Ein Mann, nur mit einer kleinen Schürze und Sportsocken bekleidet, greift nach seinem Partner unter der Dusche. „Domestic Scene, Los Angeles“, das ist der Titel des 1963 entstandenen Bildes von David Hockney. Mit dieser Momentaufnahme schwulen Lebens ist es seit dem 1. August 2001 vorbei.

Zwar trägt – mag ja sein – der eine auch künftig seine Schürze, steht damit aber am Küchenherd, während sein Partner im Zimmer nebenan auf das Abendessen wartet. Derlei Szenen und Bilder haben Hochkonjunktur, und alle, alle tun so, als wäre das nie anders gewesen. Ein historischer Tag für Homosexuelle, so war allüberall zu lesen. Medien und die ihr angeschlossene heterosexuelle Öffentlichkeit waren nachgerade trunken von ihrem großherzigen Akt der Toleranz, Lesben und Schwulen die „eingetragene Partnerschaft“ mit dazugehörender Bauknecht-Idylle zu gewähren. Zwar wagt dies einmalige Gebilde nicht einmal die Dinge beim einfachen Namen zu nennen, zwar ist die juristische Konstruktion schon auf den ersten Blick eine handwerklich miserable Ausgestaltung der generösen Idee und letztlich nur ein suspektes Sondergesetz, das homosexuelle Paare auf unabsehbare Zeit als Paare zweiter Klasse festschreibt.

Diesen alten Rundschau-Artikel haben wir jetzt der neuen aktuellen Rechtslage wegen nochmal hervorgeholt – lesen Sie in der aktuellen Pressemeldung des Bundesministeriums für Justiz (deretwegen sich einige Karrikaturisten ausgedacht haben, wie sehr sich wohl derzeit Politiker aus CSU-CDU Hochwasser in Karlsruhe gewünscht hätten, dieweil sie der anstehenden Wahl sich nämlich wohl kaum in die Lage versetzt fühlen dürften, in der bislang üblich-breiten Front dagegen: PM BVerfG Splitting vorzugehen.

Paare zweiter Klasse

Domestic Scene, Los Angeles 1963 oil on canvas, 60×60 in.

Hier wieder weiter in unserem „alten“ Text: Dafür haben sich vor 30 Jahren Bundestagsabgeordnete (federführend Wilderich Ostmann von der Leye, SPD) und Schwule nicht gegen ein Relikt aus der Nazizeit aus dem Fenster gehängt, heute ein gemeinsames Namensschild an die Tür schrauben zu dürfen – weder in Messing und auch nicht in Gold. Und das diabolisch-konziliante Lächeln jener, die – begegnet er einer lesbischen Freundin oder sie einem schwulen Freund – maliziös-warmherzig-tieftönig fragen: „Naha, Duhu, wirst du jetzt auch heiraten? – haben doch dabei kaum eine weitere, mag sein unterbewußte Freud´ darüber, die anderen auch in jenes Elend zu stoßen, aus dem sie sich selbst nie zu befreien in der Lage waren …  Der in Deutschland homosexuelle Handlungen unter Strafe stellende Paragraph 175 fiel erst 1994 endgültig aus dem Strafgesetzbuch. Was Wunder haben Schwule und Lesben ein großes Freudengesummse angestimmt, als nun nicht mehr Knast for Fun angesagt war. Nicht aber zur Kenntnis nehmen wollten man(n) frau, dass mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 nicht nur – unabhängig von der sexuellen Orientierung – geschützt und gefördert wird, dass sich zwei Menschen nach dem Gesetz rechtlich verbindlich verpflichten „füreinander zu sorgen, in guten und in schlechten Tagen“ und, gehe diese Gemeinschaft auseinander, müsse der wirtschaftlich stärkere Partner den schwächeren weiterhin unterstützen. Hier gleichgestellt zu sein mit der im Grundgesetz geschützen Ehe nimmt dieser nicht nur garnichts, das ist auch ein Gesetz gegen die Bindungslosigkeit der Single-Gesellschaft. Das freut dann auch die Kirche, was wiederum CDU und CSU leichter auf diesen Zug hat hat aufspringen lassen. Die Wege des Herrn sind – naja, seis drum … Für Homosexuelle Frauen und Männer jedenfalls galt und gilt dieser 1. August uneingeschränkt als Tag der Freude – garniert allerdings mit ministerpräsidial-pfaffig-populistischem Geschwätz aus Bayern, Sachsen  und Baden Württemberg.

„ … und hättet der Liebe nicht“

sagt doch aber das „Buch der Bücher“, und verschämt fragen es manche Apostel der Moral hienieden auch. Deren Institutionen hingegen predigen Körper- und Lustfeindlichkeit. Ist aber der Liebe wie dem Sexuellen seelisch und sozial die Funktion zugewiesen, gesellschaftliche Leere zu überbrücken, Lücken aufzufüllen, Sinn zu geben, Lebendigkeit einzublasen, die Menschen überhaupt noch etwas Menschliches spüren zu lassen, so tun beide eben genau dies alles.

Das kirchliche Bodenpersonal?

Die Bewertung gleichgeschlechtlicher Sexualität ist theologisch umstritten; die Stellungnahme sowohl der katholischen Kirche als auch der E(vangelischen) K(irche) D(eutschlands) ignoriert diesen Umstand einfach und erweckt den Anschein, als ob eine sich damit beschäftigende theologische Auseinandersetzung gar nicht existiere. Deshalb einige immer noch strittige Punkte der laufenden Diskussion zur Erinnerung:
Im Gegensatz zu der vehementen Apologie der bürgerlichen Familie seitens der Kirchen hatte Jesus eine weitaus distanziertere und kritischere Bewertung dieser Institution (Lk. 8/19-21). Schon der Bibel sind weitaus mehr Formen des Zusammenlebens und der Ehegestaltung bekannt, als die bei uns favorisierte auf Lebenszeit orientierte und vom Standesamt autorisierte heterosexuelle Monogamie. Polygamie erfährt eine durchaus positive Erwähnung in 1. Mose 29; 2. Samuel 3; während die Leviratsehe in 1. Mose 38 und im Buch Ruth der Vasallenehe das Wort geredet wird und in 1. Samuel 18; demonstrative Verbindungen (Hosea 1) vorkommen.
Wer Homosexualität mit Berufung auf biblische Schriften ablehnt, muß dann aber auch begründen, wie er zu Völkermord (1. Samuel 15), heiligen Kriegen (Buch der Richter), religiösem Fanatismus (1. Könige 18), Sklaverei (Epheser 6/5-8; 1. Timotheus 6/1-2), Frauendiskriminierung (Kolosser 3/18; Epheser 5/22-4) und Antijudaismus (Johannes 8/37-45; Matthäus 27/25) steht. Desweiteren müsste geklärt werden, wie wir mit Blutwurstessern (Apostergeschichte 15/28-29), Gottesdienstkopfbedeckungen (1. Korinther 11) und redenden Frauen (1. Korinther 14/34-35) in der Gemeinde umgehen wollen.
Die Verbesserung der rechtlichen Situation homosexuell liebender Partnerschaften ist ein ausdrücklicher Wunsch von homosexuell lebenden Menschen. Keine einzige heterosexuelle Ehe wird von der Realisierung dieses Wunsches beeinträchtigt oder in anderer Weise berührt. Erwachsenen Menschen die Entscheidung zu verwehren, die Form ihres Zusammenlebens zu bestimmen (was praktisch die Situation für homosexuell Liebende war und trotz alledem immer noch oft genug ist), stellt natürlich eine Diskriminierung für die Betroffenen dar. Wir sehen eben darin Schuld.
Es gilt, Sexualität wiederzuentdecken, denn die Entsexualisierung der Adenauer-Republik hat vor allem eine Anpassung an das Gesellschaftssystem zum Ziel gehabt.
Und eine genau solche Entsexualisierung etabliert sich derzeit wieder in bayrischen, thüringischen, sächsischen und, was Wunder, in Heidelbergs „aufgeklärten“ Köpfen. Die Forderung nach Restriktion darf sich in dieser unserer Republik wieder auf ein interpretatorisches Unvermögen gründen, das zwischen Aufklärung über den Gegenstand und dessen Darstellung nicht trennen kann.

Ein Halali auf die Liebe

Jenseits von populistischem Politikergequatsche geht es mit dieser gespielten Aufregung um die sogenannte Homoehe und darum, ob die nun (wie in Heidelberg) soll im Trauzimmer vor dem Standesbeamten geschlossen werden können, oder profan im Bürgeramt neben der KFZ-Zulassung (wie etwa in Karlsruhe) auch und immer mal wieder der Liebe an den Kragen, wird der Liebe jener allgemeine Stempel aufgedrückt, der sie zu einer gesellschaftlichen Form macht. Da gilt dann: keine Zärtlichkeit ohne Hintergedanken, keine Freundschaft ohne Verbrauchen, kein sich Schönmachen ohne Reklame, keine Hingabe ohne Besitzenwollen, kein Glücklichsein, ohne es hinauszuschreien. Bewegte Starre, Genußfeindschaft im Genuß, beziehungsvolle Beziehungslosigkeit, Treulosigkeit in der Treue, Menschenverachtung in der Liebe, all dies bedeutet – gleich welcher Art – der Fetisch Liebe heute. Jahrzehntelang wurde geredet und geschrieben über „Beziehungen“, „Verkehrsformen“, „Sexualitäten“ und dergleichen mehr, etwa über „das Paar“ und seine „Behandlung“. Und jetzt hängen Tumblinge jeder Couleur all dies an der Homoehe wieder auf ein Neues auf …

Liebe als Krankheit liquidiert?

Nach jedem neuen populistischen Politikergejaule befürchte ich, Liebe könne eines Tages – trotz ihrer Hochschätzung in der Kultur – als Krankheit im Sinne der Reichsversicherungsordnung liquidiert werden. Schließlich ist sie es, die immer wieder versucht, mit den Mitteln des Rauschs, der Sucht, des Wahnsinns, der Ekstase das Erstarrte zum Tanzen zu bringen. Das aber ist heutzutage mehr denn je ein Wagnis, weil wir ebenso auf Abwehr, das Niederhalten der Affekte und das Einpassen in die erstarrte Realität angewiesen sind.
Die unseren Sozialbeziehungen abträgliche Leibfeindlichkeit, der als natürlich empfundene Ekel vor dem Körperhaften, trägt uns bereits in unsrer Kindheit in die kollektive Neurose unserer Kultur hinein und macht uns zu deren Reproduzenten.

Ecclesiogene Neurosen

Kirche will weder wahrhaben, noch glauben, dass Sinneswahrnehmungen an der Nahtstelle von natürlicher Lebenskraft und Geist angesiedelt sind. Unsere Sinne sind unabdingbar für uns. Ohne sie gehen wir zugrunde. Aber sie sind auch Vermittler des Denkens, ohne sie ist Denken nicht möglich; es wird zum reinen Automatismus, gleichgültig gegenüber der Freiheit und dem Wollen. Die Sinne sind an die elementare Funktion des gesellschaftlichen Lebens gebunden: das Geschlechtsleben. Mit ihrem greisig(neidisch?)en Geplapper dazu beweisen jedenfalls einige von des Himmels Bodenpersonal, dass sie nicht zur Kenntnis nehmen wollen oder können, dass Geschlechtsleben nicht nur mit Reproduktion zu tun hat, nicht nur mit dem Koitus im Hinblick auf die Fortpflanzung, sondern eine der grundlegenden Modalitäten unserer menschlichen Lebensbedingungen darstellt.

Der 1. August 2001

Zurück zur Freude der Brüder und Schwestern: Anerkennung! Endlich! Das Verlangen, diesen 1. August erlebt haben zu dürfen, scheint so stark, dass jede Geste angenommen wird, egal wie billig, egal wie kleinmütig sie einherkommt. Diese „Verpartnerung“ zum Beispiel: ein Stück Papier der Behörde mit Stempel und sonst gar nichts – die Schwulen beiderlei Geschlechts haben sich gefreut darüber, wie kleine Kinder. Die Freude könnte nicht größer gewesen sein, würde ihnen Vater Staat die exklusiven Anbaurechte für Frühlingszwiebeln überlassen haben, oder, huch, gar nicht auszudenken, gestatten, subventioniert eine zweifarbene Rosensorte mit Namen „Castor & Pollux“ zu züchten. Ernsten Scherz beiseite: Es können doch nicht wirklich  Homosexuelle so naiv sein – nicht einmal die konservativen Lobbyisten der Homoehe – zu glauben, mit diesem neuen Rechtsgebilde wäre das Ende der Diskriminierung erreicht, weil nämlich weder Kirche noch Staat das wirklich wollen – was sich zu guter Letzt der Wählerstimmenanteile wegen mittlerweile allerdings geändert zu haben scheint

So bekannt, wie übel: Verdränger = Verfolger

Hat doch gerade die Debatte um diese „Nicht-ganz-Ehe“ bewiesen, wie wenig Verdränger und – daraus resultierend – Verfolger homosexuelle Lebensweisen auch nur zu verstehen, geschweige denn zu tolerieren bereit sind. Mit welcher Gesinnung dabei auch künftig zu rechnen sein wird, hat uns – sie mags ja gar nicht gemerkt oder „so“ gemeint haben – die vorzeiten „Herrin“ der Justiz Herta Däubler-Gmelin in ihrem Grußwort an ein schwules Chorfestival vorgeführt: „Es ist an der Zeit“, rief sie den rosa Sängerinnen und Sängern zu, „dass allgemein anerkannt wird, dass auch in lesbischen und schwulen Lebensgemeinschaften Liebe, Anerkennung und“ (sic) „Wärme vorzufinden ist.“ Na, vielen Dank auch, möchte man, dass da zurückgerufen worden wäre, vielen Dank, aber was haben Sie denn erwartet? Sodom und Gomorrha? Das Hempel’sche Chaos unter dem schwulen Sofa? Oder was?

So ein Tag, so wunderschön …

Nein, niemand hat Grund, stolz zu sein auf diese „eingetragene Lebenspartnerschaft“. Und diese sogenannte Ehe als Ende der Diskriminierung zu bezeichnen, ist blanker Zynismus; hingegen wird Ungleichheit damit gerade offiziell zementiert, und ist damit die Chance einer längst überfälligen wirklichen juristischen Gleichstellung auf lange Zeit vertan. Und die „Betroffenen“, die Homos? Als wären ihnen die selbstgestrickten Hierarchien nicht schon Last genug, lassen sie sich jetzt auch von außen teilen: In die Guten und die weniger Guten, in die anständigen Paare und die Hedonisten, Promisken und Unbelehrbaren. Der 1. August 2001 – das war „so ein Tag, so wunderschön wie heute“, damals, als das andere Ufer neu vermessen wurde.

Nach dieser Melange aus Vergangenheit und menetekeln in die Zukunft ein Blick zurück in die Gegenwart

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass gleichgeschlechtliche Lebenspartner bei der Festsetzung der Erbschaftssteuer in Zukunft genauso behandelt werden müssen, wie Eheleute (Normalos also), da die bislang geübte Praxis gegen das Grundgesetz verstoße. Also bitte, es geht doch …

Aber:
Das Bundesfinanzministerium ist auf Draht – es erklärte bereits wenige Tage nach dem Verfassungsgerichtsurteil, der Richterspruch lasse „keinerlei Rückschlüsse“ auf etwaigen Änderungsbedarf bei der Einkommenssteuer zu. Der Drahtseilakt macht aber erst richtig Sinn, liest man folgende „Deutung“ der Bundesfinanzer: „Der Beschluss zeigt im Gegenteil, dass eine gewisse steuerliche Differenzierung unter Berufung  auf den Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz sehr wohl möglich“ sei – da haben wir sie doch bereits schon wieder, diese unheilige Allianz von Ehe und Familie. Jedoch gibt es auch wachsame Augen, die nicht der Freudetränen wegen halbblind in die bundesrepublikanische Wirklichkeit gucken: Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion Volker Beck jedenfalls forderte damals sogleich die Koalition auf, die Diskriminierung lesbischer und schwuler Paare auch im Einkommenssteuerrecht und in der Beamtenversorgung sofort zu beenden. „Ein guter Tag“ sei „der Karlsruher Beschluss für alle Homosexuellen in Deutschland“. Für alle?

Errare humanum est!  – Irren ist menschlich

„Errare humanum est“ – die Abkürzung dieser lateinischen Binsenweisheit ist nun mal: Ehe – und die gerade mal wieder zur Debatte stehende Homo-Ehe ist eben genau das. Derzeit jedenfalls. Noch jedenfalls. Richtig wählen könnte helfen …

 

Juni 2013 | Allgemein, In vino veritas, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren