Wegen des Suezkanals wurden Kriege geführt und Schiffe als Geiseln genommen. Nun versperrt ein Schiff die Wasserstraße. Doch trotz der Probleme: Eine Alternative gibt es nicht, sagt der Konfliktforscher Johannes Peters.

Ein Sandsturm zieht auf, eine heftige Windböe prallt gegen die Container und schon steht das Schiff quer. Die MV Ever Given ist im Suezkanal auf Grund gelaufen und versperrt damit die wichtigste Handelsstraße für Europa. Noch kann die Wirtschaft das verkraften, sagt Johannes Peters, Wissenschaftler am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel und Experte für Maritime Sicherheit. Doch der Vorfall ruft Erinnerungen wach an frühere Blockaden des Suezkanals.

Seit mehr als 24 Stunden blockiert ein Containerschiff den Suezkanal. Wie sehr bringt das den Welthandel durcheinander?
Johannes Peters: Das hat vor allem für uns Europäer Auswirkungen. Der Suezkanal ist so etwas wie eine Lebensader für Europa, die uns mit Gütern als Fernost versorgt – für Nordamerika hat er wenig Bedeutung. Aber für uns ist der Kanal von existenzieller Wichtigkeit. Wie sehr wir die Auswirkungen spüren, hängt natürlich von der Dauer der Blockade ab.

Noch ist das nicht dramatisch. Das führt erst mal zu einem Stau, im Mittelmeer und im roten Meer. Viele Unternehmen haben zwar eine Just-in-Time-Logistik, allzu lange Ausfälle können die sich nicht leisten. Allerdings sind bei Gütern aus dem Seetransport gewisse Karenzen kalkuliert. Und selbst wenn irgendwo die Förderbänder kurzfristig stillstehen, spürt der Konsument das nicht sofort.

Nichtsdestotrotz führt die Situation den Menschen noch mal die Bedeutung des Suezkanals vor Augen. Seit über 150 Jahren fließt der Welthandel durch den Kanal. Wie sähe die Weltwirtschaft heute aus, wäre der Kanal nie gebaut worden?

Darüber kann man natürlich nur orakeln. Aber sicherlich hätte der ein oder andere Hafen, insbesondere im Mittelmeer, nicht so viel Bedeutung. Die logischste Konsequenz wäre, dass die Schiffe die Route um das Horn von Afrika herum genommen hätten, wie schon Jahrhunderte zuvor. Deshalb hätten ohne den Suezkanal heute vielleicht Häfen in Afrika mehr Bedeutung.

Damals gab es diese verzahnten Lieferketten nicht, der Seeweg um Afrika herum war die Normalität. Und in den ersten Jahrzehnten machte der Kanal Verluste. Wieso hat man ihn überhaupt gebaut?

Das entsprach wahrscheinlich einfach dem Pioniergeist dieser Zeit. Der Erbauer des Kanals, Ferdinand de Lesseps, war in gewisser Weise ein Hasardeur, ein Draufgänger. Und wahrscheinlich spielt auch ein bisschen koloniale Arroganz darein. Aber der Seeweg um Afrika war kein einfacher und sehr stark monsunabhängig. Also hatte der Kanalbau schon seinen wirtschaftlichen Sinn.

Der Kanal war lange in britischer und französischer Hand. Als Ägypten den Kanal verstaatlichen wollte, löste das 1956 die Suezkrise aus. Danach kamen Sechstagekrieg und zum Jom-Kippur-Krieg. Der Kanal war lange nicht befahrbar. Hat das die Globalisierung ausgebremst?

Die Globalisierung, wie wir sie kennen, kam ja eher in den 90er Jahren. Damals waren die Lieferketten wesentlich kürzer, China war noch nicht die Werkbank der Welt, es gab noch kaum Container. Der Einfluss dieser Konflikte war deshalb ein anderer, als es heute ein Konflikt hätte.

Die Deutschen als Handelsnation gerieten trotzdem zwischen die Fronten. Wegen der politischen Konflikte saßen zwei deutsche Frachter acht Jahre lang im Suezkanal fest.

Das klingt jetzt hart, aber das ist natürlich vor allem erst mal ein Problem für die Crew an Bord und für die Reederei. Heute würde sich in so einer Lage erst mal die Frage stellen: Wer ist überhaupt zuständig? Die Reederei kommt vielleicht aus Europa, aber der Schiffsvermieter noch mal aus einem anderen Land, die Crew kommt heute aus den Philippinen, das Schiff fährt unter der Flagge Panamas… Die juristische Verantwortlichkeit für ein Schiff festzustellen, ist da gar nicht so einfach. Die Handelsschiffe sind eben das, was sie auch repräsentieren: ein internationales Wirtschaftssystem.

„Der Weg durch die Arktis lohnt sich wirtschaftlich nicht“

Wie groß ist heute das Risiko eines militärischen Konflikts um den Suezkanal?
Die Zeiten haben sich geändert. Ägypten ist nicht mehr der Nabel des Panarabismus und stellt auch für Israel und die politische Situation im Nahen Osten kein vordringliches Bedrohungsszenario da. Niemand hat ernsthaft wirtschaftliches Interesse daran, dass der Kanal dicht ist. Ägypten hat mit dem Suezkanal im vergangenen Jahr 5,6 Milliarden Dollar Umsatz gemacht, das ist ein ganz wesentlicher Teil des Bruttosozialprodukts.

Die größte Gefahr sehe ich darin, dass ein regionaler Konflikt quasi überschwappt. Bei den aktuellen Konflikten im Jemen gab es bereits Vorfälle mit improvisierten, schwimmenden Bomben. Aber bisher hatte auch das wenig Auswirkungen.

Vor einigen Jahren gab es auch vor Somalia noch regelmäßig Piratenangriffe auf Schiffe, die durch den Suezkanal wollten – damals haben einige Schiffe umgesteuert.

Dann haben die EU-Staaten ja eine Mission zum hoheitlichen Seeschutz installiert und die Reeder zusätzlich mit privaten Sicherheitsdiensten auf die Schiffe geholt. Heute gibt es kaum noch Angriffe. Aber die Versicherungen haben da auch einen starken Einfluss: Wenn die Prämien steigen, weil die Versicherung ein Gebiet als risikoreich einstuft, müssen sich die Reeder sehr genau überlegen, ob sich die Fahrt lohnt.

Wie abhängig ist die europäische Wirtschaft heute zu abhängig vom Suezkanal?
Das hält sich in Grenzen – das ist auch eine Frage der Alternativen. Zwischen Asien und Mittelmeer ist der Kanal der kürzeste Weg.

Mit dem Klimawandel und dem Abschmelzen der Arktis wird auch die Nordostpassage über Russland immer besser befahrbar. Ist das keine Alternative?

Diese Route klingt natürlich verlockend. Aber damit würde man sich natürlich auch von Russland abhängig machen, die mit ihrer Küstenlinie ein Großteil der Strecke kontrollieren und auf deren Eisbrecher man angewiesen wäre. Selbst im Sommer muss nur einmal der Wind aus der falschen Richtung wehen und das Schiff sitzt im Packeis. Und wer will schon Schiffe mit der entsprechenden Eisklasse bauen, wenn die es dann nur die nur ein paar Wochen im Jahr auf der Strecke fahren, wo sie diese Ausrüstung brauchen? Das lohnt sich wirtschaftlich eher nicht.

Nach 150 Jahren ist der Kanal teilweise noch immer einspurig. Entspricht das den Anforderungen der heutigen Schifffahrt?

Die Ägypter haben ja einiges gemacht. Früher konnten sich die Schiffe nur im Bittersee begegnen. Mittlerweile gibt es auf großen Teilen eine zweite Spur. Und im Gegensatz zum Panamakanal hat er keine Schleusen und deshalb auch wenig Begrenzungen für die Größen der Schiffe

In der Coronapandemie haben auch einige Unternehmen sich die Frage gestellt, ob es so viel Sinn macht, die Güter für ihre Produktion aus Asien einschiffen zu lassen. Wie sieht Zukunft des Suezkanals aus?
Er wird eine Zukunft und eine Bedeutung haben. Ja, in der Pandemie diskutieren Unternehmen, ob sie sich weniger abhängig machen sollten und Lieferketten nach Europa zurückholen. Aber diese Entwicklung in der Globalisierung – die ja über einen Zeitraum von dreißig oder vierzig Jahren stattgefunden hat – die dreht sich nicht einfach so zurück.

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März 2021 | In Arbeit | Kommentieren