Gesundes
Volksempfinden
versus
gesunden
Menschenverstand
Edmund Stoiber hat (ein letztes mal in seiner Eigenschaft als bayerischer Ministerpräsident?) am Aschermittwoch noch mal mit der populistischen Schleuder geschossen. Daß die Türkei nichts in der Europäischen Union verloren hat, wußte er ebenso unter die Beifall gröhlenden CSUler zu bringen, wie – da möcht man ja seiner Meinung sein – daß hierzulande nicht die Scharia gelte, sondern das Grundgesetz. Auch mit seiner Forderung, daß in Bayerns Schul- und Amtsstuben das Kruzifix wieder hängen müsse, versuchte er mit einigem am Bravo – Geschrei seiner Anhänger zu messenden Beifall unter die Leute zu bringen. Worum geht es? Schaun wir mal:
Sapere aude, das Kreuz mit dem von Stoiber gerade wieder aufgewärmten) Kreuz, der Kruzifix-Streit flammt gerade wieder auf. (Aktenzeichen: 1 Bundesverfassungsgericht 1604/97, 1615/97 und1659/97).
Erinnern wir uns: Wir meinen, diese widerwärtig-heuchlerische Kampagne konservativer Politiker und Kirchenfunktionäre gegen gesunden Menschenverstand und das Bundesverfassungsgericht wirft ein derart bezeichnendes Licht auf die intolerante Geisteshaltung dieser gesellschaftlich einflußreichen Gruppierung, daß wir es aufgreifen wollen. Hat sich doch damals der oberste katholische Kirchenfürst Bayerns, Kardinal Wetter, sogar zu einem Vergleich zwischen der Gerichtsentscheidung und der Kirchenpolitik der Nationalsozialisten verstiegen. Damit war Wetter nicht nur wider besseres Wissen infam, er beliebt auch so zu tun, als habe er (wir nicht) das durchaus gute Einvernehmen zwischen Hitler und dem Vatikan vergessen (der Evangelischen Kirche – trotz Hermann Maas und anderer heute wieder als Feigenblatt benutzten mutigen Christen – sei bei dieser Gelegenheit freilich auch gedacht). Vergessen haben alle Stoiber und Wetter offenbar nur allzugern auch, daß die Katholische Kirche bis heute auf der Gültigkeit des 1933 geschlossenen Reichskonkordats besteht, das als einziges völkerrechtliches Abkommen der Nationalsozialisten bis heute Gültigkeit hat.
Verblödungsmechanismen
Bei allem Theater- und Kanzel- und Aschermittwochsdonner wäre es aber völlig (und erfreulicherweise) verfehlt, von einer überwiegenden oder gar einhelligen Kritik an der richtigen und ausgewogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu sprechen. Jedoch müssen all jene, die sich der Verblödungsmechanismen von Stoibers und von Gottes Bodenpersonal (was würde wohl der Nazarener zu alledem sagen, dessen Geburtstag wir demnächst mal wieder feiern?) bislang entledigt haben, ihre Positionen noch deutlicher machen, um der formierten Kreuzzugs-Liga Paroli zu bieten. Auch die Drohungen des bundesrepublikanischen Berlusconi gegen einen unbotmäßigen Chefredakteur seines Meinungskonzern konnten die tiefe gesellschaftliche Akzeptanz des Verfassungsprinzips der Trennung von Staat und Kirche nicht verdecken.
Mord & Totschlag & christliche Toleranz
Mit scheinheiligem und scheindemokratischem Argument des angeblichen Mehrheitswillens werden schon wieder von Kirchenleuten und Politikern diejenigen diffamiert und ausgegrenzt, die nichts anderes wollen, als daß sich Schulbehörden an die Verfassung halten und den Spruch derjenigen Instanz respektieren, die allein zu ihrer authentischen Auslegung befugt ist. Dies in deren Köpfe: „Der Allmächtige beugt das Recht nicht“ (Hiob, 34,12).
Polemisch wird von der angeblichen Unterdrückung der Mehrheit durch die Minderheit gesprochen, wird die Wahrnehmung von Grundrechten als verwerfliche Intoleranz bezeichnet. Ganz gezielt heizt Stoiber schon wieder Stimmung auf, um einzuschüchtern und abzuschrecken, wird so getan, als habe der Richterspruch das Kruzifix generell aus den Schulen verbannt, kommt (was Wunder) in Politikerreden und Kanzelpredigten nicht vor, daß Kreuze künftig lediglich nicht (wie in Bayern gehabt) per Gesetz in Schulen hängen müssen . Das ist unlauter. Und die Akteure auf Podien und Kanzeln wissen das! Konsequenzen zeigen sich längst, so wird die Familie, die das Karlsruher Urteil bereits 1995 erstritt und von einer großen Koalition aus Bildzeitung, Bischöfen und Christpolitikern seither aufs Übelste diffamiert wurde bedroht und erhielt mittlerweile mehrere Morddrohungen. Das ist die aufgegangene Saat „christlicher“ Toleranz – auch dieser Schoß ist fruchtbar noch…
Geltung der Grundrechte
Geifernde Polemiken und Drohungen, die Tiraden von Ministerpräsident Stoiber, dem rechtspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion Norbert Greis und anderen CSU-Führern gegen das Bundesverfassungsgericht haben damals immer mehr die Formen eines Generalangriffs auf die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes angenommen.
Mit der Ankündigung der bayerischen Staatsregierung, den Beschluß des Gerichtes zu mißachten, war ein gezielter und gewollter Verfassungsbruch begangen worden, neuerlich ist anzunehmen, daß mit der Kammerentscheidung der Kruzifix-Streit auf höchtsrichterlicher Eben noch lange nicht zu den Akten gelegt sein wird.
Hier sollten sich alle demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte in die Pflicht nehmen, entschlossen für das Grundgesetz einzutreten. Geht es doch längst auch hier nicht mehr nur um das Für und Wider der Anbringung von Kruzifixen in Klassen- und Amtsräumen; mittlerweile geht es um den Erhalt der freiheitlichen und liberalen Verfassung und um die Geltung der Grundrechte. Ihre Verbindlichkeit für alle staatlichen Organe, die Basis für die Geltungskraft für alle Organe, ist in großer Gefahr; der Schutz von Minderheiten vor staatlichen Übergriffen, das zentrale Anliegen des Grundrechtskatalogs schlechthin, soll unter einer biergeschwängerten Dunstglocke populistischer Volkstümelei verschwinden.
CSU bleibt sich treu
Die CSU war- wieder einmal – mit tatkräftiger Unterstützung rechtskonservativer Politiker aus ihrer Schwesterpartei dabei, den Verfassungskonsens aufzukündigen. Dabei knüpft Bayern neuerlich an die Tradition des Jahres 1949 an, als die CSU-Mehrheit im Landtag für die Ablehnung des Grundgesetzes stimmte. Hier offenbart sich erneut ein widerwärtiges taktisches Verhältnis der deutschen Rechten zur Verfassung. Es ist schließlich mehr als eine ungeheuerliche Entgleisung, wenn oberste Kirchenfunktionäre offen Vergleiche zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Zeit des Nationalsozialismus predigen. Stoiber, sein bischöflicher Adlatus, aber auch Politiker und fundamentalistische Christenmenschen außerhalb Bayerns, verfolgen schon wieder so offensichtlich wie ungeniert die Vision einer monokulturellen Gesellschaft mit einer Staatsreligion als ideologischem Überbau, versuchen hervorzubeten die Zeiten vor der Aufklärung, innerhalb welcher durch staatlichen Zwang Einheit über Einheitlichkeit erzwungen werden möge. Wehret den Anfängen!
Urteil zum Schutz der Religionsfreiheit
Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes ist zu guter Letzt auch ganz wirklich ein Beitrag zum Schutz der Religionsfreiheit. Im Gegensatz zur Mehrheitsmeinung der Bischöfe beider Konfessionen nämlich will das Grundgesetz eben nicht, daß sich ausschließlich die beiden christlichen Großkirchen ungeniert staatlicher Institutionen bemächtigen dürfen. Die Pflicht des Staates ist es vielmehr, allen hier lebenden Menschen Feiraum zu sichern, in dem sie sich in ihren unterschiedllichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen frei entfalten können. Es zeugt von einem mehr denn verqueren Grundrechtsverständnis, diese Schutzaufgabe des Staates in eine Verpflichtung umzumünzen, durch hoheitliches Handeln eine bestimmte Religion faktisch zur Staatsreligion zu machen. Das Gericht stellt in seiner Begründung überzeugend fest, daß religiöse Gemeinschaften grundsätzlich keinen Anspruch darauf haben, ihre Glaubensüberzeugungen mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen.
Allianz von Thron und Altar?
Der damalige Vorwurf der Intoleranz gegen das Gericht und die klageführenden Eltern wendet sich letztlich gegen die Initiatoren der Kampagne. Der Verzicht auf ein Kreuz im Schulzimmer hindert niemanden an der religiösen Erziehung seiner Kinder, verhindert aber die Ausgrenzung jener Kinder, die das Kreuz nicht als Symbol ihrer weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen anzuerkennen vermögen. Toleranz in einem so sensiblen Raum wie der Schule heißt aber allemal gegenseitige Rücksichtnahme und kein Beharren auf vor-pluralistischen Traditionen aus den Zeiten der Allianz von Thron und Altar.
Demokraten an die Front
Angesichts der wahrlich unverschämten verfassungsfeindlichen Umtrieb von rechts sind die Fraktionen des Bundestages und die Länder gefordert, der bayerischen Staatsregierung unmißverständlich klarzumachen, daß das Grundgesetz – rufen sie nicht statt des Freistaates munter das Königreich aus – auch in Bayern gilt. Sollte Stoiber (Bläsest du auf einen Funken, so brennt er – Sir, 28,12) seine Drohung des offenen Verfassungsbruches wahrmachen, müssen die verfassungstreuen Regierungen der Bundesländer und die parlamentarische Opposition im Bundestag eine abstrakte Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht erheben. Dies Verfahren könnte durch einen Eilantrag so beschleunigt werden, daß nicht Jahre ins Land gehen müssen, in denen sich ein verfassungswidriger Zustand verfestigt. Hier geht es um die Grundrechte der Verfassung insgesamt, deshalb könnten sich – hofft und empfielt Jürgen Gottschling – auch diejenigen ihrer Verantwortung für die Verfassung besinnen, die zur Kruzifix-Entscheidung ein nicht ungebrochenes Verhältnis hatten und haben.
27.Feb..2007, 17:24
Mit diesem Artikel bin ich grundsaetzlich einverstanden. Man darf das, meiner Meinung nach ausgewogene Verfassungs-Gerichts-Urteil, nicht torpedieren. Ausserdem ist es nochmal wichtig zu betonen, dass dieses Urteil gegen das staatlich vorgeschriebene Aufhaengen des Kreuzes ist. Das Aufhaengen ist ja nicht verboten sondern man soll sich Gedanken machen wo und wie man es tut. Ich kann mir wirklich gut vorstellen, dass manche Kinder, die erfreulicherweise Mitleid mit „Opfern“ haben (siehe Artikel „Opfer und ihre Veraechter“)von dem halbnackten Jesus am Kreuz, abgeschreckt werden. Dagegen ist ein einfaches Kreuz oftmals angebrachter, aber auch das nicht ueberall.
Wo ich Probleme mit der Toleranz bekomme, wenn die christlichen Werte aus Toleranz gegenueber anderer Religionen nicht mehr gelten sollen. Wenn z.B. Weihnachten nur mehr ein Fest des Weihnachtsmannes werden soll. Wenn man, wie in manchen Gegenden in USA, keine Krippen mehr aufstellen darf und auch sonst keine christlichen Symbole. Das finde ich geht zu weit. Wir sind nun mal im christlichen Deutschland. Als wir in Israel wohnten haben wir auch Hanukka gefeiert und Purim und nicht Weihnachten und Fassnacht, was aehnlich aber nicht gleich ist. Unsere Mitmenschen sollten zumindestens eine Ahnung von unserer christlichen Religion haben. Zumindestens ein gewisses Interesse sollte vorausgesetzt werden, wenn sie laenger hier wohnen.(Das heisst nicht, dass ich den Fragebogen befuerworte).
Na ja, das ist meine Meinung
Noch ne kleine Kritik: Demnaechst feiern wir nicht den Geburtstag Jesus (ich musste nachschaun wann der Artikel verfasst wurde), sondern den Tod und Auferstehung, oder hast du letzteres als Geburtstag gemeint. Koennte man ja auch so ansehen.
Herzliche Gruesse
Brigitte