Arabeske maurische Stalaktiten der Alhambra in Granada

Am 20. August 1823 wurde „Almansor“, ein Theaterstück von Heinrich Heine (1797- 1856), im Nationaltheater am Hagenmarkt in Braunschweig uraufgeführt. Inszeniert hatte es der Intendant August Klingemann (1777-1831), dessen anonym erschienenes Buch „Die Nachtwachen des Bonaventura“ zu den Klassikern der deutschen Romantik zählt. Die Aufführung war ein Desaster. Zuschauer verließen schimpfend das Theater. Es kam zu keiner weiteren Vorführung. Bis heute nicht. Ein Misserfolg?  Rezensionen der Aufführung sind jedenfalls nicht erhalten. Antisemitismus mag vielleicht eine Rolle gespielt haben.

Alsdann: Warum wurde das Stück bis heute nicht mehr aufgeführt?

Die Handlung ist schnell erzählt. Sie spielt um 1500 in Granada. Spanien wurde von den Christen erobert. Die Muslime mussten Christen werden oder hatten das Land zu verlassen. Zwei Liebende wurden so getrennt. Er (Almansor) blieb Moslem und floh übers Mittelmeer zu seinen muslimischen Glaubensbrüdern. Sie (Zuleima) wird Christin, bleibt in Granada und wird am nächsten Tag einen christlichen Granden heiraten. Almansor ist zurückgekommen nach Granada. Aus Liebe zu seiner Heimat und zu Zuleima. Er sucht sie auf. Sie gestehen einander ihre Liebe. Hinter der Szene gehen Muslime und Christen mit Säbeln und Schwertern aufeinander los. Das Liebespaar stürzt sich verzweifelt von einem Felsen in den Tod.

Sie lachen und sagen: Gut, dass wir mit diesem Quatsch nicht belästigt werden. Es gibt noch einen weiteren ganz offensichtlichen Grund, das Stück nicht aufzuführen. Es besteht in erster Linie aus einem langen Dialog von Almansor und Zuleima. „Duett“ träfe die Sache besser. Der Text ist vom jungen Heinrich Heine. Man kann ihn kaum lesen, so süß ist er. Es gibt wohl niemanden, der ihn so sprechen könnte, dass man es schaffte, ihm und ihr zuzuhören.

Der Moslem Almansor sagt:

„Du sprachest aus, Zuleima, jenes Wort, / Das Welten schafft und Welten hält zusammen; / Du sprachest aus das große Wörtlein ‚Liebe‘ / Und tausend Engel singen’s jauchzend nach, / Und in den Himmeln klingt es schallend wider; / Du sprachst es aus, und Wolken wölben sich, / Dort oben hoch, wie eines Domes Kuppel, / Die Ulmen rauschen auf wie Orgeltöne, / Die Vöglein zwitschern fromme Andachtslieder, / Der Boden dampft von wallend süßem Weihrauch, / Der Blumenrasen hebt sich als Altar – / Nur eine Kirch der Liebe ist die Erde.“

Zuleima antwortet ihm: „Die Erde ist ein großes Golgatha, / Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.“

Wer kann dem zuhören? Wie soll man das auf die Bühne bringen?

Mit verlaub – ich finde, alle Gründe, die gegen eine Aufführung von „Almansor“ sprechen,
sind in Wahrheit solche, es endlich doch mal zu versuchen

Das Exaltierte, der hohe Ton, die Begeisterung für immer noch ein Adjektiv mehr – das erschwert uns zwar die Aufnahme, aber doch nur, weil es uns so fremd geworden ist. Wir bilden uns ein, wir gingen zugrunde, wenn wir wieder einmal eintauchten – und sei es nur für eineinhalb Stunden – in eine Gefühls- und Sprachwelt, die uns den Kopf verdrehen, vielleicht sogar abreißen möchte. Unser alter Kopf sieht alles ganz anders. Für ihn vertreiben die Christen die muslimischen Eroberer aus dem Land.

In „Almansor“ sind die Christen die Eroberer, die die Muslime aus ihrer Heimat vertreiben und als ihnen das gelungen ist, verbrennen sie deren Bücher und so heißt es im Stück dann gleich zu Beginn: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“. Ein Theater, das uns nicht wenigstens ab und zu die Köpfe abreißen möchte, ist nichts wert. Wir brauchen es nicht. Einander bestätigen tun wir schon genug in unseren Blasen.

Der Orient ist in „Almansor“ mehr als Dekoration

Goethes „West-Östlicher Diwan“ war 1819 erschienen. Heine saß 1820/1821 am „Almansor“. Er las sich ein in die altarabische Dichtung, spielte im Stück auf sie an, ließ Verse einfließen. „Almansor“ ist ein Versuch, aus dem Ghetto der Nationalliteratur auszubrechen. Ausgerechnet an einem Nationaltheater. Das Duett Almansor-Zuleima zitiert mehrmals die Geschichte von „Madschun Laila“, also des von Laila besessenen Qais. Eine Geschichte, die in der persischen, der arabischen, in der kurdischen und türkischen Literatur zu finden ist. Bei uns am bekanntesten ist die um 1180 entstandene persische Version des Nezami.

Das Spiel mit den Überlieferungen aus Ost und West, mit den unterschiedlichsten Liedformen macht Heine sichtlich Vergnügen und macht es uns auch, wenn wir erst einmal den Mut haben, in das fremde Element zu springen.

Andererseits will „Almansor“ auch autobiografisch gelesen werden

Freilich kann das rückwärts gelesen werden und daran erinnern, dass die Lage der Juden nach dem Wiener Kongress deutlich verschlechtert wurde gegenüber der weitgehenden Gleichstellung im Code Napoleon. Die eigentliche Pointe aber liefert der Blick auf Heinrich Heines eigenes Leben nach der Abfassung des Stückes.

Als Heine im Jahr 1825 zum Doktor der Rechte promoviert wurde, war ihm klar, dass er als Jude keine Chance haben würde, in den Staatsdienst eintreten zu können, also wurde er Lutheraner. Nur um die Erfahrung zu machen, dass er weiter keine Chance hatte und jetzt auch von Juden gemieden wurde. „In diesem Stück“, so schreibt Heine in einem Brief an seinen Studienfreund Friedrich Steinmann, „habe ich mein eignes Selbst hineingeworfen, mit samt meinem Paradoxon, meiner Weisheit, meiner Liebe, meinem Hasse und meiner ganzen Verrücktheit“.

 

Hineingeworfen
in die maurische Seele von „Almansor“

Eine Seele die sich so sehr sehnt nach der Heimat – und untergeht auf der Flucht aus dem Exil. 1831 ging Heine nach Paris. Einige Jahre später beantwortete er die Frage nach der Staatsbürgerschaft ein wenig angestrengt frivol: „Ich ließ mich nicht naturalisieren, aus Furcht, dass ich alsdann Frankreich weniger lieben würde, wie man für eine Maitresse kühler wird, sobald man bei der Mairie ihr legal angetraut worden. Ich werde mit Frankreich in wilder Ehe fortleben. Mein Geist fühlt sich in Frankreich exiliert, in eine fremde Sprache verbannt.“

Es gibt mehr als 130 öffentlich finanzierte Theater in Deutschland
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Keines lädt heute ein zu einer Aufführung von Heinrich Heines „Almansor“. Wer wird es als erste auf die Bühne bringen?

Aug 2023 | Allgemein, Essay, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Senioren, Theater | Kommentieren