Die Flucht aus der Partei hat längst begonnen – „und das – das meinen auch wir – ist gut so“
Gerade ist die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz verkündet, schon häufen sich in der Partei auch die Durchhalteparolen. Die Führungsgremien nämlich hatten eine Flucht von Mitgliedern und Wählern befürchtet – zu Recht: Genau dies nämlich findet derzeit statt: „Wir wenden uns heute an Sie, um den Schaden so klein wie möglich zu halten“, heißt es zwar in einer dieser Tage verschickten E-Mail eines westdeutschen Landesvorstands an seine Verbandsmitglieder – was diese Mahnung aber nicht mehr verhindern konnte: „Bewahren Sie sich Ihren Idealismus“, appelliert er an „vor allem diejenigen Mitglieder, die sich in diesen Tagen überlegen, ob und wie sie ihr Engagement in der AfD fortsetzen können“.
Jeder solle entscheiden, was schwerer zu ertragen sei: ein „illegitimer Willkürakt des Verfassungsschutzes“ oder die „desaströse Politik der anderen Parteien, die unser Land an den Abgrund führen wird“.
Jahrelang hat Die AfD zu verhindern versucht,
dass der Verfassungsschutz ernst mache
Bundeschef Jörg Meuthen räumte ein wenig im eigenen Haus auf, setzte den Höcke-Freund Andreas Kalbitz vor die Tür, das Parteigericht entfernte weitere Rechtsausleger und Meuthen zwang den völkischen Flügel der AfD, seine Auflösung zu erklären. Die völkische AfD-Jugendorganisation musste ihr Programm entschärfen, um der Zerschlagung zu entgehen, und änderte ihr Logo. Eine eigens eingesetzte, parteiinterne Arbeitsgruppe Verfassungsschutz zwang Spitzenfunktionäre des radikalen Flügels zu öffentlichen Korrekturen ihrer Rhetorik.
Um im Rechtsstreit um die Beobachtung gewappnet zu sein, bekannte sich die Parteiführung vor wenigen Wochen per Beschluss zu Selbstverständlichkeiten: der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zur Staatszugehörigkeit von Menschen auch nichtdeutscher Herkunft. Abgewendet haben all diese an den Verfassungsschutz adressierten Manöver nichts. Die Beobachtung soll kommen, wie auch aus Sicherheitskreisen zu erfahren war.
Eine Niederlage für Meuthen
Diese Entscheidung löst in der Partei mehrere gegenläufige Dynamiken aus. Einerseits rückt die Partei zur Wagenburg zusammen. Andererseits fliehen noch schnell all jene, die in der AfD keine Zukunft mehr sehen: Enttäuschte, Staatsdiener, bald wohl auch unterlegene Bewerber für die Listenaufstellungen zu den anstehenden Wahlen. Zudem ist die Beobachtung durch den Verfassungsschutz auch für Parteichef Meuthen eine persönliche und politische Niederlage.
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Der Bundesvorsitzende ist in der Partei umstritten
Nationalistischer Osten
Seit jeher befehden sich in der AfD Völkische und Bürgerliche, verläuft in der Partei ein Graben: zwischen dem mitgliederstarken Westen und jener AfD-Minderheit im Osten, die die starken Wahlergebnisse bringt und der die Verfassungsschutzbeobachtung egal ist, weil sich damit weitere Protestwähler mobilisieren lassen. Meuthen und die meisten westdeutschen Funktionäre hätten ihre Partei gern liberal-konservativ und ein bisschen patriotisch.
Ohne den nationalistischen Osten könnte sich
die AfD schwer über der Fünfprozenthürde halten.
Verteidigung für Kalbitz
In ostdeutschen Landesverbänden ist der Flügel sogar prägend für die AfD. Während bei Landesvorstandswahlen in Baden-Württemberg oder Niedersachsen nationalkonservative Kandidaten zuletzt unterlagen, erkämpften sie jüngst in Sachsen-Anhalt aussichtsreiche Listenplätze für die anstehenden Wahlen. Dem Verfassungsschutz dürfte auch nicht entgangen sein, dass der dortige Fraktionschef Oliver Kirchner den rausgeworfenen Nationalisten Kalbitz jüngst in einer Pressekonferenz wortreich verteidigte. Oder dass die Bewerber des Flügels bei der Nachwahl zum Bundesvorstand Ende November nur hauchdünn unterlagen.
Im westfälischen Höxter oder in Schleswig-Holstein.
Zwei Jahre Zeit gab sich der Verfassungsschutz für die Prüfung der Partei, sammelte seit Anfang 2019 Tausende Seiten weiteres Material. Der Beobachtungsbeginn fällt nun ins beginnende Superwahljahr – für die AfD ein herber Rückschlag. Denn wer demnächst für Landtage oder Bundestag kandidiert, exponiert sich für eine Partei, die verfassungsfeindlicher Bestrebungen verdächtig ist. Meuthen hätte das gern verhindert. Die Partei zieht nun (ZEIT-online) mit einer 110 Seiten langen Klageschrift vor Gericht. Ein Teilsieg für Meuthen wäre, wenn die Gerichte Haldenwang verbieten, öffentlich über die AfD-Beobachtung zu sprechen. Um sich selbst aber zu rehabilitieren, müsste er sie vollends verhindern.