Über Demonstrationskultur
Es hilft nix: Keinem Karikaturisten läßt sich verbieten, mit Europa beschriftete Kühe zu zeichnen, die auf „Steuerzahler“ heißenden Weiden stehen, oder, andersherum, Kühe, die „Steuerzahler“ genannt werden, während dann ein Melker als „EG-Haushalt“ firmieren muß.
Mit keinem Argument lassen sie es sich abgewöhnen, „aufgespießt“ heißt es mal hier, oder ist da mit „spitzer Feder“ geschrieben, wiewohl die Benutzung einer gemeinschaftlich genutzten Schablone um einiges wahrscheinlicher ist, mit der sie einen zipfelbemützten teutschen Michel zeichnen, oder einen Kapitalisten mit Bowler-Hut. Ebensowenig läßt sich einem Demonstranten untersagen, Pappsärge mit den Aufschriften „Demokratie“, „Frieden“ oder „Sozialstaat“ mit sich herumzutragen; zum einen sind die jeweils dran seienden Artefakte meist bereits ins Alter gekommen, weil man sich aber so schön an sie und aneinander gewöhnt hat, werden sie immer mal wieder ans Licht geholt; andererseits ist eben in gar die meisten Protestschädel nicht einmal die simple Wahrheit hineinzutrichtern, daß die Zumutungen, die die gesellschaftliche Wirklichkeit bereithält, nicht mit ebenso scheußlichen ästhetischen Mitteln bekämpft werden können.
Der Einsatz von Lautsprecherwagen, die in den 2000er Jahren noch immer „Ton Steine Scherben“s „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ dröhnend einer Demonstration voranfahren, ist etwa ebenso nützlich und klug, wie das stereotype „Hopp, hopp, hopp, irgend etwas stop !“ Geblöke von Demonstranten, die sich, derweil sie es vorziehen, sich in der Masse zu blamieren, dann doch lieber gleich zur Love Parade gehen sollten. Aber dorten sind ja Sprüche wie diese nicht loszuwerden: „Jeder Mann und jede Frau, gegen den Sozialabbau“. Apropos Sozialabbau – da sind dann die Ärzte nicht weit: „Arzt und Patient, keine Kasse trennt“. Oder: „Die Kassen bauen manch Palais und sparen am Therapiebudget“. Gönnen wir uns einen Lichtblick: Als kürzlich Germanistikstudenten gegen Mittelstreichungen für die Unibibliothek auf die Straße gingen, hatten sie nicht nur – was Wunder – einen Pappsarg mit der Aufschrift „Germanistik“ dabei, sondern sie lasen – gleichsam zum eindrucksvollen Beweis, daß der Literatur existentielle Notwendigkeit sich immer aus der Literatur ableitet – ihre Lieblingstexte vor: Ein Gedicht von Erich Fried etwa, aber gleich einige von Heinz Erhard, damit – vielleicht – die Menschen wie du und ich gleich merken, daß Literatur und Lyrik auch etwas für Glotzengucker zu sein vermag. Mithin einen realen Stellen¬wert für die gesamte Menschheit habe. Sollten Germanisten doch auch mal sowas unter die Leute bringen, davon sind sie nämlich allemal auch betroffen: Käme Georg Büchner in die Akademie für Sprache und Dichtung, er erhielte statt des nach ihm benannten Preises die rote Karte: Du bist aus dem Spiel, Junge! Langhaariger Politextremist, Häuserzerstörer (Krieg den Palästen), Du vierundzwanzigjähriger Nicht-trocken-hinter-den Ohren.

Alsdann, schaun wir mal, was  Piraten gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) auf die Straße zu bringen in der Lage sind – aber, was genau ist das denn, ACTA ?

Feb 2012 | Allgemein, Sapere aude | Kommentieren