Joseph Roth schreibt am 30. Januar 1933, der Tag, an dem Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernennt, an Stefan Zweig: „Inzwischen wird Ihnen klar sein, dass wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.“ Am gleichen Tag verlässt Roth Berlin und reist ins Exil.
Zwei von vielen, die ihre Heimat verlassen, weil sie um ihr Leben fürchten. Während einzelne Autoren, zu ihnen gehört Kurt Tucholsky, im Exil verstummen, greifen andere ihre Sehnsucht nach der Heimat literarisch auf, wollen Widerstand gegen Nazi-Deutschland leisten und über die Greueltaten des Regimes in ihren Werken aufklären.
Thomas Mann sagt 1938 in einem Interview mit der „New York Times“: „Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir. Ich lebe im Kontakt mit der Welt und ich betrachte mich selbst nicht als gefallenen Menschen.“
Hier nun meine persönliche Auswahl der 20 besten Werke der deutschen Exilliteratur. Sie ist natürlich rein subjektiv. Hinterlasst mir gern einen Kommentar, bspw. wenn ein Werk aus eurer Sicht in dieser Liste fehlen sollte.
Friedrich Torberg, Mein ist die Rache
Nur knapp über 70 Seiten beträgt der Umfang von Friedrich Torbergs Novelle. Es ist das komprimierte Grauen!
Ein neuer Kommandant übernimmt das kleine Konzentrationslager nahe der niederländischen Grenze. Sadistisch quält er die Gefangenen. Einzelne werden so lange gefoltert, bis sie vor seinen Augen Selbstmord begehen. Dazu gibt er seinen Opfern jedesmal seine Pistole in die Hand.
In der Judenbaracke des Konzentrationslagers beginnt eine lange Diskussion. Soll man den Kommandanten erschießen, wenn man selbst an der Reihe ist? Einige sind dafür, andere verweisen auf den Bibelpsalm, in dem Gott sagt: „Mein ist die Rache!“
Ich habe für den schmalen Band mehr als fünf Stunden Lesezeit benötigt. Immer wieder musste ich die Novelle zur Seite legen. Unverständlich für mich, dass „Mein ist die Rache“, erstmals 1942 im US-amrerikanischen Exil veröffentlicht, zurzeit nur antiquarisch erhältlich ist.
Oskar Maria Graf, Das Leben meiner Mutter
Am 17. Februar 1933 fährt Graf zu einer Vortragsreise nach Wien. Dort wird er Mitglied in der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. Es ist der Beginn seines, zunächst freiwilligen, Exils. Als er aufgrund von Presseberichten den Eindruck gewinnt, dass seine Bücher nicht den Bücherverbrennungen vom 10. Mai zu Opfer gefallen sind, veröffentlicht er zwei Tage später in der „Arbeiter Zeitung“ seinen Protest: „Verbrennt mich!“
„Das Leben meiner Mutter“ ist ein autobiographischer Roman. Er umfasst die Zeit von der Geburt von Grafs Mutter 1857 bis zu deren Tode im Jahr 1934.
Während Oskar Maria Graf den ersten Teil in der Tschechoslowakei schreibt, wird der zweite Teil in den USA verfasst. Wie auch in seinen anderen Werken beeindruckt der Roman durch seine präzise Darstellung des dörflichen Lebens. Kein anderes Werk werfe ein klareres Licht auf die jüngste deutsche Geschichte und auf das, was im deutschen Wesen gut und echt ist, als Grafs Roman, urteilt der Journalist Heinz Pol.
Arnold Zweig, Das Beil von Wandsbek
Was für ein Pakt mit dem Teufel, den der Schlächtermeister Albert Teetjen im Sommer 1937 eingeht: Kurz vor dem geschäftlichen Ruin stehend, bittet er einen alten Kriegskameraden, den Hamburger „Reichswirtschaftsführer“ Footh, brieflich um Hilfe gegen die erdrückende Konkurrenz der Warenhäuser. Footh macht Teetjen einen Vorschlag, der ihm 2.000 Mark einbringen soll: Wegen Krankheit des Henkers kann die Hinrichtung von vier verurteilten Kommunisten nicht vollzogen werden. Teetjen soll die Aufgabe des Henkers übernehmen. Der Schlächtermeister willigt ein.
Mit dem Blutgeld gelingt es Teetjen und seiner Frau in bescheidenem Wohlstand zu leben. Doch dann erfahren die Nachbarn, woher das Geld stammt.
Arnold Zweig verfasste den Roman in Haifa, wo er seit 1934 lebte. 1943 wurde das Buch auf Hebräisch veröffentlicht. Erst 1947 erschien der Roman auf Deutsch in einem Stockholmer Verlag.
Ödön von Horváth, Jugend ohne Gott
Was macht eine Diktatur aus unseren Kindern? von Horváth beantwortet diese Frage in seinem Roman „Jugend ohne Gott“. Schon der Titel weist auf die seelische Kälte, Gedanken- und Charakterlosigkeit der Jugend im nationalsozialistischen Deutschland hin. Man befindet sich im „Zeitalter der Fische“ (so eine Kapitelüberschrift): Kinder und Jugendliche werden mit Propaganda zu teilnahmslosen Mitläufern erzogen, die nicht fähig sind, eigenständig zu denken. Wie Fische schwimmen sie niemals aus dem schützenden Schwarm heraus, sondern folgen den ihnen vorgegebenen Parolen.
Der Roman schildert den Alltag eines jungen Geschichtslehrers aus dessen Perspektive. Zwar ist er fassungslos gegenüber der Kälte und unmoralischen Haltung seiner Schüler, verhält sich aber systemkonform, um seine Arbeit nicht zu verlieren und selbst ins Visier der Machthaber zu kommen. Das Geschehen nimmt an Fahrt auf, als die Klasse zu einem Zeltlager aufbricht, in deren Verlauf ein Mord geschieht. Es kommt zum Prozess.
Vor allen Dingen von Horváths Kniff, die Schüler nur mit Buchstaben zu benennen, hat mir gut gefallen. Sie haben also keine eigene Individualität, sodass des Autoren Kritik an Mitläufertum und Opportunismus verstärkt wird.
Bertolt Brecht, Leben des Galilei
„Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“
1939 schreibt Bertolt Brecht diese Zeilen im dänischen Exil und legt sie seinem Galileo Galilei in den Mund. Seit Beginn ihrer Machtergreifung im Januar 1933 haben die Lügen und die Propaganda der Nationalsozialisten den Zweiten Weltkrieg vorbereitet.
Brechts „Leben des Galilei“ ist aktueller denn je. Spätestens seit Trump wissen wir, dass wir auch in den westlichen Demokratien die Wahrheit zu verteidigen haben. Sie ist die Basis unserer demokratischen Grundordnung.
Lion Feuchtwanger, Exil
Der Komponist Sepp Trautwein, von den Nazis als „Kulturbolschewist“ beschimpft, im Grunde aber ein unpolitischer Mensch, ist vor dem neuen Regime aus seiner Heimat nach Paris geflohen. Bereits seit zwei Jahren führt er in der französischen Hauptstadt das entbehrungsreiche Leben eines Emigranten. Der Journalist Friedrich Benjamin bittet Trautwein, ihn einige Tage in der Redaktion der deutschen Emigrantenzeitschrift „Pariser Nachrichten“ zu vertreten. Er habe in der Schweiz einen Informanten zu treffen. Eine Falle, wie sich bald herausstellt: Benjamin wird von Nazis nach Deutschland verschleppt. Von diesem Zeitpunkt an kämpft Trautwein mit allen publizistischen Mitteln für die Freilassung Benjamins und vernachlässigt dabei seine Frau, die in einer Zahnarztpraxis arbeitet und den Großteil der Lebenshaltungskosten für die Familie bestreitet.
Ein Roman, der viel vom Leser abverlangt, einen tief berührt und einen Einblick in die äußeren und inneren Erlebnisse der Emigranten bietet – die herrschende Unsicherheit, die Geldnöte, die Ohnmacht, das Schwanken zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit.
Joseph Roth, Die Kapuzinergruft
Ein schmales Bändchen nur, und doch umspannt „Die Kapuzinergruft“ einen Zeitraum von fast 25 Jahren. Die Handlung beginnt im April 1913 und endet mit dem Einmarsch der Deutschen in Österreich im März 1938. Der Nichtsnutz Franz Ferdinand Trotta – er gehört der Familie an, die Joseph Roth bereits in seinem Roman „Radetzkymarsch“ vorstellte – erzählt rückblickend aus seinem Leben.
Der Roman ist ein melancholischer Blick auf eine vergangene Zeit: Der Erste Weltkrieg lässt die k.u.k.-Monarchie zusammenbrechen, traditionelle Werte verschwinden, in der Generation Trottas machen sich Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit breit.
Mit Freunden in einem Café sitzend erfährt er, dass Österreich an Deutschland angeschlossen würde. Seine aristokratischen Freunde verlassen schnell das Lokal. Auch der jüdische Wirt geht. Nur Trotta bleibt sitzen. In der Nacht sucht er die Kapuzinergruft auf, die Begräbnisstätte der Habsburger Kaiser. Sie ist geschlossen. Zur gleichen Zeit überschreiten deutsche Truppen die österreichische Grenze.
„Es ist ein Roman ohne Ausweg, es sei denn in eine Gruft“, schreibt Roths Schriftstellerkollege Hans Natonek in der Exilzeitschrift der „Neuen Weltbühne“.
Erika Mann, Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem Dritten Reich
Aus ihrem Schweizer Exil heraus beobacht Erika Mann den Alltag in einer süddeutschen Universitätsstadt im nationalsozialistischen Deutschland. Vor allen Dingen beeindruckt die Lebendigkeit und ihr Humor, mit der sie es schafft, ein realistisches Bild vom Leben in der Diktatur zu entwerfen, das oftmals grotesk erscheint, beispielsweise wenn von der Fülle der sich teilweise widersprechenden Bestimmungen die Rede ist. „Die Dummheit und mit ihr die Barbarei sind mit Hitler an die Macht gelangt“, schreibt die Erika-Mann-Biografin Irmela von der Lühe in ihrem Nachwort.
Thomas Mann, Lotte in Weimar
Die jahrelange Auseinandersetzung Thomas Manns mit Johann Wolfgang von Goethes Werk und Persönlichkeit finden bereits in den 1920er-Jahren ihren Niederschlag in zahlreichen Artikeln, Reden und Essays. In „Lotte in Weimar“ (laut Thomas Manns Tagebüchern zwischen dem 11. November 1936 und dem 25. Oktober 1939 entstanden) erreichen sie ihren Höhepunkt.
Goethe ist nicht nur das große Vorbild Thomas Manns, mehr und mehr ist ihm der deutsche Klassiker zum Maßstab eigenen Schaffens geworden.
Im Herbst 1816 besucht die verwitwete Hofrätin Charlotte Kestner Weimar, um dort Verwandte zu besuchen. In ihrer Jugend war sie das Urbild der Lotte in Goethes Jugendroman „Die Leiden des jungen Werther“. Sie steigt ab im Hotel Elephant. Dessen Kellner Mager sorgt schnell dafür, dass sich in der Stadt die Nachricht von der Ankunft Lottes wie ein Lauffeuer verbreitet. Schnell versammeln sich Einwohner vor dem Hotel, um „Werthers Lotte“ zu sehen. Nach und nach zeichnet Thomas Mann ein Bild der zeitgenössischen Gesellschaft und zu dem vom alternden Goethe repräsentierten klassischen Humanismus.
„Lotte in Weimar“ – das ist ein umfassendes Gegenbild zur Barbarei, die seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland herrscht.
Franz Werfel, Eine blaßblaue Frauenschrift
In dieser Novelle (oder ist es ein Kurzroman?) geht es um Macht und um Schuld und ein Stück weit auch um den in Österreich zwei Jahre vor dem Anschluss an Deutschland verbreiteten Antisemitismus.
Leonidas ist Dank einer Hochzeit mit einer Millionenerbin der Aufstieg vom Hauslehrer in die Oberschicht Wiens geglückt. Da erhält er einen Brief seiner einstigen Geliebten Vera, einer Jüdin. Sie bittet ih, sich eines 17-jährigen anzunehmen. Leonidas vermutet, dass es sich um seinen Sohn handeln muss. Muss er seiner Frau alles gestehen? Muss er gegen die antisemitische Linie seines Ministeriums handeln, in dem er arbeitet? Leonidas Welt, die auf Anpassung und Oberflächlichkeit beruht, gerät ins Wanken.
Klaus Mann, Mephisto
„Angenommen, die Nazis blieben an der Regierung: was hatte er, Höfgen, schließlich von ihnen zu fürchten? Er gehörte keiner Partei an, er war kein Jude. Vor allem dieser Umstand – daß er kein Jude war – erschien Hendrik mit einemmal ungeheuer tröstlich und bedeutungsvoll. Was für ein unverhoffter und bedeutender Vorteil, man hatte es früher gar nicht so recht bedacht! Er war kein Jude, also konnte ihm alles verziehen werden, selbst die Tatsache, daß er sich im Kabarett „Sturmvogel“ als „Genosse“ hatte feiern“ lassen.“
Dieser Hendrik Höfgen steigt zum Favoriten des Nazi-Bonzen Göring auf und schließlich zum Intendanten der Staatlichen Bühnen Berlins. Er ist ein Karrierist und Opportunist. Nicht etwa aus einer politischen Überzeugung heraus dient Höfgen den Nationalsozialisten – für seine Karriere als Künstler ist er bereit jeden Preis zu zahlen, bis hin zum Verrat an seinen Freunden.
Hendrik Höfgen ist Gustaf Gründgens. Das steht zumindest für die meisten zweifelsfrei fest. Klaus Mann selbst hat das bestritten. Ihm ginge es nicht um den Einzelfall, sondern um den Typ, um die satirische Entlarvung eines Opportunisten, deer aus egoistischen Gründen mit den Nazis ein Bündnis eingeht. Diesen Typ hat Klaus Mann bereits in seinem 1932 erschienenen Roman „Treffpunkt im Unendlichen“ vorgestellt: er heißt Gregor Gregori.
Heinrich Mann, Die Jugend des Königs Henri Quatre, Die Vollendung des Königs Henri Quatre
Heinrich Manns Werk schildert des Lebensweg Henri IV. und die unter seiner Regierung vollzogene Einigung Frankreichs. Schon der erste Satz des zweiteiligen Romans lässt ermessen, welche Aufgabe vor dem König liegt: „Der Knabe war klein, die Berge waren ungeheuer.“
Mit Henri bedient sich Heinrich Mann einer historischen Figur, um ein Kontrastbild zur Herrschaft der Nationalsozialisten, die das deutsche Volk verführten mit Lügen, Hass und Propaganda, zu schaffen. „Ein Mächtiger kann lieben, wie dieser König seine Menschen …“ schreibt der Schriftsteller in seinen Memoiren „Ein Zeitalter wird besichtigt“.
Freunde von historischen Romanen kommen bei diesem farbenreichen Werk voll auf ihre Kosten.
Anna Seghers, Das siebte Kreuz
Es ist das berühmteste Buch von Anna Seghers. Bereits während des Krieges findet es weite Verbreitung und wird ein internationaler Erfolg. Ein Bericht über einen tatsächlichen Vorgang regt die Autorin zum Schreiben ihres Romans an.
Im Oktober 1937 fliehen sieben Häftlinge aus dem Konzentrationslager Westhofen bei Worms. Der KZ-Kommandant Fahrenberg bietet seinen gesamten Machtapparat auf, um den Flüchtigen habhaft zu werden. Fahrenberg schwört, diese innerhalb einer Woche einzufangen und zur Abschreckung an sieben Platanen binden zu lassen, die als Kreuze hergerichtet werden.
Ein Flüchtling nach dem anderen wird zurückgebracht oder findet den Tod. Ein Kreuz allerdings bleibt symbolhaft leer – dem jungen Georg Heisler gelingt die Flucht Richtung Niederlande.
Anna Seghers, Der Ausflug der toten Mädchen
Es ist die eindringlichste Erzählung, die ich von Anna Seghers kenne. Sie beschreibt die Erinnerungen der Ich-Erzählerin Netty an einen Schulausflug vor dem Ersten Weltkrieg. Nach und nach breitet sie die Schicksale der an dem Ausflug teilnehmenden Mädchen und Lehrerinnen bis zum Ende des 2. Weltkriegs aus.
Am 1. Juni 2021, dem 38. Todesstag von Anna Seghers, habe ich einen imaginären Ausflug zu ihrem Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin unternommen. Dabei hatte ich ihre Erzählung.
Carl Zuckmayer, Des Teufels General
Hitler ist der Teufel. Harras ist sein General.
Obwohl er nichts für die Nationalsozialisten übrig hat und ihre Standpunkte verachtet, arbeitet Harras für das Regime. Als Verantwortlicher für den Flugzeugbau kommt er in Bedrängnis, als sich Flugzeugabstürze durch Matrialfehler häufen. Nach zweiwöchiger Haft erhält er die Möglichkeit, sich zu rehabilitieren. Innerhalb von zehn Tagen habe er die Gründe für Abstürze aufzuklären. Schließlich deckt er einen Sabotageakt an einem neuen Flugzeugtyp auf, an dem auch sein bester Freund Odenbruch beteiligt ist. Obwohl ihn sein Freund bedrängt, zu fliehen, übernimmt Harras die volle Verantwortung. Harras besteigt eine sabotierte Maschine und fliegt in den Tod.
In seinen Memoiren berichtet Zuckmayer über die Arbeit an dem Stück, das er im Dezember 1942 im amerikanischen Exil begonnen hatte: „Ich lebte mit dem Stück, ich lebte mit Deutschland. Und als der Krieg zu Ende ging, war auch das Stück vollendet.“
Stefan Zweig, Die Welt von Gestern
„Die Welt von Gestern“ ist die Autobiographie Stefan Zweigs. Das Buch entsteht in den Jahren 1939 bis 1941. Die Veröffentlichung erlebt Zweig nicht mehr. Im Februar 1942 wählt er im brasilianischen Exil den Freitod.
Es ist ein liebender und doch objektiver, keinesfalls melancholischer Blick auf die Kultur des alten Europas mit einem Schwerpunkt auf die k.u.k.-Monarchie und ihre Hauptstadt Wien.
Erich Maria Remarque, Liebe deinen Nächsten
Dieses Buch ist ein einziger Appell. Ein Appell für mehr Nächstenliebe, für mehr Menschlichkeit. Remarque lässt die Schwächsten zu Wort kommen, die, die verfolgt werden und sich auf der Flucht befinden. Einige von ihnen finden, alles sei besser als der Tod oder alles sei besser als der Krieg. Andere verzweifeln an ihrer Situation, werden ihrer müde und begehen einen Diebstahl, nur, um nicht mehr flüchten zu müssen, sondern eingesperrt zu werden.
Stellvertretend für so viele Schicksale stellt der Autor drei Flüchtlingsbiographien in den Vordergrund und begleitet den jüdischen Studenten Ludwig Kern, Josef Steiner und die Jüdin Ruth Holland auf ihrer Flucht durch Europa, ihren erfolglosen Versuchen, Aufenthaltsgenehmigungen und gültige Pässe zu bekommen. Dabei erfahren sie Hilfsbereitschaft, aber auch Denunziation und Verfolgung.
Immer wieder treffen die drei aufeinander. Steiner wird einen Brief seiner Frau erhalten, die ihm mitteilt, dass sie bald sterben würde. Er bricht unverzüglich auf in den sicheren Tod – kann seine Frau in ihren letzten Lebenstagen täglich besuchen. Ludwig und Ruth werden dank eines glücklichen Umstandes gemeinsam Europa Richtung Mexiko verlassen.
Ein Roman, der lange nachwirkt.
Anna Seghers, Transit
Ein wunderbares Buch! Unglaublich, mit welcher Intensität Anna Seghers den Ich-Erzähler des Romans seine Geschichte erzählen lässt.
Ich selbst bin vor einigen Jahren auf einem Literaturblog auf den Roman aufmerksam geworden und habe mir daraufhin das Buch gekauft. Nach wie vor halte ich die Besprechung (sie stammt von Birgit Böllinger) für großartig und wird auch euch sicher gefallen. Hier geht’s zu Birgits Beitrag.
Stefan Zweig, Die Schachnovelle
„Ich war durch meine fürchterliche Situation gezwungen, diese Spaltung in ein Ich Schwarz und ein Ich Weiß zumindest zu versuchen, um nicht erdrückt zu werden von dem grauenhaften Nichts um mich.“
Der anonyme Ich-Erzähler reist auf einem Passagierdampfer von New York nach Buenos Aires. Mit an Bord ist Mirko Czentovic, der junge herausragende und hochmütige Schachweltmeister. Dieser erlaubt es den Passagieren gegen Bezahlung gegen ihn im Simultanschach anzutreten.
Es ist ein ungleicher Kampf – wäre da nicht der geheimnisvolle Dr. B., der als Zuschauer der Veranstaltung beiwohnt und mit einem Hinweis auf einem Brett ein Remis rettet. Einige der schachbegeisterten Passagiere wollen Dr. B. dazu überreden, gegen den Schachweltmeister anzutreten. Sie ahnen nicht, welche Dämonen das Schachspiel in Dr. B. wachruft.
„Die Schachnovelle“ ist Stefan Zweigs letztes Werk, im brasilianischen Exil verfasst. Die Novelle wird ein halbes Jahr nach Zweigs Freitod in Brasilien veröffentlicht.
Irmgard Keun, Nach Mitternacht
Die neunzehnjährige Ich-Erzählerin des Romans, Sanna (Susanne) sitzt mit ihrer Freundin Gerti im Henninger-Bräu in Frankfurt und überdenkt den Tag und ihr bisheriges Leben. Mit der kindlichen Naivität einer jungen Frau, die sich nicht für Politik interessiert und noch nicht viel erlebt hat, aber das Herz auf dem rechten Fleck trägt, gibt sie in ihrem Monolog erschütternde Einblicke in das Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg.
Sanna ist die Tochter eines kleinen Weinbauern von der Mosel, die die letzten Jahre bei ihrer Tante in Köln gelebt hat. Diese Tante Adelheid ist eine fanatische Parteigängerin Hitlers. Um die beginnenden Liebe ihres Sohnes Franz zu ihrer Nichte zu unterbinden, hat sie diese wegen „verächtlich machender Bemerkungen über den Führer“ bei der Gestapo denunziert. Sanna wird verhört und verlässt Köln, um bei ihrem Stiefbruder Algin und dessen Frau Liska in Frankfurt zu leben. Algin ist Schriftsteller, doch seine Bücher wurden von den Machthabern verboten.
Am Abend füllt sich das Henninger-Bräu mit Gästen. Am Nachmittag ist Hitler durch die Stadt gefahren. Unter den Gästen im Bräu sind auch der Amtsverwalter Silias, seine Frau und die fünfjährige Tochter Bertchen, die trotz einer fiebrigen Erkältung dazu ausersehen war, dem „Führer“ ein Gedicht vorzutragen und einen Blumenstrauß zu überreichen. Obwohl der „Führer“ keine Zeit für das Gedicht hatte, muss Bertchen mehrere Male das Gedicht vortragen, bis sie plötzlich zusammenbricht und der herbeigerufene Arzt nur noch den Tod feststellen kann.
Erschüttert verlässt Sanna das Bräu und trifft in einem Bierlokal den politisch geächteten Journalisten Heini. Sehr spät kehrt Sanna nach Hause zurück. Sie erhält nach langer Zeit einen Brief von Franz, in dem er sein Kommen ankündigt.
Franz, der sich mit einem Freund ein kleines Tabakwarengeschäft gemietet hatte, um sich von seiner Mutter zu lösen. Von einem SA-Mann, der ein Auge auf das Geschäft geworfen hatte, wurde er wegen angeblicher Äußerungen gegen Hitler denunziert und mußte drei Monate in Haft verbringen. Nach seiner Freilasung habe er den Denunzianten getötet und sei nun auf der Flucht.
Sanna steht vor einer Entscheidung. Soll sie ihr Leben weiterführen oder zusammen mit Franz aus Deutschland fliehen?