Mit Patina: Spuren von Verwitterung, Rost und Moos sind im Garten durchaus erwünscht. Bei den Materialien liegen Stein und Holz ganz vorne

Überwucherte Pfade, wogende Blütenwiesen, imposante Bäume: Wer durch die Trendgärten des Jahres 2022 streift, wähnt sich fast im Wald. Polyantha-Rosen und Silbertannen waren in den Gärten der Siebziger angesagt, in den Achtzigern mussten es Bahnschwellen sein. Ein Jahrzehnt kam Bambus groß raus, heuten sind es leuchtende Deko-Farben. Jede Zeit hat ihre Moden.
Gut lassen sie sich in der Rückschau betrachten. Doch was macht den Garten im Jahr 2022 aus? Was hat sich verändert?

Selten hatte das Stück Grün so viele Ansprüche zu erfüllen wie heute. Einst dienten die Beete dem Ertrag, die Rasenflächen zum Spielen und die Blüten dem Erfreuen. So einfach ist es heute nicht mehr, der Garten ist komplex. Er ist Outdoor-Wohnzimmer, Meditationsraum und Partylocation zugleich. Als Zufluchtsort vor dem digitalisierten Leben soll er Naturbetrachtung und Entspannung ermöglichen, gerne auch eine Annäherung an den Traum der Selbstversorgung. Er repräsentiert die Natur, ist Lebensraum für Insekten und andere Tiere und soll damit einen regional wie global wertvollen Beitrag leisten. Natürlich muss er spektakulär aussehen und darf dabei kaum Arbeit machen.

Die Wünsche, mit denen Planer konfrontiert werden, sind so individuell wie die Auftraggeber selbst. Und doch wiederholen sich die Bedürfnisse, etwa nach Privatsphäre im dicht bebauten Raum, nach einem Rückzugsort. Aber auch die Sehnsucht nach Weite, nach einer schönen Aussicht, nach Feriengefühl und Lebendigkeit spielt bei der Gestaltung eine Rolle. Immer wichtiger wird der Nachhaltigkeitsgedanke, der von Bepflanzung und Bewirtschaftung bis zum Ertrag reicht.

Doch was kommt dabei heraus? Wie sieht der Garten heute aus? Darüber geben Besuche bei Gartenschauen Aufschluss, aber auch Bücher wie die „Gärten des Jahres 2022“.

Natürlicher Look im Garten

Der wichtigste Charakterzug, der möglicherweise das ganze Jahrzehnt bestimmen wird: Natürlich soll es aussehen. Bei der Chelsea Flower Show, dem alljährlichen Indikator für den Zeitgeist in Gartendingen, gab es diesmal mehr Wildnis denn je. Seit Jahren erobern dort bereits Pflanzen wie Wiesenkerbel und blühende Pastinaken die Gärten. Nie jedoch so konsequent wie im Mai, als Natternkopf, Spitzwegerich und Sumpfdotterblumen zu sehen waren. Bukolische Bilder wurden inszeniert, samt Wasserlauf und Totholzhaufen, kleine Felsenlandschaften mit alpiner Anmutung, aber auch Schattenareale, die so aussahen, als stammten sie frisch aus dem Wald. Der „A Rewilding Britain Landscape“-Garten wurde sogar Publikumsliebling mit der begehrten „Best in Show“-Auszeichnung. Doch selbst in klassischeren Gärten, die mehr auf den Showeffekt setzten, waren Blockpflanzungen und strenge Ordnung passé. Bunt wogten Blüten durcheinander und erinnerten oftmals eher an prachtvolle Wiesen als an Rabatten.

Artenreich: Über Wiesenblumen freuen sich nicht nur die Bienen.
Artenreich: Über Wiesenblumen freuen sich nicht nur die Bienen

Der Trend zum natürlichen Look findet sich auch in den „Gärten des Jahres“. Das Buch stellt die prämierten Projekte des Wettbewerbs vor, den der Callwey-Verlag zusammen mit anderen Förderern ausgeschrieben hat. Margeriten wogen wiesenähnlich unter Obstbäumen, Storchschnabel wächst auf den Weg. Keimlinge sprießen zwischen Trittplatten und mitten im Kies. Spanische Gänseblümchen sind auch außerhalb des Beets willkommen, und wilde Erdbeeren bedecken ganze Flächen. Schattenbeete sind selbst in ungünstigen Lagen auf vielfältigste Weise begrünt mit Hainsimsen, Farnen und Wald-Geißbart.

Aug 2022 | Heidelberg, Allgemein, Senioren | Kommentieren