Der Fall Digg ist ein gutes Beispiel für Basisdemokratie im Netz – und für ihre Grenzen,
Digg ist eine Nachrichtenseite des so genannten Web 2.0, ein Anbieter von Social Bookmarks. Digg lebt also mehr oder weniger davon, was seine Besucher dort veranstalten und wie sie sich untereinander fördern oder ausbremsen. Nun haben sie etwas veranstaltet, was den Betreibern ganz und gar nicht recht sein konnte.Ein Code zum Knacken des Kopierschutzes von HD DVDs und Blu-Ray-Discs wurde auf Digg publiziert. Zuerst isoliert in einem der unzähligen Digg-Blogs. Das fiel anderen Nutzern auf. Sie bewerteten ihn positiv, schnell schob er sich als beliebtes Posting in der Seitenhierarchie nach vorn. Dann war er weg, weil Digg eine Klage in Millionenhöhe befürchtete und ihn einfach rausschmiß.

Die Netzwelt jubelt

Doch es war zu spät. Andere User posteten den Beitrag von ihrem Account. Nach einem stundenlangen Wechselspiel zwischen den Benutzern und den Digg-Administratoren – posten, löschen, posten, löschen – griff schließlich der Unternehmensgründer Kevin Rose ein und gab den Benutzern Recht. Man werde nun keine Beiträge mehr löschen, die den Code enthalten oder auf ihn verlinken, «was auch immer die Konsequenzen sein werden.»

Anders gesagt: Digg bekam die Macht seiner Besucher zu spüren und hat dieser nachgegeben. Das ist erfreulich und mutig. Das ist aber auch nur logisch. Verweigerte ein Unternehmen, das voll auf der Mitmachwelle surft, seinen Benutzern, das zu tun, was sie wollen, dann könnte es gleich dichtmachen. Es gibt genug solcher Angebote – der Schwarm zieht dann einfach weiter.
Seither wird in den Blogs und Foren der Netzwelt gejubelt, was das Zeug hält. Von der Macht der Basisdemokratie ist die Rede, von einem überwältigenden Sieg der Kleinen gegen die Großen, sogar das Wort Revolution macht die Runde. Kritische Stimmen warnen vor einem blinden Vertrauen in die Masse und geben zu bedenken, daß das Vertrauen auf Mehrheiten allein unter Umständen auch zur Wiedereinführung der Todesstrafe in Europa führen könnte. Mit diesem Argument hat sich schon jede politische Initiative herumschlagen müssen, die sich für mehr direkte Demokratie einsetzt.

Das Gegenargument lautete dann meist: direkte Demokratie ist nicht isoliert zu betrachten, sie steht in einem Kontext. Es sei die Aufgabe von Politik, Medien und Gesellschaft ein Klima zu erzeugen, das eine reaktionäre Inanspruchnahme von Formen der direkten Demokratie verhindere.
Hier ist nun jeder gefragt, und zwar auf eine Art, die weit über das simple Weiterverbreiten von Texten oder Links hinausgeht. Der Fall Digg macht neben der Macht der User noch etwas ganz anderes klar: Mitbestimmung setzt voraus, auch die Mitbestimmungsrechte Anderer zu achten.

Basisdemokratie im Sinn des Wortes

Am Beispiel von HD DVDs bedeutet das: Das Recht eines Schauspielers für seine Arbeit anständig bezahlt zu werden ist ebenso viel wert, wie das Recht, den Film, in dem er mitspielt, sehen zu können, und zwar wo und wie oft man will und für möglichst wenig Geld – am besten sogar umsonst. Es gibt, gerade in den USA, nicht wenige Künstlerorganisationen, die schon länger dafür eintreten, mit der bisherigen Copyright-Praxis der großen Unterhaltungskonzerne zu brechen und sich auf ein neues Vergütungssystem zu verständigen.

Ein anderes Beispiel sind die Medien. Das Recht des Journalisten auf anständige Bezahlung für einen Artikel trifft auf das Recht, diesen Artikel zu lesen – wiederum am besten umsonst. Vielleicht musste der Leser dafür bisher eine Umgebung in Kauf nehmen, die stark von Werbung geprägt ist. Die Rechte des Autors sind im Urheberrecht geregelt. Dieses Recht unterscheidet sich vom Copyright dadurch, dass es den Autor schützt, während das Copyright eher für den Schutz wirtschaftlicher Investitionen zuständig ist.
Beides kann man aus guten Gründen in Frage stellen. Das geschieht derzeit immer öfter und selbst die mächtige Musikindustrie gerät ins Wanken. Eine Neuregelung kann aber auch bedeuten, dass die Rechte von Künstlern und Autoren weiter beschnitten werden oder ganz auf der Strecke bleiben. Damit das nicht passiert, wäre die Auseinandersetzung mit Künstlerorganisationen, Schauspielergewerkschaften oder, im Netz, der so genannten Creative Commons-Bewegung gut. Sie ist, wenn es um Filme, Musik, Texte u.a. geht, ein bedeutender Teil der Basis. Sie zu unterstützen, wäre ein Akt der Basisdemokratie, die dem Begriff gerecht wird.
Zur direkten Demokratie gehört auch, daß wir Ihnen der Anstoß der ganzen Debatte nicht vorenthalte, also den Code, mit dem Sie den Kopierschutz bestimmter DVDs und CDs umgehen können. Hier ist ein Link. Ob Sie ihm folgen oder nicht, entscheiden Sie.

http://netzpolitik.org/2007/die-verbotene-zahl/

got

Mai 2007 | Allgemein, InfoTicker aktuell, Junge Rundschau | Kommentieren