
Warum die Abstoßung unterbleibt und welche Anpassungen im Immunsystem der Fische nötig waren, damit eine solche Verbindung dauerhaft zustande kommt, beschäftigt die Forscher seit gut hundert Jahren. 1920 war erstmals ein fest verbundenes Paar gefunden worden. Es hatte sich im Netz isländischer Fischer verfangen. Die Lösung der Anglerfische, die nun ein deutsches Forscherteam aufgedeckt hat, ist eine handfeste Überraschung. Thomas Boehm vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und Theodore Pietsch von der Universität von Washington in Seattle und ihre Kollegen zeigen in der neuesten Ausgabe von „Science“, dass die Anglerfische vollständig auf die erworbene Immunabwehr verzichten (10.1126/science.aaz9445). Sie bezahlen ihren Fortpflanzungserfolg in den Weiten der Tiefsee also mit einer radikalen Zäsur im Immunsystem.

Statt auf ein zweiarmiges System aus angeborener und erworbener Immunabwehr zu setzen, wie das alle anderen Wirbeltiere tun, verlassen sie sich nur noch auf ihr angeborenes Immunsystem. Tiefsee-Anglerfische, die eine dauerhafte Verbindung der Geschlechter eingehen, bilden also keine maßgeschneiderten Antikörper mehr. Sie verzichten auf spezifische Killer-T-Zellen, mit denen infizierte Zellen beseitigt und fremdes Gewebe attackiert werden und haben keine breitgefächerten MHC-Moleküle mehr, die Alarm schlagen, wenn sie etwas Fremdes entdeckt haben.
„Bei uns würde ein solcher Verlust an immunologischer Ausrüstung sofort zu einer fatalen Immunschwäche führen“, kommentiert Boehm die Ergebnisse. Was den Tiefsee-Anglerfischen nach dieser radikalen Zäsur bleibt, ist ihr angeborenes System – eine Wachmannschaft aus unspezifischen Fress- und Immunzellen, die nicht bei jedem Angriff passend nachgeschliffen und molekular verfeinert werden, wie das bei der erworbenen Immunabwehr der Fall ist.
Die Ergebnisse von Boehm und seinen Kollegen sind aber auch von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie ein zentrales Dogma der Immunologie in Frage stellen. Dieses Dogma besagt, dass das angeborene und das erworbene Immunsystem nicht mehr ohne katastrophale Folgen entkoppelt werden können. Die lange, beiderseitige Ko-Evolution verbiete eine solche Entflechtung, so die Begründung. „Wegen dieses Dogmas hatten wir zunächst ganz andere Erklärungen für die fehlende Abstoßung im Blick“, sagt Boehm. „Etwa, dass Tiefsee-Anglerfische riechen, welches Weibchen immunologisch zu ihnen passt und welches nicht. Sie hätten dann den Abgleich der Gewebemerkmale, wie er auch bei einer Organtransplantation erfolgt, mit ihrer Nase gemacht. Das ist aber definitiv nicht der Fall.“
Wie unerwartet diese Entflechtung tatsächlich ist, zeigt auch der Blick auf die Zeitachse. Wirbeltiere sind vor 500 Millionen Jahren entstanden, Tiefsee-Anglerfische vor hundert Millionen Jahren. Den Tiefsee-Anglerfischen ist es also nach 400 Millionen Jahren Ko-Evolution von angeborener und erworbener Immunabwehr gelungen, beide Systeme zu trennen und das angeborene Immunsystem derart aufzuwerten, dass sie damit allein zurechtkommen. „Wir müssen jetzt einfach noch viel besser verstehen, wie das möglich gewesen ist“, sagt Boehm, „denn dann können wir vielleicht auch versuchen, Patienten mit Immundefekten durch eine Stärkung der angeborenen Immunabwehr zu helfen.“