Es gibt die autoritäre Versuchung des totalen Durchgreifens, das China jetzt so gut dastehen lässt, und die populistische des Leugnens, wie sie Jair Bolsonaro oder Donald Trump (zumindest zunächst) verkörperten. Ohnehin kommt es bei der Bekämpfung einer solchen Krise nicht so sehr auf die Form des Regimes an, meint Francis Fukuyama in einem längeren Essay für den Atlantic. „Bestehende Regeln oder Gesetze können niemals eine neue und schnell sich verändernde Situation vorwegnehmen. Die Fähigkeiten der Leute an der Spitze und ihr Urteilsvermögen bestimmen, ob das Ergebnis gut oder schlecht ist. Und für die Delegation von Autorität an die Exekutive ist Vertrauen die wichtigste Währung.
Sowohl nämlich in einer Demokratie als auch in einer Diktatur müssen (müssen) die Bürger glauben, dass die Exekutive weiß, was sie tut. Und Vertrauen ist leider das, was in Amerika am meisten fehlt.“
Die Corona-Krise lässt manchen schon vom Systemumbau träumen: Stefan Hebel schlägt in der FR eine Entprivatisierung von Gemeingütern wie Wohnungen, Bahn, Krankenhäuser, Strom- und Wasserversorgung vor. Im Tagesspiegel forderte die Autorin Sasha Marianna Salzmann bedingungsloses Grundeinkommen und eine „globale Krankenversicherung“. Und im Verfassungsblog plädiert der Richter Thomas Schomerus dafür, die Maßnahmen zum Kampf gegen Corona zum Vorbild für die Bekämpfung der globalen Erwärmung zu machen. Da fröstelt es den Juristen Arnd Diringer in der Welt: „Über solche Gedanken muss diskutiert werden – und zwar schnell und über den juristischen Elfenbeinturm hinaus. Denn wie Professor Uwe Volkmann von der Universität Frankfurt am Main unter dem Beitrag von Schomerus kommentierte: ‚Alles was recht ist: Der Albtraum, in dem wir uns gerade befinden, allen Ernstes als Vorbild für die Bewältigung des Klimawandels? Dann gute Nacht.'“
In der NZZ kritisiert der Philosoph Reinhard K. Sprenger scharf den derzeitigen Einfluss von Medizinern auf die Politik. „Virologen regieren die Welt. Man mag diese Differenzierung für spitzfindig halten. Aber Politiker treten bevorzugt in Begleitung von Wissenschaftern auf und begründen ihre Maßnahmen mit dem Verweis auf Forschungsergebnisse. ‚Alternativlos!‘ signalisiert das, der Konflikt zwischen Freiheit und Gesundheit ist moralisch vorentschieden, Widerspruch ist tabu.“
Inzwischen kritisiert auch der Deutsche Anwaltverein das Berliner „Kontaktverbot“, das einer Ausgangssperre sehr nahe kommt, berichtet Julius Betschka im Tagesspiegel: Zu schwammig, zu kompliziert, lautet die Kritik. „In den meisten anderen Bundesländern ist der Aufenthalt auf der Straße grundsätzlich gestattet, wenn man bestimmte Regeln beachtet. Berliner müssen sich hingegen jederzeit rechtfertigen und ausweisen können, wenn sie ihre Wohnung verlassen. Jetzt kritisiert der Deutsche Anwaltverein die Berliner Regelung. Zwar sei unbestritten, dass ‚weitreichende Beschränkungen des sozialen Lebens‘ erforderlich sind. ‚Ein generelles Verbot, die eigene Wohnung zu verlassen, ist dagegen mit dem Leitbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren.‘ Die Bürger dürften nicht gezwungen werden, sich gegenüber der Polizei zu rechtfertigen, warum sie von grundlegenden Freiheiten Gebrauch machten.“
Auch auf Zeit online fragt sich Kai Biermann, ob die getroffenen Maßnahmen wirklich alle verhältnismäßig sind: „In verschiedenen Städten gelten zum Beispiel inzwischen sogenannte Verweilverbote. Bewegung an der Luft sei weiter erlaubt, nur draußen herumsitzen nicht mehr, lautet das Argument der Regierungsstellen. Juristen halten das für unsinnig. Worin besteht beispielsweise die Gefahr, wenn eine Mutter mit ihren Kindern auf einer Bank im Park sitzt, damit alle etwas Sonne bekommen“?
„Die Bekämpfung von Desinformation … kennt kein vernünftiges Maß“, schreibt der Politologe Wolf J. Schünemann in Netzpolitik und wendet sich vehement gegen die Versuchung der erstarkten Exekutive, angebliche Desinformationen unter Strafe zu stellen. Desinformation, so Schünemann, sei nicht so leicht zu identifizieren wie Hassrede. Er erinnert an den Arzt Li Wenliang, der als erster über das Coronavirus berichtete, es zunächst noch falsch zuordnete und von den chinesischen Behörden wegen Verbreitens von Gerüchten belangt wurde. „Die Bekämpfung sogenannter Falschnachrichten und Gerüchte durch staatliche Behörden kann katastrophale Folgen haben, etwa wenn die rasche Aufklärung von Gesundheitsrisiken oder auch die Arbeit von Investigativjournalisten verhindert wird. Gravierender noch als die Sanktionierung im Einzelfall kann die durch die Sanktionspraxis bewirkte Abschreckung und Selbstzensur eine Gefährdung der demokratischen Öffentlichkeit dar.“
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bringt eine ständig aktualisierte Seite über Pressefreiheit in Zeiten der Corona-Krise.
Die sozialen Medien intervenieren unterdessen selbst gegen Fakenews. Facebook stellt 100 Millionen Dollar bereit, um Medien in ihrer Berichterstattung zu unterstützen, berichtet Marc Tracy in der New York Times. Twitter löscht Tweets von Jair Bolsonaro, der Falschinformationen über Corona verbreitete, meldet etwa Spiegel online.
Weiteres: In der NZZ lehnen der Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner (hier) und der Volkswirtschaftler Mathias Binswanger (hier) den kürzlich in der NZZ gemachten Vorschlag von Reiner Eichenberger für eine gezielte „Massendurchseuchung“ der Bevölkerung ab – dies alles mag für heute mal genügen …