
Marsilius von Ingen – von Pfalzgraf Ruprecht I. zum ersten Rektor der Universität Heidelberg berufen
Marsilius von Inghen studierte und lehrte an der Universität in Paris, an der er zeitweise auch zum Rektor aufstieg. Als sich die mittelalterliche Kirche 1378 durch die Wahl von zwei Päpsten aufspaltete, stand er aufseiten des römischen Papstes, während Paris dem in Avignon residierenden Gegenpapst zuneigte. Wie viele andere Universitätsangehörige musste Marsilius daraufhin seine Lebensplanung ändern. Kurfürst Ruprecht I. gelang es, ihn als „anheber und regirer“ und somit als Gründungsrektor für die 1386 eröffnete Universität Heidelberg zu gewinnen. Marsilius vollendete in Heidelberg sein in Paris begonnenes Theologiestudium und wurde 1396 – kurz vor seinem Tod am 20. August desselben Jahres – zum Doktor der Theologie promoviert. Er hinterließ der noch jungen Universität seine umfangreiche Büchersammlung und sorgte auch für die Gründung eines Universitätsarchivs.
Anlässlich seines 625. Todestags wird im Foyer des Universitätsarchivs, Akademiestraße 4-8, noch bis zum 31. Dezember 2021 die Kabinettausstellung „Marsilius von Inghen und die Niederrheinlande“ gezeigt. Zum Teil neu herangezogene Dokumente rekonstruieren den Lebensweg des Gründungsrektors der Universität Heidelberg und belegen die engen Verbindungen sowohl zur Kurpfalz und zum Niederrhein wie auch zur päpstlichen Kurie. Öffnungszeiten sind dienstags und mittwochs 9 bis 18 Uhr sowie donnerstags 9 bis 12.30 Uhr.
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Marsilius beschäftigte sich zeit seines Lebens mit Logik und Naturphilosophie. Er kommentierte die Aristotelische Logik und die Summulae logicales, das Handbuch des Spätmittelalters des Petrus Hispanus. Sein populärstes Werk, das in zahlreichen Handschriften überliefert ist, bleibt jedoch der Kommentar zur aristotelischen Schrift De generatione et corruptione, die von Leonardo da Vinci und auch Galileo Galilei rezipiert wurde. In seinen Werken zeigt sich Marsilius als Vertreter des Nominalismus, später via moderna, die nach seinem Tod auch als via Marsiliana bezeichnet und richtungweisend für die Universität Heidelberg wird.
Die Methoden der Realisten und Nominalisten
Realisten blieben sehr nah am Originaltext, den sie in Wort für Wort Glossen kommentierten. Nominalisten wie Marsilius strebten danach, den Sachverhalt der Texte selbstständig in Quaestiones zu formulieren und zu diskutieren, was der heutigen wissenschaftlichen Methode näher steht.
Mehr: • Marsilius von Inghen
Lehrszene. Holzschnitt aus Sebastian Münsters Cosmographia, Basel, 1552, p. 614.
Die Privatbibliothek des Marsilius, die als eine der bedeutesten ihrer Zeit gilt, umfasste ca. 237 Buchtitel, wovon heute noch ein Teil in 29 Codices erhalten ist. Sie bilden einen den Grundstock der heutigen Universitätsbibliothek, denn Marsilius hat seine Bücher teils noch zu Lebzeiten dahin gegeben. Heute finden sich diese Handschriften in der Biblioteca Apostolica Vaticana.
Katalog der Handschriften des Marsilius von Inghen in der Vatikanischen Bibliothek:
Nr. |
Signatur |
Inhalt |
1 | Pal. lat. 94 | Paulusbriefe mit der Glossa ordinaria |
2 | Pal. lat. 142 | Sammelhandschrift: Geraldus Odonis, Marsilius von Inghen, Arnaldus von Vonneval, Nicolaus de Lyra |
3 | Pal. lat. 256 | Gregor der Große, Homiliae in evangelia de tempore |
4 | Pal. lat. 306 | Bernhard von Clairvaux, u.a. (siehe Abbildung) |
5 | Pal. lat. 313 | Richard von St. Victor, Werke |
6 | Pal. lat. 380 | Heinrich von Langenstein, Quaestiones |
7 | Pal. lat. 453 | Konrad von Brundelsheim, Sermones de tempore et de sanctis |
8 | Pal. lat. 566 | Sammelhandschrift, u.a. Gregor von Nazians, Liber apologeticus; Marsilius von Inghen,
Glosse über die sieben Arten der Furcht (…) |
9 | Pal. lat. 945 | Guido de Columna, Historia destructionis Troiae |
10 | Pal. lat. 953 | Zusammengesetzte Handschrift aus drei Teilen: Bernhard Silvestris, Cosmographia;
Petrus de Vinea, Epistolae; Wilhelm con Conches, Kommentar zu Marobius |
11 | Pal. lat. 975 | Albertus Magnus, Kommentar zur Naturphilosophie des Aristoteles |
12 | Pal. lat. 995 | Thomas von Aquin, Kommentar zu den Analytica posteriora des Aristoteles |
13 | Pal. lat. 1009 | Aegidius Romanus, Kommentar zu den Analytica posteriora des Aristoteles |
14 | Pal. lat. 1017 | Aristoteles, Ethica ad Nicomachum (Übersetzung Roberts Grosseteste) |
15 | Pal. lat. 1019 | Johannes Buridan, Quaestiones zur Nikomachischen Ethik |
16 | Pal. lat. 1022 | Johannes Bernier, Tabula librorum moralium; Richard Fitzralph, Sermones contra fratres mendicantes |
17 | Pal. lat. 1039 | Aegidius Romanus, Kommentar zur Physik des Aristoteles |
18 | Pal. lat. 1044 | Aegidius Romanus, Kommentar zu De generatione et corruptione des Aristoteles |
19 | Pal. lat. 1045 | Johannes Buridan, Quaestiones zu De anima des Aristoteles |
20 | Pal. lat. 1046 | Sammelhandschrift, u.a. Aegidius Romanus, Thomas von Aquin (…) |
21 | Pal. lat. 1057 | Angelo de Camerino, Kommentar zur Topik des Aristoteles |
22 | Pal. lat. 1061 | Aristoteles, Metaphysica |
23 | Pal. lat. 1088 | Galen, Ad Glauconem de medendi methodo |
24 | Pal. lat. 1101 | Hali ibn Ridwan, Kommentar zur Ars parva Galens |
25 | Pal. lat. 1184 | Bernhard von Gordon, Lilium medicinae |
26 | Pal. lat. 1346 | Guido von Arezzo, Musica |
27 | Pal. lat. 1348 | Euklid, Elemente, Buch I-V |
28 | Pal. lat. 1363 | Hygin, Poeticon astronomicon |
29 | Pal. lat. 1684 | Lukan, De bello civili |
Dorothea Walz, Marsilius von Inghen als Schreiber und Büchersammler, in: Marsilius von Inghen, Werk und Wirkung; Akten des zweiten Marsilius von Inghen-Kongresses, Lublin 1993, hrsg. v. Stanislaw Wielgus.
Autograph des Marsilius
libri beati bernardi multi „Zahlreiche Bücher des seligen Bernhard [von Clairvaux].
> ad liberiam universitatis per manus An die Universitätsbibliothek, eigenhändig übergeben von
mei marsilii de Inghen Marsilius von Inghen.“
(Es folgt eine Aufzählung der Werke Bernhards)
> in hoc volumine continentur libri beati bernhardi scilicet infrascripti
> primo sermones eius super cantica canticorum
Item sermones beati leonis pape per septimanam sanctam
Item libellus arnaldi abbatis bonevallis expositionis „verba domini in cruce“
Item libellus eiusdem argumentum in laudibus dei genitricis
Item expositio ricardi de canone misse
Item bernardus super „missus est“
Item idem de gratia et libero arbitrio
Item liber considerationum ad eugenium
Item quidam liber eius sermonum ad fratres de templo, de nasareth, de betlehem, de monte oliveti,
de iordane, de monte calvarie, sepultus bephage et bethanie
Item liber eiusdem de dispensatione et precepto
Item liber eiusdem de diligendo deum
Item liber apologeticus eiusdem
Item liber eiusdem de gradibus humilitatis
Heidelberger Rektoratssiegel von 1386
Der Rektoratssiegelstempel war von 1386 bis Mitte des 18. Jahrhunderts in Gebrauch und wurde vielfach verwendet. Der Stempel selbst ging verloren, jedoch blieben einige Abdrücke gut erhalten.
Das Grab in der Heidelberger Peterskirche
Ursprünglich befand sich das Grab des Marsilius im Chor der Peterskirche vor dem Hauptaltar. Dies belegt die beigefügte Skizze des Grabes, die wohl die Grabplatte selbst darstellt. Melchior Adam sah das Grab noch zu Lebzeiten und druckte die Grabinschrift 1612 ab. Heute ist das Grab verschwunden und der Wortlaut der Quellen weicht voneinander ab.
Nach einer Rekonstruktion von Dorothea Walz könnte die Grabinschrift gelautet haben:
Anno domini MCCCXCVI die sancti Bernhardi XX mensis Augusti obiit venerabilis Marsilii de Inghen,
fundator huius studii et initiator, sacrae theologiae doctor egregius hic primus formatus protunc rector,
cuius anima requiescat in pace.
In der Totenpredigt auf Marsilius hebt Nikolaus Prowin dessen Disziplin hervor und schildert, er habe nie regelmäßig gespeist und und freitags sogar bei Brot und Wasser gefastet:
„Nam regulariter non cenavit, sextis feriis in pane et aqua ieiunavit …“
Literatur:
Marsilius von Inghen, Gedenkschrift zum 1499 zum einhundertsten Todestag des Gründungsrektors der Universität Heidelberg, Heidelberg, 2008,
Hrsg. v. Dorothea Walz und Reinhard Düchting. (= Lateinische Literatur im deutschen Südwesten Band 1)