Mit seiner Musik erfahren wir eine Losgelöstheit von der materiellen Erdenschwere, denn „durch die Luft zu schwimmen, über dem Boden zu schweben, ist ein Zustand, den Skrjabins Musik bevorzugt erzeugen will.
Nicht als Bedrohung“, sondern „als geborgenes Schweben, wie es als motorische Erinnerung in unserm Kleinhirn abgespeichert ist: unser Schwimmen im Fruchtwasser vor unserer Geburt. …

Er begreift Metrik und Harmonik als sinnliche Codes der Schwerkraft, mit denen es zu spielen gilt. Seine musikalischen Neuerungen zielen auf ein vorgeburtliches Glück, das nur empfinden kann, wer durch die Lernarbeit der Kultur  die Sprache der Musik so sehr verinnerlicht hat, dass sie in ihm „körperliche Reaktionen auslöst.“

In frühen Jahren war seine Musik noch sehr an der Frédéric Chopins und Franz Liszts orientiert, später lernte er die Musik Richard Wagners kennen, entwickelte seine Tonsprache aber schon bald über die Chromatik von Wagners Tristan und Isolde hinaus. Er folgte einem harmonischen System, das nicht mehr auf dur-moll-tonalen Bindungen fußt, sondern auf der Verwendung eines auf Quartschichtungen basierenden Akkordes, des so genannten „mystischen Akkords“ oder auch „Prometheus-Akkords“ (letztere Benennung nach dem Orchesterwerk Promethée. Le Poème du feu, op. 60). Die Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa hat Skrjabins sogenannte Klangzentrumstechnik – eine atonale Kompositionstechnik – als Vorform der Zwölftontechnik beschrieben.

Theosophie

Aufgrund einer Erkrankung seiner rechten Hand durch Überbeanspruchung 1891 und eines Rückfalls 1893, der fast zu einem Nervenzusammenbruch geführt hatte, bildeten sich bei Skrjabin erste Zweifel an Gott und der Religion. Wenige Jahre später lehnte er den orthodoxen Glauben vollkommen ab. 1903 begann er vermehrt philosophische Werke und griechische Mythen zu lesen sowie enge Verbindungen zu theosophischen Kreisen zu pflegen.

Der Synästhet Skrjabin

Die Musik genügte dem späteren Skrjabin als Ausdruck seiner philosophischen Ideen nicht mehr. Er war Farb-Synästhet, d. h. musikalische Klänge waren für ihn mit spezifischen Farbwahrnehmungen verknüpft. Skrjabin berichtete dem englischen Psychiater Charles S. Myers über seine Farbeindrücke beim Erklingen von Musik, die er unter anderem mit denjenigen von Nikolai Rimski-Korsakow verglich und viele Ähnlichkeiten feststellte.

Zum Ende seines Lebens beschäftigte ihn mehr und mehr die Idee eines multimedialen „Mysteriums“. Dieses sollte alle Sinne ansprechen als Symphonie aus Wort, Ton, Farbe, Duft, Berührungen, Tanz und bewegter Architektur.
Das hr-Sinfonieorchester spielt – dazu passend – Skrjabins „Poème de l’Extase“

Jan. 2022 | Allgemein | Kommentieren