Der Supreme Court spaltet mit seinen Urteilen die Gesellschaft: Seit dem Urteil gegen das Recht auf Abtreibung hadert das progressive Amerika mit dem Supreme Court. Der konservative Richter Clarence Thomas verschärft die Vertrauenskrise nun weiter: Er hat fürstliche Zuwendungen eines Geldgebers der Republikanischen Partei verschwiegen.
Eigentlich könnte Thomas Clarence ein Held der Progressiven sein. Als erst zweiter Afroamerikaner wurde er 1991 von Präsident George Bush senior für einen Sitz am Supreme Court nominiert. Doch bereits damals machten ihn seine konservativen Überzeugungen und geleakte Vorwürfe über sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz zu einem umstrittenen Kandidaten. Die jüngsten Enthüllungen über grosszügige Geschenke des texanischen Milliardärs Harlan Crow ziehen die moralischen Qualitäten des Obersten Richters nun noch weiter in Zweifel.
Am 6. April publizierten die Investigativjournalisten von «Pro Publica» eine erste Recherche über die Verbindungen zwischen Crow und Thomas. Darin ging es vor allem um regelmässige Luxusreisen etwa auf der Jacht oder im Privatjet des Immobilienmagnaten rund um den Globus. Den Wert dieser Trips schätzten die Journalisten auf Hunderttausende von Dollars. Dennoch verzichtete Thomas darauf, die Geschenke zu deklarieren.
Eine Woche später legte «Pro Publica» mit einem weiteren Artikel nach. Gemäss diesem verschwieg Thomas 2014 auch den Verkauf von drei Immobilien an Crow, die sich im Besitz seiner Familie befanden. Dazu gehörte auch das Haus, in dem seine 94-jährige Mutter immer noch lebt. Crow führte danach verschiedene Renovationen durch, soll von der Mutter des Richters aber keine Miete verlangen. Wie zudem am Donnerstag bekanntwurde, bezahlte Crow offenbar ebenfalls Tausende von Dollars für die Privatschule von Thomas’ Ziehsohn. Der Richter soll auch diese Zuwendungen nicht deklariert haben.
Eine ungewöhnliche Freundschaft
Problematisch erscheint die Beziehung des Milliardärs und des Obersten Richters vor allem deshalb, weil Crow gleichzeitig ein grosser Geldgeber der Republikanischen Partei ist. Crow sitzt überdies dem Stiftungsrat der konservativen Denkfabrik American Enterprise Institute vor. Im Jahr 2009 spendete er zudem 500 000 Dollar an die konservative Lobbyorganisation Liberty Central. Deren Gründerin ist Virginia Thomas, die Frau des Obersten Richters.
Thomas und Crow rechtfertigten die fürstlichen Zuwendungen als Geschenke, die unter guten Freunden ganz normal seien. «Wie Freunde es machen, haben wir sie in den über 25 Jahren, in denen wir sie kennen, auf einer Reihe von Familienreisen begleitet», meinte der Oberste Richter. Er sei der Überzeugung gewesen, dass er solche Gastlichkeiten eines Freundes nicht deklarieren müsse. Überdies habe er keine Fälle am Supreme Court verhandelt, die Crow beträfen.
Tatsächlich ist bis jetzt nicht bekannt, dass Thomas den spendablen Milliardär im Gegenzug mit richterlichen Gefälligkeiten entschädigt hätte. Eine umfangreiche Recherche der Nachrichtenagentur Bloomberg zu dem Thema lief ins Leere. Wie der ehemalige konservative Bundesrichter Michael Luttig jedoch diese Woche in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Justizausschuss des Senats erklärte, müssten die Mitglieder des Supreme Courts auch in ihrem privaten Verhalten jeden Anschein vermeiden, der ihre Autorität untergraben könnte.
Unabhängig davon, ob Thomas gegen Gesetze oder ethische Normen verstossen hat, schaden die Enthüllungen dem bereits ramponierten Ansehen seiner Person und des Obersten Gerichts zusätzlich. Nachdem die konservative Richtermehrheit vor einem Jahr das nationale Recht auf Abtreibung gekippt hatte, sank das öffentliche Vertrauen in den Supreme Court auf historische Tiefstwerte. Thomas machte sich damals bei dem Leiturteil besonders unbeliebt. In einer ergänzenden Meinung führte er aus, dass ihm die Entscheidung noch zu wenig weit gegangen sei. Das Oberste Gericht müsse auch frühere Urteile zur gleichgeschlechtlichen Ehe oder zur Verwendung von Verhütungsmitteln infrage stellen, argumentierte Thomas.
Republikaner verteidigen ihren Richter
Thomas sorgte indes bereits vor dem historischen Urteil zum Recht auf Abtreibung für negative Schlagzeilen. Als der Supreme Court im Januar 2022 über die Aushändigung von Dokumenten des Nationalarchivs aus Donald Trumps Amtszeit an die parlamentarische Untersuchungskommission zum Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 entscheiden musste, stimmte Thomas als einziger Richter dagegen. Wie später bekanntwurde, unterstützte seine Frau als konservative Aktivistin Trumps Versuch, seine Wahlniederlage in einen Sieg umzudrehen. Kritiker forderten deshalb, dass Thomas bei Fällen, die Trump und den 6. Januar beträfen, in den Ausstand trete.
Ende April geriet zudem ein weiterer konservativer Richter in die Schlagzeilen. Neil Gorsuch verkaufte kurz nach seinem Amtsantritt 2017 Immobilienanteile an den Chef einer Anwaltskanzlei, die regelmässig Fälle vor dem Supreme Court vertritt. Gorsuch deklarierte den Verkauf, erwähnte aber nicht den Namen des Käufers. Er soll damit keine Gesetze gebrochen haben. Aber der Vorfall bestärkte die Demokraten in ihrer Forderung nach einem strikteren Verhaltenskodex für die Obersten Richter.
Während die Richter in unteren Instanzen mit Ermittlungen rechnen müssen und angehalten sind, «den Anschein der Unangemessenheit in allen Handlungen» zu vermeiden, kennt der Supreme Court keine bindenden Verhaltensregeln. Trotz den lautstarken Forderungen der Demokraten dürfte sich daran auch nicht so schnell etwas ändern. Der Vorsitzende Richter des Supreme Courts, John Roberts, schlug eine Einladung zur Anhörung im Senat am Dienstag aus. Obwohl auch Republikaner einen Handlungsbedarf sehen, werden sie den Demokraten in dieser Sache kaum Hand bieten.
Mit dem Versuch, dem Obersten Gericht einen Verhaltenskodex aufzuzwingen, gehe es „der Linken ohnehin nur darum, die Legitimität des konservativ dominierten Gremiums zu zerstören“, meinte der republikanische Senator Lindsey Graham. Gleichzeitig forderte er die Obersten Richter jedoch auf, den Moment selbst zu nutzen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in sie zu stärken. «Wir wären alle besser dran, wenn sie dies täten.»