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Meist mußten wir Sie in den vergangenen Wochen mit schockierenden Entwicklungen im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine begrüßen, mit einem drohenden Atomkrieg, mit Sorgen um die Demokratie, mit den Krisen in der Welt. Mit Tod, Dunkelheit und Leid. |
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Zu Recht, weil es natürlich keine Option ist, davor die Augen zu verschließen, wenn sich eine Hiobsbotschaft an die andere reiht. |
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„Bitte nicht noch eine Krise |
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Zumindest diese Krise, die die Präsidentschaftswahl ab dem heutigen Tag hätte auslösen können, bleibt Europa und der Welt erspart.
Vorerst zumindest. |
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Aufatmen ist ein großes Wort, während in der Ukraine der Krieg tobt und täglich Menschen sterben. Ein Moment der Erleichterung ist es dennoch. |
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Im Kanzleramt. In der Bundesregierung. In Europa. In der EU, der Nato. |
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Frankreichs alter und neuer Präsident Emmanuel Macron mit seiner Frau Brigitte |
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Als Macron um 21.42 Uhr endlich vor seine Anhänger neben dem Eiffelturm trat, kündigte er an: „Diese neue Ära wird nicht die Kontinuität der zu Ende gehenden fünf Regierungsjahre sein. Wir werden anspruchsvoll und ehrgeizig sein müssen. Wir haben so viel zu tun, und der Krieg in der Ukraine ist da, um uns daran zu erinnern, dass wir uns in tragischen Zeiten befinden, in denen Frankreich seinen Weg finden muss.“ |
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Er ist erst der vierte Präsident, dem eine zweite Amtszeit vergönnt ist. Der erste war Charles de Gaulle, der jedoch erst zu seiner zweiten Amtszeit 1969 direkt gewählt wurde. Zwei Mandate erstritten auch der Sozialist François Mitterand (von 1981 bis 1995 im Amt) und der Konservative Jacques Chirac (1995 bis 2007). |
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Was aber viel wichtiger ist:
Die Bevölkerung hat damit eine politische Katastrophe verhindert – mit Konsequenzen, die mindestens das Verhältnis zu Deutschland sowie die Stabilität in Europa erschüttert hätten und darüber hinaus unabsehbar gewesen wären. |
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Kämpferisch und gut gelaunt trotz Niederlage: Marine Le Pen. |
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Macrons Kontrahentin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, wollte die „préférence nationale“ einführen, also Franzosen bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche bevorzugen, Ausländer sogar von Sozialleistungen ausschließen. Geflüchtete sollten kein Asyl mehr beantragen können. All das wäre auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, insbesondere aber auch gegen das Völker- sowie das EU-Recht hinausgelaufen. |
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„Nur“ ein Rechtsstreit? Ein Zerwürfnis mit den europäischen Bündnispartnern? Sogar ein Austritt aus der EU? Alles wäre möglich gewesen. |
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Genauso wie eine Kündigung der deutsch-französischen Freundschaft, eine Partnerschaft mit Russland und Ungarn – und wer-weiß-was-noch-alles. |
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Der Sieg von Macron hingegen ist ein Sieg für Europa
Er wird sich für Stabilität einsetzen, für Reformen, für Investitionen und sich als Anführer Europas inszenieren und damit eine Art Nachfolger von Angela Merkel. Er wird in dieser Rolle auch Druck auf die Bundesregierung ausüben und insbesondere auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Da die Amtszeit eines Präsidenten in Frankreich begrenzt ist, ist klar: Macron kann ohne Rücksicht auf eine mögliche Wiederwahl wirken, weil es sie nicht geben wird. |
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Alles gut also und ein Grund zu frohlocken?
Von wegen. Die Erleichterung ist trügerisch. |
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Vor fünf Jahren hatte Macron die Stichwahl noch mit 66,1 Prozent gewonnen, während Le Pen bei 33,9 Prozent landete. In diesem Jahr kam Le Pen auf mehr als 40 Prozent, Macron dagegen verlor fast zehn Prozent. |
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Von Sorgen, Problemen und Gefahren können wir Sie deshalb leider auch heute nicht verschonen. Und das erkennen Sie schon daran, dass ein gewichtiger Teil der Macron-Wähler den alten und neuen Präsidenten nicht gewählt hat, weil er von ihm überzeugt ist. Mit seiner Arroganz und auch Passivität im Wahlkampf hat Macron für viel Unmut gesorgt. |
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Viele Wähler haben ihn also auch gewählt, um die Rechtspopulistin Le Pen zu verhindern.Fast 40 Prozent derjenigen, die bei der Stichwahl für ihn stimmen wollten, gaben in einer Vorwahlumfrage an, das nur zu tun, um Le Pen als Extreme zu „blockieren“, wie es in Frankreich heißt. |
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Das Prinzip der Verhinderung oder Vermeidung also. |
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Auch in Deutschland haben einige die SPD und somit einen Kanzler Olaf Scholz gewählt, um den in Ungnade gefallenen Unionskandidaten Armin Laschet zu verhindern. |
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Vermeiden oder verhindern?
Das ist fast immer schlecht. Wir kennen das wahrscheinlich alle aus dem Alltag. Wir bleiben mit einer Partnerin oder einem Partner zusammen, damit wir die Einsamkeit vermeiden. Besser wird die Beziehung dadurch nicht. Wir behalten einen langweiligen Beamtenjob, damit wir uns nicht den Risiken des Arbeitsmarktes ausliefern müssen. Dadurch ändert sich natürlich nichts. |
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Wir fahren in das gleiche mittelmäßige Hotel an der Ostsee, damit wir nicht riskieren, in einem noch mieseren zu landen. Den Urlaub macht das allerdings nicht unbedingt besser. Im Zweifel lassen wir die Post vom Finanzamt aus Angst vor der Steuernachzahlung ungeöffnet. Auch das ist keine wirklich gute Idee. |
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Der Unterschied zwischen der Partnerwahl auf der einen sowie der Wahl eines Präsidenten in Frankreich auf der anderen Seite ist vor allem: Das eine können wir mit unserem Verhalten direkt beeinflussen – das andere nur bedingt. Wer in Frankreich einfach einen anderen Kandidaten gewählt hat, der dann vor der Stichwahl gescheitert ist, der hat vor allem Pech gehabt. Und bezogen auf Frankreichs Politik letztlich die Wahl zwischen Pest und Cholera, wie es eine der Blockiererinnen der Sorbonne im französischen Fernsehen nannte. Also die Wahl zwischen Macron und Le Pen. |
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Emmanuel Macron begrüßt eine Wahlhelferin in einem Wahllokal. |
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Die Erleichterung über die Macron-Wahl erstreckt sich deshalb in erster Linie auf die europäischen Partner – und nicht unbedingt auf die gesamte Bevölkerung in Frankreich. Hier drohen die Enttäuschung und der Frust noch weiter zu wachsen, genauso wie die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergehen könnte. |
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Die wichtigste Erkenntnis für Frankreich ist wohl:
Diese Wahl ist die letzte Warnung. Wenn Macron nicht die Kurve bekommt, er seinen Wunschnachfolger Édouard Philippe in Stellung bringen kann, womöglich neue vielversprechende Kandidaten auftauchen oder eine Reform des Wahlsystems neue Perspektiven schafft, werden die politischen Ränder noch stärker. |
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Schon im Juni finden die Parlamentswahlen statt
Und bei der nächsten Präsidentschaftswahl in fünf Jahren könnten die Rechtspopulisten Macron den größten Makel beifügen. Und zwar den, dass er ihnen womöglich mit seiner Politik den Weg geebnet hat. |
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