Ein Öl-Embargo wäre eine scharfe Waffe gegen Russland, weil das Land mit Öl mehr Devisen erlöst als mit allen anderen Energieträgern
Aus Europa fließen täglich Hunderte Millionen Euro für Öl und Gas und Kohle an Russland. Ein Kohleembargo ist inzwischen beschlossen, tritt aber erst im August in Kraft. Jetzt scheint auch Deutschland, bislang einer der großen Bremser, bereit zu sein für ein Ölembargo. Russland ist nun mal der drittgrößte Ölförderer der Welt und der zweitgrößte Exporteur.
Es liefert fünf Prozent des weltweiten Ölverbrauchs und zehn Prozent der raffinierten Ölprodukte – also Benzin und Diesel. Daher ist Russland als Öllieferant selbst für Länder, die weniger Öl in Russland einkaufen als Deutschland nicht so einfach zu ersetzen. Trotzdem ist ein europäisches Ölembargo gegenüber Russland nicht unwahrscheinlich.
Von Erdöl sind viele Bereiche abhängig: Verkehr, Heizung, Produktion. Im Zuge des Krieges in der Ukraine sind die Ölpreise stark gestiegen.
Energieabhängigkeit von Russland –
Wo steht Deutschland?
Wirtschaftsminister Habeck hat in der letzten Aprilwoche erklärt, Deutschland könne kurzfristig ohne russisches Öl auskommen. Deutschland hat zu Beginn des Krieges 35 Prozent seines Öls aus Russland importiert, also etwa ein Drittel. Wir waren damit deutlich abhängiger von russischem Öl als die meisten anderen westlichen Länder. Neun Wochen später, Ende April, kommen nur noch 12 Prozent unseres Öls aus Russland.
Das liegt auch daran, dass Öl nicht nur über Pipelines, sondern leicht auch per Schiff lieferbar ist. Westeuropäische Raffinerien können über Häfen wie Rotterdam versorgt werden; von dort aus wird das Öl weiter über den Rhein verschifft.
Woher bezieht Deutschland das zusätzliche Öl?
Inzwischen kommt also mehr Öl aus anderen Förderländern in Deutschland an, vor allem aus Norwegen.
Deutschland selbst fördert auch Öl, vor allem in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Doch selbst, wenn diese Länder in der Nordsee – und damit im Naturschutzgebiet Wattenmeer – mehr Öl fördern würden, würde das nur einen sehr kleinen Teil unseres Bedarfs decken.
Mehr Öl aus Fracking-Vorkommen in den USA wäre wohl offenbar auch erst in ein paar Jahren verfügbar, weil es so lange dauert, neue Vorkommen zu erschließen.
Die OPEC, die Gemeinschaft der erdölexportierenden Länder, lehnt es bislang kategorisch ab, entscheidend mehr Öl zu fördern. Viele Experten glauben aber, dass Saudi-Arabien demnächst wieder mehr Öl liefern will. Das Land habe genug freie Kapazitäten dafür.
Bliebe noch die Möglichkeit, mehr Öl aus dem Iran oder Venezuela zu beziehen. Beide Ölförderländer sind mit Sanktionen belegt. Vor einer Aufhebung müsste es hier also zu diplomatischen Deals kommen. US-Diplomaten sind offenbar schon im Gespräch mit Counterparts in beiden Ländern. Doch selbst eine Rückkehr beider Länder auf den Weltmarkt würde vermutlich nicht ausreichen, um das russische Öl vollständig zu ersetzen.
Gas aus Russland Welche wirtschaftlichen Folgen hätte ein EmbargoKönnte Deutschland komplett unabhängig werden?
Die 12 Prozent des Öls, die Deutschland aus Russland bezieht, sind nicht so leicht zu ersetzen. Sie entfallen fast vollständig auf die ostdeutsche Raffinerie Schwedt. Sie ist die deutsche Achillesferse bei der Ölversorgung. Die Raffinerie, die große Teile Berlins und Brandenburgs und auch den Flughafen BER mit Benzin, Diesel und Kerosin versorgt, hängt komplett an der Ölleitung Druschba aus Russland und kann nicht über westliche Häfen beliefert werden.
Schwedt könnte einen Teil des notwendigen Öls über den Rostocker Hafen bekommen. Dafür, so Regierungsberater Jörg Kukies Anfang Mai, müsse allerdings das Hafenbecken des Rostocker Hafens vertieft werden, was Monate dauern kann. Außerdem stünden noch Arbeiten an der Pipeline an, die das Öl von Rostock nach Schwedt bringen solle.
Die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt
Öl könnte auch über eine polnische Pipeline aus Danzig kommen, die in die Druschba-Leitung nach Schwedt mündet, so hat Habeck es mit der polnischen Regierung ausgehandelt. Das Problem ist allerdings, dass die Raffinerie in Schwedt zu 90 Prozent dem russischen Konzern Rosneft gehört, und der will weiterhin russisches Öl dorthin pumpen. Solange Rosneft in Schwedt im Geschäft ist, will Polen überdies nicht liefern.
Bei einem Ölembargo würde die Raffinerie wohl Insolvenz anmelden müssen; dann könnte die Bundesregierung einschreiten und die Raffinerie retten. Alternativ könnte der deutsche Staat die Raffinerie unter seine Kuratel stellen. Das Bundeskabinett hat dazu das Energiesicherheitsgesetz novelliert; wenn der Bundestag es beschließt, können ab Juni können Unternehmen der kritischen Energieinfrastruktur unter Treuhänderschaft gestellt oder sogar enteignet werden, wenn sie ihren Aufgaben nicht mehr hinreichend nachkommen.
Was würde ein Importstopp bedeuten?
Das würde bedeuten, dass nahezu alles teurer wird: Heizen und Autofahren, Lebensmittel, für deren Herstellung viel Energie gebraucht wird. Textilien, Kunststoffe oder Kosmetika enthalten ebenfalls viel Erdöl. Fluggesellschaften, Reedereien und Speditionen brauchen Öl für ihre Transporte. Auch über diese höheren Transportkosten würden sich dann viele Produkte verteuern. Manche Experten sprechen schon von einer „Kriegsinflation“: Ein hoher Ölpreis gießt Öl ins Feuer der Inflation.
Gleichwohl wäre ein Stopp der Ölimporte für die europäische und deutsche Wirtschaft leichter zu verkraften als ein Gasembargo. Denn während Gas nur über Pipelines und in verflüssigter (LNG) Form über Schiffe transportiert werden kann, kann Öl auch anders transportiert werden. Außerdem gibt es mehr Anbieter. Einspringen könnten, allerdings auch nur mit Vorlauf, Algerien, Libyen oder derzeit geächtete Länder wie Venezuela oder Iran.
Wie stark würde ein Öl-Embargo Russland treffen?
Die Einnahmen aus dem Öl sind für Russland langfristig drei- bis viermal wichtiger als die aus dem Gasexport, sagen Experten wie Gunter Deuber, Leiter der Forschungsabteilung bei der Raiffeisen Bank International in Wien. Russlands Staatshaushalt werde zu etwa einem Drittel aus Ölverkäufen gedeckt und nur zu sieben Prozent aus Gaseinnahmen, so beschrieb es Ende April auch der Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea.
Ein Ölembargo ist also eine scharfe Waffe gegen Russland. Die USA gehen als erste diesen Weg. US-Präsident Joe Biden hat im März angekündigt, dass sein Land künftig kein Öl und Erdgas aus Russland mehr importieren wird. Der Importstopp der USA ist laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit den Europäern abgestimmt. Nachdem die Bundesregierung bei dieser Frage lange auf die Bremse getreten hat, unterstützt sie nun europäische Planungen für ein Einfuhrverbot für russisches Öl.
Verhandlungen über 6. Sanktionspaket in Brüssel
Dadurch könnten aber Staaten in Asien, Afrika oder Südamerika in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Denn wenn die USA, die EU, Japan und Kanada gleichzeitig ein Embargo verhängen, so die Prognose, träfe das nicht nur Russland, sondern würde den Weltmarktpreis für Öl so nach oben treiben, dass viele Staaten in Asien, Afrika und Südamerika das kaum verkraften könnten.
Russland könnte sein Öl allerdings weiterhin an China, Indien und andere willige Abnehmer verkaufen. Das kann der Westen nur unterbinden, wenn er sogenannte sekundäre Sanktionen einführt. Solche haben die USA gegen den Iran verhängt. Die USA sanktionieren damit auch Länder, die weiterhin mit dem Iran Geschäfte machen.
Welche Reserven hat die Bundesrepublik?
Deutschland hat seit 1966 eine sogenannte nationale Ölreserve. Die Ölreserve soll reichen, um Deutschland 90 Tage lang mit Mineralöl, Benzin, Diesel, Heizöl oder Flugbenzin zu versorgen. Allerdings hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sie bereits vor wenigen Tagen freigegeben, um den Preisanstieg abzupuffern.