Die ganze Geschichte „Oma Umweltsau“ wäre eigentlich nicht der Rede wert. Da sich aber NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und WDR-Intendant Tom Buhrow eingemischt haben, wurde der Shitstorm zur Staatsaffäre aufgeblasen. Das ist gar kein gutes Zeichen. Ein Kommentar.
Wo soll man anfangen, wo aufhören? Gerne hätten wir die Causa “Umweltsau” mit dem Schulterzucken bedacht, die sie verdient. Beim WDR haben sie einen mäßigen Witz gemacht. Einige lachten, andere nicht. Schulterzucken, weitergehen. Die “Umweltsau” wird mit derartiger Verve durchs mediale Dorf getrieben, dass ein Ignorieren schlichtweg unmöglich ist.
Darum geht es: Der WDR hat mit einem Kinderchor ein nicht ernst gemeintes Liedchen aufgenommen, bei dem der Text des Uralt-Gassenhauers “Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad” auf Klimawandel und Greta-Style umgedichtet wurde. Wer sich die Brisanz des Stückes vergegenwärtigen mag, Bitteschön, hier im Netz gibt es das Teil (der WDR hat den Beitrag nach den ersten heraufziehenden Shitstorm-Wölkchen gelöscht und die Sache damit naturgemäß noch schlimmer gemacht).
Wir hingegen, wir haben uns erlaubt, es Ihnen zu erlauben, in dies Liedchen hinein zu hören, das wir – nachdem der WDR es „rausgenommen“ hat – in der Unendlichkeit des Netzes gefunden haben und wünschen (noch?) meinen zu dürfen, dass eine Oma (oder ein Opa) sich – wie im Lied zu hören benimmt, „Umweltsau“ müsse genannt werden dürfen. Wenn nämlich Satire das nicht mehr darf, dann, dann sind wir mal wieder soweit … !
Erfreulicherweise aber wurde bereits in zahlreichen Kolumnen und Kommentaren festgestellt, wie lachhaft und nichtig dieser Anlass ist. Den Teil am Ende des Liedes, bei dem Kinder zum Greta-O-Ton “We will not let You get away with this!” die Lippen bewegen, hätten sich die Verantwortlichen aber wirklich schenken können. Diese Passage lädt das Stück in der Tat unnötig mit Konfrontationspotenzial auf. Aber natürlich war das, was danach folgte maßlos, peinlich und ganz und gar unangebracht.
Das fängt bei den rechtsradikalen und/oder einfach nur dumm-aggressiven Kommentaren und Tweets an, die teilweise dazu auffordern, die Verantwortlichen beim WDR zu entlassen und/oder mit irgendwelchen Tribunalen drohen. Und es hört bei den unsouveränen und hilflosen Aktionen aus der Politik nicht auf. Warum nur hält es der gestandene CDU-Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, für notwendig, dieses Satire-Liedchen öffentlich zu kommentieren und zu verurteilen? Und, glaubt die FDP-Vize-Chefin Nicola Beer wirklich, dies sei ein gutes Beispiel, um mal wieder an die Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erinnern? Musste der WDR wirklich eine Sondersendung zur “Oma Umweltsau”-“Affäre” machen? Und hätte der WDR-Intendant und neue ARD-Vorsitzende Tom Buhrow nicht einfach still bei seinem Vater am Krankenbett sitzen können, statt sich dem Mob zu ergeben und öffentlich zu entschuldigen, wo es nix zu entschuldigen gibt?
Oder sind die alle auch nur so ein bisschen klickgeil?
So wie viele Medien, allen voran mal wieder die “Bild”. Klar, “Bild” ist ein Boulevardmedium und da muss man dem Volk aufs Maul schauen. Aber die Massivität und Frequenz, mit der da Aufregertexte rausgehauen werden, kann man mit einigem Recht verantwortungslos finden.
Denn leider hat das ganze Medien- und Social-Media-Tamtam sogar bei einem so bescheuert-banalen Anlass wie hier Auswirkungen auf die wirkliche Welt. Einige Wirrköpfe demonstrierten tatsächlich vor dem WDR wegen des “Oma”-Liedchens. Ein Typ stellte sich sogar vor das Haus eines WDR-Redakteurs, der allerdings mit einem unnötigen und dummen Tweet die Provokationsschraube noch weiter angezogen hatte. Wir leben ganz offensichtlich in einer Zeit, in der die Fackel- und Mistgabelträger zunehmend aus dem virtuellen Raum in die Wirklichkeit reinsuppen. Ich würde gerne behaupten, dass es komplett überzogen wäre, hier Parallelen zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu ziehen, das ist aber leider nicht der Fall. Wenn eine winzige Banalität wie dieser Oma-Song, solche Reaktionen hervorrufen kann, ist „in diesem unseren Land“ noch einiges mehr möglich.
Die Medien, die Politik, sie alle haben wieder einmal nicht angemessen reagiert. Natürlich darf man berichten, auch als Boulevardmedium. Aber man sollte nicht, wie die “Bild”, die Stimmung immer und immer wieder anheizen, unter anderem mit einer Umfrage unter Rentnern. Was soll dabei rauskommen, wenn ein “Bild”-Reporter arglose ältere Menschen auf der Straße irgendwas fragt im Sinn von: Der WDR lässt einen Kinderchor singen, dass ihre Oma eine Umweltsau ist, was halten Sie davon? Das gewollte Ergebnis ist – was Wunder – vorhersehbar:
Die Protagonisten hätten das Stück „Bundesrepublikanische Wirklichkeit: MIt uns geht, die neue Zeit“ ja auch so aufführen können:
1. Der WDR durfte selbstredend das Lied veröffentlichten. Es folgen Aufreger-Postings in Social Media.
2. Es gibt maximal (!) eine knappe Stellungnahme, wie das Lied gemeint ist, danach hält man als Sender (und vor allem als Intendant) die Klappe.
3. Politiker halten ebenfalls die Klappe und tun, was sie sonst normalerweise so zwischen den Jahren tun.
4. Medien berichten – wenn überhaupt – knapp und mit der gebotenen Distanz über den Shitstorm. Auch eine Glosse ist möglich.
5. Die Aufregung legt sich wieder, wir gehen weiter, es gibt nichts zu sehen.
Dass es mal wieder anders kam, macht leider wenig Hoffnung, dass wir mit dem kommenden Jahr das Zeitalter der Gereiztheit hinter uns gelassen haben würden.
Was Wunder, wurde dies Spektakel auch von
den üblichen Verdächtigen instrumentalisiert:
Mittlerweile haben mehrere Mitarbeiter des WDR im Rahmen der Diskussionen um die „Umweltsau“-Satire Morddrohungen erhalten, wie der WDR bestätigt. Die Anstalt schreibt auch, sie biete den Betroffenen Personenschutz an. Das gelte auch für freie Mitarbeiter. WDR-Intendant Tom Buhrow sagt: „Wir werden das nicht dulden, ich gehe mit allen juristischen Mitteln dagegen vor.“ In einer Video-Botschaft zeigt sich Buhrow erschüttert und kommentiert, die Drohungen würden erschreckendes über den Zustand im Land aussagen. „Wir können doch nicht den Scharfmachern und Rechthabern das Feld überlassen“, so Buhrow, der ein neues Klima des Miteinanders fordert.
Derweil berichtet Spiegel Online über eine Twitter-Auswertung, die nahelegt, dass die Debatte gezielt von Accounts aus dem rechten Spektrum angeheizt wurde, ehe sie auf reichweitenstarke rechtskonservative Accounts und schließlich die Medien übersprang.
Dazu passend kritisiert der DJV-Vorsitzende Frank Überall die Reaktion des WDR auf die Netzkritik: „Tom Buhrow muss sich der Frage stellen, ob er mit seiner eilfertigen redaktionellen Distanzierung für den Beitrag nicht all jenen Oberwasser gegeben hat, die nicht auf den Austausch von Argumenten, sondern auf das Mundtotmachen kritischer Journalisten aus sind.“
Der DJV ruft zudem den WDR auf, sich aktiv um die Sicherheit eines bedrohten Mitarbeiters zu kümmern, bei dem Anhänger der rechtsextremen Szene vor seinem Haus aufmarschiert sind. Der freie Mitarbeiter wurde zum Ziel von Blogs und Twitterern aus dem rechtsextreme Umfeld, nachdem er getwittert hatte, dass die Großeltern der Video-Kritiker keine Umweltsäue gewesen seien, sondern (muußte ja wohl auch nicht sein) eine „Nazisau“.
sueddeutsche.de (Morddrohungen), spiegel.de (Twitter-Auswertung), twitter.com (Statement Buhrow)
Und, zu guter Letzt noch dies auf den Weg:
WDR-Intendant Tom Buhrow hätte seine Mitarbeiter schützen sollen. Jedoch hat er – so scheint es – den Lärm über- und die wahre Bedrohung unterschätzt.
In Zeiten, in denen es heikel wird, wünschen sich Arbeitnehmer umsichtige Chefs; ruhige, selbstsichere, ehrliche. Da Hierarchie Macht zuteilt, sind die Machtlosen auf die Fairness und, besser, auf die Solidarität oder, das wär’s!, auf die Stärkung und Förderung durch die Mächtigen angewiesen.
Ich kenne Tom Buhrow (WDR) als bedachten Menschen, als furchtlos. dennoch hat er Kollegen, die kompetent, doch in der Hierarchie der Sender wehrlos sind, fallen gelassen. Geopfert. Den Löwen zum Fraß vorgeworfen.
Dies sind die drei deutschen Begriffe für das, was in den USA „throwing under the bus“ heißt: Der Stärkere wirft den Schwächeren unter (oder eher wohl vor) den Bus, damit der Stärkere unversehrt davonkommt. Sollte das Amtsenthebungsverfahren für Präsident Donald Trump bedrohlich werden, wird dieser seinen Anwalt Rudy Giuliani vor den Bus werfen. Dafür bekommt Giuliani sein Honorar.
Das Umweltsau-Liedchen weckte rechte Empörung
Als das nette „Umweltsau“-Liedchen des WDR nach vielen Wochen unbeachteter Existenz durch eine gezielte Kampagne von rechts zum Mittelpunkt zuerst digitaler und dann gebrüllter Empörung wurde, entschuldigte sich Buhrow schnell und fulminant, nämlich „ohne Wenn und Aber“ und übersah, dass es auch die Möglichkeit gibt, zugleich Senioren ernst zu nehmen („Wir wollten Sie nicht beleidigen …“) und zum eigenen Beitrag zu stehen („ … aber das ist Satire.“).
Aus dem BR wiederum ist zu hören, dass Wilhelm zwar nicht nichts für seinen Mitarbeiter Richard Gutjahr getan hat; aber ein aufmerksamer Chef war er wohl auch nicht. Dieser volle Terminkalender! Gutjahr wird seit drei Jahren – seit er über die Anschläge von Nizza und München berichtete – von Neonazis und sogenannten Reichsbürgern diffamiert und denunziert, es gab Morddrohungen. Es gab wenig Hilfe von oben.
Die Sache mit Wut und Kampagnen ist diffizil. Nicht jeder Tweet von „Bild“-Chef Julian Reichelt ist ein Shitstorm; Journalisten neigen sowieso dazu, das Randmedium Twitter mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Rechter Hass wiederum wird orchestriert und choreografiert. Harald Staun trifft es punktgenau, der in der „F.A.S“ schreibt, die Intendanten hätten es geschafft, digitales Feedback zugleich zu über- und zu unterschätzen.
Hier nämlich liegt das Problem: Es ist eine Methode autoritärer Parteien oder Systeme, gesellschaftliche Parameter dadurch zu verschieben, dass sie die Freiheitsgefährdung durch Liberale unterstellen – die „Umkehrung der Verhältnisse von Opfern und Tätern, in der die Feinde der Freiheit sich verfolgt sehen von deren Verteidigern“, so nennt es der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering in „Was heißt hier ‚wir‘?“.
Darf man in Deutschland noch sagen, was man denkt? Klar, wieso nicht?
Schlagwörter wiederholen erschüttert Glaubwürdigkeit
Aber durch die permanente Wiederholung von Schlagwörtern wie „Lügenpresse“, „Staatsfunk“ oder „Volksverräter“ wird die Glaubwürdigkeit von Medien systematisch erschüttert. Und jede bereits durch die Bezeichnung „politisch korrekt“ ironisierte empathische, liberale, gewaltfreie Grundhaltung wird weiter diskreditiert.
So kann der Appell, nicht mehr „Neger“ oder „Fräulein“ zu sagen, zur Einschränkung der Meinungsfreiheit erklärt werden. So wird Fortschritt umgekehrt:
Die Grundstruktur hat sich verfestigt, bundesweite AfDler, Pegida-Leute aus Sachsen und Identitäre aus Nordrhein-Westfalen haben ein manifestes Weltbild und lösen bei- und miteinander das Gefühl aus, dass sie viele wären.
06.Jan.2020, 12:57
Markus Wingolf
Weiter durch’s Dorf getrieben: Die Redakteursvertretung des WDR kritisiert Intendant Tom Buhrow und das „schlechte Krisenmanagement der Geschäftsleitung“ im Hinblick auf das „Umweltsau“-Video.Buhrow meldet sich derweil im „Spiegel“-Interview zu Wort: „Man wird doch noch mal Entschuldigung sagen dürfen, ohne dass einem gleich Zensur vorgeworfen wird.“ Der WDR habe Hunderte Anrufe von „Seniorinnen und Senioren und deren Enkeln“ erhalten. Und die Rundschau hat das alles gut auf die Reihe und „rübergebracht“. Danke dafür – ich habe es mittlerweile meinem Sohn für seinen Sohn in den Kindergarten mitgegeben. Die Kleinen singen das Lied mit großer Begeisterung und es heißt, es gebe ständig neue Strophen. Die Eltern sind sehr dabei.
MfG, Marcus Wingolf – Göteburg