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Lassen Sie sich zu Beginn in das Jahr 2017 entführen. Sie erinnern sich: Das war das Jahr, in dem Donald Trump als neuer US-Präsident vereidigt wurde, sich mit #Metoo eine weltweite Bewegung gegen Sexismus formierte und in Hamburg die G20-Proteste eskalierten. |
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Auch damals hatte Deutschland gerade eine Bundestagswahl hinter sich. Die SPD setzte ihren Absturz fort, die Union kam zwar auf ein aus heutiger Sicht nahezu traumhaftes Ergebnis von 32,9 Prozent, war aber dennoch kein strahlender Sieger. Auch sie hatte massiv Stimmen verloren, Beobachter bescheinigten ihr schon damals Profillosigkeit und blasses Führungspersonal. Dazu kam der Ärger der Konservativen in der Union über Merkels Flüchtlingspolitik. |
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Ziemlich genau zur gleichen Zeit erhob sich in unserem Nachbarland ein neuer Stern am Himmel der Konservativen: Der 31-jährige Sebastian Kurz hatte in einem atemberaubenden Tempo erst den Vorsitz der österreichischen Partnerpartei übernommen und sie dann noch am 15. Oktober mit knapp 31,5 Prozent (ein Plus von 7,5 Prozentpunkten) zum Wahlsieg geführt. Bei den Neuwahlen 2019 kletterte die Partei um weitere sechs Punkte nach oben. |
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Kurz, zuvor Außenminister, hatte die ÖVP von ihrem staubigen Image befreit und radikal auf sich zugeschnitten: Aus schwarz wurde türkis, aus der Österreichischen Volkspartei die „Liste Sebastian Kurz“ mit einem rechteren Profil. Und Kurz schaffte das, was den Konservativen hierzulande kaum mehr gelang: junge Wähler zu mobilisieren. |
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Kurz am Wahlabend am 15. Oktober 2017: Sein rasanter Aufstieg bescherte ihm in Österreich den Spitznamen „Wunderwuzzi“. |
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Sebastian Kurz, das politische „Wunderkind“ – oder wie man ihn in Österreich nennt: „Wunderwuzzi“ (Tausendsassa): Dieser glänzende Schein fand auch in Deutschland seine Bewunderer. Vor allem junge Christdemokraten und die CSU zeigten sich begeistert: So lassen sich Wahlen also auch Mitte rechts gewinnen! „Das ist ein Auftrag, auch gerade für die beiden Unionsparteien in Deutschland, das politische Spektrum von der Mitte bis zur demokratischen Rechten abzubilden“, sagte etwa der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Deutschlands größte Boulevardzeitung lobte ihn als „Klartext-Kanzler“ und forderte immer wieder: „So einen brauchen wir auch“. |
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Zurück in die Gegenwart: Ziemlich genau vier Jahre nach dem schwindelerregenden Aufstieg des „Wunderkindes“ erinnert die Situation in Österreich weniger an eine Erfolgsgeschichte als an die berühmte Netflix-Serie „House of Cards“, in der sich ein machthungriger Politiker immer weiter in dunkle Machenschaften verstrickt. |
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Zwar werfen schon die Ibiza- und die Casino-Affäre Schatten auf Kurz‘ Amtszeit, am Mittwoch aber platzte die bisher wohl größte Bombe. Ermittler durchsuchten nicht nur die ÖVP-Parteizentrale, sondern auch das Kanzleramt – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Zweiten Republik. |
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Kurz zusammengefasst: Der heutige Kanzler und seine Vertrauten sollen 2016 und 2017 für mehr als eine Million Euro aus Steuermitteln geschönte Umfragen und wohlwollende Berichte in einer österreichischen Tageszeitung gekauft haben – also genau in der Zeit des rasanten Aufstiegs. Das Geld soll über den Kauf von Werbeinseraten zu der Zeitung geflossen sein. So liest es sich in den Ermittlungsakten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die das österreichische Magazin Falter bis ins Detail ausgewertet hat. Sie sieht hinter diesem Konstrukt Kurz als Strippenzieher. Als Belege gelten zahlreiche Chats aus dem Umfeld des Kanzlers. Sowohl Kurz, sein Umfeld und auch das Medienhaus streiten die Vorwürfe ab. |
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Das ganz große Erdbeben ist bisher aber ausgeblieben. Die Opposition fordert zwar seinen Rücktritt, der grüne Koalitionspartner denkt aber noch auf der Situation rum. Das Angebot, die Regierung weiterzuführen, wenn Kurz zurücktritt, lehnte die ÖVP bereits ab. Die Parteispitzen in Bund und Ländern versammeln sich bisher geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden. |
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Vielleicht hat sich Österreich einfach auch schon zu sehr an solche Geschichten gewöhnt. Denn wie tief mittlerweile der Sumpf im politischen Wien ist, zeigt ein Blick auf die vergangenen Monate und Jahre. Sowohl die Ibiza-Affäre (dazu lesen Sie mehr hier) als auch die Casino-Affäre (dazu mehr hier) begannen zwar bei dem früheren Koalitionspartner von Kurz, der rechtspopulistischen FPÖ, zogen dann aber weitere Kreise in die ÖVP. Auch gegen Kurz wird wegen Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss ermittelt. |
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Auch die jetzigen Durchsuchungen haben einen absurden Anstrich:Schon Mitte September berichteten Zeitungen, dass die Parteizentrale durchsucht werden soll – offenbar hatte sich das in Wien bereits rumgesprochen. Die Anfragen dazu häuften sich bei der ÖVP so sehr, dass die Partei entschied, eine, gelinde gesagt, irritierende Pressekonferenz dazu abzuhalten. „Bei uns ist nichts mehr zu finden. Es gibt nichts mehr“, sagte die stellvertretende Generalsekretärin Gaby Schwarz dort laut der Zeitung „Kurier“ und führte aus: Die ÖVP habe gelernt, nichts Privates auf ihren Handys zu speichern, es werde nur noch das gesichert, was gesetzlich gesichert werden muss. Ein anderer ÖVP-Politiker läutete nur Stunden vor der Durchsuchung einen Angriff auf die ermittelnde Staatsanwaltschaft ein: Dort gebe es „linke Zellen“, verkündete er. Die Durchsuchungen nannte die Partei dann „inszeniert“ und „politisch motiviert“. |
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Natürlich müssen weitere Ermittlungen klären, inwieweit sich die Vorwürfe erhärten. Dennoch zeichnet die ÖVP ein fatales Bild: das einer Regierungspartei, die sich nicht einmal die Zeit nimmt, sich mit Ermittlungen zu befassen und stattdessen gegen die Justiz hetzt. Und die sich scheinbar bedingungslos hinter einem Vorsitzenden versammelt. Einer demokratischen Partei ist das nicht würdig. |
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Wenn auch noch nicht sein Amt, so hat Kurz zumindest seinen Glanz verloren. In Österreich spaltet er die Bevölkerung und auch hierzulande gibt es nur noch wenige, die in den vergangenen Wochen noch das Bild vom „Wunderwuzzi“ hochhielten. Gut so, denn als Vorbild taugt diese ÖVP wahrlich nicht. |
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