Nun muss Finnlands Präsident Niinistö den Antrag noch unterschreiben. In Schweden ist das schon geschehen. Aber: Das ist ein heftig sensibles Thema in der Türkei – Erdogan lässt in diesen Tagen keine Gelegenheit aus, seiner Haltung Nachdruck zu verleihen. Er weiß, dass ein Großteil der Türken auf das Thema PKK hochsensibel reagiert. Seit mehr als drei Jahrzehnten bekämpfen sich die als Terrororganisation eingestufte kurdische Arbeiterpartei und der türkische Staat. Viele Bomben haben türkische Soldaten, aber auch Zivilisten getötet.
Zudem fallen die Umfragewerte Erdogans aufgrund der Wirtschaftskrise seit Monaten. Seine Wiederwahl im Juni 2023 ist nicht gesichert. Da kommt der NATO-Beitrittswunsch der Finnen und Schweden im Zuge des brutalen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine offenbar wie gerufen.
Der türkische Präsident beherrscht die Kunst der Polarisierung wie nur wenige. Diesmal, so Erdogans Narrativ, gehe es auf der einen Seite um die Schweden und Finnen, die aus Präsidentensicht die türkeifeindliche PKK unterstützen, und auf der anderen Seite um die Sicherheit seiner Landsleute.
Ein klein wenig mehr als garnicht geht es – was Wunder – auch um die NATO, deren Mitglieder die Türkei ihrer Offensive in Nordsyrien im Jahr 2019 gegen die mit der PKK im Bündnis stehende Kurdenmiliz YPG scharf kritisierten – letztendlich aber geht es also wieder einmal gegen den Westen, der, so die Lesart vieler nationalistischer Türken, nichts anderes wolle, als das Land und seine Nation klein zu halten.
Ein hochrangiger Berater des türkischen Außenministers Cavusoglu sagte (der ARD), Erdogans Veto sei die logische Konsequenz der Sicherheitsinteressen des türkischen Staates an der Grenze zu Syrien.
Zum Vorwurf mangelnder Unterstützung bei der Verfolgung der in der EU als Terrororganisation eingestuften PKK kommen Waffenlieferungen aus Schweden an die Kurdenmiliz YPG beziehungsweise auf Umwegen an die PKK.
Im Juni 2016 melden türkische regierungsnahe Medien, Ankaras Armee habe nahe der Stadt Nusaybin eine AT-4 Panzerfaust sichergestellt. Die Waffe wurde von der schwedischen Rüstungsschmiede Saab Bofors Dynamics entwickelt und von der US-Armee leicht modifiziert. Ähnliche Meldungen gab es auch in den Folgejahren, zuletzt 2020.
Besonders verärgert war man in Ankara, als 2021 die schwedische Außenministerin Ann Linde eine Delegation syrischer Politiker traf, denen die Türkei vorwirft, als der politische Arm des syrischen Ablegers der PKK zu wirken.
Auf Twitter veröffentlichte Linde ein Foto von dem Treffen und schrieb dazu, „Schweden bleibe aktiver Partner“. Im Anschluss hieß es, Stockholm wolle seine regionalen Investitionen im kurdisch kontrollierten Nordsyrien im Jahr 2023 auf 376 Millionen US-Dollar erhöhen.
Wie hoch wird der Preis sein?
Es sieht so aus, als ob sich Erdogan diesmal eine Zustimmung nur für einen hohen Preis abringen lassen will. Bietet Erdogan sowohl Schweden und Finnland, aber auch dem Rest der NATO die Stirn und kann durch Verhandlungen gar einen Politikwechsel bezüglich der Kurdenmiliz erwirken, dürfte ihm das innenpolitisch sicherlich Punkte bringen.
Das Problem mit der F-16
Eine weitere Interpretation aus dem Umfeld des türkischen Präsidenten ist, Erdogan wolle auch US-Präsident Joe Biden ein Signal senden. Möglicherweise setzt Erdogan seine Zustimmung zum NATO-Beitritt der beiden skandinavischen Länder als Hebel bei Verhandlungen mit den USA um F-16 Kampfflugzeuge ein.
Außerdem kooperieren auch die US-Streitkräfte mit dem syrischen PKK-Ableger YPG im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Das hat wiederholt zu Verwerfungen zwischen Ankara und Washington geführt.
Im NATO-Bündnis dürften sich einige unterdessen die Frage stellen, wie verlässlich die Türkei unter einem Präsidenten Erdogan überhaupt noch ist, wenn er den Beitrittswunsch zweier EU-Mitglieder zur NATO für innenpolitisches Zwecke einsetzt.