Was müßte geschehen, damit Putin zu ernsthaften Friedensverhandlungen bereit ist?
„Putin respektiert nur eines, und das ist Stärke. Das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen. Er verachtet Menschen, die er für Weichlinge hält. Uns Europäer betrachtet er als dekadent. Solange er glaubt, das westliche Engagement für die Ukraine sei nur temporär, wird er keine Zugeständnisse machen. Er glaubt, dass wir Europäer bald einknicken werden. Und dass die Stimmung in den USA kippt. Oder dass die ukrainische Bevölkerung demoralisiert aufgibt. Darauf setzt Putin. Er meint, einen stärkeren Durchhaltewillen als wir zu haben. Es wäre gut, wenn er sich irrte“.
Geirrt hat sich vor allem Deutschland mit seiner jahrelangen Russlandpolitik. Sie haben jahrelang für Bundeskanzlerin Merkel gearbeitet. War ihr Umgang mit Putin naiv?
„Nein, sie hatte keine Illusionen über Putin. Aber sie hat gleichzeitig alles versucht, ihn einzubinden, die deutsch-russischen Beziehungen zu pflegen, Putin einzuhegen. Nach dem ersten Einmarsch Russlands in der Ukraine 2014/2015 war es Merkel, die gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Hollande den russischen Vormarsch aufgehalten hat und mit dem Minsker Abkommen eine diplomatische Lösung ermöglicht hat“
– und zugleich aber ist Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas gewachsen …
„Das müssen Sie im Kontext der damaligen Zeit sehen: Nach der Atomkatastrophe von Fukushima hatte die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen – eine Entscheidung, die rund 80 Prozent der Menschen im Land begrüßten! Es musste also Energieersatz her. Kohle war schon damals aus Klimaschutzgründen problematisch, mit den Erneuerbaren waren wir noch nicht weit genug. Aus Politik und Wirtschaft kam der Wunsch nach mehr russischem Gas. Es war billig, und Russland hatte sich seit Jahrzehnten als zuverlässiger Lieferant erwiesen. Auch in vielen Medien wurden damals die Vorteile von Nord Stream 2 betont“.
Meinen Sie also, wir hätten uns allesamt täuschen lassen und einen kollektiven Fehler begangen?
„Natürlich war es eine Entscheidung der Regierung. Aber sie fand im Kontext der gesellschaftlichen Stimmung statt. Das vergessen heute viele Kritiker“.
Nun hat Putin seine wahren Absichten enthüllt.
Wird der Westen ihm jemals wieder trauen können?
„Nein, definitiv nicht. Putin ist ein Verbrecher. Er hat einen völkerrechtswidrigen Krieg begonnen und alle seine Versprechungen gebrochen. Russland hatte der Ukraine ja in zahlreichen Abkommen ihre territoriale Integrität garantiert. Den Ukrainern nun zu raten, das nächste Abkommen mit dem Kreml ohne handfeste Garantien zu schließen, wäre völlig inakzeptabel. Was nicht bedeutet, dass man nicht immer wieder versuchen muss, die Bereitschaft zu Verhandlungen auszuloten. Es ist richtig, dass Olaf Scholz Putin immer wieder anruft“.
Aber nimmt Putin den Bundeskanzler überhaupt ernst, wenn er doch nur Stärke respektiert?
„Europa ist nicht so schwach, wie manche meinen. Nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine 2014 haben Angela Merkel und der damalige französische Präsident François Hollande Führung bewiesen und das Abkommen von Minsk vermittelt. Zugleich haben sie dafür gesorgt, dass die Europäer gemeinsam die verhängten Sanktionen gegen Russland getragen haben – und das alles im Gleichklang mit der US-Administration von Barack Obama. Das war ein Erfolg!
Ohne Amerika wäre Europa ohne Zweifel schutzlos. Das ist ein großes Risiko, falls in den USA wieder ein Präsident wie Trump an die Macht kommt. Sollten die französischen Atomwaffen „europäisiert“ werden, um Deutschland und anderen EU-Staaten mehr Schutz zu bieten?
„Es ist wichtig, dass Europa funktioniert. Insbesondere das Tandem aus Deutschland und Frankreich. Eine europäische Armee ist dabei aber nicht der beste Weg, auch eine Ausweitung des französischen Nuklearschirms ist sicher nicht in Sichtweite. Ganz ohne die USA wird es nicht gehen – aber zumindest eine leistungsfähige europäische Eingreiftruppe sollte doch möglich sein. Gerade wenn sich die Vereinigten Staaten aus einem Konflikt heraushalten wollen“.
„Wenn es hart auf hart kommt, halten die Europäer zusammen. Auch zu Zeiten Angela Merkels gab es einen Viktor Orbán, trotzdem ist es gelungen, Europa zusammenzuhalten. Nach Abschluss des Minsker Abkommens flogen Merkel und Hollande 2015 sofort nach Brüssel, um die Zustimmung der europäischen Partner einzuholen, was gelang. Noch ein Beispiel: Beim Atomabkommen mit Iran 2015 spielten die EU-Länder eine Schlüsselrolle“.
In wenigen Tagen hat die Münchner Sicherheitskonferenz begonnen, die erste unter Ihrer Präsidentschaft. Wäre das nicht eine gute Gelegenheit, mit Russland wieder ins Gespräch zu kommen?
„Ja, ist es. Bei der Sicherheitskonferenz wird es eine Diskussionsrunde mit Vertretern der russischen Opposition und Zivilgesellschaft geben“.
Aus der russischen Regierung haben Sie aber niemandem eingeladen, anders als im vergangenen Jahr –
„Angesichts des massiven russischen Truppenaufmarschs an der ukrainischen Grenze hatten wir 2022 Vertreter der russischen Regierung zum Dialog eingeladen – unser Angebot wurde aber ausgeschlagen. Vier Tage nach Abschluss der Sicherheitskonferenz marschierte Russland in die Ukraine ein. Glauben Sie mir: Wenn ich auch nur den kleinsten Funken Hoffnung hätte, dass jemand seitens der russischen Regierung aufrichtiges Interesse an einem ernsthaften Austausch hätte, dann hätten wir eine Einladung in den Kreml geschickt. Ein bloßes Forum für Propaganda wollen wir jemandem wie Sergej Lawrow aber nicht bieten“.
Der SPD-Außenpolitiker Egon Bahr, der in den Sechzigerjahren als Architekt der Ostpolitik galt, hat Russland mal als „unverrückbar“ bezeichnet. Gilt das auch für Wladimir Putin?
„Noch mal: Wladimir Putin ist ein Kriegsverbrecher, der begreifen muss, dass seine Politik der Gewalt keinen langfristigen Erfolg haben wird. Er gehört vor ein Strafgericht“.
was die USA 2003 mit dem Irak angestellt hätten.
„Und eben diese martialische Politik muss enden. Nicht auszudenken, falls China, der Iran oder Nordkorea sich Putin zum Vorbild nehmen und andere Länder überfallen. Wir wollen die enorme Bedeutung einer regelbasierten Ordnung zwischen den Staaten herausstellen. Es geht im Ukraine-Krieg auch um die Verteidigung der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“.