Was also wäre der Effekt einer bestimmten politischen Agenda, die mit hohem Aufwand und finanziellen Mitteln etabliert wird? „Bei uns herrscht Meinungsfreiheit“, berichtet ein Investigativjournalist aus Westafrika, „allerdings nur dann, wenn die eigene Meinung derjenigen der Regierung entspricht. Falls das nicht der Fall sei, werde man sofort als Staatsfeind abgestempelt.“ Sein ernüchterndes Fazit, das auch viele seiner und Kollegen so oder ähnlich aus ihren Ländern schildern:

 

Desinformation ist nicht mehr nur ein Problem, das von außen kommt. Es ist Teil des politischen Systems, wird von den Regierungen selbst als Machinstrument eingesetzt. Für Journalisten, die in einer solchen Situation arbeiten müssen, ist dies nicht nur frustrierend, sondern mitunter auch lebensgefährlich, wie Hala Nouhad Nasreddine berichtet, Investigativ-Journalistin bei der Plattform Daraj Media in Libanon. „Ich kann mich an viele Kollegen erinnern, die wir verloren haben, in Libanon, Irak, Jemen und auch an anderen Orten. Für uns ist das Thema der Bekämpfung von Desinformation nicht nur zentral für unsere Arbeit. Es ist überlebenswichtig.“

Die Frage ist nur: Wie kann das unter diesen Bedingungen überhaupt gelingen? Factchecking allein, so die Erfahrung von vielen der 18 Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt, ist zwar gut und notwendig, reiche aber längst nicht mehr aus, um der ungeheuren Macht entgegenzuwirken, die Desinformationskampagnen insbesondere in den sozialen Medien entfalten können. Giovanni Riotta ist Direktor der School of Journalism and Data in Rom und sitzt im Beirat der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO), die die Bekämpfung von Desinformation zum Ziel hat. „Eine Falschinformation kann schnell Millionen von Klicks generieren, die Richtigstellung sehen dann ein paar Tausend Userinnen und User. Im Hinblick auf die mediale Reichweite stehen wir hier auf verlorenem Posten. Wir müssen uns dringend etwas anderes überlegen.“

Falschinformationen antizipieren

Ein Ansatz könnte sein, den Fokus von einzelnen Falschnachrichten auf die Infrastrukturen ihrer Verbreitung zu richten. Von diesem Perspektivwechsel berichtete etwa Pauline Claire de Jesus Macaraeg, Journalistin beim philippinischen Nachrichtenmagazin Rappler. „Wir konzentrieren uns in unserer Arbeit inzwischen vor allem auf koordiniertes unauthentisches Verhalten, wie es etwa auf Facebook, der beliebtesten Social-Media-Plattform auf den Philippinen, zu beobachten ist.“
Eine andere Strategie ist es, die Falschinformationen nicht erst nach ihrer Veröffentlichung zu korrigieren, sondern bereits im Vorfeld zu antizipieren. Also statt Debunking, wie das Entlarven von Desinformation auch genannt wird, Prebunking zu betreiben. Für Noura Eljebri, Journalistin aus Libyen und Chefredakteurin von Tahra Fact Checking, kann dies eine effiziente Methode sein, um Falschinformationskampagnen schon im Keim zu ersticken. Nach wichtigen Parlamentsdebatten sammelt die Plattform die wichtigsten Fakten, um potenziellen Falschinformationen entgegenzuwirken.

Großes Interesse zeigten die Teilnehmenden für das deutsche Mediensystem. Von Prof. Dr. Martin Emmer vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin erfuhr die Gruppe Details zu den Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen gesetzlich vorgeschriebener Unabhängigkeit von staatlichen Einflüssen, der sogenannten Staatsferne. Später in der Woche gab es Gelegenheit, die Arbeit des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) im TV-Studio Potsdam-Babelsberg zu begutachten. Ebenfalls auf dem Programm stand ein Austausch mit der deutschen Factchecking-Plattform Correctiv und der Bildungsinitiative Lie Detectors, welche das Ziel hat, die Nachrichtenkompetenz von Schülern im Alter 10 bis 15 Jahren zu fördern.

Mai 2023 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Sapere aude | Kommentieren