Die worliegende Arbeit möchte einen Einblick in die Persönlichkeit des griechischen Komponisten und Politikers Mikis Theodorakis geben. Stets nach Harmonie strebend, provoziert Theodorakis sein Leben lang mit Gegensätzen, um zu einen. Und, er erzählt davon mit Worten, Musik und Taten. Als Jugendlicher hatte ich das Glück, ihn hautnah zu erleben. Hier trug der Exilant Anfang der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts im griechischen Restaurant Dinosaurus zum ersten Mal öffentlich seine „Lianotragouda tis Pikris Patridas“ (Die kleinen Lieder der bitteren Heimat) vor.
Seine Konzerte im Audimax der RWTH Aachen waren politische Ereignisse für die Griechen und ein Erlebnis für die Einheimischen, die die Junta nicht mochten und die Dynamik seiner Musik liebten. Für mich als Kind war das Besondere, dass unzählige Menschen einen großgewachsenen Hünen anhimmelten und ihn gleichzeitig wie einen Freund mit seinem Vornamen, Mikis, anredeten. Bei einem Konzert versuchte ich, den Moment mit einer kleinen Pocketkamera zu verewigen. Es misslang. Geblieben ist die Sehnsucht, die Vita des Maestros zu protokollieren.Quellen für dieses Buch sind Gespräche mit Theodorakis, seine Interviews und seine Bücher, eigene Erlebnisse, der Wissensschatz meines Freundes und Theodorakis-Chronisten Asteris Koutoulas und die Arbeiten des befreundeten Journalisten Hansgeorg Hermann. Und ich hatte die Freude, beide bei einem Teil ihrer Arbeit begleiten zu dürfen, wofür ich ihnen hiermit noch einmal meinen Dank aussprechen möchte. Ohne diese Hilfe wäre der Versuch, dieses Buch zu verfassen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Theodorakis selbst fragte bei den vorbereitenden Gesprächen zu dieser Biographie: »Wie willst du das Material der ganzen Jahre erfassen?«Den Alltag und die politischen Entwicklungen kommentiert er gern mit Anekdoten und chronologischen Querverweisen aus seinem Leben. Aus der Diskussion über ein tagespolitisches Ereignis entwickelt sich im Dialog mit Theodorakis stets ein Diskurs über die jüngere griechische Geschichte und das Eigenleben seiner künstlerischen Kinder, der Musik und der Poesie. Den Komponisten Theodorakis vom Politiker oder Poeten Theodorakis zu trennen ist unmöglich. Dies Porträt kann aufgrund seiner Kompaktheit keineswegs alle Ereignisse aus dem reichen Erlebnisschatz des Mikis Theodorakis wiedergeben. Sie soll jedoch einen Einblick in die Person Theodorakis vermitteln, wie sie von seiner Umgebung, aber auch von ihm selbst wahrgenommen wird. Chalkida, 22. März 2018
Bei Mikis zu Hause
Theodorakis stellt sich vor: »Wenn ich heute jung wäre, würde man mich als Terroristen bezeichnen«, sagt Mikis Theodorakis 2013 im Film Recycling Medea über sich selbst. Kaum eine Persönlichkeit hat Griechenland in den vergangenen hundert Jahren so nachhaltig beeinflusst wie der heute zweiundneunzigjährige Komponist, Politiker und Partisan. Wer denkt nicht an Bouzouki und Sirtaki, wenn es um die Kultur der Griechen geht? Der Sirtaki ist jedoch kein traditioneller Volkstanz, sondern schlicht Theodorakis’ Erfindung für den 1964 gedrehten Film Alexis Sorbas.Zur damaligen Zeit war es im konservativ geprägten Land ein kultureller Affront, Hand an einen traditionellen kretischen Syrtos zu legen. Dazu kam, dass Theodorakis als Instrument die Bouzouki wählte, ein verrufenes Saiteninstrument, das bevorzugt von der Unterschicht der 1922 nach Griechenland geflüchteten Kleinasiengriechen benutzt wurde. Ein Instrument des Rebetiko, ein verfälschter Tanz und die Romanvorlage des von der Kirche verstoßenen krtischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis machten Grie-chenlands größten Kinoerfolg möglich. Und Zorba’s (wie er im Original hieß) rettete seinen Schöpfer vor der Exekution, als er, zu Zeiten der Militärdiktatur Griechenlands 1967 bis 1974, als Terrorist eingestuft wurde. Die beschriebene Szene spielte sich mitten im Zentrum Athens ab, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Archäologischen Museum und der Technischen Universität in der Bouboulinas-Straße Nr. 20 im Stadtteil Exarchia. Dort, in der Zentrale der Staatssicherheit, wurden die Oppositionellen von den Obristen eingesperrt und gefoltert. Zur Abschreckung der Bevölkerung fanden auf dem Flachdach des Gebäudes zahlreiche Folterungen statt. Ein Polizeioffizier hatte Theodorakis auf dieses Dach gezerrt. »Jetzt wirst du sterben«, drohte er und hob die Waffe.Seelenruhig pfiff Theodorakis dem Mann, der seine entsicherte Waffe auf ihn gerichtet hatte, die Melodie des Sorbas vor. »Ein Leben lang wirst Du sie überall hören und wissen, dass Du ihren Schöpfer erschossen hast«, sprach er und verunsicherte seinen potentiellen Mörder derart, dass dieser von seinem Vorhaben Abstand nahm.
Der harte Kreter und seine Zigarren
Solche Geschichten erscheinen auf den ersten Blick wie aus einem Politthriller gegriffen. Für zahlreiche derartige Filme hat Theodorakis die Musik geschrieben, doch umgekehrt haben Szenen aus seinem Leben auch die Vorlagen für Drehbuch- und Romanautoren geliefert. Der Film Zetwa, zu dem Theodorakis die Musik beisteuerte, arbeitete bereits 1969 die Schrecken der Militärdiktatur auf. Seine entwaffnende Ruhe, die Theodorakis vor dem drohenden Tod durch den Henker bewahrte, ist typisch für ihn. Der Mann, der vor Emotionen strotzende Lieder und Orchesterwerke komponiert hat, ist auf den ersten Blick ein kühler und berechnender Kopf. Wie ein moderner Aristophanes liebt er es, seine Gesprächspartner mit leicht ironischem Unterton aus der Ruhe zu bringen. Selbst in den emotionalsten Momenten behält er seinen Humor, der sich oft durch einen gegen die eigene Person gerichteten Sarkasmus auszeichnet. Freunde und Feinde beschreiben ihn als harten, disziplinierten Menschen, wobei Härte nicht mit übermäßiger Strenge zu verwechseln ist. Ohne sie hätte er die zahlreichen Prüfungen seines Lebens nicht überstehen können. Der Musiker ändert seine Tonlage nur, um zu singen. Ansonsten genießt er es, seinen Gesprächspartnern mit seiner sonoren Stimme in einem konstanten, ruhigen Tonfall zu antworten.
Von sich selbst sagt Theodorakis, dass er nicht leicht zum Weinen zu bringen sei. Er ist stolz auf seine Herkunft von der Insel Kreta. Die Kreter, ein traditionsbewusstes Volk, zelebrieren die Männlichkeit noch heute in einer archaischen Form, ohne ins Machohafte zu verfallen. Auch in seinem zehnten Lebensjahrzehnt behält Theodorakis diese Lebensweise bei, und dazu gehört das Festhalten an alten Gewohnheiten, die der Meister aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit zum Teil allerdings modifizieren muss. In jüngeren Jahren war Theodorakis ein fanatischer Raucher. Auftritte in Staaten des Warschauer Pakts oder auf Kuba ließ er sich gern in Naturalien bezahlen und erhielt das Honorar in Form seiner heiß geliebten Zigarren. Heute käme er niemals auf die Idee, sich eine anzuzünden, da der Genuss nur von kurzer Dauer wäre und wegen seiner Atemprobleme dem Selbstmord gleichkäme.Stattdessen sitzt er entweder in seinem Wohnzimmer oder in seinem Büro im Sessel und knabbert stundenlang an einer Zigarre herum. Er hält sie in der Hand, riecht an ihr und behandelt das kostbare, in Handarbeit produzierte Tabakprodukt wie einen kleinen Schatz. Mit solchen Nuancen offenbart Theodorakis seinen Gesprächspartnern oder seinem Publikum einen Einblick in seine intensive Gefühlswelt. Dazu kommen seine Mimik und Gestik. Wenn er lacht, wirkt er trotz seines Alters keck wie ein Schulbub. Im persönlichen Dialog erscheint er keineswegs als über neunzig-jähriger Greis, vielmehr wie ein junger, energiegeladener Mensch mit reichem Erfahrungsschatz. Ein Widerspruch? Nicht für den ewig rebellischen Mikis.Theodorakis schafft es bei Gesprächen, gleichzeitig Optimismus und bedrückenden Realismus zu verbreiten, ohne sich selbst zu widersprechen. »Der Mensch ist ein Fehler der Natur, weil er einen riesengroßen Widerspruch in sich trägt: Er kann nicht allein leben, aber auch nicht mit anderen zusammen. Das lehren uns die menschliche Geschichte und unsere eigenen Erfahrungen«, erschreckte er Koutoulas in einem Gespräch. Lachend konnte er dieser Vision, die er mit dem menschlichen Egoismus begründet, eine positive Seite abgewinnen: »Wenn der Mensch von der Erdoberfläche verschwunden sein wird – was eine sehr tröstliche Vorstellung ist –, dann wird die Natur glücklich sein.