Rund 50 Schauspielerinnen und Schauspieler äußern sich auf Videos ironisch zur deutschen Corona-Politik. Jetzt geht eine Welle der Empörung über sie hinweg. Dabei tun sie genau das für die Gesellschaft, was Aufgabe von Künstlern ist: das Handeln der Mächtigen kritisch zu begleiten.
So bekennt Heike Makatsch, während es an der Wohnungstür klingelt, zum Schutz von uns allen die Tür nie wieder aufmachen zu wollen. Und Jan Josef Liefers zeigt sich dankbar ob all der Alternativlosigkeit der Expertenmeinungen in Sachen Corona. Das schaffe klare Orientierung.
Sebastian Leber hält die Aktion im „Tagesspiegel“ nicht nur für „gefährlich“, sondern für eine „Unverschämtheit“. Derartige Argumente kenne man ansonsten nur von Querdenkern. Kein Wunder also, dass es Beifall von „Rechtsextremisten und anderen Verschwörungsgläubigen“ gebe. Stefan Niggemeier attestiert der Aktion sogar den Status eines „Dammbruchs“. Es sei bisher der „größte Erfolg der Querdenkerszene“. WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin, ehemals SPD-Landesvorsitzender in Niedersachsen und Minister in NRW, fordert die öffentlich-rechtlichen Anstalten sogar auf, die Zusammenarbeit mit den fraglichen Schauspielern „schnellstens“ zu beenden.
Das Framing funktioniert tadellos
Nun kann kein vernünftiger Mensch etwas dafür, wenn ihm Idioten applaudieren. Das liegt allein im Vermögen der Idioten selbst. Aber dieses Framing funktioniert in Deutschland noch immer tadellos. Zwischenzeitlich sah sich Liefers sogar genötigt, sich öffentlich von rechtsextremem Denken zu distanzieren. Mit der Aktion habe er lediglich die Entscheidungen der Regierenden „kritisch“ kommentieren wollen: „Besonders wegen der in Kauf genommenen Verluste in Kultur und Kunst und der Veranstaltungsbranche.“ Konnte man Liefers‘ Absichten jemals anders verstehen?
Auch Heike Makatsch sah sich ob der öffentlichen Kritik an der Aktion zu einer klarstellenden Reaktion gezwungen. Selbstverständlich distanziere sie sich „eindeutig von rechtem Gedankengut“. Ihr Nervengerüst scheint allerdings etwas weniger stabil zu sein als das von Liefers: Sollte sie nämlich jemanden verletzt haben, bitte sie natürlich um Verzeihung, schiebt sie gleich hinterher. Falls sie damit „rechten Demagogen“ in die Hände gespielt haben sollte, bereue sie dies „zutiefst“.
Wo bleibt der Freigeist?
Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich: Für gewöhnlich gehört es im Feuilleton und in der politischen Öffentlichkeit zum guten Ton, Kunst wie Wissenschaft für ihre kritische Freigeistigkeit zu preisen. Derartige Sonntagsreden tragen dabei symbolisch der Tatsache Rechnung, dass die Freiheitsrechte von Kunst und Wissenschaft im Grundgesetz aus gutem Grund einen besonderen Status genießen. Sie sollen demnach genau das für die Gesellschaft leisten, was Liefers für sich in Anspruch nimmt: das Handeln der Mächtigen „kritisch“ zu begleiten.
Ja, es soll sogar einmal Zeiten gegeben haben, in denen Intellektuelle und Künstler nicht nur dafür gefeiert wurden, wenn sie Elfenbeinturm und l’art pour l‘art hinter sich ließen, sondern genau dies von ihnen eingefordert wurde. Das kritische Potenzial beider Bereiche galt einmal als ihr eigentlicher gesellschaftlicher Schatz. Kritik durch Verstörung ist somit kein Ärgernis, sondern die eigentliche Technik der Kunst. Wollte sie darauf verzichten und immer mit den Herrschenden ziehen, degradierte sie sich zu bloßer politischer Propaganda.