Darwin hatte doch Recht: Der Mensch ist eine „Überlebensmaschine“. Und, der Glaube an Gott sei nur das „Bedürfnis nach einer gütigen Diktatur“. Drei neue Bücher fordern eine Rückkehr der Vernunft und rechnen ab mit den christlichen Fundamentalisten.
Der Klassiker: So malte Michelangelo Gott in der Sixtinischen Kapelle.
Damals zweifelte kaum jemand an der Existenz Gottes, die Darstellung als alter Mann mit Rauschebart war recht gängig.
John Lennon bezahlte für seine Religionskritik mit dem Leben. „Das Christentum verschwindet, es wird absterben“, sagte der Beatle 1965. „Wir sind jetzt beliebter als Jesus.“ Christliche Fundamentalisten in Amerika reagierten mit einem Beatles-Boykott, der Ku-Klux-Klan drohte mit Anschlägen gegen Konzerte der Gruppe.
15 Jahre später wurde Lennon erschossen. Sein Mörder hatte als Jugendlicher an den Anti-Beatles-Aktionen der religiösen Rechten teilgenommen und in seiner Gebetsgruppe Lennons Antireligionshymne „Imagine“ gesungen mit dem Text „Imagine John Lennon dead“.
Der Mensch bleibt Egoist
Mehr als ein Vierteljahrhundert nach Lennons Ermordung scheint das Christentum in Amerika stärker als je zuvor. Eine Frau könne ins Weiße Haus einziehen, heißt es, ein Schwarzer, vielleicht sogar ein Schwuler, niemals aber ein Atheist. Doch sind letztes Jahr gleich drei Bücher in Amerika zu Bestsellern geworden, die das Christentum, ja jede Religion, radikal angreifen. Jetzt sind sie auf Deutsch erschienen: Richard Dawkins‘ „Der Gotteswahn“, Christopher Hitchens‘ „Der Herr ist kein Hirte“, und Sam Harris‘ „Das Ende des Glaubens“.
Richard Dawkins macht nicht den Eindruck eines Radikalen. Im Gespräch ist der Gelehrte nachdenklich, tastet nach Wörtern, bekennt freimutig Wissenslücken, wenn es um katholische Dogmatik oder die Kritik des Islam am christlichen Gottesbegriff geht.
Als Biologe hat Dawkins aber vor über dreißig Jahren einen der radikalsten Gedanken in der Geschichte des Darwinismus entwickelt: Nicht das Überleben der Art oder des Individuums sei der Motor der Evolution, sondern der Wunsch des „egoistischen Gens“, möglichst viele Kopien seiner selbst in die Welt zu setzen. Alle Lebewesen seien nur „Überlebensmaschinen“ für die unsterblichen DNA-Schnipsel, die uns Sterbliche programmieren.
Nachbeten nicht Nachdenken
Schon damals machte sich Dawkins Gedanken über „kulturelle Gene“, also etwa Sprachen, Sitten, Bräuche, Ideen, Motive, die er „Meme“ nennt und die wie ihre biologischen Entsprechungen die Individuen überdauern, ja in gewisser Weise nur zur „Fortpflanzung“ nutzen. Was macht den Gottesglauben als Mem so erfolgreich? So fragte Dawkins 1976 und gab die Antwort: das Versprechen der Unsterblichkeit. Das Mem gaukelt uns vor, was es für sich erreichen will.
Doch war die Fragestellung damals akademisch. Nach dem 11. September 2001 und dem Aufstieg der religiösen Rechten in den USA ist daraus eine unmittelbar politische Frage geworden. „Der Gotteswahn“ ist ein Aufschrei der Vernunft gegen das Wuchern der Unvernunft. Aber, Bild links, wird immer wieder ein neuer Stellvertreter Gottes per Rauchzeichen unter die Menschen gebracht.
Die Religion, so Dawkins, gibt Antworten, wo Fragen angebracht wären. Sie ermuntert uns zum Nachbeten statt zum Nachdenken. Sie sichert ihr Überleben vor allem durch die frühe Indoktrinierung von Kindern – für Dawkins ist die Rede von „christlichen“, „muslimischen“ oder „jüdischen“ Kindern schlicht skandalös. Die Religion verbittet sich die Einmischung der Naturwissenschaften in ihre Domäne, indem sie die religiöse Wahrheit der Hinterfragung entzieht, mischt sich aber ihrerseits mit jedem behaupteten „Wunder“ in den Bereich der Naturwissenschaften ein. Welche hinwiederum längst (mit – wenns denn der „Wahrheits-Findung diente – wahrscheinlich anderen Chemikalien als Pech oder Schwefel) in der Lage wären, auch, passend zu den Schuhen, roten statt schwarz oder weißen Rauch zu produzieren; wie auch immer kam diesmal eine wahrlich fröhliche Stimmung auf vor dem Petersdom: „Habemus papam“.
Darwinismuskritiker werden zerpflückt
Dawkins lässt die Unterscheidung dieser beiden Domänen nicht gelten. Auf die Behauptung des britischen „Astronomer Royal“ Martin Rees, die letzten Fragen der Physik – „Weshalb gibt es überhaupt etwas?“ „Was verleiht den physikalischen Gleichungen den Odem des Lebens und lässt sie zu einem Kosmos werden?“ – seien Fragen für die Theologen, fragt Dawkins: „Warum für den Kaplan? Warum nicht für den Gärtner oder den Koch? Welche Fachkenntnisse, die ein Naturwissenschaftler nicht besitzt, können Theologen in die Untersuchung weitreichender kosmologischer Fragen einbringen?“
Wahrscheinlich sind es denn auch die Angriffe der „Kreationisten“ und der Anhänger des „Intelligent Design“ auf den Darwinismus, die Dawkins dazu gebracht haben, seinerseits die Religion anzugreifen. So sind die stärksten Passagen des Buchs diejenigen, in denen Dawkins die Argumente der Darwinismuskritiker zerpflückt, die übrigens längst nicht mehr nur in den amerikanischen Südstaaten ihr Unwesen treiben, sondern etwa im Wiener Kardinal Christoph Schönborn einen prominenten, intelligenten und eloquenten Fürsprecher gefunden haben, der zum Schülerkreis des deutschen Papstes gehört.
Die Hauptwaffe der Antidarwinisten ist das Argument der Unwahrscheinlichkeit. Statistisch gesehen ist ja nicht nur der Mensch eine höchst unwahrscheinliche Angelegenheit, sondern auch der ganze Kosmos – und sogar jedes komplexe Molekül, jede lebende Zelle, jedes komplizierte Organ. Kreationisten leiten daraus die Wahrheit der biblischen Schöpfungsgeschichte ab. Auch weniger leichtgläubige Menschen können angesichts der Entstehung hoch organisierter Lebewesen, wo man nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik eher zunehmendes Chaos erwarten sollte, zu Theisten werden, die überall in der Natur das Wirken eines Schöpfers sehen.
Gott ist (sehr) unwahrscheinlich
Für Dawkins löst sich jedoch die Unwahrscheinlichkeit auf, sobald man den Darwinismus – „den größten Bewusstseinserweiterer, den es je gab“ – begriffen hat. Das Zusammenspiel zufälliger Mutationen mit Auslese durch die Umwelt und schier unendlichen Zeiträumen sei nicht nur in der Lage, die Formenvielfalt hervorzubringen, die wir in der Natur so bewundern: Es muss sie hervorbringen.
Darwins Theorie sei ein Bewusstseinserweiterer, weil er unsere Intuition auf den Kopf stelle, der zufolge man vom Topf auf einen Töpfer, vom Auto auf einen Autobauer, vom Kosmos auf einen Schöpfer schließen müsse.
Da dieser Kosmosbauer aber nach dem Vorbild des Töpfers und des VW-Arbeiters komplexer sein müsste als sein Werk, verwandelt sich nach Dawkins das Komplexitätsargument aus einem Gottesbeweis in einen Beweis gegen die Existenz Gottes.
Wenn schon die Komplexität des Kosmos und der Lebewesen unwahrscheinlich ist, wie unwahrscheinlich muss da ein Wesen sein, das noch komplexer ist als der Kosmos – und für dessen Entstehung man nicht die Gesetze der Physik und Darwins Evolutionstheorie bemühen kann!
Glasklar argumentiert
„Ich schätze die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes auf etwa zwei Prozent“, sagt Dawkins trocken beim Interview. Christopher Hitchens entspricht schon eher dem Klischee des Radikalen. Er ist ein linker Journalist, der stolz ist, links zu sein. Seine linken Bewunderer hat er vor den Kopf gestoßen, als er sich mit Verve für den Irakkrieg eingesetzt hat. Er hält es nämlich für eine gute linke Tradition, Diktatoren zu stürzen.
Unsern Zorn gibt uns heute …
Hitchens ist ein echter Querdenker (oder, wie er sagt. „Contrarian“, Gegendenker): aus Prinzip unberechenbar und doch prinzipienfest. Verbringt man mit ihm einen Abend, darf man nicht versuchen, beim Whisky mitzuhalten und anderer Meinung zu sein als „The Hitch“. Er kann eine Flasche Johnny Walker wegstecken und einen dennoch mit glasklarem Verstand und druckreifen Sätzen vernichten.
Sein Stil, geschult am großen Humoristen P. G. Wodehouse und an George Orwell, changiert zwischen Plauderei und Polemik. Der Grundton seines Pamphlets ist der heilige Zorn darüber, „wie Religion die Welt vergiftet“.
Überlebensrezept: „Eine Dosis Naturwissenschaft“
Judentum, Islam und Christentum kriegen ihr Fett weg, aber auch „fernöstliche Erleuchtung“ wie Hinduismus und Buddhismus. Hitchens‘ Vergleich der Entstehung des Mormonismus mit den Anfängen des Islam gehört zum Lustigsten, was man diesen Herbst lesen kann – solange man nicht daran denkt, dass ein Mormone zu den aussichtsreicheren Bewerbern ums Weiße Haus gehört.
Mit Hitchens die Bibel zu lesen heißt, sie mit ganz andern Augen zu sehen – nämlich mit den Augen eines aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts, der nicht bereit ist, dem Aberglauben „Respekt“ zu bezeugen.
Was bleibt aber nach dem „Ende des Glaubens“? Entsteht nicht an der Leerstelle Gott eine spirituelle Leere? Dawkins und Hitchens (für den die Sehnsucht nach Gott dem „Bedürfnis nach einer grauenhaften Variante einer gütigen und unumstößlichen Diktatur“ gleicht) empfehlen stattdessen eine „neue Aufklärung“ (Hitchens) und „eine kräftige Dosis Naturwissenschaft“ (Dawkins). Sam Harris, ein junger Doktorand der Philosophie und Neurowissenschaften an der Stanford University, gibt eine andere, überraschende Antwort:
Vernunft auch gegen den islamischen Vormarsch.
Nachdem er anhand neuerer Erkenntnisse der Verhaltensforschung gezeigt hat, dass moralisches Verhalten keineswegs abhängig ist von religiösen Überzeugungen, dass es also eine „Wissenschaft von Gut und Böse“ geben könne, untersucht er die Möglichkeiten einer „vernunftgeprägten Mystik“. Die Spiritualität, so der praktizierende Buddhist Harris, dürfe nicht „durch Dogmen verunreinigt“, die Erfahrung der Transzendenz nicht der Religion überlassen werden.
Bedeutet aber Religionskritik in Europa, wo das Christentum schwach, der Islam stark ist, nicht eine Art Selbstaufgabe? Schon die Fragestellung ist verräterisch: Nichts wäre verhängnisvoller als eine Art Reconquista-Mentalität angesichts der islamischen Herausforderung. Vielmehr gilt es, auf den Vormarsch der Vernunft auch in den islamischen Ländern zu setzen.
„Imagine there’s no heaven …“ sang Lennon 1970, „… and no religion, too.“ Ende des Glaubens als Bedingung des Friedens? Dawkins findet den Song „bewundernswert“.
Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Ullstein Verlag, 575 Seiten, 22,90 Euro
Christopher Hitchens: Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet. Karl Blessing Verlag, 349 Seiten, 17,95 Euro
Sam Harris: Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft. Edition Spuren, 342 Seiten, 22 Euro