In der Demokratischen Republik Kongo demonstriert der Künstler Nada Tshibuabua mit seinen Aktionen gegen die Unmengen an Elektromüll, der auch aus europäischen Ländern importiert wird.

Über 50 Millionen Tonnen Elektroschrott fallen jährlich weltweit an. Das entspricht dem tausendfachen Gewicht der „Titanic“. Ein schmales Smartphone dürfte in diesem Müllberg zwar nicht viel ausmachen, doch in der Masse ist es ein ge­waltiger Verursacher von Abfällen. Allein im Jahr 2020 wurden weltweit rund 1,28 Milliarden Stück verkauft. Dabei besteht der Großteil des Abfalls nicht aus den ausrangierten Geräten, sondern in dem Müll, der bei der Produktion entsteht. „Von 100 Prozent der Materialien, die verwendet werden, ergeben nur etwa 2 Prozent das Gerät, 98 Prozent sind Abfall“, sagt der Techniksoziologe Felix Sühlmann-­Faul, der zum Thema Nachhaltigkeit forscht.

86 Kilogramm schwer wäre ein Rucksack, wenn man den Abfall, der bei der Produktion eines durchschnittlichen Smart­phones entsteht, mit sich herumschleppen müsste. Das hat eine Studie des schwedischen Abfallwirtschafts­ und Recy­clingverbands Avfall Sverige ergeben.

Ein einziger Mikroprozessor bedeutet mehrere Kilogramm­ Chemieabfall

Die Herstellung eines Smartphones aus Hunderten Ein­zelteilen sorgt für eine Müllmischung aus Säuren, radioaktiven Abwässern und Plastik. Außerdem verursacht sie enorme Mengen an Treibhausgasen. Allein ein eher simples Bauteil wie das Gehäuse hinterlässt einen beachtlichen Müllhaufen, wie Diplom-­Ingenieur Karsten Schischke vom Fraunhofer­ Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM erläu­tert, der zur Ökobilanz von Smartphones forscht: „Hochwer­tige Smartphones werden aus einem massiven Metallblock gefräst. Das allermeiste Material nimmt man weg, weil dünne Wandungen gewünscht werden.“ Selbst wenn diese Abfälle auf Umwegen wieder zurück in die Produktion gelangen, er­fordert das sehr viel Energie beim Einschmelzen und dem Fräsen. Schischke merkt an, dass es längst sparsame Ansätze gäbe, das Gehäuse so zu gießen, dass das Ergebnis bereits sehr nah an die gewünschte Form herankomme.

Wirklich dreckig wird es aber ausgerechnet bei der hoch­ reinen Produktion von Mikrochips. Die Schritte, die dem Smartphone seine Intelligenz einhauchen, benötigen den Einsatz von über 100 verschiedenen Chemikalien in großen Mengen. Säuren und Gase ätzen Strukturen im Nanometer­bereich. Diese Präzision erfordert aber, dass die gesamte Umgebung höchst steril sein muss: Bei der Halbleiterfertigung dürfen sich nur so wenige Partikel in einem Kubikmeter Luft befinden, dass deren Anteil einem einzigen Kirschkern im Bodensee entspräche. Sobald die Säuren einmal zum Einsatz kommen, können sie kein zweites Mal verwendet werden. Sie landen in der Untertagedeponie – also in alten Bergwerken. Für einen einzigen Mikroprozessor sind das mehrere Kilo­gramm Chemieabfall.

Das Smartphone in seiner jetzigen Form ist eine Materialsackgasse: Es wird produziert, gekauft, kurz genutzt (im Schnitt keine drei Jahre) und weggeschmissen. Die meisten Rohstoffe und die vielen noch funktionierenden Bestand­teile gehen damit verloren. Dabei ist so ein „Fast Phone“ ein halbes Periodensystem im Hosentaschenformat. Es besteht im Schnitt aus über 60 chemischen Elementen. Was, wenn man aus diesem Abfall durch Recycling möglichst viele Roh­stoffe zurückgewinnen könnte?

In den Schubladen Deutschlands liegen grob 3,4 Tonnen Gold – in Form alter Smartphones

Mehr als die Hälfte der Deutschen hat durchschnittlich drei ausgediente Handys in Schubladen herumliegen. Das sind über 200 Millionen, die laut der Deutschen Rohstoff­agentur insgesamt ohne Akku grob 3,4 Tonnen Gold, 1.300 Ton­nen Kupfer und 380 Kilogramm Palladium enthalten, die recycelt werden könnten. So betrachtet ist dieser Müll ein Rohstoff, der am falschen Ort gelagert wird. Allerdings gehen derzeit selbst beim Recycling nach höchsten Standards ent­scheidende Substanzen verloren.

Nachhaltigkeitsforscher Schischke macht eine ernüch­ternde Rechnung auf: „Der reine Materialwert eines Smart­phones beträgt etwa einen Euro. Davon lassen sich cir­ca 90 Cent zurückgewinnen. Nur 10 Cent gehen also verloren. Was sich aus ökonomischer Perspektive gut anhört, fällt auf ökologischer Ebene durch: Denn nur etwa 15 Prozent des Materials werden aktuell recycelt.“ Ausgerechnet die soge­nannten seltenen Erden wie etwa Neodym, das für die Vibration sorgt, lassen sich nicht oder nur sehr aufwendig und unwirtschaftlich aus Altgeräten zurückgewinnen, dabei sind es gerade diese Rohstoffe, deren Abbau etwa in der Inneren Mongolei zu verseuchtem Grundwasser führt. Für ein paar Gramm dieser Metalle müssen tonnenweise Erdmassen ab­getragen und chemisch behandelt werden, da sie nur in win­zigen Konzentrationen im Gestein vorkommen.

Jede Strategie, die auf eine Lebensdauerverlängerung abzielt, ist darum sinnvoll, denn dann müssten weniger Ge­räte hergestellt werden. Die Lebenszyklen von Smartphones sind derzeit so kurz, dass die Herstellung der Geräte fast drei Viertel ihres gesamten CO2­Ausstoßes ausmacht. In einigen Fällen verursacht allein der Transport während der Produktion fünf bis zehn Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen.

Besser, Geräte würden nicht verklebt werden, sondern zusammengeschraubt

Techniksoziologe Sühlmann­-Faul sieht den entscheiden­den politischen Hebel darum in einem Recht der Verbrau­cherinnen und Verbraucher auf Reparatur. Die Möglichkeit, defekte Geräte auseinandernehmen und unkompliziert repa­rieren zu können, müsse in die europäische Ökodesign-Richt­linie aufgenommen werden.

Doch auch die EU­-Politik könnte selbst mit strengsten Ökodesign­Richtlinien lediglich das Endgerät, nicht jedoch die Fertigung Hunderter Einzelteile rund um den Globus beeinflussen, meint Sühlmann-­Faul. Das wollen die Brüder Samuel und Carsten Waldeck ändern: Die Hersteller des in Deutschland entwickelten „Shiftphones“ versuchen sich an der Produktion eines möglichst nachhaltigen Geräts. Dafür setzen sie auf Modularität: Während etwa das Verkleben von Geräten fast immer dazu führt, dass ein schlich­ter Reparaturfall ein wirtschaftlicher Totalschaden ist, lassen sich die Komponenten ihrer Smartphones kinderleicht mit einem Schraubendreher austauschen. Zudem arbeitet das gemeinwohlorientierte Unternehmen mit einem Rückkauf­programm, Gerätepfand und der Weiternutzung funktio­nierender Einzelteile aus Altgeräten. Auch beim Transport wollen die Brüder Müll vermeiden. So kommen die Hightech­teile allesamt einzeln in festen Plastikschalen. Shiftphone stapelt diese robusten Schalen kompakt und gibt sie dem Hersteller zur Wiederverwendung zurück. „Damit sparen wir über 90 Prozent des Verpackungsmülls ein, der von den Zu­lieferern kommt. Bei einigen Herstellern konnten wir anregen, dass diese auch die Verpackungsmaterialien ihrer Zulieferer wiederverwenden“, sagt Carsten Waldeck.

So wertvoll längere Nutzungsdauern und Reparierbarkeit auch sein mögen, letztlich macht das hohe Innovationstempo bei Smartphones das Müllproblem zusätzlich komplizierter. Wenn jedes Jahr ein neues Gerät mit neuen Funktionen auf den Markt kommt, das alle unbedingt haben wollen, wird der Müllberg immer größer. Dabei verspricht so ein schickes neues Gerät zwar kurzfristig mehr Spaß, eine dauerhafte Zufriedenheit stellt sich aber durch die ständig neuen An­gebote eher selten ein.

Okt 2021 | Allgemein, Gesundheit, In vino veritas, Junge Rundschau, Sapere aude, Wirtschaft, Zeitgeschehen | Kommentieren