen judenfeindlichen Tradition abgelenkt, die erheblich lebendiger ist, als viele es wahrhaben wollen.
In dieser Lesart bestand die größte Verfehlung des assimilierten Juden darin, dass man ihn letztlich nicht mehr vom Nichtjuden unterscheiden konnte, was ihn erst recht zu einem Monster werden ließ. Richard Wagner sagt es in seinem Pamphlet über Das Judenthum in der Musik geradezu zeitlos: „Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden, heißt für den Juden aber zu allernächst so viel als: aufhören, Jude zu sein“ – will heißen: endlich aufhören, einerseits etwas Besonderes sein zu wollen, andererseits ein universalistisches, übernationales Merkmal zu tragen. Hier ging es noch um eine bloß semantische Vernichtungsfantasie.
Die ganze Diskussion, ob der Antisemitismus von hier stammt oder aber von Migranten eingeführt wird, ist dummes Gerede. Die Wurzeln beider sind sich logisch sehr ähnlich – man kann es vor allem an jenen studieren, die den postkolonialen, sich für universalistisch haltenden „Befreiungskampf“ der Hamas wenn nicht für sympathisch, so zumindest für legitim halten. Denn die Denkfigur ist ganz ähnlich dem Judenhass der Wagners und wie sie alle heißen. Manche geraten, akademisch verbrämt, in einen irrationalen Judenhass, weil sie in Israel die Ununterscheidbarkeit zu dem wahrnehmen, was sie selbst verachten: die marktwirtschaftliche Offenheit, die pluralistische Offenheit der liberalen westlichen Lebensweise, nicht zuletzt die Koalition mit Amerika. Mit Israel müsste man eine Staatlichkeit und Gesellschaftlichkeit verteidigen, die der eigenen Lebensform, die stets und wohlfeil Gegenstand von Kritik ist, allzu ähnlich ist.
Nur vor diesem Hintergrund konnten Terrororganisationen wie die Hamas und die Hisbollah, vorher die PLO und andere, für linke Befreiungsbewegungen gehalten werden – und nur vor diesem Hintergrund ist womöglich zu erklären, warum in vielen Medienberichten die Terroristen als „Kämpfer“ auf Augenhöhe markiert werden oder eine ominöse „Spirale der Gewalt“ beklagt wird. Ein Zeitungskommentar einer süddeutschen Zeitung konnte sich kaum der klammheimlichen Freude enthalten, dass es nun die Regierung Netanjahu getroffen hat.
In der Kritik am jüdischen Israel schwingt der antikapitalistische Reflex gegen das internationale Finanzjudentum mit und ebenso ein eher ungeklärtes Verhältnis zu einer wehrhaften Frontstellung gegenüber autoritären und autokratischen Formen. Die Rahmung des Ganzen als rassistisch ist am Ende nur eine ironische Brechung der historischen Rassifizierung des Jüdischen in unserer eigenen Geschichte.