In der Limmatstadt geht demnächst das erste Langlebigkeits-Zentrum des Landes auf, weiss die «NZZ am Sonntag». Rund um den Globus pumpen Investoren derzeit Unsummen in den neusten Megatrend, Longevity. Die Aussicht auf ein langes, gesundes Leben basiert auf solider Wissenschaft – zumindest meistens.
Lässt sich seine Obsession, ewig jung zu bleiben, 2 Mio. $ im Jahr kosten: Bryan Johnson.
Den Wunsch nach Unvergänglichkeit hegen Menschen schon seit Jahrtausenden. Aber wie gewohnt sind es Tech-Unternehmer im Silicon Valley, die den Traum in die Realität umsetzen wollen. Das heisst dann Longevity. Bryan Johnson etwa, der eine von ihm aufgebaute Firma für 800 Mio. $ verkaufen konnte, lässt sich seine Obsession, ewig jung zu bleiben, 2 Mio. $ im Jahr kosten. Sein Lebensmotto lautet: «Don’t Die».
Er hat sich selbst auch schon als «Open-Science-Projekt» bezeichnet, da er seine Interventionen, die täglichen Mahlzeiten und Vitaldaten konsequent ins Netz stellt. Johnson unterzieht sich täglich einem strengen 2250-Kalorien-Regime, schluckt über 100 Pillen und macht eine Stunde Sport – dazu kommen jede Menge exotischer Interventionen wie Laser-Hauttherapien und konstante Tests. Der Körper von Johnson altert laut eigenen Angaben in einem Jahr nicht um 365, sondern lediglich um 252 Tage.
Ein Longevity-Zentrum in Zürich
Doch nun rückt die Aussicht auf ein langes, gesundes Leben auch ganz nahe. In die Zürcher Innenstadt, um genau zu sein: Anfang nächstes Jahr eröffnet die Firma Ayun an der Uraniastrasse ein sogenanntes Longevity-Zentrum auf 580 Quadratmetern. Das Angebot: personalisierte Gesundheitsvorsorge, basierend auf Blut- und Genanalysen sowie weiteren Tests. Dazu natürlich eine breite Auswahl an Langlebe-Behandlungen unter der Aufsicht von spezialisierten Ärzten: Sauerstoff- und Rotlicht-Therapien, Kältekammern, Infusionen usw. Allesamt Interventionen, für deren Wirksamkeit es Evidenz gibt.
Denn Wissenschaftlichkeit steht ganz im Zentrum der Langlebigkeits-Bewegung, deren eifrigste Jünger sich als «Biohacker» bezeichnen. Es handelt sich um eine junge Disziplin: «Die Longevity-Forschung im engeren Sinne, die sogenannte Geroscience, entstand erst 1993», sagt Ewald Collin, der an der ETH Zürich an Strategien zur Verbesserung der menschlichen Lebenserwartung forscht. «Damals gelang es Forschern der University of California, San Francisco, die Lebensspanne von Fadenwürmern zu verdoppeln. Danach konnten auch Mäuse und menschliche Zellen verjüngt werden.»
So spektakulär diese Durchbrüche sein mögen: Sie lassen sich womöglich nicht eins zu eins auf Menschen übertragen. Dennoch begeistert das Thema Longevity bereits viele Laien, die sich auf Social Media über neue wissenschaftliche Paper und die besten «Protokolle» austauschen. Gemeint sind damit alle konkreten Massnahmen, die sie täglich gegen das Altern ergreifen: von Intervallfasten, Sporteinheiten und Eisbaden über die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln bis zur morgendlichen Tasse Matcha-Grüntee. Longevity kann zum Lifestyle werden.
Altern als behandelbare Krankheit
Für diesen Hype sind auch Forscher wie etwa der Genetik-Professor David Sinclair von der Harvard Medical School verantwortlich. Sinclair, der ein vielbeachtetes Buch geschrieben hat («Das Ende des Alterns»), erregt regelmässig mit gewagten Prognosen Aufmerksamkeit. Sinclair behauptet etwa, dass bereits erste Menschen auf der Welt seien, die dereinst 150 Jahre alt würden. Für ihn ist Altern nicht gottgegeben, sondern eine behandelbare Krankheit.
Weil die Amerikaner Meister der Kommerzialisierung sind – auch Sinclair mischt da kräftig mit –, spriessen in den USA immer neue Longevity-Firmen aus dem Boden. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis auch in der Schweiz Unternehmer auf den Zug aufspringen würden.
Erstaunlich ist vielmehr, dass es in der Schweiz gleich zwei Risikokapitalfirmen gibt, die sich im Bereich Longevity als Seriengründer verstehen. Das Unternehmen Maximon, das hinter dem Longevity-Zentrum Ayun steht, hat auch noch vier andere Unternehmen auf die Beine gestellt: zum Beispiel Avea, eine Schweizer Firma, die Nahrungsergänzungsmittel für Langlebigkeit entwickelt. Sie hat nicht nur DNA-Tests im Angebot, sondern kann darüber hinaus auch das biologische Alter einer Person bestimmen – das nicht mit dem Alter im Pass übereinstimmen muss. Man kann schneller oder langsamer altern, so wie Millionär Bryan Johnson.
Maximon bezeichnet sich als «company builder» und will von nun an laufend neue Firmen gründen. «Longevity wird zum grössten Markt im 21. Jahrhundert. Jeder Mensch wird zum Longevity-Kunden – denn jeder Mensch will lieber jung und gesund bleiben als alt und krank werden», begründet Co-Gründer Tobias Reichmuth die ambitionierten Pläne.
Maximon organisiert in Gstaad jeweils die Longevity Investors Conference, deren hohe Eintrittspreise für einen exklusiven Teilnehmerkreis sorgen. Die Firma hat soeben einen «Longevity Valley Community Manager» engagiert, der auch einen nationalen «Swiss Longevity Campus» planen soll. Die Firma lädt am WEF zudem zu einem «Longevity Lunch».
Die andere Firma, die sich als Seriengründerin betätigt, ist Rejuveron. Wie Maximon verfügt auch sie über ein hochkarätiges Führungsteam und hat bereits fünf Pferde im Stall. Diese Jungfirmen teilen sich in Schlieren bei Zürich Büros und Forschungsinfrastruktur. Es handelt sich bei ihnen allesamt um Biotech-Firmen, die mit ihren Produkten die sogenannte Gesundheitsspanne von Menschen verlängern wollen.
Denn das primäre Ziel ist trotz der Bezeichnung Longevity nicht unbedingt, möglichst lange zu leben, sondern bis kurz vor Lebensende vital und frei von Krankheiten zu sein. So gesehen, könnte dieser Forschungszweig dereinst auch enorme Ersparnisse für unser überlastetes Gesundheitssystem bringen. Dieses wendet bekanntlich die meisten Mittel dafür auf, Krankheiten in Schach zu halten, die selbst im hohen Alter meist vermeidbar wären. Niemand muss Diabetes des Typs 2 bekommen. Es gibt auch keinen Automatismus, dass der Blutdruck mit der Anzahl Lebensjahre steigt.
«Viele Menschen gehen davon aus, dass mit dem Alter unausweichlich chronische Krankheiten und Gebrechen auftreten. Doch die Longevity-Forschung zeigt, dass dies nicht unabwendbar so sein muss», sagt Nilayini Vamatheva. Die Fachärztin für Innere Medizin führt nicht nur eine Hausarztpraxis, sondern arbeitet auch für den Zuger Risikokapitalgeber SNGLR. Dieser sammelt gerade Geld für einen spezialisierten Fonds ein. SNGLR will bis in zwei, drei Jahren ein Portfolio von rund zwölf europäischen Longevity-Jungfirmen aufbauen.
Vamatheva betont, dass der Traum von Longevity weder an unserem Erbgut noch an unserem Portemonnaie scheitern müsse. «Die Aussicht auf ein langes, gesundes Leben ist nur wenig von unseren Genen abhängig. Das meiste haben wir selbst in der Hand: Soziale Kontakte, genügend Bewegung und Schlaf, gesundes Essen oder die Reduktion von Stress tragen massgeblich zur Langlebigkeit bei.»
Pillen gegen das Altern
In den nächsten Jahren würden verschiedene medizinische Interventionen auf den Markt kommen, die den Alterungsprozess zusätzlich zu verlangsamen vermögen: etwa Stammzell- und Gentherapien oder senolytische Medikamente – also Arzneien, den dem Körper helfen, alte Zellen zu eliminieren. «Viele dieser Interventionen befinden sich aber noch in einem experimentellen Stadium», sagt die Ärztin.
«Eine unserer grössten Herausforderungen ist, dass das Altern noch nicht zur Krankheit erklärt wurde», sagt ETH-Forscher Ewald. «Das macht es schwierig, klinische Versuche aufzusetzen, weil es noch keine anerkannten biologischen Merkmale gibt, an denen Behandlungserfolge gemessen werden können.» Entsprechend schwierig sei es, klinische Studien zu finanzieren.
Auch andere Schweizer Hochschulen werden auf das Thema aufmerksam. Die Universität Zürich zum Beispiel verfügt seit zwei Jahren über ein «Healthy Longevity Center».
Die Geroscience mag noch um die Anerkennung der Gesundheitsbehörden ringen. Die Forscher sind sich ihrer Sache bereits sehr sicher: «Die Wissenschaft hat die Kennzeichen des Alterns identifiziert, und mit einer sogenannten epigenetischen Uhr können wir das biologische Alter eines Menschen recht zuverlässig bestimmen», sagt Ewald. Dieses weicht unter Umständen erheblich vom chronologischen Alter ab. Ewald zum Beispiel beziffert sein eigenes biologisches Alter auf 34 Jahre, das Alter in seinem Pass ist hingegen 42.
Unternehmen sind im Gegensatz zur Wissenschaft weniger auf langwierige Vergleichsstudien angewiesen, um ihre Produkte und Dienstleistungen einer bereitwilligen Käuferschaft anzubieten. Die Wirksamkeit ihrer Produkte ist vielleicht noch nicht restlich bewiesen oder quantifizierbar. Es reicht vorderhand, dass diese keinen Schaden anrichten.