Nach dieser Kanzlerschaft ist die CDU ein Trümmerhaufen. Könnte es sein, dass Peter Altmaier im Taumel seines Abschieds aus der Politik (die sein ganzes Leben war) ein wenig die Orientierung verloren hat, so wie der Taucher im Tiefenrausch? Also das Gefühl für die Richtungen, für hinten und vorne, oben und unten, rechts und links? Die CDU gehöre in die Mitte, da sei sie immer stark, sagte Altmaier vergangene Woche im Deutschlandfunk, daher (aber, bitte nicht nur deshalb) dürfe sie sich nicht nach rechts orientieren. Was daran stimmt: Die CDU war immer in der Mitte stark. Aber eben gerade die hat sie verloren.
Sie hat überhaupt kein Bild mehr von sich selbst. Hat jeden programmatischen Halt verloren. Ihr Weg zurück in die Mitte geht deshalb ganz sicher nicht über links. In die Richtung ist sie seit Jahren gegangen, über jede und vor allem: über ihre Mitte weit hinweg.
Unter Angela Merkel ist die CDU eine Partei links der Mitte geworden. Es schien eine Art Gesetzmäßigkeit zu sein, dass es die beiden (einstigen) Volksparteien in Regierungszeiten immer aus ihrem angestammten Terrain tief hinein in die Gefilde des jeweils anderen Lagers führte.
Nicht den falschen Freunden hingeben
Das war bei Gerhard Schröder so und das war bei Angela Merkel so, der Kanzlerin der Herzen eines grün-gentrifiziert-gegenderten urbanen Mitte-links-Milieus. Nirgendwo sonst ist Merkel so gefeiert worden wie in den Blättern dieses Milieus. Sogar bei der „taz“ schlug die Zuneigung manchmal in hemmungslose Begeisterung um. Bei der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Zeit“ sowieso.
Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“ und den „Spiegel“. Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins „Cicero“.
Aber, erstens darf sich die CDU von dieser Zuneigung der falschen Freunde nicht über Gebühr leiten lassen. Und zweitens ist die Person, an der das alles hing und der das persönlich nutzte, nun Geschichte. Jedenfalls dann, wenn sie ihre Welttournee zum Abschied beendet hat, während ihre Parteifreunde den Trümmerhaufen besichtigen, den ihre Kanzlerschaft hinterlassen hat. Und nach zwei Übergangsparteivorsitzenden und einem Kanzlerkandidaten, die es in zwei Jahren nicht vermocht hatten, sich von Merkel zu distanzieren und der CDU und ihrer Wählerschaft wieder die Heimat zu geben, die sie in dieser Partei einmal hatten.
Merkel als Mutter der AfD
Angela Merkel hat eine Politik gemacht, die die konservative Mitte preisgegeben und vergrault hat. Und wie in einem Ökosystem, in dem sich eine dominante Tier- oder Pflanzenart zurückzieht, ist dieses Soziotop sofort von einer neuen Partei besetzt worden. Ich stimme mit wenig von dem überein, was der „Freitag“-Verleger Jakob Augstein äußert. Aber sein Befund vor Jahren, Angela Merkel sei die Mutter der AfD, trifft haargenau zu. Bevor Merkel ihr europäisches Solo in der „Flüchtlingskrise“ aufs politische Parkett legte, lag die AfD bei zwei Prozent. Danach wurde sie satt zweistellig. Vorläufig scheint sie sich fest im deutschen Parteiensystem etabliert zu haben.
Die AfD macht eine unappetitliche Politik
Sie stürzt sich aggressiv auf Themen, die eine breitere Öffentlichkeit aufregen. Das eigentliche Problem daran ist nicht einmal, dass sie NIE Lösungen anbietet, sondern immer nur Missstände beklagt. Das Problem ist, dass jedes Thema, dessen sie sich annimmt, andere Parteien von da an großräumig umschiffen. „Freier Funk für freie Bürger!“ hat sie beispielsweise im Wahlkampf plakatiert – und damit auf unsägliche Weise insinuiert, der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) sei nicht per se frei.
Aber er ist eben in seiner aktuellen Daseinsform auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Die AfD hat einen Punkt: Man darf schon die Frage stellen, ob der ÖRR nicht viel zu viel kostet, ob er seinem Auftrag, für den er mit dem Privileg der verpflichtenden Gebührenfinanzierung versehen ist, auch wirklich nachkommt. Und ob am Ende wirklich besserer Journalismus herauskommt als bei den Privaten.
Vorbild SPD
Weil aber jedes Thema – Flüchtlinge, die Öffis – sofort wie vergiftet von den anderen Parteien fallen gelassen wird, sobald es die AfD anfasst, werden wichtige Debatten nicht mehr geführt in diesem Land. Verantwortungsvoll und ernsthaft und auf einem erforderlichen Niveau, das die AfD leider nicht an den Tag legt, wenn sie sich der Sache annimmt.
Deshalb hat Peter Altmaier auch mit diesem Hinweis völlig die Orientierung verloren, wenn er sagt, die CDU dürfe sich nicht in Richtung AfD bewegen. In diesem Satz ist schon wieder die Angst eingebacken, man dürfe nur ja nicht an den Themen rühren, die diese Partei oft zu Recht, aber eben unselig aufgreift.
Die SPD hat nach Gerhard Schröder über ein Jahrzehnt gebraucht, sich wieder ihrer selbst zu versichern. Sie ging erkennbar nach links und brach dafür sogar mit dem guten Erbe der Politik ihres Kanzlers. Das Gleiche sollte die CDU auch machen versuchen. Sie muss ihre Mitte wiederfinden, und diese Mitte einer bürgerlich-konservativen Partei liegt nicht im linksgrünen Milieu. Sie muss back to basics. Retour à la nature. Zurück zu ihrer Natur.
Die Chancen, auf ihrem angestammten – aber in den Merkel-Jahren verkehrten – Terrain wieder Fuß und Tritt zu fassen, sind derzeit besser als seit Langem. Die AfD mutiert gerade das dritte bis vierte Mal in ihrer jungen Parteigeschichte. Mit dem parteipolitischen Ende von Jörg Meuthen und dem Sieg von Tino Chrupalla und Alice Weidel rutscht sie abermals weiter ins Rechtsaußen.
Da bleibt für die CDU im demokratischen Spektrum garantiert genug Pufferzone, genug Sicherheitsabstand, wenn sie sich ihren angestammten Platz im deutschen Parteienspektrum zurückerobert. Und sie erweist so obendrein der politischen Kultur einen Dienst, für den ihr eine gewisse Verpflichtung obliegt.
Die CDU hat die AfD unter Merkel geschaffen. Sie kann sie nach Merkel wieder auf ihr Format vor 2015 zurückstutzen. Das wäre nicht nur gut für sie, sondern fürs ganze Land.