Unverfügbar“ , das ist ein geheimnisvoll wehrhaftes, ein beinahe schönes Wort. Es hat geraume Zeit denen geholfen, die jenen diversen gattungspolitischen Projekten etwas entgegensetzen wollten, die im Namen des “alten“  Adams oder eines “neuen“  Menschen auftraten.

Das Wort half nicht zuletzt, weil es einen religiösen Klang besitzt, aber keiner (bestimmten) Religion bedarf, um aussagekräftig zu sein. Doch hat es eine eigene Bewandtnis mit dem nicht verfügbar sein: Wer der “menschlichen Natur“ , wer dem “ Wesen“  des Menschen zuschreibt, nicht zur Verfügung zu stehen, meint damit nicht selten und meint gerade unter “ säkularen“  Umständen: Die Natur des Menschen sei es, keine zu haben. Der Mensch sei, mit Nietzsche geredet, das nicht “ festgestellte“  Tier. Er habe die “ Bestimmung“ , sich selbst bestimmen zu können – und, freilich, zu “ müssen.

Diese Bestimmung jedoch trifft sich nun, so will es scheinen, auf „dialektische“ Weise, aber nachgerade zwanglos mit dem neuesten gattungspolitischen Grossprojekt, das in einer von Wissenschaft und Wirtschaft entfesselten Dynamik zusehends Konturen gewinnt. Ist “ der Mensch“  ein plastisches, ein unendlich bildbares Wesen, dann ist – dann wäre – die gentechnologische Ingenieurskunst nur die Speerspitze einer radikalisierten, experimentellen Selbsterkundung.

Besonders Hellhörige vernahmen bereits in Nietzsches Formel von der “ Selbststeigerung“  den Nachhall der aufgeklärten Selbstbestimmung. – Das aber, mögen Besonnene einwenden, war mit der “ Unverfügbarkeit“  doch gar nicht gemeint. Im Bild die „Heidegger Bank oberhalb von Todtnauberg. (got)

Gewiss nicht. Doch wenn niemand sich mehr eine allen zumutbare Auskunft darüber zutraut (oder zutrauen darf), was denn eigentlich unverfügbar sei, was am Menschen dem erkennenden Zu- und dem technischen Eingriff entzogen sein soll, dann eröffnet sich ein Spielraum, in dem biopolitisch Ernst gemacht werden kann. Den wird auch nicht wieder verschliessen, wer wie Botho Strauss gerade seine Überzeugung manifestiert, dass “ das Unerschliessbare“  auf dieser Welt weiterhin “ in unverminderter Fülle vorhanden“  sei.

Bietet die “Leere“  nicht aber doch Anhaltspunkte? Lässt sich an der menschlichen Daseinsform etwas erschliessen, das es erlaubte, so etwas wie “Unverfügbarkeit“  wieder gegen das biotechnologische Verfügenwollen geltend zu machen; und dies, ohne eine theologische Rückversicherung abgeschlossen zu haben?

Eine Antwort auf solche Fragen? Einige Linien in dem “Streit um das ethische Selbstverständnis der Gattung“, der nicht nur hierzulande mit zunehmender weltanschaulicher Schärfe geführt wird, mögen dafür halten.

Anders als in anderen Angelegenheiten von öffentlichem Belang ist in dieser Sache nicht, ein “durchschlagendes“ , zwanglos alle Vernünftigen zwingendes Argument zu entfalten. Ausführungen dazu könnten explorativ genannt werden; sie führten vor, was wäre, wenn – wenn das genetische „Design“  bereits wirklich wäre, wenn Eltern ihre Kinder nach eigenen Wünschen programmieren könnten. (Manches von dieser möglichen Zukunft gäben Präimplantationsdiagnostik und die Forschung an embryonalen Stammzellen bereits zu erkennen.)

Was also wäre, wenn? – Es wäre dann möglich, dass zwei Prinzipien des politischen Liberalismus in Gefahr gerieten. Das eine lautet: Die Individuen sollen ein “eigenes Leben“  führen können. Das andere: Sie sollen mit anderen einen Umgang unter “Ebenbürtigen“  pflegen können. Beides könnte durch die historisch präzedenzlose Ungleichheit verhindert werden, die, sozusagen ab ovo, zwischen “Designern“  und “Produkten“  herrsche. Die Asymmetrie, die jede “normale“  Eltern-Kind-Beziehung, jeden bisher bekannten Sozialisationsprozess bestimmte, wäre damit nicht vergleichbar. Von einer genetischen Fixierung, die auf andere Menschen (und nicht etwa auf “die Natur“  oder “Gott“ ) zurückgehe, könne sich niemand retrospektiv befreien. Der “genetische Paternalismus“  sei unaufhebbar. Schlimmstenfalls bleibe ausser einem ausweglosen Hadern mit dem eigenen “Schicksal“  nichts. Auch die Achtung des Gegenübers, die einer elementaren wechselseitigen Unverfügbarkeit freier und rechtsgleicher Personen entspringe, drohe dann – wer weiss – zu verschwinden. Die Verdinglichung, die den “programmierten“  Individuen angetan würde, schlüge sich dabei in deren Selbstwahrnehmung nieder: Die Grenzen zwischen “gewachsen“  und “gemacht“ , zwischen Subjekt und Objekt verschwämmen.

Solche Phänomenologie des Möglichen (und nicht einmal Schlimmstmöglichen) will nicht als Alarmismus missdeutet werden. Sie will zeigen, wie sich “unser“  Selbstverständnis wandeln könnte und welchen Preis das hätte. Auf ein “Wesen“  des Menschen muss sie sich vorab nicht berufen. Wie weit sie trägt, wird sich, vielleicht schon bald, weisen. Ein vorläufiges Ergebnis indes darf man bereits festhalten: Das human engineering konvergiert nicht “von selbst“ , und schon gar nicht zwanglos, mit dem modernen Projekt individueller Selbstbestimmung. Die “ Selbstoptimierung“  wäre, für die solcherweise Optimierten, eine Fremdbestimmung. – Wäre es denn also wünschenswert, wenn an der “echten“  genetischen Selbstbestimmung gearbeitet würde, auf dass eine jede und ein jeder am eigenen, lebendigen Leib sich selbst programmieren könne? got

Mai 2013 | Allgemein, Essay, Feuilleton | Kommentieren