Die Gewalt gegen Journalisten in Deutschland hat ein neues Niveau erreicht. Das haben Erhebungen von Reporter ohne Grenzen (RSF) und dem Europäischen Zentrum für Presse- und Meinungsfreiheit (ECPMF) gezeigt. Demnach lag die Zahl der körperlichen Übergriffe 2020 mit 65 bzw. 69 verifizierten Fällen so hoch wie nie zuvor seit Beginn der Erfassungen. Zudem häufen sich verbale Übergriffe per E-Mail oder Social Media bis hin zu Morddrohungen.
Um die Pressefreiheit zu gewährleisten und feste wie freie Journalisten vor Gewalt und Bedrohungen zu schützen, hat ein Bündnis von Journalistenorganisationen, Mediengewerkschaften und Beratungseinrichtungen Standards entwickelt und einen Schutzkodex für Medienhäuser formuliert. Dieser Kodex umfasst ein Dutzend praktische Maßnahmen wie unter anderem feste Ansprechpersonen bei den Arbeitgebern sowie psychologische und juristische Unterstützung der Betroffenen. „Drohungen führen dazu, dass es sich insbesondere freie Journalisten gut überlegen, ob sie weiterhin über Themen wie Flucht und Migration, Rechtsextremismus, Feminismus oder von Demonstrationen berichten. Das gefährdet die Presse- und Informationsfreiheit in Deutschland“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. So kann etwa das Veröffentlichen von Wohnadressen und persönlichen Angaben im Netz die angegriffenen Journalisten teuer zu stehen kommen, wenn beispielsweise ein Umzug nötig wird.
Dem Schutzkodex haben sich bereits die dpa, die taz, ZEIT und ZEIT ONLINE, der SPIEGELund die Frankfurter Rundschau angeschlossen. Sebastian Horn, stellvertretender Chefredakteur von ZEIT ONLINE: „Es ist uns sehr wichtig, Kollegen und Kolleginnen vor Anfeindungen und Bedrohungen zu schützen, die sie im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung erleben, seien sie fest angestellt oder frei für uns tätig. Deshalb setzen wir bei ZEIT und ZEIT ONLINEdie Punkte der Initiative bereits um. Wir treten ihr bei, um dies bekannt zu machen und ein Zeichen zu setzen – nach innen wie außen.“
„Für viele Kollegen – insbesondere Frauen und Journalisten of Color – stieg in den vergangenen Jahren der Druck durch Hass und Angriffe. Mit dem Schutzkodex können Medienhäuser ein bisschen Sicherheit geben, signalisieren, dass sie diese Gefahr für die Pressefreiheit ernst nehmen – und dafür sorgen, dass wichtige Stimmen nicht verstummen“, so Thembi Wolf, Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher, die selbst schon aufgrund ihrer Arbeit im Netz attackiert wurde.
Bedrohung psychisch sehr belastend
Für Journalisten, die zur Zielscheibe von Hass und Hetze werden, ist die Bedrohung psychisch sehr belastend. Häufig machen die Angriffe auch vor Familienmitgliedern nicht Halt. Der Schutzkodex beinhaltet daher auch juristische und psychologische Unterstützung für die Familien der Betroffenen. Wenn im Rahmen von Berichterstattung und Recherche mit körperlichen Angriffen zu rechnen ist, verpflichten sich die Medienhäuser, Journalistinnen und Journalisten die Begleitung durch Sicherheitspersonal anzubieten. Weitere Punkte des Kodex‘ sind die schnelle Sperrung von Hater-Profilen in sozialen Netzwerken, rechtliche Unterstützung bei Auskunftssperren von Meldeadressen oder die Nachverfolgung juristisch strafbarer Mails und Kommentare.
Medienhäuser, die sich dem Schutzkodex ebenfalls anschließen wollen, können sich an die Mitglieder der Initiative wenden: die Deutsche Journalisten-Union | ver.di, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die Neuen deutsche Medienmacher e.V., Reporter ohne Grenzen e.V. und der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG e.V.).
Informationen zu den Mitgliedern der Initiative und Ansprechpersonen:
Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG e.V.)
Die im VBRG e.V. zusammengeschlossenen unabhängigen Beratungsstellen aus 13 Bundesländern unterstützen und beraten jährlich professionell und parteilich hunderte von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt – darunter auch Journalisten und Medienarbeiter.