Keine andere Partei hat in den vergangenen Monaten derartig Aufwind bekommen wie die Grünen, ihre Frontfrau schickte sich sogar an, zur Sonne zur fliegen, die Kanzleramt heißt. „Es begab sich aber zu der Zeit“, dass sie ihre Konkurrenten Armin Laschet vom trägen Planeten CDU und Olaf Scholz vom damals noch irrlichternden Kometen SPD weit hinter sich gelssen hat; gegen den aufgehenden Stern wirkten die Herren wie Dinosaurier aus dem politischen Pleistozän. Wer aber der Sonne zu nahe kommt, dessen Flügel verbrennen wie weiland die des Irakus und, wie dem Höhenflieger aus der griechischen Mythologie ergeht es in diesen Tagen auch den beiden Grünen-Chefs Robert Habeck und aber vor allem und allen anderen Annalena Baerbock. Der eine stolpert mit Stahlhelm durch die Ukraine und offenbart seine außenpolitische Unbedarftheit. Die andere vergisst, dem Bundestag Sonderzahlungen von mehr als 25.000 Euro zu melden, und kämpft mit ihrem eigenen Lebenslauf, der offenkundig nicht nur lückenhaft, sondern auch geschönt war. „Ich habe da offensichtlich einen Fehler gemacht, und das tut mir sehr, sehr leid“, gestand sie gestern Abend in der ARD – und das, das läßt sich kaum mißverstehen.
Seit Tagen berichten Medien über die Ungereimtheiten in der offiziellen Vita der Kandidatin
Weder aber die Parteizentrale noch die Chefin bekommen das Thema abgeräumt. Wer nicht einmal so ein läppisches Thema in den Griff kriegt, wie will so jemand die großen Krisen in der Republik – oder gar der Welt – lösen: Diese Frage stellen sich immer mehr Bürger, und die täglichen Verbotswünsche und Gebotsforderungen der Grünen-Basis machen die Skepsis noch größer. Kurzflüge verbieten (obgleich der Effekt auf den CO2-Ausstoß gering wäre), Benzinpreis erhöhen (der wie längst beschlossen über CO2-Steuer ohnehin steigt), Gendersprache einführen (obgleich sowohl die Mehrheit der Bevölkerung und – bei aller Bescheidenheit – auch wir sie ablehnen): Die Liste der unausgegorenen Ideen ließe sich fortsetzen, und falls die Grünen-Spitihren Laden auf dem morgen beginnenden Parteitag ähnlich chaotisch managt wie in den vergangenen Tagen, könnte Annalenas Baerbocks lang geplante Krönungsmesse zur Luftnummer werden. Von 3.280 Änderungsanträgen zum Wahlprogramm sind 20 übriggeblieben, aber die haben es in sich. Tempolimit 100 km/h auf Autobahnen, noch höherer CO2-Preis, massive Steuererhöhungen: „Die grüne Parteibasis probt den Aufstand gegen Baerbocks Realo-Kurs“, kommentiert das „Handelsblatt“. Der Parteitag wird so – und ist nichts mehr aber auch nicht weniger als eine Reifeprüfung“ …
Debatten sind Ausdruck einer lebendigen Partei
und angesichts der beispiellosen Herausforderung durch die Klimakrise wichtig
Aber dreieinhalb Monate vor einer Bundestagswahl gewinnt man Vertrauen in der Bevölkerung nicht mit Maximalforderungen, sondern mit einer klugen Balance aus Ambitionen und Pragmatismus, mit Kompromissbereitschaft und vor allem mit einer – erheblich zu vermissenden – Professionalität.
Genau aber daran aber scheint es Mm. Baerbock und ihrem Team zu mangeln. Die Folgen dokumentiert das neue ZDF-Politbarometer: In der Frage der Kanzlertauglichkeit schmiert Frau Baerbock von 43 Prozent auf 28 Prozent ab, sogar die eher nüchterne „FAZ“ schreibt von einem „drastischen Einbruch“ , womit sie nun gleichauf mit Unionskandidat Laschet krabbelt, der sich verbessert – derweil SPD-Vorkämpfer Scholz plötzlich – und das ist (pardon, erfreulicherweise auch gut so) mit 48 Prozent vorne liegt. Der ARD-Deutschlandtrend zeigt ein ähnliches Bild: Dort verliert die Grünen-Chefin in der Kanzlerfrage satte 12 Punkte und liegt nun deutlich hinter Laschet und Scholz. Und das, obwohl die Mehrheit der Befragten als drängendste Anliegen die grünen Herzensthemen Umwelt und Klima nennen. Haben die Grünen die falsche Spitzenkandidatin, ist Frau Baerbock der Aufgabe nicht gewachsen?
Umfragen sind nun mal nur Momentaufnahmen – einerseits
Andererseits dokumentieren sie Stimmungen – und die positive Stimmung, von der sich die Grünen ins Wahljahr haben tragen lassen, hat sich gedreht. Nun bläst ihnen der Wind scharf ins Gesicht. Zuzuschreiben haben sie sich das selbst. Falls sie sich am Abend des 26. September fragen sollten, warum sie ihr Wahlziel wieder einmal verfehlt haben, könnte die nüchterne Analyse lauten: Wegen einer verbaerbockten Vita und tölpelhaftem Management. Wer bis zur Sonne fliegen will, braucht starke Flügel. Die grüne Höhenfliegerin scheint sie gegenwärtig nicht zu haben.