Vor genau 55 Jahren wurde die rechtsradikale NPD gegründet, die erste GroKo gab ihr Auftrieb, unter Adolf von Thaddens Führung schaffte sie es beinah in den Bundestag. Dann erlebte die Partei ein Debakel.

Von Benedikt Herber

Sven Simon/ ullstein bild

Die bürgerliche Maske der NPD fiel bei einer Wahlveranstaltung am 25. Juli 1969: Rund 80 Männer standen, bewaffnet mit Eisenstangen, Zangen und Hämmern, vor dem Cantate-Saal in Frankfurt am Main. An diesem Freitag seien Gegendemonstranten in die Toreinfahrt gezerrt und verprügelt worden, berichtete der SPIEGEL. Mehrere Opfer mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Die Schweizer „Weltwoche“ bezeichnete die üblen Szenen als „SA-Methoden klassischen Stils“. Die Parteispitze hatte den Ordnungsdienst Hessen-Süd eingerichtet, um Kundgebungen zu schützen. Er entpuppte sich als neonazistische Schlägertruppe.

Damit begann der Abstieg der bis dahin verblüffend erfolgreichen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands. Die Rechtsextremen schwadronierten von der „Lüge deutscher Alleinschuld“ und wünschten sich ein Deutschland zurück, das bis Königsberg reicht. Sie standen auf dem Sprung in den Bonner Bundestag – und hätten die junge Demokratie in eine existenzielle Krise stürzen können.

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NPD: Der Schoß war fruchtbar noch

Gegründet wurde die NPD knapp fünf Jahre zuvor in Hannover. Am 29. November 1964 strömten fast 700 Menschen in das Gasthaus am Döhrener Maschpark und unterbrachen die Reden mehrfach mit minutenlangen Beifall. Die neue Partei trug die Hoffnung, die zersplitterte rechte Szene zu einer politischen Kraft zu einen, die sich fortan den vermeintlichen „Demütigungen“ des deutschen Volkes nach 1945 widersetzen würde.

Im Bundestag verdroschen

Das Kriegsende lag erst 19 Jahre zurück, die einstigen Nationalsozialisten waren nicht etwa verschwunden, sondern besetzten teils Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft und Justiz. Schon in den Fünfzigerjahren gab es zahlreiche Versuche von Rechtsradikalen, im Nachkriegsdeutschland parteipolitisch Anschluss zu finden:

  • Offen nazistisch agierte die Sozialistische Reichspartei (SRP) und erreichte bei Wahlen vor allem in Niedersachsen beachtliche Erfolge, bis sie 1952 als erste bundesdeutsche Partei verboten wurde.
  • Der sogenannte Naumann-Kreis der FDP bestand aus früheren ranghohen NS-Funktionären. Sie versuchten, die Liberalen zu kapern und zu einer rechtsradikalen Partei umzupolen. Mit einer Verhaftungswelle stoppten britische Sicherheitsoffiziere 1953 den Unterwanderungsversuch der Altnazis mit dem Ziel einer erneuten „Machtergreifung“.
  • Die stramm nationalkonservative Deutsche Partei (DP) schaffte es im ersten Jahrzehnt der Bonner Republik mehrfach in Landesparlamente, auch in den Bundestag, und stellte sogar Bundesminister. Für einen frühen Eklat sorgte DP-Politiker Wolfgang Hedler 1949 mit antisemitischer Hetze – woraufhin Sozialdemokraten um Herbert Wehner ihn im März 1950 aus einem Bundestagsraum hinausprügelten. Allmählich verschwand die DP in der Bedeutungslosigkeit, auch durch die Einführung der Fünf-Prozent-Hürde.

Personell ging die NPD vor allem aus der DP und der rechtsextremen Deutschen Reichspartei (DRP) hervor und fuhr rasch erste Erfolge ein, mit jeweils über sieben Prozent der Stimmen bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern 1966. Bestürzt schrieb etwa die italienische Tageszeitung „Messaggero“: „Noch sind wir nicht beim ‚Sieg Heil‘ traurigen und unvergessenen Angedenkens angelangt, aber viel fehlt nicht mehr.“

Die Große Koalition nützte den Rechtsradikalen

Der Aufstieg der NPD fiel mit einer Krise der Bonner Republik zusammen. Der Ausstieg der FDP-Minister aus der Bundesregierung zwang letztlich Kanzler Ludwig Erhard zum Rücktritt. Am 1. Dezember 1966 wählte der Bundestag den CDU-Politiker Kurt-Georg Kiesinger, einst frühes NSDAP-Mitglied, zum neuen Kanzler – in einer Koalition mit der SPD. Bis dato waren sich die beiden Volksparteien spinnefeind, gerade in der Ostpolitik. „Für viele Wähler der Union war die SPD ein Handlanger Moskaus“, sagt der Berliner Politologe Richard Stöss. „Da war die Große Koalition natürlich ein Schock.

Die NPD machte sich die Annäherung von Rot und Schwarz zunutze. Und ausgerechnet ein Adolf wurde 1967 Parteivorsitzender. Unter Führung von Adolf von Thadden stilisierte man sich als wahre Erben Konrad Adenauers, als letzte Verfechter eines für den Kalten Krieg typischen Konservatismus: streng antikommunistisch, mittelstandsorientiert – und vor allem getrieben vom Wunsch, Deutschland wiederzuvereinen.

In dieser Hinsicht gab es bei der NPD tatsächlich Parallelen zur Union der Adenauer-Ära. Nur sehnte sie sich nach einem Deutschland, das weit über die Oder-Neiße-Linie hinausreichen sollte: bis nach Danzig und Königsberg, nach Posen und Breslau. „Der frühen NPD ging es vor allem um die nationale Frage“, erklärt Stöss, „für sie hatten die sogenannten Altparteien Verrat am deutschen Volk begangen, da sie Ostgebiete aufgegeben hätten“.

Fremdenfeindlichkeit dagegen habe in den frühen NPD-Wahlkämpfen nahezu keine Rolle gespielt. Nicht nur darin unterschied sie sich in der Außenwirkung von der Partei, zu der sie sich später entwickeln sollte. Bewusst gab sich die NPD bürgerlich, auf Demonstrationen trug man Schlips und Anzug, spielte Kapellenmusik und ging auch zum Nationalsozialismus offiziell auf Abstand. In dieses öffentlich gepflegte Bild passte gut, dass Elisabeth von Thadden, Halbschwester des NPD-Vorsitzenden, von den Nazis als Widerstandskämpferin und Gründerin des Solf-Kreises hingerichtet worden war.

„Wir haben uns immer gefragt, ob bei der NPD Otto von Bismarck oder Adolf Hitler im Wohnzimmer hängt“, erzählt Richard Stöss, der damals bei Demonstrationen gegen die Partei dabei war. „Bei Thadden war es ganz klar Bismarck. Er war kein Demokrat, auch kein Faschist, sondern deutschnational.“

Mimikry und Mimimi

Dem scheinbar bürgerlichen Gewand der Nationaldemokraten misstrauten viele. Gerade die Gewerkschaften und linke außerparlamentarische Gruppen, beide Feindbilder der NPD, mobilisierten Proteste und forderten ein Verbot. 1968 begann das Bundesinnenministerium unter Leitung von Ernst Benda (CDU), belastendes Material zu sammeln.

Letztlich verzichtete die Bundesregierung auf einen Verbotsantrag – auch aus Sorge, ein Misserfolg könnte die NPD stärken. Zudem hätten Teile der CDU/CSU argumentiert, man solle mit der Partei reden und sie einbinden, erinnert sich Stöss. Schließlich seien es auch ehemalige Unionswähler gewesen, die nun für die NPD stimmten.

Im April 1968 fuhr die NPD bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg ihr Rekordergebnis von 9,82 Prozent ein; Wahlforscher Rudolf Wildenmann attestierte ein Potenzial von bis zu 15 Prozent bundesweit. Die NPD hoffte, bei der Bundestagswahl 1969 zu reüssieren und sich langfristig als vierte politische Kraft neben Union, SPD und FDP zu etablieren.

Doch bei der Wahl am 28. September 1969 stürzten die Nationaldemokraten auf 4,3 Prozent. Laut Thadden lag es an allen anderen, nicht an der NPD selbst: Die politischen Gegner hätten es fertiggebracht, „durch ihr Trommelfeuer unsere Wahlchancen binnen drei Wochen zu zerstören“, lamentierte er im SPIEGEL-Interview nach dem Debakel. Schuld waren aus seiner Sicht auch die bösen Medien: „Ich war nur einmal im Fernsehen dran, und die Zeitungen haben sich geweigert, Annoncen von uns entgegenzunehmen.“

Zerbrochene Partei

Zudem sei der Partei der Ruf als Straßenschläger zugeschoben worden, klagte Thadden. Doch Szenen wie in Frankfurt sollten sich wiederholen. Im Oktober ’69 nahm die Polizei Klaus Kolley fest; der NPD-Ordner hatte auf zwei Demonstranten geschossen (siehe Fotostrecke), der Landtagsabgeordnete Werner Fischer ihm bei der Flucht geholfen.

Video: Moderner Rechtsextremismus – die neuen Nazis

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„Bis dahin galt Adolf von Thadden als Übervater, der die widersprüchlichen Strömungen integrieren konnte“, sagt Richard Stöss. Das war nun vorbei. „Die Partei zerbrach in drei Teile: Da waren die Traditionalisten um Thadden. Dann eine neue Rechte, die mit großdeutschen Bestrebungen nichts mehr anfangen konnte und die linke Idee des Antiimperialismus umdeutete. Und schließlich die militanten Neonazis, verantwortlich für den Rechtsterrorismus der Siebzigerjahre.“

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Schon bei der Bundestagswahl 1972 spielte die NPD mit nur noch 0,6 Prozent keine Rolle mehr. Derweil organisierten sich Terrororganisationen wie die Wehrsportgruppe Hoffmann im Untergrund. Erst mit den Republikanern kehrten wieder Rechtsradikale in Landesparlamente zurück. Die totgeglaubte NPD, inzwischen mit antikapitalistischem Profil und eng vernetzt mit der allzeit gewaltbereiten Neonazi-Szene, konnte noch in den Nullerjahren in den neuen Bundesländern Wahlerfolge erzielen, ebenso wie die Deutsche Volksunion des rechtsextremen Verlegers Gerhard Frey („National-Zeitung“).

Die weiter radikalisierte NPD, die DVU, die Republikaner – sie alle rutschten dann in die Bedeutungslosigkeit. Vollends überflüssig machte sie die neurechte Konkurrenz als Sammelbecken auch für versprengte Radikale. 2017 gelang der AfD, was ihren Vorgängern immer verwehrt blieb: der Einzug in den Bundestag.

Dez 2019 | €uropa | Kommentieren