In spezieller Schutzausrüstung besuchte Jan Josef Liefers eine Covid-Intensiv-Station.
Er schreibt über seine Eindrücke, Bedenken und die Gedanken zur „Lotterie des Lebens“, die ihn noch heute beschäftigen:
Corona ist vorbei. Oder? Schnee von gestern. Spielte schon im Wahlkampf keine Rolle mehr. Pandemiepolitik? Exitstrategie? Kein Thema – Oder doch?
Neulich war eine Schlagzeile zu finden, Christian Drosten warne vor einer schlimmen Welle im Herbst/Winter.
Die Infektionszahlen werden steigen, sagen auch andere. Saisonal jedenfalls wäre das zu erwarten.
Aber was bedeutet das eigentlich?
Die Inzidenz als entscheidender Indikator wurde ja eben erst abgeschafft. Laut Jens Spahn haben in Deutschland 75 Prozent der Erwachsenen und 33 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren bereits den vollen Impfschutz. Aber dann liegen wir ja gleichauf mit Dänemark und rund 20 Prozent über England!
Nun ist es schon zwei Wochen her, dass ich meinen Wecker auf 4:45 Uhr morgens stellte und eine Frühschicht lang als „Praktikant“ auf einer Intensivstation antrat.
Sieben Patienten lagen an diesem Tag mit Covid-Pneumonie dort, alle im künstlichen Schlaf, alle intubiert und maschinell beatmet, alle zusätzlich an der ECMO, einem Gerät, das unter Umgehung der zerstörten Lungenfunktion das Blut der Patienten direkt mit Sauerstoff anreichert und wieder in den Körper zurückpumpt. Die ECMO ist das Ende der Stange, wenn nicht bald eine Verbesserung eintritt, rückt ein Ableben in greifbare Nähe.
Alle Covid-Patienten hier auf Intensiv waren schwer erkrankt, dem Tod näher als dem Leben. Alle jung, von 28 bis 48 Jahre alt. Alle ungeimpft. Auch die beiden hochschwangeren Frauen, deren Kinder per Not-OP geholt wurden und leben, während die Mütter es nicht geschafft haben, wie ich inzwischen weiß.
Helfen konnte ich nicht viel, nur beim Umlagern konnte ich mich nützlich machen, eingepackt in zusätzliche Schutzkleidung, mit FFP2-Maske und einer Art Taucherbrille auf den Augen.
Immer zwei Infektiöse liegen in einem abgeschlossenen, verglasten Raum. In festen Zeitabständen muss die Lage der Patienten verändert werden, um die Beatmung zu erleichtern, etwa von der Rückenlage in die Bauchlage, oder von einer Seite auf die andere, um die Durchblutung der Haut an den Druckstellen zu gewährleisten.
Körperpflege ist auch so eine typische Aufgabe. Bei allem immer das Gewirr der vielen Schläuche übersichtlich und in Ordnung halten. Das ist körperlich anstrengende Arbeit. Übergewicht war optisch die auffälligste und immer wiederkehrende Vorerkrankung der Covid-Patienten hier.
Allerdings, da waren sich Pfleger wie Ärzte einig, mit einer Impfung wäre keiner hier gelandet .
Mach doch einen Impfaufruf! Du bist doch selbst auch geimpft! Vielleicht hören noch ein paar Leute da draußen auf dich! Das war die Botschaft, so habe ich sie verstanden.
Ich hatte nie Angst vor Corona, aber auch nie vor einer Impfung. Wenn jemand mir Angst machen will, komme ich in Bewegung und erkundige mich genauer.
Mir sind Panikmacher suspekt, egal, welche Fahne sie dabei schwenken. Die vielleicht erstaunlichste Erfahrung nach dem empörten Shitstorm auf #allesdichtmachen war eine bis heute anhaltende Welle der Ermutigung, des Zuspruchs und Verständnisses.
Bei mir meldeten sich plötzlich Autoren, Verleger, Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Mediziner und übrigens auch Pfleger. Die meisten meinten, ich solle mich bloß nicht unterkriegen lassen, einige erzählten ihre Geschichten, andere boten ihre Expertise an und hatten nichts gegen meine Fragen.
Also fragte ich sie aus!
Diese lassen es im Falle einer erneuten Infektion erst so richtig schlimm werden. Es gibt ADE tatsächlich, aber selten. Manchmal durch einen Impfstoff ausgelöst, manchmal aber auch durch eine Infektion selber. Ein Alptraum.
Aber als ich in der Impf-Priorisierung an die Reihe kam, waren schon so viele Menschen weltweit geimpft und hatten sich danach wieder neu infiziert, dass dieser gefürchtete Effekt massenhaft hätte beobachtet werden müssen. Das war nicht der Fall.
Ich habe mir die Funktionsweise einer mRNA-Impfung genau erklären lassen, mit allen Risiken und Nebenwirkungen, und mich dann dafür entschieden. Ich bin nicht so zimperlich. Reisen in ferne Länder und auf andere Kontinente erforderten schon alle möglichen Impfungen gegen die exotischsten Dinge. Nie hatte ich irgendwelche ernsthaften Probleme, immer hat es den Aufenthalt unbeschwerter gemacht. Genauso verlief es auch diesmal. Muskelkaterähnlicher Schmerz um die Einstichstelle, das war alles.
Ein neues Raunen drang nun zu mir. Ich müsse mich sorgen, ob ich überhaupt einen Schutz aufgebaute hätte. Wer gar keine Symptome nach der ersten oder zweiten Impfung zeige, bei dem bewirke sie auch nichts!
Die einzige mir mögliche Reaktion war wieder die Flucht nach vorn. Ich habe ein Labor gesucht, das sowohl willens als auch in der Lage war, alle derzeit verfügbaren, sinnvollen Tests zur Qualität meiner Immunisierung durchzuführen.
Sind Antikörper vorhanden? Wie ist die T-Zell-Reaktivität? Wie hoch ist der Anteil neutralisierender Antikörper? Das Ergebnis kam nach ein paar Tagen: hoher IgG-Titer, hohe T-Zell Reaktivität, 95% neutralisierende Antikörper, sehr gute humorale und zelluläre Immunantwort auf SARSCoV2. Man könnte auch sagen: Impfung hat topp funktioniert. Dabei wäre ich in der Phase-II-Studie als Proband sicher abgelehnt worden, wegen diverser Allergien.
Ist das nun doch ein Impfaufruf? Tja, was soll ich sagen? Ich befürworte die Impfung Erwachsener, absolut klarer Fall. Aber ich gebe keine medizinischen Ratschläge, ich erzähle hier nur meine Geschichte. Die Entscheidung liegt bei jedem selbst.
So will es unsere Regierung, die sich gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hat. Wo keine Impfpflicht besteht, darf sie auch nicht von Dritten durch die Hintertür erzwungen werden. Erklärt sich eigentlich von selbst.
Wenn ich nun zurückdenke an meinen Tag auf der ITS und daran, wie die seltsame und bisweilen unbarmherzige Lotterie des Lebens für die Sieben dort ausgegangen ist, dann weiß ich jedenfalls, ich habe keinen Fehler gem