Österreichs politische Elite hat mit dem Smartphone etwas gar sorglos kommuniziert. Als Fundgrube für die Staatsanwälte erwiesen sich dabei die Chats von Thomas Schmid, dem ehemaligen Generalsekretär im Finanzministerium. Sie legen einen ganz eigenen Kosmos offen.
Chat-Nachrichten sind eine private Kommunikation zwischen Bekannten – sollte man denken dürfen. Die Österreicher aber wissen es mittlerweile besser; scheinbar Privates ist dort hochpolitisch geworden und hat den Sturz von Bundeskanzler Sebastian Kurz ausgelöst. Noch erstaunlicher ist der Umstand, dass ein einziges Smartphone und das Back-up Zehntausender von Nachrichten einer Person die Republik in eine Regierungskrise gestürzt hat.
Als Fundgrube für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erwies sich das Gerät von Thomas Schmid, der zwischen 2013 und 2019 für mehrere Finanzminister als Kabinettschef und Generalsekretär arbeitete. Der 45-Jährige sah sich aber noch in einer weiteren, mehr informellen Funktion, wie er Kurz in einem der unzähligen Chats halb wichtigtuerisch, halb schmeichelnd mitteilte: «Ich bin einer deiner Prätorianer, der keine Probleme macht, sondern löst», schrieb er 2018.
Die Prätorianer waren eine Art Gardetruppe der altrömischen Kaiser – und für den Herrscher eine latente Gefahr. Kaiser Caligula wurde im Jahre 41 unter anderem von Mitgliedern der Prätorianer ermordet.
Die enge Beziehung zwischen Politik und Medien
Wie es um die Gefühlswelt des manischen Kommunikators Schmid in den vergangenen Jahren bestellt war, wissen die Österreicher, seitdem laufend neue Chat-Nachrichten von ihm ans Tageslicht kommen. Sie zeugen von seinen Karriereängsten und seiner Arroganz, geben aber auch Einblicke in Kurz’ politischen Zirkel.
«Danke für Österreich heute!», schrieb Kurz beispielsweise an Schmid im Januar 2017. «Immer zu Deinen Diensten :-))», antwortete Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, bezugnehmend auf eine Publikation in der Boulevardzeitung «Österreich».
Diese Nachricht ist eine von vielen, welche die Staatsanwälte als Indiz dafür deuten, dass sich ein Kreis um Kurz beim Medienunternehmen Österreich der Gebrüder Fellner von 2016 bis mindestens 2018 eine wohlwollende Berichterstattung erkauft hat. Teilweise manipulierte Umfragen sollten Kurz gut und seinen Kontrahenten in der ÖVP, den damaligen Parteichef Reinhold Mitterlehner, schlecht aussehen lassen. «Gute News bei der Umfrage-Front», jubilierte Schmid 2016 in einer Nachricht an Kurz.
Solche Chats spiegeln, wie eng die Beziehungen zwischen der Politik und den Boulevardmedien in Österreich generell sind. In der Affäre Kurz kommt aber ein schwerwiegender Vorwurf hinzu: Vom Finanzministerium soll versteckt Geld an die Fellners geflossen sein. Schmid dazu an einen Pressesprecher: «So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen. Geniales Investment. Und Fellner ist ein Kapitalist. Wer zahlt schafft an. Ich liebe das.»
Falls tatsächlich Steuergeld zweckentfremdet wurde, wäre das nach österreichischem Strafrecht Untreue. Kurz soll jedoch in die Aktion nicht direkt verwickelt gewesen sein; vielmehr habe er, so die Interpretation der Staatsanwälte, Schmid dazu angestiftet.
Als Kabinettschef und Generalsekretär hatte Schmid eine Position inne, die eine solche Rolle als Strippenzieher ermöglichte. Minister kommen und gehen; oft sind sie zu wenig lange im Amt, um die Abläufe in den Ämtern zu durchschauen. Kabinettschefs dagegen haben Beziehungen, wissen über das Innenleben einer Behörde genau Bescheid. Und sie kennen die massgeblichen Beamten, vor allem wenn sie ihre Funktion so lange ausüben wie Schmid.
Er und Kurz kennen sich seit vielen Jahren. Beide gehören zum Kreis des ehemaligen ÖVP-Politikers Michael Spindelegger. Dieser gilt als Förderer des abgetretenen Kanzlers; Schmid wiederum fungierte als Spindeleggers Kabinettschef in dessen Zeit als Finanzminister von 2013 bis 2014.
Die «Mutter» aller Skandale
Verworren sind die Umstände, wie Schmids Chats überhaupt ans Tageslicht gekommen sind. Die Staatsanwälte der WKStA haben Schmids Smartphone 2019 bei den Ermittlungen zur «Casinos-Affäre» beschlagnahmt und die Nachrichten ausgewertet; später sind diese von Politikern an die Öffentlichkeit getragen worden. Die Casinos-Affäre gilt gleichsam als «Mutter» aller aktuellen österreichischen Skandale. Es geht um den Verdacht des Postenschachers bei Casinos Austria und um Zugeständnisse bei der Glücksspielgesetzgebung.
In dieser Affäre scheint Schmid keine Schlüsselrolle zu spielen. Allerdings stiessen die Staatsanwälte im Zuge ihrer Ermittlungen auf zahlreiche Chats von Schmid zu Vorgängen bei Österreichs staatlicher Beteiligungsgesellschaft Öbag, die sie zusätzlich aufhorchen liessen. Die Nachrichten dokumentieren, wie es dem Generalsekretär des Finanzministeriums 2019 gelungen war, Chef der Öbag zu werden.
Diese Holding hält Anteile an mehreren Grossunternehmen, darunter der Erdölkonzern OMV, die Stromfirma Verbund und Telekom Austria. Es handelt sich gleichsam um das Tafelsilber Österreichs, beträgt der Marktwert der Anteile doch stattliche 27 Milliarden Euro. Der Chef der Öbag hat den höchsten Wirtschaftsposten der Republik inne.
Schmid entfaltete ab 2017 einen hektischen Aktionismus, um Chef der Holding zu werden. Wie es scheint, räumte er dafür auch Hindernisse aus dem Weg. In einem frühen Entwurf der Ausschreibung war beispielsweise noch «internationale Erfahrung» eine Voraussetzung für die Stelle. Da Schmid solche nicht vorweisen konnte, sorgte er in seiner Funktion als Generalsekretär dafür, dass der Passus aus dem Stellenprofil verschwand.
Die Rückendeckung des ÖVP-Netzwerks besass Schmid, denn der heutige Finanzminister und enge Verbündete von Kurz, Gernot Blümel, beschied ihm in einem flapsig formulierten Chat: «Du bist Familie». Und Sebastian Kurz schrieb: «Kriegst eh alles, was du willst».
Wie explosiv Schmids Nachrichten sind, zeigt sich darin, dass unter anderem diese Nachrichten die Staatsanwälte noch in einer anderen Angelegenheit hellhörig machten. Es geht um die Frage, wie sehr Kurz in Schmids Ernennung zum Öbag-Chef involviert war. In einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss gab der ehemalige Bundeskanzler an, mit Schmid nicht über dessen berufliche Ambitionen gesprochen zu haben.
Laut den Staatsanwälten bedankte sich Schmid bei Kurz aber mehrmals für alles, was dieser vor und nach der Nominierung für ihn getan habe. Deshalb verdächtigen sie Kurz, im Ausschuss eine Falschaussage gemacht zu haben. Wäre dies bewusst geschehen, handelte es sich um eine Straftat.
In der Wirtschaft gibt es seit einiger Zeit Regeln darüber, wie die Angestellten die sozialen Netzwerke nutzen dürfen. In der Politik waren die Sitten offenbar locker, wohl nicht nur in Kurz’ Umfeld, sondern auch bei anderen Parteien. Nur sind deren Chats halt nie an die Öffentlichkeit gelangt.
Aber alle Politiker wissen dank Schmid nun: Chatten ist nur scheinbar so privat wie ein Kaffeegespräch, bei dem man das Gegenüber nicht selten darum bittet, das Gesagte für sich zu behalten.