Paris wird bombardiert, US-Fallschirmjäger landen in der Ukraine – Truppen auf den Champs-Elysees und Blogger, die es gar nicht gibt, loben Putin: Im Netz tobt eine Propagandaschlacht mit massenhaft falschen Bildern und Filmclips zum Krieg in der Ukraine. Journalisten, Leser und Zuschauer stehen vor großen Herausforderungen: Was ist echt, was Fälschung? Ein ganz normaler Touristentag in der Stadt der Liebe: Eine junge Frau posiert lächelnd vor dem Eiffelturm, der Himmel ist strahlend blau. Doch dann erschüttert eine Explosion Paris, Bomben fallen, Kampfjets donnern über die Häuser. Sirenen heulen, ein Baby weint. Verwackelte Handybilder zeigen Raketeneinschläge rund um die Kirche Sacré-Cœur auf dem Montmartre. „Was passiert hier?“,
fragt eine Frauenstimme. „Oh mein Gott!“ Auf dem Bildschirm erscheint eine Einblendung: „Stell Dir vor, das würde in einer anderen europäischen Hauptstadt passieren“, gefolgt von einem Zitat des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: „Schließt den Himmel oder gebt uns Kampfflugzeuge. Wenn wir fallen, fallt ihr auch.“
Welchem Bild soll man noch trauen?
Das furchterregende 45-Sekunden-Video, das das ukrainische Verteidigungsministerium veröffentlicht hat, ist eine Botschaft an Europa: Der Film soll die Nato-Westmächte davon überzeugen, eine Flugverbotszone über dem Land zu verhängen. Er ist bewusst als Manipulation gestaltet. Und die Qualität dieser Fälschung ist ebenso verblüffend und erschreckend: Wenn es technisch möglich ist, einen Militärangriff auf Paris mit solcher Akkuratesse vorzuspiegeln – welchem Bild aus diesem Krieg soll man da noch trauen? Welchem Bild überhaupt?
Noch nie hat ein moderner Krieg eine solche Flut an nicht nachprüfbaren Bildern produziert. Parallel zu den realen Gefechten und blutigen Kämpfen in zerschossenen Städten tobt bei Twitter, Instagram, Facebook und Tiktok eine digitale Schlacht um die Hirne und Herzen. Für viele Nachrichtenkonsumenten, sagte der Philosoph und Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich im Deutschlandfunk, sei dieser Krieg kein „Fernsehkrieg“ mehr mit grobkörnigen, abstrakten Nachtaufnahmen ohne Menschen wie 1991 aus Bagdad, sondern „tatsächlich ein Krieg, der in den sozialen Medien stattfindet“.
Bloggende Putin-Fans, die es gar nicht gibt
Die technische Perfektion, mit der etwa die Kreml-Propaganda seit Jahren massenhaft nützliche Bildmärchen ersinnt und verbreitet, um die öffentliche Meinung nach innen und außen im Sinne Putins zu beeinflussen, hat nach Erkenntnissen westlicher Fachleute eine neue Eskalationsstufe erreicht. Dazu gehören auch prorussische Blogger und Journalisten, die in Wahrheit gar nicht existieren. Es sind Fiktionen.
Der Facebook-Mutterkonzern Meta hat nach eigenen Angaben jüngst mehr als 40 Deep-Fake-Profile wie das von Kerimova und Bondarenko gelöscht: angebliche Journalisten mitsamt Gesicht und Lebensgeschichte, die in Wahrheit gar nicht existieren.
Diese Accounts seien jedoch nur ein Bruchteil der „Ukraine Today“-Initiative, die nach US-Regierungserkenntnissen Verbindungen zum russischen Geheimdienst haben soll. Auch reale Accounts von tatsächlich existierenden ukrainischen Journalisten, Politikern und Militärs haben Hacker im Propagandaauftrag geknackt und dort prorussische Propaganda verbreitet, etwa das Video eines angeblichen Ukrainers, der angeblich eine weiße Fahne schwenkt, um sich zu ergeben. Verantwortlich für diese Hacks soll laut Facebook-Mutter Meta die weißrussische Hackergruppe Ghostwriter sein.
Nicht nur staatlich gelenkte Trollarmeen nützen Putin
Nicht immer sind es staatlich gelenkte Trollarmeen, die Fake-Inhalte ins Netz blasen, um die Glaubwürdigkeit der Gegenseite zu untergraben und Putins Ruhm zu mehren. Oft teilen auch Privatpersonen wissentlich oder unwissentlich gefälschte oder aus einem ganz anderen Zusammenhang stammende Bilder, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, Empörung auszudrücken oder Likes zu „ernten“. So kursierten etwa Aufnahmen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, in denen dieser ein Trikot der ukrainischen Nationalmannschaft mit (nachträglich eingefügtem) Hakenkreuz hochhält. Die Manipulation soll die russische Propagandalüge vom „Nazi-Regime“ in Kiew anfachen.
Bilder von US-Fallschirmjägern sollen angeblich zeigen, wie amerikanische Truppen in den Krieg in der Ukraine eingreifen. Die Agentur Reuters hingegen wies darauf hin, dass die Clips seit 2016 in Umlauf sind und höchstwahrscheinlich Soldaten der 82nd und 101st Airborne Divisions beim Training in Fort Bragg im US-Bundesstaat North Carolina zeigen – und keine Landung in der Ukraine. Selbst Computerspielszenen aus Militär-Egoshootern wie „Arma 3″ oder „DCS World“ werden als reale Kriegsszenen im Netz geteilt und kommen auf Millionen Klicks.
„Noch viel genauer hinschauen“
„Im Netz kursieren zunehmend gefälschte Videos“, berichtet Patrick Gensing, Leiter des tagesschau.de-Onlineportals faktenfinder und seit 2019 auch Chef des Investigativressorts, in einem Beitrag. „Videoaufnahmen gelten bislang als wichtige Beweise, um Sachverhalte zu klären. Das könnte bald vorbei sein, denn die Manipulation von Bewegtbildern ist technisch längst für jeden möglich.“ Die Öffentlichkeit und vor allem wir Medienmacher müssten künftig also „noch viel genauer hinschauen, welche Videos echt sind und welche manipuliert“.
Das Handwerkszeug politischer Stimmungsmacher
Das wichtigste ideelle Instrument in diesem Krieg sind Bilder. Und das gilt nicht erst seit dem 20. Jahrhundert. Von den ersten Tagen der Fotografie an gehörten Bildmanipulationen zum Handwerkszeug politischer Stimmungsmacher. Schon im 19. Jahrhundert wurden Fotos verfälscht, um Helden zu preisen oder Verbrechen zu kaschieren: Eine Fotografie von 1864 aus dem amerikanischen Bürgerkrieg etwa zeigt den General und späteren US-Präsidenten Ulysses S. Grant hoch zu Pferde bei der Belagerung von Petersburg in Virginia. In Wahrheit ist das Bild aus drei Motiven zusammengesetzt – nur der Kopf stammt von Grant selbst.