In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern mehrere europäische Stiftungen und Kulturinstitutionen den Europarat anlässlich der andauernden Inhaftierung des Kulturmäzens Osman Kavala dazu auf, vor der türkischen Regierung nachdrücklich auf einer Einhaltung der von ihr eingegangenen Verpflichtungen zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu bestehen. Zugleich weisen sie die in einer neuen Anklageschrift im Kavala-Fall erhobenen Vorwürfe gegen europäische und amerikanische Organisationen in aller Deutlichkeit zurück.

Am Dienstag den 1.12.2020 kommt das Komitee der Außenminister des Europarats zu seiner Sitzung unter deutschem Vorsitz zusammen, um über die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu befinden.
Eines der Urteile betrifft den türkischen Kulturmäzen Osman Kavala, der sich in der Türkei seit über drei Jahren in Untersuchungshaft befindet. Schon im Mai hatte der Gerichtshof in einem Urteil entschieden, dass dieses Vorgehen die Europäische Menschenrechtscharta (EMRK) verletzt – ein Urteil, das die Türkei als Vertragsstaat der EMRK bis heute nicht umgesetzt hat.

Osman Kavala ist der Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung in der Türkei seit vielen Jahren verbunden. Er ist ein herausragender Akteur der türkischen Zivilgesellschaft und hat viele Initiativen zum Dialog zwischen Deutschland und der Türkei aufgebaut und gefördert.

Die Gemeinsame Stellungnahme der Heinrich-Böll-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung, des Goethe Instituts e.V., der European Cultural Foundation und der Stiftung Mercator an Mitglieder des Europarates, des Europäischen Parlamentes und des Deutschen Bundestages im Wortlaut:

„Seit über drei Jahren sitzt Osman Kavala in Untersuchungshaft. Trotz eines Freispruchs durch ein Istanbuler Gericht im Februar dieses Jahres wurde am 08. Oktober 2020 eine neue Anklageschrift gegen ihn vorgelegt. Die nun erhobenen Vorwürfe, die ihn mit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 in Verbindung bringen, sind für uns nicht nachvollziehbar. Die fortgesetzte Inhaftierung verletzt laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Europäische Menschenrechtskonvention, deren Mitgliedsstaat die Türkei ist. Die neue Anklageschrift unterstellt europäischen und amerikanischen Organisationen, die sich in der Türkei engagieren, geheimdienstliche Tätigkeiten. Als Organisationen, die sich für den Ausbau der Beziehungen zur Türkei und ihren Menschen gleich welcher Religion, Herkunft oder politischer Meinung einsetzen, weisen wir diesen Vorwurf in aller Deutlichkeit zurück!

Mit dem Ziel, die europäisch türkischen Beziehungen zu stärken, setzen wir uns auf unterschiedliche Weise für einen intensiven Austausch mit der türkischen Gesellschaft ein. In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung in und um Europa kommt der länderübergreifenden zivilgesellschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit eine wesentliche Rolle zu. Deren Aufbau treiben wir seit vielen Jahren mit verschiedenen Initiativen voran, die wir in Zukunft noch weiter vertiefen wollen überall in Europa, und auch in der Türkei.

Wir sind überzeugt, dass es zu Begegnung, Gespräch und gemeinsamer Suche nach dem Weg in die Zukunft wenig sinnvolle Alternativen gibt. Diese Aufgabe können wir nur wahrnehmen, indem wir mit türkischen Partnern vertrauensvoll zusammenarbeiten – Partnern, die sich für Dialog und gemeinsame Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Weltoffenheit und Toleranz einsetzen.

Osman Kavala ist einer dieser Partner. Als Gründer der Organisation Anadolu Kültür und Förderer einer Vielzahl von Kunst und Kulturprojekten engagiert er sich seit vielen Jahren für ein besseres Verständnis zwischen der Türkei und Europa, aber auch zwischen den Menschen in der Türkei.
Die anhaltende Inhaftierung Kavalas und die jetzt erhobenen Vorwürfe versuchen, diesen Dialog zu kriminalisieren.

Dieses Vorgehen schadet nicht zuletzt der Türkei selber in ihrem Bemühen, ein positiveres Türkeibild im Ausland zu erzeugen, Besucher aus dem Ausland anzuziehen und sich als attraktiver Partner für Europa und seine Wirtschaft zu präsentieren. Ohne BrückenbauerInnen zwischen Europa und der Türkei gibt es keine gemeinsame Zukunft!

Wir halten es für eine wichtige Aufgabe des Europarats, Impulse zur Neugestaltung der europäisch-türkischen Beziehungen zu geben. Die Grundlage langfristiger kooperativer Strukturen mit der Türkei muss ein gemeinsames Verständnis rechtstaatlicher und demokratischer Regeln bilden. Hierzu gehört es, dass die türkische Regierung die von ihr eingegangenen Verpflichtungen einhält. Ohne Freiheit gibt es keine Basis für Dialog und Austausch – diese Gewissheit in politisches Handeln umzusetzen, ist Aufgabe des Europarats!

Dr. Ellen Ueberschär, Vorstand Heinrich Böll Stiftung
Johannes Ebert, Generalsekretär, Goethe-Institut e.V.
Prof. Dr. Joachim Rogall, Vorsitzender der Geschäftsführung, Robert Bosch Stiftung
Michael Schwarz, Geschäftsführer, Stiftung Mercator
André Wilkens, Director, European Cultural Foundation“

Nov 2020 | Allgemein, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren